Speicherung dynamischer IP-Adressen

Die Befugnis zur Speicherung von IP-Adressen zum Erkennen, Eingrenzen oder Beseitigen von Störungen oder Fehlern an Telekommunikationsanlagen gemäß § 100 Abs. 1 TKG setzt nicht voraus, dass im Einzelfall bereits Anhaltspunkte für eine Störung oder einen Fehler vorliegen. Es genügt vielmehr, dass die in Rede stehende Datenerhebung und -verwendung geeignet, erforderlich und im engeren Sinn verhältnismäßig ist, um abstrakten Gefahren für die Funktionstüchtigkeit des Telekommunikationsbetriebs entgegenzuwirken.

Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof und nahm dabei auch gleichzeitig zu den Voraussetzungen für die Befugnis, dynamische IP-Adressen zum Zweck der Entgeltermittlung und Abrechnung gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 TKG zu speichern, Stellung:

Hintergrund dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofs war der Streit um entsprechende Löschungspflichten des Telekom-Unternehmens: Ist das Telekommunikationsunternehmen zu einer vorübergehenden Speicherung der dem Rechner des Kunden jeweils zugeteilten dynamischen IP-Adressen nach Beendigung der Internetverbindungen nicht berechtigt, so kann der Kunde gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 3 TKG die unverzügliche Löschung verlangen kann. Sofern für die Speicherung der IP-Adressen keine Rechtsgrundlage besteht, kann dieser Anspruch je nach den technischen Möglichkeiten auch auf eine „sofortige“ Löschung hinauslaufen.

Speicherung zur Entgeltermittlung und Abrechnung[↑]

Der Bundesgerichtshof äußert zunächst Bedenken, ob das Telekommunikationsunternehmen im konkreten Fall berechtigt ist, die IP-Adressen zum Zweck der Entgeltermittlung und Abrechnung zu erheben und zu verwenden (§ 97 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 TKG), weil diese Daten hierfür erforderlich seien.

Der Telekommunikations-Anbieter ist für die tatsächlichen Voraussetzungen seiner Berechtigung, diese Daten zu speichern, darlegungs- und beweisbelastet. Aus §§ 95 bis 98 TKG ergibt sich, dass der Diensteanbieter keine Daten seiner Kunden erheben und verwenden darf, es sei denn, das Gesetz räumt ihm eine Befugnis hierzu ein. Da sich das Telekommunikationsunternehmen für die Speicherung damit auf einen Erlaubnistatbestand beruft1, der eine Ausnahme von ihrer grundsätzlichen Löschungspflicht2 darstellt, trifft es für die ihm zugrunde liegenden Tatsachen die Darlegungs- und Beweislast3.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hat das Berufungsgericht als unstreitig lediglich die bei der Telekom praktizierten Abläufe der Entgeltermittlung und Abrechnung und insbesondere die Verwendung der IP-Adressen, und nicht der Kundenkennung, für diese Zwecke festgestellt. Hieraus folgt für den Bundesgerichtshof indessen nicht, dass die Speicherung der IP-Adressen im Sinne des § 97 Abs. 1 Satz 1 TKG für diese Zwecke „benötigt“ wird. Dies richtet sich nicht allein nach der vom Diensteanbieter angewandten Abrechnungstechnik. In dem Erfordernis, dass die jeweiligen Verkehrsdaten für diese Zwecke „benötigt“ werden, kommt vielmehr der bei der gebotenen Abwägung der Datenschutzbelange des Kunden mit den berechtigten Interessen des Diensteanbieters zu beachtende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum Ausdruck. Bei dem in § 97 Abs. 1 Satz 1 TKG verwendeten Wort „benötigt“ handelt es sich demnach um einen unbestimmten Rechtsbegriff des Inhalts, dass für die in dieser Vorschrift geregelten Zwecke kein weniger eingriffsintensives Mittel zur Verfügung steht, als die Erhebung und Verwendung der jeweils in Rede stehenden Verkehrsdaten.

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Der erstinstanzlich beauftragte Sachverständige hat in diesem Zusammenhang in seinem Gutachten die Behauptung des Telekom-Unternehmens, die IP-Adressen seien zur Entgeltermittlung und Abrechnung erforderlich, nicht bestätigt und ausgeführt, bereits die so genannten Log-Dateien, die auf dem Radiusserver gespeichert würden, ermöglichten ohne Rückgriff auf die IP-Adressen die Zuordnung der jeweiligen Internetsitzung zu den einzelnen Kunden und damit auch die Abrechnung. Dem ist das Telekom-Unternehmen zwar ausführlich entgegengetreten und hat insbesondere geltend gemacht, in den vom Gutachter möglicherweise mit dem Begriff „Log-Dateien“ gemeinten Sessionsdaten seien die IP-Adressen enthalten. Der Kläger hat diesen Vortrag jedoch weiterhin in dem entscheidenden Punkt bestritten, dass die Abrechnung ohne die gespeicherten IP-Adressen nicht möglich sei. Ob dies der Fall ist und ob die anderen, ohnehin gespeicherten Daten zur Entgeltermittlung und Abrechnung genügen und mit deren Verwendung ein weniger intensiver Eingriff in die Rechte der Kunden des Telekom-Unternehmens verbunden ist, ist zu klären.

Insofern hätte das Berufungsgericht, sofern es das beklagte Telekom-Unternehmen nicht aufgrund der Ausführungen des Gutachters als beweisfällig ansehen wollte, seine Feststellungen zur Notwendigkeit, die streitgegenständlichen Daten zur Entgeltermittlung und Abrechnung zu speichern, nicht treffen dürfen, ohne den erstinstanzlich herangezogenen Gutachter anzuhören (§ 411 Abs. 3 ZPO), ihm eine neue Begutachtung aufzugeben (§ 412 Abs. 1, 1. Alt. ZPO) oder sich anderweitig sachverständig beraten zu lassen (§ 412 Abs. 1, 2. Alt. ZPO).

Es ist zwar grundsätzlich dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters überlassen, ob er seine eigene Sachkunde für ausreichend erachtet und deshalb von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absieht. Die Grenze seines Ermessens hat das Berufungsgericht jedoch nicht eingehalten. Die Würdigung eines schwierigen technischen Sachverhalts, wie hier die Beurteilung, ob für die Zuordnung abrechnungsrelevanter Internetsessionsdaten zu den einzelnen Kunden der Beklagten die Speicherung der IP-Adressen erforderlich ist, setzt besondere technische Kenntnisse voraus und wird nicht schon durch die Beherrschung allgemeiner Erfahrungssätze ermöglicht. Der Tatrichter kann, wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag und dies in einem vorherigen Hinweis an die Parteien dartut4.

Der Verfahrensmangel ist entscheidungserheblich, denn die zwischen den Parteien bestehenden Tarifvereinbarungen erfordern eine Zuordnung der jeweiligen Sessionsdaten zu dem Kundenkonto des Klägers. Deshalb scheidet die Berechtigung der Beklagten zur Speicherung der zugeteilten dynamischen IP-Adressen gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 TKG nicht von vornherein aus. Zwar beinhaltet der Tarif ein zeit- und volumenunabhängiges Pauschalentgelt (Flatrate), soweit sich der Kläger zur Herstellung einer Internetverbindung des von der Beklagten zur Verfügung gestellten DSL-Anschlusses bedient. Allerdings hat er auch die Möglichkeit, seine Zugangsdaten für andere Arten der Einwahl in das Internet und zur Inanspruchnahme von kostenpflichtigen Angeboten der Beklagten zu nutzen. In diesen Fällen entstehen zusätzliche Kosten. Dass der Kläger diese Möglichkeiten bislang nicht genutzt hat, schließt nicht aus, dass er künftig hiervon Gebrauch machen wird. Für diesen Fall muss die Beklagte in der Lage sein, anhand der Sessionsdaten und ihrer Zuordnung zum Kläger, diese Leistungen abzurechnen.

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Speicherung zur Störungsbeseitigung[↑]

Nach § 100 Abs. 1 TKG darf der Diensteanbieter zum Erkennen, Eingrenzen oder Beseitigen von Störungen oder Fehlern an Telekommunikationsanlagen unter an-derem die Verkehrsdaten der Teilnehmer und Nutzer erheben und verwenden, soweit dies für diese Zwecke erforderlich ist.

Sofern die Speicherung der dynamischen IP-Adressen notwendig ist, um unter anderem der Versendung von Spam-Mails und Denial-of-Service-Attacken entgegen zu wirken, ist der Diensteanbieter nicht vor Ablauf von sieben Tagen zur sofortigen Löschung verpflichtet. Der Bundesgerichtshof schließt sich insoweit der von dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit5 vertretenen Auffassung an.

Zu den Verkehrsdaten, die nach § 100 Abs. 1 TKG erhoben und verwendet werden dürfen, gehören grundsätzlich auch die jeweils genutzten IP-Adressen6.

Keinen rechtlichen Bedenken unterliegt weiter die Auffassung, dass eine abzuwehrende Störung im Sinne des § 100 Abs. 1 TKG unter anderem vorliegt, wenn Internetdienstleister bestimmte IP-Adressbereiche eines anderen Internetanbieters – hier der Beklagten – sperren, weil von ihnen Schadprogramme oder massenweise so genannte Spam-Mails versandt werden oder „Denial-of-Service-Attacken“ ausgehen. Der Begriff der Störung ist umfassend zu verstehen als jede vom Diensteanbieter nicht gewollte Veränderung der von ihm für sein Telekommunikationsangebot genutzten technischen Einrichtungen7. Der Begriff der Telekommunikationsanlagen in § 100 Abs. 1 TKG schließt überdies nach der Legaldefinition des § 3 Nr. 23 TKG neben den technischen Einrichtungen auch das gesamte System ein. Die Sperrung der von dem Diensteanbieter vorgehaltenen IP-Adressenkontingente stellt damit auch eine Veränderung der Telekommunikationsanlagen dar, die sodann nicht mehr nutzbar sind.

Entgegen einer insoweit vertretenen Auffassung8 setzt die in § 100 Abs. 1 TKG geregelte Befugnis zur Erhebung und Verwendung von Daten auch unter Berücksichtigung des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG, § 88 TKG) und des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) nicht voraus, dass im Einzelfall bereits Anhaltspunkte für eine Störung oder einen Fehler an den Telekommunikationsanlagen vorliegen9. Es genügt vielmehr, dass die in Rede stehende Datenerhebung und -verwendung geeignet, erforderlich und im engeren Sinn verhältnismäßig ist, um abstrakten Gefahren für die Funktionstüchtigkeit des Telekommunikationsbetriebs entgegenzuwirken.

Dies ergibt sich aus dem Vergleich von § 100 Abs. 1 TKG mit seiner Vorgängerregelung, dem § 9 Abs. 1 Nr. 1 TDSV10, und mit § 100 Abs. 3 TKG. § 9 Abs. 1 TDSV setzte sowohl für die nunmehr in § 100 Abs. 1 TKG als auch für die in Absatz 3 dieser Bestimmung geregelten Fallgestaltungen voraus, dass die Datenerhebung und -verwendung im jeweiligen Einzelfall erforderlich war. Diese Bedingung ist im Gesetzestext nunmehr für die vormals in § 9 Abs. 1 Nr. 1 TDSV geregelten Fälle des § 100 Abs. 1 TKG (Störungen und Fehler an Telekommunikationsanlagen) entfallen. Demgegenüber ist sie in Absatz 3 für die früher § 9 Abs. 1 Nr. 2 TDSV zugrunde liegenden Sachverhalte der Leistungserschleichung und sonstigen missbräuchlichen Inanspruchnahme der Telekommunikationsnetze beibehalten worden. Dem ist zu entnehmen, dass für § 100 Abs. 1 TKG nicht mehr erforderlich ist, dass im Einzelfall Anhaltspunkte für eine Störung oder einen Fehler bestehen. Für den Verzicht auf dieses Erfordernis spricht im Übrigen, dass hierfür ein gesetzgeberisches Bedürfnis bestand, da insbesondere zur Abwehr erheblichen Spam-Aufkommens und von so genannten Denial-of-service-Attacken generelle Abwehrmaßnahmen erforderlich sind, um die Funktionsfähigkeit des Telekommunikationsbetriebs zu gewährleisten (Wittern aaO). Die Beklagte ist nach § 109 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 TKG verpflichtet, derartige präventive Schutzmaßnahmen gegen Störungen zu treffen, die zu erheblichen Beeinträchtigungen von Tele-kommunikationsnetzen führen können. Schließlich streitet dafür, dass eine abs-trakte Gefahr für die Ermächtigung des § 100 Abs. 1 TKG genügt, dass der Diensteanbieter die Daten auch zum „Erkennen“ von Störungen und Fehlern sammeln und verwerten darf11. Das „Erkennen“ von Störungen und Fehlern findet in der Regel in einem Stadium statt, in dem Anhaltspunkte hierfür erst gewonnen werden, also ein konkreter Verdacht noch nicht bestehen muss12.

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Diese Auslegung begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. § 100 TKG greift zwar, soweit er die Erhebung und Verwendung von Telekommunikationsdaten erlaubt, in den Anspruch des einzelnen Nutzers auf Wahrung des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG, § 88 TKG) und seines Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) ein. Insbesondere Art. 10 Abs. 1 GG begründet nicht nur ein Abwehrrecht gegen den Staat, sondern auch einen Auftrag an diesen, Schutz insoweit vorzusehen, als Private sich Zugriff auf Kommunikationsdaten verschaffen13. Diese Rechte können und müssen aber mit den berechtigten Belangen der Telekommunikationsunternehmen, öffentlichen Interessen und den übrigen Interessen der Kunden abgewogen werden14. § 100 TKG bringt die Rechte der Nutzer aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 GG mit den gleichfalls grundrechtlich geschützten Rechten des Diensteanbieters aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG sowie mit dem legitimen Interesse der Nutzer und dem öffentlichen Interesse15 an der Funktions- und Leistungsfähigkeit des Telekommunikationssystems zum Ausgleich. Die präventive Erhebung und Verwertung von Daten wird hierbei nicht unbegrenzt erlaubt, auch wenn eine abstrakte Gefahr von Störungen und Fehlern an Telekommunikationsanlagen genügt. Vielmehr werden die Befugnisse des Diensteanbieters durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz strikt begrenzt16.

Die anlasslose, jedoch auf sieben Tage begrenzte Speicherung der jeweils genutzten IP-Adressen wahrt – ihre technische Erforderlichkeit für die Zwecke des § 100 Abs. 1 TKG vorausgesetzt – die Verhältnismäßigkeit. Die bloße Speicherung der IP-Adressen stellt noch keinen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der Nutzer dar17. Dies gilt umso mehr, als von maßgebender Bedeutung für das Gewicht des Grundrechtseingriffs ist, welche Persönlichkeitsrelevanz die Informationen aufweisen, die von der informationsbezogenen Maßnahme erfasst werden18. Die Identität des jeweiligen Nutzers ist aus der IP-Nummer selbst nicht erkennbar und wird erst durch die Zusammenführung mit weiteren Angaben ermittelbar. Diese findet jedoch – nach dem bisherigen Sach- und Streitstand – für die Zwecke des § 100 Abs. 1 TKG nur bei dem konkreten Verdacht einer Störung oder eines Fehlers an den Telekommunikationsanlagen statt. Überdies ist die Speicherung auf einen sehr kurzen Zeitraum begrenzt.

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Allerdings können bei einer, wie im vorliegenden Sachverhalt, anlasslosen Speicherung von Daten erhöhte Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu stellen sein. Informationserhebungen gegenüber Personen, die den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben, sind grundsätzlich von höherer Eingriffsintensität als anlassbezogene. Werden Personen, die keinen Erhebungsanlass gegeben haben, in großer Zahl in den Wirkungsbereich einer Maßnahme einbezogen, können von ihr auch allgemeine Einschüchterungseffekte ausgehen, die zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung von Grundrechten führen können. Die Unbefangenheit des Verhaltens wird insbesondere gefährdet, wenn die Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen dazu beiträgt, dass Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens entstehen19. Diese zu strafprozessualen, präventiv-polizeilichen und geheimdienstlichen Eingriffen entwickelte Rechtsprechung ist aber nicht ohne Abstriche auf die vorliegende Fallgestaltung zu übertragen. Die Intensität des Eingriffs für den Grundrechtsträger wird maßgeblich davon beeinflusst, welche Nachteile ihm über die Informationserhebung hinaus drohen oder von ihm nicht ohne Grund befürchtet werden20. Die kurzzeitige Speicherung der dynamischen IP-Adressen durch die Beklagte zum Zweck des Erkennens, des Eingrenzens und der Beseitigung von Störungen und Fehlern und damit des Schutzes ebenfalls teilweise grundrechtlich geschützter Rechte und öffentlicher Interessen zielt nicht auf Maßnahmen hoheitlicher Repression oder Verhaltensüberwachung ab. Eine Identifizierung des Anschlusses, dem die IP-Adresse zugeteilt wurde, findet für die Zwecke des § 100 Abs. 1 TKG überdies erst bei einem konkreten Anlass statt. Die IP-Adressenspeicherung ist daher, wenn überhaupt, lediglich in sehr geringem Maß geeignet, einzuschüchtern oder auch nur die Unbefangenheit des Kunden bei der Nutzung des Internets zu beeinträchtigen.

Demgegenüber sind die Interessen, denen die Datenspeicherung dient, von erheblichem Gewicht, selbst wenn, wie der Kläger geltend macht, nur ein sehr geringer Teil der gespeicherten IP-Adressen für die in § 100 Abs. 1 TKG aufgeführten Zwecke verwendet wird. Sofern die IP-Nummern zum Erkennen, Eingrenzen oder Beseitigen von Störungen oder Fehlern notwendig sind, würde der Verzicht auf die Speicherung angesichts der gerichtsbekannten Häufigkeit der Versendung von Spam-Mails, Schad- und Spionageprogrammen und der „Denial-of-Service-Attacken“ auf Dauer – zum Schaden der Beklagten und aller ihrer Nutzer – zu einer schwerwiegenden und nachhaltigen Beeinträchtigung der Kommunikationsinfrastruktur führen.

Insgesamt ist der mit der streitgegenständlichen Speicherung verbundene Eingriff in die Rechte der Nutzer vergleichsweise gering und überwiegt die legitimen, teilweise ebenfalls grundrechtlich abgesicherten Interessen der Beklagten und ihrer Kunden sowie die öffentlichen Interessen an der Funktionstüchtigkeit und Leistungsfähigkeit der Telekommunikationsinfrastruktur nicht.

§ 100 Abs. 1 TKG ist in dieser Auslegung auch mit dem europäischen Recht vereinbar.

Gemäß Art. 15 Abs. 1 der maßgeblichen Richtlinie 2002/58/EG21 können die Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften erlassen, nach denen Verkehrsdaten im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2002/58/EG, zu denen auch die IP-Adressen gehören, unter anderem dann gespeichert werden dürfen, wenn dies „zur Verhütung, Ermittlung, Feststellung … des unzulässigen Gebrauchs von elektronischen Kommunikationssystemen in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, angemessen und verhältnismäßig ist“. Zu einem unzulässigen Gebrauch elektronischer Kommunikationssysteme gehört auch der Missbrauch des Internets durch die Versendung von Spam-Mails, Schad- und Spionageprogrammen sowie durch Denial-of-Service-Attacken. Die Speicherung der IP-Adressen für sieben Tage nach Beendigung der jeweiligen Verbindung ist, ihre technische Notwendigkeit zur Abwehr oder zur Beseitigung derartiger Missbräuche vorausgesetzt, damit vom Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 Richtlinie 2002/58/EG gedeckt. Eine solche Speicherung ist aus den vorgenannten Gründen nach den Maßstäben des Grundgesetzes verhältnismäßig. Da nichts dafür ersichtlich ist, dass Art. 15 Abs. 1 Richtlinie 2002/58/EG insoweit weitergehende Anforderungen enthält, ist sie auch „notwendig, angemessen und verhältnismäßig“ im Sinne dieser Bestimmung.

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Dies gilt auch, soweit die Speicherung der IP-Adressen einen im Einzelfall bestehenden Anhaltspunkt für einen unzulässigen Gebrauch des Internets nicht voraussetzt. Zwar hat die Generalanwältin des Gerichtshofs der Europäischen Union Kokott in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache „Promusicae“22 Zweifel daran geäußert, ob die Speicherung von Verkehrsdaten aller Nutzer ohne einen konkreten Verdacht gemäß Art. 15 Abs. 1 Richtlinie 2002/58/EG, wie sie im dortigen Fall zur Durchsetzung von Urheberrechten für allerdings erheblich längere Dauer in Rede stand, mit Grundrechten vereinbar“ sei23. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Bedenken in seinem Urteil zu jener Sache jedoch nicht aufgegriffen. Vielmehr hat er lediglich ausgeführt, die Richtlinie 2002/58/EG gebiete zur Wahrung der Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten) die Herstellung eines angemessenen Gleichgewichts zwischen diesen Rechten einerseits und den Rechten und Interessen, denen die Datenerhebung und -verarbeitung dienen soll, andererseits24. Dabei komme den Mitgliedstaaten ein Beurteilungsspielraum beim Erlass der Umsetzungsmaßnahmen zu, die an die verschiedenen denkbaren Sachverhalte angepasst werden könnten25.

Hieraus ergibt sich, dass der Gerichtshof eine anlasslose „Vorratsdatenspeicherung“ nicht per se für unzulässig hält, sie vielmehr unter der Voraussetzung einer – dem Beurteilungsermessen der Mitgliedstaaten überlassenen und hier aus den oben dargestellten Gründen gegebenen – angemessenen Abwägung der betroffenen Belange für (europa-)rechtlich möglich hält.

Einer Vorlage der Sache an den Gerichtshof der Europäischen Union (Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV) bedarf es trotz der hohen Hürden für den Verzicht auf diese Maßnahme26 nicht. Die vorstehenden Schlussfolgerungen ergeben sich ohne weiteres aus dem eindeutigen Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 Richtlinie 2002/58/EG und der zitierten „Promusicae“-Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Hinsichtlich der Abwägung zwischen dem Fernmeldegeheimnis sowie dem Recht der Internetnutzer auf informationelle Selbstbestimmung einerseits und den Belangen der Beklagten sowie der übrigen Nutzer und den öffentlichen Interessen an der Funktionstüchtigkeit der Telekommunikationssystems andererseits ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten bei der Gewichtung der widerstreitenden Interessen einen Beurteilungsspielraum eröffnet27. Ein solcher ist nur bei offensichtlich unverhältnismäßigen nationalen Maßnahmen überschritten28. Dass die der Auslegung des Senats von § 100 Abs. 1 TKG zugrunde liegende Abwägung der wechselseitigen Belange nicht offensichtlich unverhältnismäßig ist, liegt auf der Hand. Aus diesen Gründen ist die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum mehr verbleibt und eine Vorlage nach Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV damit nicht geboten ist29.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 13. Januar 2011 – III ZR 146/10

  1. vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Sicherheit in der Informationstechnik des Bundes, BT-Drs. 16/11967 S. 17[]
  2. Büttgen in Scheurle/Mayen, TKG, 2. Aufl., § 96 Rn. 10; Klesczewski in Berliner Kommentar zum TKG, 2. Aufl., § 96 Rn. 13[]
  3. vgl. z.B. BGH, Urteile vom 21.04.2010 – XII ZR 134/08, FamRZ 2010, 1050 Rn. 52; vom 14.10.2009 – XII ZR 146/08, FamRZ 2009, 1990 Rn. 18 jew. m.w.N.; vom 03.07.2009 – V ZR 182/08, ZOV 2009, 237 Rn. 32; Beschluss vom 05.02.2007 – II ZR 51/06, WM 2007, 1465 Rn. 4[]
  4. vgl. zum Ganzen BGH, Urteil vom 23.11.2006 – III ZR 65/06, NJW-RR 2007, 357 Rn. 14 m.w.N.[]
  5. offener Brief des Bundesbeauftragten vom 16. März 2007; so auch AG Bonn MMR 2008, 203, 204[]
  6. Begründung der Bundesregierung des Entwurfs eines Telekommunikationsgesetzes, BT-Drucks. 15/2316 S. 90; Wittern in Beck’ scher TKG-Kommentar, 2006, § 100 Rn. 3; vgl. auch BVerfG NJW 2010, 833 Rn. 254[]
  7. vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Sicherheit in der Informationstechnik des Bundes, durch den eine mit § 100 Abs. 1 TKG fast wortgleiche Bestimmung an § 15 des Telemediengesetzes an-gefügt werden sollte, BT-Drs. 16/11967 S. 17[]
  8. so wohl Bundesrat, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Sicherheit in der Informationstechnik des Bundes, BR-Drs. 62/09 Beschluss S. 9 f, kritisch auch Breyer RDV 2004, 147 f.[]
  9. Eckhardt CR 2003, 805, 809; Kannenberg in Scheurle/Mayen, aaO, § 100 Rn. 10; Klesczewski aaO, § 100 Rn. 8; Wittern aaO Rn. 2[]
  10. Telekommunikations-Datenschutzverordnung vom 18.12.2000, BGBl. I S. 1740[]
  11. Wittern aaO Rn. 6[]
  12. Wittern aaO; enger: Gramlich in Manssen, Telekommunikations- und Multimediarecht, Stand August 2008, § 100 Rn. 18[]
  13. BVerfG NJW 2007, 3055 Rn. 13[]
  14. vgl. BVerfG aaO Rn. 14[]
  15. § 109 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 TKG[]
  16. Wittern aaO Rn. 7[]
  17. vgl. BVerfGE 121, 1, 20; vgl. ferner BVerfG NJW 2010, 833 Rn. 254[]
  18. BVerfGE 120, 378, 402[]
  19. BVerfG aaO m.w.N.[]
  20. BVerfG aaO S. 403[]
  21. Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.07.2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation, ABl. L 201 vom 31. Juli 2002 S. 37[]
  22. EuGH – C-275/06[]
  23. EuGH, Slg. 2008 S. I-271, 296 Rn. 82[]
  24. aaO S. I-271, 344 ff, Rn. 64 ff[]
  25. aaO S. 345, Rn. 67[]
  26. vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26.11.2007 – NotZ 23/07, BGHZ 174, 273 Rn. 34 m.w.N.[]
  27. EuGH aaO[]
  28. vgl. BGH aaO Rn. 37 m.w.N.[]
  29. acte clair, vgl. BGH aaO Rn. 34; Urteil vom 06.11.2008 – III ZR 279/07, BGHZ 178, 243 Rn. 31[]