Mit der Erklärung des Versicherers, die Leistung abzulehnen, endet die Sanktion der Leistungsfreiheit wegen schuldhaft begangener Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheitsverletzungen. Will der Versicherer nach einer Leistungsablehnung wieder in die Sachprüfung eintreten und dafür den Schutz vertraglich vereinbarter Obliegenheiten erneut in Anspruch nehmen, muss er dies gegenüber dem Versicherungsnehmer zweifelsfrei klarstellen. Die in Nr. 17 VGB 98 geregelte Verwirkung des Leistungsanspruchs infolge einer vom Versicherungsnehmer versuchten oder vollendeten arglistigen Täuschung des Versicherers greift nicht ein bei Angaben des Versicherungsnehmers, die dieser erst nach einer Leistungsablehnung des Versicherers in einem Wiederaufnahmeantrag macht1.

Die Versicherung kann sich in einem solchen Fall nicht gemäß § 6 Abs. 3 VVG a.F. i.V.m. Art. 1 Abs. 2 EGVVG auf Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Auskunftsobliegenheit aus Nr. 14.2.2 VGB 98 berufen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Versicherungsnehmer nach dem Versicherungsfall Aufklärungs- oder Auskunftsobliegenheiten nur solange zu erfüllen, wie er es mit einem Versicherer zu tun hat, der noch prüfungs- und damit verhandlungsbereit ist. Mit der endgültigen Leistungsablehnung des Versicherers enden, solange der Versicherer an ihr festhält, die Verhandlungen über eine Entschädigungsleistung, während derer der Versicherer auf Angaben eines redlichen Versicherungsnehmers angewiesen ist. Nur bis zu der Erklärung, die Leistung abzulehnen, besteht mithin die besondere Schutzbedürftigkeit des Versicherers, der im Versicherungsrecht mit der dem übrigen Schuldrecht unbekannten Sanktion der Leistungsfreiheit wegen schuldhaft begangener Obliegenheitsverletzungen Rechnung getragen werden darf2.
Allerdings kann dieser Schutz für den Versicherer wieder aufleben, wenn er dem Versicherungsnehmer unmissverständlich3 zu erkennen gibt, dass er an seiner Leistungsablehnung nicht festhalten, sondern erneut in die Prüfung der Leistungspflicht eintreten und dazu die Verhandlungen über die Schadenregulierung wieder aufnehmen wolle. Weiter muss der Versicherer dem Versicherungsnehmer in diesem Falle klar zu erkennen geben, inwieweit für ihn noch ein Aufklärungsbedürfnis besteht4.
Im vorliegend vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall konnte dem knappen Wortlaut des an den Rechtsanwalt des Versicherungsnehmers gerichteten Schreibens der Versicherung schon nicht sicher entnommen werden, dass die Versicherung wieder in die Sachprüfung eintreten wollte. Das Schreiben kann ebenso gut dahin verstanden werden, nicht die Entscheidung über die Entschädigung, sondern die Entscheidung über den Wiedereintritt in die Sachprüfung solle vom Ergebnis der weder inhaltlich noch hinsichtlich ihres Adressaten näher konkretisierten Rückfrage abhängig gemacht werden. Der Versicherungsnehmer konnte dem Schreiben mithin auch nicht entnehmen, inwieweit die Versicherung in der Sache noch Aufklärungsbedarf sah.
Hinzu kommt, dass die Versicherung mit zwei weiteren an den Versicherungsnehmer persönlich adressierten Schreiben vom gleichen Tag die aus Anlass der vermeintlichen Obliegenheitsverletzung erklärte Kündigung des Versicherungsvertrages in der Weise bestätigte, dass sie dem Versicherungsnehmer eine Stornomitteilung nebst Schlussabrechnung über die Rückerstattung überzahlter Prämie übersandte. Das konnte der Versicherungsnehmer nur dahin verstehen, sie halte daran fest, dass er eine Obliegenheit aus Nr. 13.1 VGB 98 verletzt habe.
Die Auffassung, die Abwicklung der Kündigung sei für den Versicherungsnehmer ungeachtet identischer Faksimile-Unterschriften derselben Vorstandsmitglieder auf allen drei Schreiben erkennbar von einer anderen Abteilung der Versicherung veranlasst worden, welcher der Schriftwechsel mit dem Rechtsanwalt des Versicherungsnehmers offensichtlich nicht bekannt gewesen sei, verkennt die Anforderungen, die an eine unmissverständliche Mitteilung der Wiederaufnahme der Leistungsprüfung zu stellen sind. Will der Versicherer nach einer Leistungsablehnung wieder in die Sachprüfung eintreten und dafür den Schutz vertraglich vereinbarter Obliegenheiten erneut in Anspruch nehmen, muss er dies gegenüber dem Versicherungsnehmer zweifelsfrei klarstellen. Gibt er wie hier unklare oder gar einander widersprechende Erklärungen ab, ist der Versicherungsnehmer weder gehalten, daraus erwachsende Missverständnisse nach Kräften etwa dadurch auszuräumen, dass er Erwägungen zur ihm nicht näher bekannten inneren Organisation des Geschäftsbetriebes des Versicherers anstellt, noch trägt er das Risiko solcher Missverständnisse.
Ist ein für den Versicherungsnehmer erkennbarer Wiedereintritt in die Leistungsprüfung nicht erfolgt, kommt es auf weitere Erwägungen zur erneuten Geltung der Auskunftsobliegenheit bereits im „Wiederaufnahmeantrag“ des Versicherungsnehmers nicht mehr an. Vielmehr verbleibt es bei der durch die Leistungsablehnung der Versicherung beendeten Obliegenheitsbindung.
Aus den vorgenannten Gründen begegnet auch die Annahme durchgreifenden rechtlichen Bedenken, der Versicherungsnehmer habe die Versicherungsleistung wegen vollendeter oder versuchter arglistiger Täuschung über Tatsachen, die für den Grund oder die Höhe der Entschädigung von Bedeutung sind, nach Nr. 17 VGB 98 verwirkt.
Die in Nr. 17 VGB 98 und ähnlichen Klauseln (etwa § 22 Abs. 1 VHB 84) geregelte Verwirkung des Leistungsanspruchs infolge arglistiger Täuschung des Vertragspartners konkretisiert den in § 242 BGB wurzelnden Rechtsgedanken des redlichen Umgangs der Vertragspartner miteinander und fußt in der Erwägung, dass sich gerade das Versicherungsverhältnis in besonderem Maße auf wechselseitiges Vertrauen beider gründet. Allerdings belegen die Regelungen des § 6 VVG a.F./§ 28 VVG n.F., dass eine letztlich auf den Grundsatz von Treu und Glauben gestützte Leistungsfreiheit auf Ausnahmefälle von besonderem Gewicht beschränkt bleiben muss, in denen es dem Versicherer nicht zugemutet werden kann, an der Erfüllung der von ihm übernommenen Vertragspflichten festgehalten zu werden. Denn selbst bei vorsätzlicher Verletzung ausdrücklich vereinbarter Obliegenheiten tritt nach dem dafür geltenden Sanktionenregime Leistungsfreiheit nur unter den in den §§ 6 VVG a.F. oder 28 VVG n.F. geregelten Voraussetzungen ein5. Da sich auch die Sanktion der Leistungsfreiheit nach § 17 VGB 98 aus dem Schutzbedürfnis des sachprüfungs- und verhandlungsbereiten Versicherers ableitet, der bei seiner Entscheidungsfindung in besonderem Maße auf wahrheitsgemäße Angaben eines redlichen Versicherungsnehmers angewiesen ist, kann die Klausel nicht mehr auf Angaben des Versicherungsnehmers angewendet werden, die erst nach einer Leistungsablehnung des Versicherers gemacht werden, und damit auch nicht auf Angaben in einem Schreiben, mit dem der Versicherungsnehmer um eine Wiederaufnahme der Prüfung ersucht. Der durch die Leistungsablehnung eingetretene Konflikt der Vertragsparteien rechtfertigt es nicht mehr, dem Versicherer weiterhin eine besondere Schutzwürdigkeit zuzubilligen, deren Missachtung die Verwirkung des gesamten Leistungsanspruchs nach sich zieht6.
Nur so wird in ausgewogener Weise den berechtigten Belangen beider Vertragsseiten Rechnung getragen7.
Soweit deshalb der Versicherungsnehmer in einem anschließenden Rechtstreit um die Versicherungsleistung oder auch außerprozessual mit unlauteren Mitteln eine Änderung der Entscheidung ohne erneute Verhandlungen mit seinem Versicherer zu erreichen versucht, räumt das Gesetz dem Versicherer die gleichen Befugnisse und Möglichkeiten ein wie jedem anderen Beteiligten eines schuldrechtlichen Vertrages, aber auch nicht mehr8.
Auf die Frage, ob eine Verwirkung der gesamten Versicherungsleistung gemäß Nr. 17 VGB 98 nach § 242 BGB auch dann angemessen erscheint, wenn die falschen Angaben des Versicherungsnehmers nur zu einem Punkt erfolgt sind, den der Versicherer zu Unrecht als entscheidungserheblich angesehen hat9, mithin lediglich der untaugliche Versuch einer arglistigen Täuschung über für die Entscheidung des Versicherers bedeutsame Tatsachen vorliegt, kommt es nicht mehr an.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 13. März 2013 – IV ZR 110/11
- Fortführung von BGH, Urteil vom 07.06.1989 – IVa ZR 101/88, BGHZ 107, 368, 370 f. m.w.N.[↩]
- vgl. nur BGH, Urteil vom 07.06.1989 – IV ZR 101/88, BGHZ 107, 368, 370 f. m.w.N.[↩]
- BGH aaO S. 371; BGH, Urteil vom 08.07.1991 – II ZR 65/90, VersR 1991, 1129 unter 2 a; BGH, Urteil vom 12.11.1997 – IV ZR 338/96, VersR 1998, 228 unter II 1 c[↩]
- BGH, Urteil vom 12.11.1997 aaO[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 08.07.1991 – II ZR 65/90, VersR 1991, 1129 unter 2 a und b[↩]
- vgl. dazu BGH, Urteile vom 07.06.1989 – IVa ZR 101/88, BGHZ 107, 368, 370 f.; vom 22.09.1999 – IV ZR 172/98, VersR 1999, 1535 unter II mit zust. Anm. Knappmann, NVersZ 2000, 68 ff.; OLG Hamm VersR 1992, 301, 302 m. Anm. Bach; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 31 VHB 2000 Rn. 2; Lücke in Anm. zu BGH, Urteil vom 08.07.1991 – II ZR 65/90, VersR 1992, 182[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 07.06.1989 – IVa ZR 101/88, BGHZ 107, 368, 371[↩]
- BGH, Urteil vom 07.06.1989 aaO S. 371 f.[↩]
- vgl. dazu BGH, Urteil vom 25.06.2008 – IV ZR 233/06, VersR 2008, 1207 Rn. 13 ff. zu den Anforderungen an eine genügend häufige Kontrolle der Beheizung von Wohngebäuden im Winter[↩]