Berufsunfähigkeitsversicherung – und die Verjährung

Der Gesamtanspruch (das Stammrecht), der dem Versicherungsnehmer einer selbständigen oder als Zusatzversicherung abgeschlossenen Berufsunfähigkeitsversicherung aus einem Versicherungsfall zusteht, unterliegt auch nach der Reform des Versicherungsvertragsrechts 2008 der Verjährung.

Berufsunfähigkeitsversicherung – und die Verjährung

Nach ganz herrschender Ansicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur unterliegt der auch als Stammrecht bezeichnete Gesamtanspruch des Versicherungsnehmers einer Berufsunfähigkeitsversicherung selbständiger Verjährung1.

Diese Ansicht geht zurück auf ein Urteil des Reichsgerichts aus dem Jahr 1932, in dem das Gesamtrecht aus einem Vergleich, gerichtet auf wiederkehrende Erstattung von Grundsteuern, selbständig der Verjährung unterworfen wurde2. Dem hat sich der Bundesgerichtshof 1955 für den Gesamtanspruch, also das Stammrecht als solches, aus der privaten Unfallversicherung angeschlossen3. Der Bundesgerichtshof hat das Bestehen eines Stammrechts des Versicherungsnehmers aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung, aus dem wiederkehrende Rentenbeträge fließen, anerkannt4. Er ist ferner davon ausgegangen, dass dieses Stammrecht als solches der Verjährung gemäß § 12 Abs. 1 VVG a.F. zugänglich ist5.

Hieran hält der Bundesgerichtshof auch nach der Reform des Versicherungsvertragsrechts 2008 fest.

Entscheidend ist der besondere Inhalt des Leistungsversprechens, das der Versicherer der Berufsunfähigkeitsversicherung abgibt.

Beim Versicherungsfall in der Berufsunfähigkeitsversicherung handelt es sich um einen so genannten gedehnten Versicherungsfall, der nicht schrittweise eintritt, sondern durch die Fortdauer des bereits mit seinem Eintritt geschaffenen Zustandes bestimmt wird6. Der Versicherer verpflichtet sich im Leistungsversprechen dazu, nicht lediglich eine einmalige Versicherungsleistung zu erbringen, sondern längstens bis zum Ablauf der vertraglich bestimmten Leistungszeit so lange fortlaufend zu leisten, wie der den Versicherungsfall auslösende Zustand andauert7. So liegt es auch hier. Nach § 1 Abs. 3 BBBUZ entsteht der Anspruch auf Beitragsbefreiung mit Ablauf des Monats, in dem die Berufsunfähigkeit eingetreten ist. Er erlischt erst, wenn der Grad der Berufsunfähigkeit unter 50 % sinkt, wenn die versicherte Person stirbt oder bei Ablauf der vertraglichen Leistungsdauer (§ 1 Abs. 4 BBBUZ).

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Die danach bereits im Leistungsversprechen auf Dauer angelegte Rechtsposition des Versicherungsnehmers erfährt durch die prozeduralen Vorgaben der §§ 173 und 174 VVG eine weitere Verfestigung. Der Versicherer hat nach einem Leistungsantrag bei Fälligkeit in Textform zu erklären, ob er seine Leistungspflicht anerkennt (§ 173 Abs. 1 VVG). Die möglichst frühzeitige und für längere Zeit bindende Erklärung des Versicherers soll es dem Versicherungsnehmer ermöglichen, die wiederkehrenden Leistungen in seine Zukunftsplanung einzubeziehen8. Zum Schutz des Versicherungsnehmers sieht § 174 Abs. 1 VVG vor, dass sich der Versicherer von einer Leistungszusage nur unter besonderen Voraussetzungen lösen kann9. Zusätzliches Gewicht erhalten die genannten Vorgaben dadurch, dass Abweichungen zum Nachteil des Versicherungsnehmers ausgeschlossen sind, § 175 VVG.

Der so ausgestaltete Gesamtanspruch des Versicherungsnehmers einer Berufsunfähigkeitsversicherung unterliegt der Verjährung. Dies gilt unabhängig von dem Gegenstand der Versicherungsleistungen, seien es Rentenzahlungen oder wie hier die Befreiung von der Verpflichtung zur Beitragszahlung. In beiden Fällen hat der Versicherungsnehmer im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB das Recht, von dem Versicherer etwas zu verlangen10. Der Gesamtanspruch (das Stammrecht) des Versicherungsnehmers ist Grundlage der Verpflichtung des Versicherers, wiederkehrende Einzelleistungen zu erbringen; in diesem Sinne folgen die Ansprüche auf Einzelleistungen aus dem Stammrecht, weshalb der Versicherer entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung nach Eintritt der Verjährung des Stammrechts berechtigt ist, Einzelleistungen zu verweigern11.

Dass dieses Stammrecht der Verjährung unterliegt, ist interessengerecht. Es würde den Versicherer unbillig belasten, sich Jahre nach einer Leistungsablehnung noch mit einem für abgeschlossen gehaltenen, angesichts des Zeitablaufs typischerweise nur noch unter Schwierigkeiten aufklärbaren Versicherungsfall auseinandersetzen zu müssen12. Ihn davor zu schützen, entspricht gerade dem Zweck des Verjährungsrechts. Die Verjährung beruht auf den Gedanken des Rechtsfriedens und des Schuldnerschutzes. Sie soll den Schuldner davor bewahren, noch längere Zeit mit von ihm nicht mehr erwarteten Ansprüchen überzogen zu werden13.

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Die Verjährung des Stammrechts aus der Berufsunfähigkeitsversicherung ist auch nicht unzumutbar für den Versicherungsnehmer. Diesem stehen Möglichkeiten zur Hemmung der Verjährung zur Verfügung (etwa die Klage auf künftige wiederkehrende Leistungen, § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, § 258 ZPO)14. Die Verjährung des Stammrechts nimmt ihm nicht insgesamt seine Rechte aus der Berufsunfähigkeitsversicherung, sondern nur im Hinblick auf den zu spät verfolgten konkreten Versicherungsfall. Unabhängig von der Stammrechtsverjährung besteht der Versicherungsvertrag fort. Tritt ein weiterer Versicherungsfall ein, erwirbt der Versicherungsnehmer ein neues Stammrecht15. Der Versicherungsnehmer wird auch nicht damit rechnen, nach einem Versicherungsfall und einer Leistungsablehnung des Versicherers viele Jahre untätig bleiben und trotzdem noch mit Erfolg wiederkehrende Leistungen geltend machen zu können. Er wird vielmehr davon ausgehen, dass er Ansprüche aus einem Versicherungsfall wie alle anderen Ansprüche innerhalb einer gewissen Frist geltend machen muss, wenn er sich nicht dem Risiko ihrer Verjährung aussetzen will.

Aus der Entstehungsgeschichte, der Streichung von § 12 Abs. 3 VVG a.F. und der Einführung von § 18a BetrAVG (3) ergibt sich nichts anderes:

Aus der Streichung von im Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches zunächst vorgesehenen Vorschriften zur Stammrechtsverjährung16 folgt nicht, dass Stammrechte nicht verjähren können. Vielmehr ist die Frage, ob ein verjährbarer Gesamtanspruch vorliegt, nach der Lage des Einzelfalles zu beantworten, wie bereits das Reichsgericht entschieden und eingehend begründet hat17. Nach dem oben unter aa)) Gesagten ist dies bei dem Gesamtanspruch des Versicherungsnehmers einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu bejahen.

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Entgegen der Ansicht des Thüringer Oberlandesgerichts18 können aus der Streichung von § 12 Abs. 3 VVG a.F. im Rahmen der Reform des Versicherungsvertragsrechts 2008 keine Rückschlüsse für die Frage der Stammrechtsverjährung gezogen werden. Die Vorschrift verhielt sich nicht zur Verjährung19. Vielmehr stellte sie den Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Leistungsanspruch nicht innerhalb von sechs Monaten gerichtlich geltend gemacht wurde. Danach konnte der Versicherer schon vor Ablauf der Verjährungsfrist frei werden. Diese Privilegierung sollte mit der Streichung der Vorschrift durch das Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts beendet werden20.

Der Gesamtanspruch des Versicherungsnehmers einer Berufsunfähigkeitsversicherung unterlag bis zur Reform des Versicherungsvertragsrechts 2008 nicht nur der selbständigen Verjährung21, sondern auch der Ausschlussfrist nach § 12 Abs. 3 VVG a.F.22. Mit der Reform ist § 12 Abs. 3 VVG a.F. aufgehoben worden und damit die Möglichkeit des Versicherers entfallen, die Verjährungsfrist zu Lasten des Vertragspartners einseitig zu verkürzen23. Das hat aber nichts an der selbständigen Verjährung des Gesamtanspruchs nach allgemeinem Verjährungsrecht geändert.

Entsprechendes gilt, soweit die in § 12 Abs. 1 VVG a.F. geregelten Verjährungsfristen mangels schutzwürdigen Interesses der Vertragspart ner an einer Abweichung von der Regelfrist des Bürgerlichen Gesetzbuches aufgehoben wurden und soweit die Hemmungsregelung in § 12 Abs. 2 VVG a.F. mit geringfügigen Änderungen in § 15 VVG übernommen wurde23. Anhaltspunkte für die Auffassung des Berufungsgerichts, der Gesetzgeber habe sich mit der Reform des Versicherungsvertragsrechts 2008 gegen eine Stammrechtsverjährung entschieden und deren normativen Anknüpfungspunkt gestrichen, ergeben sich aus diesen Änderungen nicht.

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Auch ist die Einführung von § 18a BetrAVG durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26.11.200124 kein Beleg dafür, dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ohne Vorhandensein einer entsprechenden Vorschrift eine Verjährung des Stammrechts aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung ausscheidet. Der Sonderregelung in § 18a BetrAVG, die die eigenständige Verjährung des Rentenstammrechts vorsieht, bedurfte es, um die insoweit geltende besondere Verjährungsfrist von 30 Jahren festzuschreiben25. Die Stammrechtsverjährung in der Berufsunfähigkeitsversicherung unterliegt hingegen der Regelfrist des Bürgerlichen Gesetzbuches26. Sie erfordert deshalb keine besondere gesetzliche Regelung. Rückschlüsse, die gegen die Stammrechtsverjährung in der Berufsunfähigkeitsversicherung sprächen, können aus der Einführung von § 18a BetrAVG mithin nicht gezogen werden. Im Gegenteil belegt die Begründung des Gesetzgebers, dass auch er grundsätzlich von einer möglichen Verjährung von Stammrechten ausgeht.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 3. April 2019 – IV ZR 90/18

  1. OLG Saarbrücken VersR 2018, 1243, 1244; VersR 2018, 725; OLG Hamm VersR 2015, 705, 706 zur Erwerbsunfähigkeitsversicherung; OLG Stuttgart VersR 2014, 1115, 1116 ff.; OLG Koblenz r+s 2011, 523, 524; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 30. Aufl. § 15 Rn. 3; MünchKomm-VVG/Dörner, 2. Aufl. § 172 Rn. 240; Gramse in Staudinger/Halm/Wendt, Versicherungsrecht 2. Aufl. § 173 Rn.10; Hoenicke in Ernst/Rogler, NKBUV § 8 Rn. 57; Klenk in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 172 Rn. 79; Mertens in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG 3. Aufl. § 173 Rn. 13; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 3. Aufl. Abschnitt E Rn. 212; ders. in Schwintowski/Brömmelmeyer, PKVersicherungsvertragsrecht 3. Aufl. § 172 Rn. 24; ders., VersR 2018, 711 ff.; Reichel in Beckmann/MatuscheBeckmann, Versicherungsrechtshandbuch 3. Aufl. § 21 Rn. 96; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 6. Aufl. § 15 Rn. 7, § 172 Rn. 71; ders. in Beckmann/MatuscheBeckmann aaO § 46 Rn. 245; dem Berufungsgericht zustimmend dagegen Krumscheid, EWiR 2019, 47, 48; vgl. allgemein kritisch zur Stammrechtsverjährung Eichel, NJW 2015, 3265, 3269 ff.[]
  2. RGZ 136, 427, 430 f.[]
  3. BGH, Urteil vom 20.01.1955 – II ZR 108/54, MDR 1955, 221, 222[]
  4. BGH, Urteile vom 02.11.2005 – IV ZR 15/05, r+s 2006, 205 unter – II 1 c; vom 25.01.1978 – IV ZR 122/76, VersR 1978, 313 unter – I 2, jeweils zu § 12 Abs. 3 VVG in der bis zum 31.12 2007 geltenden Fassung [VVG a.F.][]
  5. BGH, Urteil vom 05.10.1988 IVa ZR 317/86, VersR 1988, 1233 unter 3[]
  6. BGH, Urteil vom 09.05.2012 – IV ZR 19/11, VersR 2013, 1042 Rn. 37[]
  7. BGH, Urteile vom 16.06.2010 – IV ZR 226/07, BGHZ 186, 171 Rn. 21; vom 12.04.1989 IVa ZR 21/88, BGHZ 107, 170, 173[]
  8. BT-Drs. 16/3945 S. 106 li. Sp.[]
  9. vgl. BT-Drs. 16/3945 S. 106 re. Sp.[]
  10. vgl. OLG Hamm VersR 2015, 705, 706 19] zur Erwerbsunfähigkeitsversicherung; OLG Stuttgart VersR 2014, 1115, 1116 46]; Neuhaus, VersR 2018, 711; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 6. Aufl. § 172 Rn. 71[]
  11. vgl. BGH, Urteile vom 02.11.2005 – IV ZR 15/05, r+s 2006, 205 unter – II 1 c 14]; vom 25.01.1978 – IV ZR 122/76, VersR 1978, 313 unter – I 2 15]; OLG Hamm aaO[]
  12. vgl. BGH, Urteil vom 19.01.1994 – IV ZR 117/93, VersR 1994, 337 unter 2 c 15]; BGH, Urteil vom 20.01.1955 – II ZR 108/54, MDR 1955, 221, 223; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 6. Aufl. § 15 Rn. 7[]
  13. vgl. BGH, Urteil vom 22.02.2018 – VII ZR 253/16, NJW 2018, 2056 Rn. 25[]
  14. vgl. BGH, Urteil vom 27.05.1987 IVa ZR 56/86, VersR 1987, 808 unter 1 5 ff.][]
  15. OLG Hamm VersR 2015, 705, 706 19] zur Erwerbsunfähigkeitsversicherung; Neuhaus, VersR 2018, 711[]
  16. vgl. Motive Band 1 S. 310 f., 345; Mugdan, Materialien I. Band S. 782, 796[]
  17. RGZ 136, 427, 431 f.[]
  18. ThürOLG, Urteil vom 29.03.2018 – 4 U 392/17, VersR 2018, 723[]
  19. vgl. BGH, Urteil vom 01.10.1986 – IVa ZR 108/85, BGHZ 98, 295, 298[]
  20. BT-Drs. 16/3945 S. 64 li. Sp.; vgl. BGH, Urteil vom 19.12 2018 – IV ZR 255/17, VersR 2019, 283 Rn. 24; Neuhaus, VersR 2018, 711, 714[]
  21. vgl. BGH, Urteil vom 05.10.1988 IVa ZR 317/86, VersR 1988, 1233 unter 3 17][]
  22. BGH, Urteile vom 02.11.2005 – IV ZR 15/05, r+s 2006, 205 unter – II 1 c 14]; vom 25.01.1978 – IV ZR 122/76, VersR 1978, 313 unter – I 2 15][]
  23. BT-Drs. 16/3945 S. 64 li. Sp.[][]
  24. BGBl. I 3138, 3187[]
  25. vgl. BT-Drs. 14/7052 S. 213 li. Sp.; BAG DB 2014, 2534 Rn. 64 f.; NZA 2009, 1279 Rn. 42[]
  26. vgl. BT-Drs. 16/3945 S. 64 li. Sp.[]
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