Betriebsschließungsversicherung – und der Corona-Lockdown

Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Celle greifen Betriebsschließungsversicherungen allenfalls ab dem Zeitpunkt, zu dem das Corona-Virus im Infektionsschutzgesetz aufgeführt wurde.

Betriebsschließungsversicherung – und der Corona-Lockdown

Wird in den Versicherungsbedingungen einer Betriebsschließungsversicherung Versicherungsschutz für die Betriebsschließung aufgrund meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne des IfSG gewährt und heißt es im Anschluss, „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger…“dann unterfallen wegen der Corona-Pandemie behördlich angeordnete Betriebsschließungen in der Zeit nach dem 1.11.2020 (sog.02. Lockdown) grundsätzlich dem Versicherungsschutz. Eine behördlich angeordnete Betriebsschließung liegt auch dann vor, wenn die Anordnung im Wege einer Rechtsverordnung durch ein Landesministerium erlassen wurde. Der Eintritt des Versicherungsfalls setzt nicht voraus, dass die behördlich angeord-nete Betriebsschließung rechtmäßig war. Der Eintritt des Versicherungsfalls setzt ebensowenig eine Betriebsschließung aufgrund einer sog. intrinsischen Gefahr voraus. Die behördlich angeordnete Schließung nur eines Teilbetriebs (hier: Übernachtung zu touristischen Zwecken) unterfällt jedenfalls dann dem Versicherungsschutz, wenn die Versicherungsbedingungen einen Versicherungsschutz auch für Teilschließungen vorsehen.

Damit hat das Oberlandesgericht Celle seine bisherige Rechtsprechung zu Betriebsschließungsversicherungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie fortgeführt. Bereits  am 1.07.2021 hatte das OLG entschieden, dass solche Versicherungen keinen Schutz bieten, wenn Betriebsschließungen nur im Zusammenhang mit abschließend aufgezählten Krankheitserregern versichert sind, das Corona-Virus in dieser Aufzählung aber nicht enthalten ist. Was gilt aber, wenn die Versicherungsbedingungen selbst keine solche ausdrückliche Aufzählung enthalten?

Die Antwort des OLG Celle: Sind die Versicherungsbedingungen so formuliert, dass Versicherungsschutz gewährt wird, „wenn die zuständige Behörde aufgrund einer im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheit (…) den versicherten Betrieb (…) ganz oder teilweise schließt“, so liegt hierin nach dem aktuellen Urteil des Oberlandesgerichts eine sog. dynamische Verweisung. Es sind dann alle behördlich angeordneten Betriebsschließungen versichert, die zum Schutz vor denjenigen Krankheiten oder Krankheitserregern erfolgen, die zum Zeitpunkt der Anordnung in dem Infektionsschutzgesetz ausdrücklich genannt sind.

In dem von dem Oberlandesgericht zu entscheidenden Fall betreibt die Versicherungsnehmerin ein Hotel in Hameln. Aufgrund der Corona-Pandemie wurden Übernachtungen zu touristischen Zwecken mehrfach untersagt, zum einen durch eine sog. Allgemeinverfügung des Landkreises Hameln-Pyrmont vom 18.03.2020 und zum anderen durch eine Verordnung des Landes Niedersachsen vom 30.10.2020. In beiden Fällen stellte die Versicherungsnehmerin den Betrieb für Übernachtungen zu touristischen Zwecken vorübergehend ein und begehrt nunmehr Versicherungsleistungen.

Im Hinblick auf die erste Betriebsunterbrechung wies das Oberlandesgericht die Klage ab. Bei Erlass der Allgemeinverfügung am 18.03.2020 waren weder COVID-19 als Krankheit noch SARS-CoV bzw. SARS-CoV-2 als Krankheitserreger im Infektionsschutzgesetz aufgeführt. Dies erfolgte erstmals mit Wirkung ab dem 23.05.2020. Im Hinblick auf die zweite Betriebsunterbrechung stellte das Oberlandesgericht demgegenüber den Anspruch auf Versicherungsschutz dem Grunde nach fest. Die durch das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung erlassene Verordnung sei eine behördliche Anordnung im Sinne der Versicherungsbedingungen gewesen. Während die Oberlandesgerichte Schleswig und Hamburg noch entschieden hatten, dass Versicherungsschutz nur in Fällen bestehe, in denen eine aus dem versicherten Betrieb selbst stammende Infektionsgefahr gebannt werden solle, hat das Oberlandesgericht Celle eine solche Einschränkung abgelehnt. Auch ob die Verordnung rechtmäßig gewesen sei, könne offenbleiben – der Versicherungsschutz hänge hiervon nicht ab. Dem Schutz stehe schließlich auch nicht entgegen, dass eine Beherbergung von Geschäftsreisenden weiterhin möglich war, weil die Versicherung schon bei Teilschließungen eingriff.

Betriebsschließung vom 18.03. bis zum 25.05.2020

Der Versicherungsnehmerin steht gegen die Versicherungsgesellschaft kein Anspruch gemäß § 1 Satz 1 VVG, Ziffer 1, 3.1, 9.1 BBSG 19 zu.

Der Versicherungsfall ist nicht eingetreten. Gemäß Ziffer 3.01. und 3.01.1 BBSG 19 leistet der Versicherer unter anderem Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger … den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen nach Ziffer 3.4 ganz oder teilweise schließt.

In Ziffer 3.4 BBSG 19 heißt es wiederum wie folgt: „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger, ausgenommen sind jedoch humane spongiforme Enzephalopathien nach § 6 (1) 1. d) IfSG.“

In dieser Klausel ist eine dynamische Verweisung auf das IfSG zu sehen.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind1.

Ob sich der Versicherungsschutz nur auf die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses namentlich im IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger bezieht oder ob vielmehr die zum Zeitpunkt der behördlichen Anordnung namentlich aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger erfasst sind, ist unklar.

Sowohl in Ziffer 3.1 als auch in Ziffer 3.4 BBSG 19 werden die konkret versicherten Risiken nicht genannt. Die Versicherungsgesellschaft hat sich vielmehr auf eine Bezugnahme auf die §§ 6 und 7 IfSG beschränkt, ohne dies mit einer Klarstellung auf den maßgeblichen Geltungszeitraum dieser beiden Normen zu verbinden. Zwar findet sich im Anhang zu den Versicherungsbedingungen eine Wiedergabe des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblichen Inhalts unter anderem dieser beiden Normen. Den Versicherungsbedingungen kann aber nicht mit der gebotenen Klarheit entnommen werden, dass die zu jenem Zeitpunkt im IfSG aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger auch für die Folgezeit allein maßgeblich sein sollen. Weder Ziffer 3.1 noch Ziffer 3.4 BBSG 19 nehmen auf die teilweise Wiedergabe des IfSG im Anhang Bezug. Deshalb kann die Wiedergabe des IfSG im Anhang zu den Versicherungsbedingungen auch so verstanden werden, dass es sich lediglich um eine allgemeine Informationserteilung über die aktuelle Reichweite des Versicherungsschutzes handelt. Diese mögliche Auslegungsvariante wird durch den Umstand bestärkt, dass nicht nur die im Infektionsschutzgesetz aufgeführte humane spongiforme Enzephalopathie vom Versicherungsschutz ausgeschlossen wurde (Ziffer 3.4 BBSG 19), sondern auch die im IfSG in der damaligen Fassung nicht2 aufgeführten Prionenerkrankungen (Ziffer 3.05.3 (3) BBSG 19). Dies könnte ein objektiver Versicherungsnehmer jedenfalls auf der Grundlage der hier streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen dahingehend interpretieren, dass der Versicherer mit diesem zusätzlichen Risikoausschluss einer etwaigen zukünftigen Änderung des IfSG hat Rechnung tragen wollen. Eine solche Zielsetzung setzt aber voraus, dass spätere Änderungen des IfSG Einfluss auf den Umfang des Versicherungsschutzes haben können, was wiederum die Annahme einer dynamische Verweisung auf das IfSG nahelegt. Hinzu kommt, dass bei einem auf die Zukunft gerichteten Versicherungsvertrag und bekanntermaßen immer wieder neu auftretenden bzw. sich erst entwickelnden Krankheiten und Pandemien das Interesse des Versicherungsnehmers üblicherweise auf einen Versicherungsschutz auch gegen solche Krankheiten und Krankheitserreger gerichtet ist.

Weiterlesen:
Trauung im Römer - mit coronabedingt begrenzter Gästezahl

Die fehlende Klarstellung in den Versicherungsbedingungen und die damit bestehende Möglichkeit, die Regelung in Ziffer 3.4 BBSG 19 auch als dynamische Verweisung auszulegen, hat gemäß 305c Abs. 2 BGB zur Folge, dass die dem Versicherungsnehmer günstigere Auslegungsvariante zum Tragen kommen. Dementsprechend sind alle behördlich angeordneten Betriebsschließungen versichert, die aufgrund einer zum Zeitpunkt der Anordnung in §§ 6, 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger erfolgen.

Gleichwohl steht der Versicherungsnehmerin gegen die Versicherungsgesellschaft für die ab März 2020 erfolgte Betriebsschließung kein Anspruch zu. Denn die Betriebsschließung ist gemäß Ziffer 3.4 BBSG 19 nur versichert, wenn sie aufgrund einer in §§ 6, 7 IfSG namentlich genannten Krankheit oder eines namentlich genannten Krankheitserregers erfolgt. Im vorliegenden Fall wurde die der streitgegenständlichen Betriebsschließung zugrunde liegende Allgemeinverfügung am 18.03.2020 erlassen. Zu diesem Zeitpunkt wurden aber weder COVID-19 als Krankheit noch SARS-CoV bzw. SARS-CoV-2 als Krankheitserreger in §§ 6 und 7 IfSG namentlich aufgeführt.

Namentlich genannt wurde die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erstmals in § 6 IfSG in der Fassung vom 19.05.2020 mit Wirkung ab dem 23.05.2020. Vor diesem Zeitpunkt zählte die Erkrankung deshalb auch nicht zu den versicherten Risiken.

Demgegenüber kann Ziffer 3.01. BBSG 19 nicht dahingehend ausgelegt werden, dass der Versicherungsfall unabhängig von Ziffer 3.4 BBSG 19 aufgrund einer in §§ 6, 7 IfSG nicht namentlich genannten meldepflichtigen Erkrankung eintritt.

Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen ist bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen in erster Linie auf den Bedingungswortlaut abzustellen. Dieser macht einem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer aber klar, dass der Versicherer lediglich das Risiko bestimmter Krankheiten oder Krankheitserreger übernehmen will. Verhielte es sich anders, hätte die Versicherungsgesellschaft es bei der Regelung in Ziffer 3.1 BBSG 19 belassen können. Die Einschränkung in Ziffer 3.4 BBSG 19 wäre demgegenüber nicht nur sinnlos, sondern – aufgrund der Beschränkung auf die „namentlich“ in §§ 6, 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger – auch falsch gewesen. Eine um Beachtung des Sinnzusammenhangs bemühte Auslegung muss deshalb zu dem Ergebnis kommen, dass nicht alle meldepflichtigen Erkrankungen den Versicherungsfall auslösen, sondern nur die in §§ 6, 7 IfSG ausdrücklich genannten Krankheiten und Krankheitserreger.

Auch die Versicherungsnehmerin zeigt nicht auf, welche Bedeutung die Beschränkung in Ziffer 3.4 BBSG 19 besitzen soll, wenn doch nach ihrer Auffassung ohnehin gemäß Ziffer 3.1 BBSG 19 alle meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger nach ihrer Lesart dem Versicherungsschutz unterfallen.

Zwar wird das Adverb „namentlich“ mit Begriffen wie „besonders“, „vor allem“ oder „hauptsächlich“ gleichgesetzt3, was für eine nur beispielhafte Aufzählung sprechen könnte. Ein solches Verständnis würde der im vorliegenden Fall von der Versicherungsgesellschaft gewählten Verwendung des Wortes allerdings nicht gerecht. Denn die Versicherungsgesellschaft verwendete diesen Begriff nicht als Adverb, sondern als Adjektiv. Damit machte sie deutlich, lediglich die namentlich bzw. ausdrücklich im Infektionsschutzgesetz erwähnten Krankheiten und Krankheitserreger versichern zu wollen4.

Dass auch im IfSG der Begriff „namentlich“ an unterschiedlichen Stellen Verwendung findet (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1; Abs. 3 Satz 1, § 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, § 9 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 IfSG), ist für die Auslegung der Versicherungsbedingungen ohne Bedeutung. Denn bei der in erster Linie maßgeblichen Wortlautauslegung von Versicherungsbedingungen ist die konkret in den Versicherungsbedingungen gewählte Form der Verwendung ausschlaggebend. Wenn dementsprechend in den Versicherungsbedingungen das Wort „namentlich“ als Adjektiv verwendet wird, dann ändert eine etwaige Verwendung desselben Wortes als Adverb im IfSG hieran nichts.

Weiterlesen:
Kein Nutzungsverbot einer Zweitwohnung - trotz Corona

Unabhängig hiervon wird aber auch im IfSG das Wort „namentlich“ nicht als Adverb verwendet. Wenn es beispielsweise in § 6 Abs. 1 Satz 1 IfSG heißt, dass die nachfolgenden Krankheiten namentlich zu melden sind, dann bezieht sich das nicht auf die aufgelisteten Krankheiten. Gemeint ist damit im Unterschied zur „nichtnamentlichen“ Meldung im Sinne von § 9 IfSG vielmehr, dass der Name der betroffenen Person mitanzugeben ist5. Demgegenüber wird mit der gesetzlichen Regelung nicht zum Ausdruck gebracht, dass neben den namentlich aufgeführten Krankheiten auch andere Krankheiten zu melden sind.

Ziffer 3.4 BBSG 19 ist auch nicht unwirksam:

Mit der Beschränkung der versicherten Risiken auf namentlich in §§ 6, 7 IfSG genannte Krankheiten und Krankheitserreger verstoßen die Versicherungsbedingungen nicht gegen ein gesetzliches Leitbild im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Ob eine Formularbestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung (hier: §§ 6, 7 IfSG) vereinbar ist oder nicht, beurteilt sich maßgeblich danach, ob die gesetzliche Regelung auf die Interessen beider Parteien berücksichtigenden Gerechtigkeitserwägungen beruht oder reinen Zweckmäßigkeitserwägungen folgt. Denn verdanken Vorschriften des dispositiven Rechts ihre Entstehung einem sich aus der Natur der Sache ergebenden Gerechtigkeitsgebot, so müssen bei einer abweichenden Regelung durch AGB regelmäßig Gründe vorliegen, die für die von ihnen zu regelnden Fälle das dem dispositiven Recht zugrundeliegende Gerechtigkeitsgebot infrage stellen und eine abweichende Regelung als mit Recht und Billigkeit vereinbar erscheinen lassen6.

Im vorliegenden Fall stellt Ziffer 3.4 BBSG 19 bereits deshalb keinen Verstoß gegen ein gesetzliches Leitbild dar, weil es keine gesetzlichen Vorgaben zum Deckungsschutz einer Betriebsschließungsversicherung gibt. Das VVG selbst enthält keine speziellen Vorschriften zur Betriebsschließungsversicherung. Auch die allgemeinen Bestimmungen des VVG werden von der streitgegenständlichen Klausel nicht berührt. Ebenso wenig kann ein solches Leitbild aus §§ 6, 7 IfSG abgeleitet werden. Diese Vorschriften beruhen nicht auf einem Ausfluss von Gerechtigkeitserwägungen. Es handelt sich vielmehr um Vorschriften des öffentlichen Rechts, die ausschließlich dem Schutz der Bevölkerung vor übertragbaren Krankheiten dienen7. Dementsprechend ist es der Versicherungsgesellschaft auch nicht verwehrt, den Versicherungsschutz nur auf einen Teil der nach dem IfSG meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger zu beschränken.

Durch die streitgegenständliche Klausel in Ziffer 3.4 BBSG 19 wird auch nicht die Erreichung des Vertragszwecks unzulässig gefährdet, § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Dies ist nur dann der Fall, wenn AGB-Klauseln wesentliche Rechte oder Pflichten entgegen den vertragstypischen Erwartungen des redlichen Geschäftsverkehrs einschränken. Insoweit fehlt es aber bereits an typischen Erwartungen des Geschäftsverkehrs an eine Betriebsschließungsversicherung. Die Beschränkung des Versicherungsschutzes auf bestimmte Krankheiten und Krankheitserreger ist vielmehr eine von mehreren typischen Ausprägungen einer solchen Versicherung8.

Die Beschränkung des Versicherungsschutzes auf bestimmte Krankheiten und Krankheitserreger stellt auch im Übrigen keine unangemessene Regelung im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB dar. Zwar ist auch das Leistungsversprechen des Versicherers einer Inhaltskontrolle zugänglich, sofern die Unwirksamkeit der Klausel nicht aufgrund einer dann fehlenden Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts zur Unwirksamkeit des Vertrags insgesamt führen würde9. Allerdings liegen die Voraussetzungen einer unangemessenen Benachteiligung nicht vor.

Eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass die Vertragsgestaltung die Eigeninteressen des Verwenders gegenüber den Interessen des Vertragspartners ohne rechtfertigenden Grund unverhältnismäßig stark zur Geltung bringt, ohne dass dies durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird10.

Im vorliegenden Fall erstreckte die Versicherungsgesellschaft den Versicherungsschutz auf die in §§ 6, 7 IfSG jeweils namentlich aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger und machte eine hierdurch bedingte Betriebsschließung zum Gegenstand des Versicherungsschutzes. Dass die Interessen der Versicherungsnehmerin durch den Wegfall der im Übrigen meldepflichtigen Erkrankungen unverhältnismäßig eingeschränkt wurden und in keinem vernünftigen Verhältnis zur Gegenleistung der Versicherungsnehmerin stehen, hat die Versicherungsnehmerin nicht vorgetragen und ist auch im Übrigen nicht ersichtlich. Welche Erwartungen die Versicherungsnehmerin ihrerseits mit dem Abschluss des Vertrags verknüpfte und inwieweit diese Erwartungen enttäuscht wurden, spielt für die Frage der Wirksamkeit von Ziffer 3.4 BBSG 19 hingegen keine entscheidende Rolle. Etwaige, sich aus einer enttäuschten Erwartung ergebende Ansprüche betreffen vielmehr einen anderen Streitgegenstand.

Der Versicherungsnehmerin steht gegen die Versicherungsgesellschaft auch kein Schadensersatzanspruch gemäß § 6 Abs. 5 VVG wegen einer Falschberatung anlässlich des Vertragsschlusses zu.

Zwar hat der Versicherer den Versicherungsnehmer gemäß § 6 Abs. 1 VVG grundsätzlich nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Auch begründet eine fehlerhafte Beratung gemäß § 6 Abs. 5 VVG grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer.

Allerdings setzt eine Beratung durch den Versicherer zunächst einmal einen für den Versicherer erkennbaren Beratungsanlass voraus. Hierzu hat der Versicherungsnehmer vorzutragen und ggf. Beweis anzubieten11.

Insoweit fehlt es bereits an einem entsprechenden Vortrag der Versicherungsnehmerin. Dass diese nicht nur Versicherungsschutz für die in §§ 6, 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger wünschte, sondern auch für alle anderen meldepflichtigen Krankheiten, hat sie nicht vorgetragen. Ebenso wenig hat sie Umstände vorgetragen, anhand derer für die Versicherungsgesellschaft bzw. den für sie aufgetretenen Versicherungsvertreter ein solches Interesse erkennbar gewesen wäre. Allein der etwaige Wunsch nach einem möglichst umfassenden Versicherungsschutz begründet jedenfalls keine Pflicht zu einer weitergehenden Beratung, weil anderenfalls die Beratungspflichten uferlos wären.

Weiterlesen:
Rechtsschutzversicherung im Passivprozess - und die Vorvertraglichkeit des Versicherungsfalls

Auch der von der Versicherungsnehmerin eingereichte Prospekt rechtfertigt eine entsprechende Erwartungshaltung der Versicherungsnehmerin nicht. Insoweit ist bereits unklar, ob es sich um einen Prospekt der Versicherungsgesellschaft handelt. Trotz entsprechenden Bestreitens der Versicherungsgesellschaft hat die Versicherungsnehmerin für ihre entsprechende Behauptung keinen Beweis angeboten. Unabhängig hiervon begründet der Inhalt des Prospektes keinen Anlass für eine weitergehende Beratungspflicht dahingehend, dass nur in einem eingeschränkten Umfang Versicherungsschutz besteht. In dem Prospekt heißt es unter anderem: „Kommt es zu einer Betriebsschließung gemäß Infektionsschutzgesetz, stehen wir für die finanziellen Folgen gerade, die sich daraus ergeben.“

Weiter heißt es dort: „Auf einen Blick: Darum geht’s: – Schutz vor den finanziellen Folgen behördlicher Betriebsschließung gemäß Infektionsschutzgesetz“

Diese werbenden Aussagen stehen durchaus in Einklang mit dem auf der Grundlage der Versicherungsbedingungen von der Versicherungsgesellschaft gewährten Versicherungsschutz. Danach gewährt die Versicherungsgesellschaft tatsächlich Versicherungsschutz für Betriebsschließungen auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes. Dass dieser Versicherungsschutz aber ohne Einschränkungen Betriebsschließungen aufgrund sämtlicher im Infektionsschutzgesetz aufgeführten Gründe erfasst, kann nicht angenommen werden und ergibt sich auch nicht aus dem Prospekt. Auch die Versicherungsnehmerin kann nicht davon ausgegangen sein, dass mit den werbenden Angaben im Prospekt das Leistungsversprechen der Versicherungsgesellschaft abschließend abgebildet wird. Vielmehr entspricht es der Natur der Sache, dass werbende Aussagen das Leistungsversprechen verkürzt wiedergeben und dementsprechend nicht alle in den Versicherungsbedingungen vorgesehenen Risikoausschlüsse und sonstige Einschränkungen des Leistungsversprechens wiedergeben. Ein solches Wissen kann ein Versicherer naturgemäß bei einem Versicherungsnehmer voraussetzen und ist dementsprechend nur dann zu einer weitergehenden Beratung verpflichtet, wenn Anhaltspunkte für eine gleichwohl vorhandene Fehlvorstellung bestehen.

Unter Zugrundelegung des Versicherungsnehmervortrags verstieß die Versicherungsgesellschaft mit den Angaben im Prospekt auch nicht gegen § 1a Abs. 3 VVG. Diese Regelung betrifft unter anderem Werbemitteilungen, die der Versicherer an Versicherungsnehmer oder potenzielle Versicherungsnehmer richtet. Diese müssen redlich und eindeutig sein und dürfen nicht irreführend sein. Welche Anforderungen der Gesetzgeber hiermit verbinden will, ergibt sich mittelbar aus § 1a Abs. 3 Satz 2 VVG. Danach müssen Werbemitteilungen stets eindeutig als solche erkennbar sein. Hieraus folgt, dass an Werbemitteilungen geringere Anforderungen als an die sonstige Informationserteilung durch einen Versicherer zu stellen sind. Denn anderenfalls hätte es der Bestimmung in § 1a Abs. 3 Satz 2 VVG nicht bedurft. Vielmehr wird mit dieser Regelung klar der Zweck verfolgt, dem potenziellen Versicherungsnehmer den anpreisenden Charakter der Werbemitteilung deutlich vor Augen zu führen und ihn gleichzeitig zu veranlassen, die in der Werbemitteilung enthaltenen Aussagen ihrer Zweckbestimmung entsprechend mit der gebotenen Vorsicht und Zurückhaltung zu interpretieren.

Unabhängig hiervon fehlt es aber auch an einem kausalen Zusammenhang zwischen einer etwaigen Beratungspflichtverletzung und dem von der Versicherungsnehmerin behaupteten Schaden. Zwar hat die Versicherungsnehmerin behauptet, bei einer ordnungsgemäßen Beratung und einem Hinweis auf die nicht dem Versicherungsschutz unterfallenden nur meldepflichtigen Krankheiten im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VVG den streitgegenständlichen Vertrag nicht abgeschlossen zu haben. Stattdessen hätte sie bei einem anderen Anbieter einen Versicherungsvertrag abgeschlossen, der seinerseits einen weitergehenden Versicherungsschutz angeboten hätte. Allerdings hat die Versicherungsnehmerin nicht vorgetragen, welcher Versicherer zum maßgeblichen Zeitpunkt ein entsprechendes Angebot überhaupt in seinem Portfolio hatte. Soweit die Versicherungsnehmerin pauschal auf die H. AG verwiesen hat, unterscheiden sich die dem Oberlandesgericht beispielsweise aus dem Rechtsstreit mit dem Aktenzeichen 8 U 119/21 bekannten und von der H. AG verwendeten Versicherungsbedingungen nicht maßgeblich von den hier streitgegenständlichen Bedingungen. Soweit die Versicherungsnehmerin ergänzend die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten hat, handelt es sich hierbei um ein untaugliches Beweismittel, weil der Umfang des in einer Betriebsschließungsversicherung gewährten Versicherungsschutzes primär eine Rechtsfrage ist, die nicht von einem Sachverständigen beantwortet werden kann.

Einer vorgeschalteten Entscheidung über die Zulässigkeit des Grundurteils bedarf es angesichts der vorstehenden Ausführungen nicht. Denn auch wenn die Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils nicht vorliegen sollten, kann das Berufungsgericht die Sache zur vollständigen Entscheidung an sich ziehen. Einer Zustimmung der Parteien bedarf es insoweit nicht12. Von dieser Möglichkeit hat das Oberlandesgericht Gebrauch gemacht.

Betriebsschließung seit dem 2.11.2020

Insoweit steht der Versicherungsnehmerin gegen die Versicherungsgesellschaft dem Grunde nach ein Anspruch gemäß § 1 Satz 1 VVG, Ziffer 1, 3.1, 9.1 BBSG 19 zu.

Die Feststellungsklage ist zulässig. Zwar ist eine auf Feststellung des Anspruchsgrundes gerichtete Klage grundsätzlich unzulässig, wenn dem Versicherungsnehmer eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar ist und diese das Rechtsschutzziel erschöpft, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess klären kann13. Allerdings ist bereits offen, ob die Versicherungsnehmerin zu einer Bezifferung ihres Leistungsanspruchs zum Zeitpunkt der Einführung des Feststellungsantrags in den Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 09.03.2021 bereits in der Lage gewesen wäre.

Unabhängig hiervon scheitert die Zulässigkeit der Feststellungsklage jedenfalls dann nicht am Vorrang der Leistungsklage, wenn die Parteien in den Versicherungsbedingungen die Möglichkeit eines außergerichtlichen Sachverständigenverfahrens zur Ermittlung der Anspruchshöhe vorgesehen haben und der Versicherungsnehmer sich dieses Rechts noch nicht begeben hat14. Im vorliegenden Fall sieht Ziffer 13 BBSG 19 in Verbindung mit Ziffer 17.4 der Versicherungsbedingungen Allgemeiner Teil die Durchführung eines solchen Sachverständigenverfahrens vor. Dass sich die Versicherungsnehmerin ihres Rechts auf Durchführung eines solchen Verfahrens begeben haben könnte, ist nicht ersichtlich.

Weiterlesen:
Haftpflichtversicherung - für jeden Betrieb unverzichtbar

Ein Feststellungsinteresse scheitert auch nicht daran, dass die Versicherungsgesellschaft bei einer auf den gleichen Umständen beruhenden mehrfachen Anordnung der Betriebsschließung gemäß Ziffer 8.7 BBSG 19 nur einmal zur Leistung verpflichtet ist. Das ist bereits deshalb nicht der Fall, weil die Versicherungsgesellschaft auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Betriebsschließung während des 1. Lockdown nicht zur Leistung verpflichtet ist und deshalb eine wiederholte Leistungspflicht nicht im Raum steht.

Entgegen der von der Versicherungsgesellschaft vertretenen Auffassung scheitert ein Anspruch der Versicherungsnehmerin gegen die Versicherungsgesellschaft und damit ein Feststellungsinteresse der Versicherungsnehmerin auch nicht daran, dass die vollständige Unbegründetheit der Klage der Höhe nach bereits jetzt festgestellt werden kann. Zwar hat die Versicherungsgesellschaft auf Ziffer 12 BBSG 19 verwiesen. Auch ist danach auf den versicherungsvertraglichen Anspruch ein etwaiger Schadensersatzanspruch aufgrund öffentlich-rechtlichen Entschädigungsrechts anspruchsmindernd anzurechnen. Dass ein solcher Entschädigungsanspruch der Versicherungsnehmerin gegen das Land Niedersachsen besteht und ggf. in welcher Höhe das der Fall ist, steht derzeit aber nicht fest. Bereits die insoweit bestehende Unsicherheit rechtfertigt aber ein Feststellungsinteresse. Nur höchst vorsorglich weist das Oberlandesgericht darauf hin, dass diese Klausel auf der Grundlage der von der Versicherungsgesellschaft vertretenen Auslegung nicht unerheblichen Wirksamkeitsbedenken begegnet. Denn bestünde ein vollständiger Leistungsanspruch nur bei einem rechtmäßigen Verwaltungshandeln oder bei einem rechtswidrigen Verwaltungshandeln ohne hieraus resultierenden Entschädigungsanspruch, wäre der Versicherungsnehmer jedenfalls bei einem entsprechenden Einwand des Versicherers an der Geltendmachung von versicherungsvertraglichen Leistungsansprüchen gehindert, bis die Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung bzw. die Höhe eines etwaigen Entschädigungsanspruchs bei einem rechtswidrigen Verwaltungshandeln in einem vorgeschalteten Rechtsstreit abschließend geklärt wäre. Die mit der Klärung einer solchen Vorfrage verbundene Verzögerung hätte aber insbesondere für kleinere Betriebe schnell existenzbedrohende Auswirkungen und könnte damit den Vertragszweck gefährden, § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB.

Ebenso wenig kann derzeit festgestellt werden, dass der Schaden der Versicherungsnehmerin durch die staatlichen Sofortprogramme vollständig kompensiert wurde. Das ist bereits deshalb nicht der Fall, weil die Höhe des versicherten und der Versicherungsnehmerin entgangenen Gewinns aus dem Umsatz derzeit noch nicht feststeht.

Der Feststellungsklage steht schließlich auch nicht die Möglichkeit entgegen, dass sich bei weiteren Feststellungen zur Anspruchshöhe möglicherweise Anhaltspunkte für Obliegenheitsverletzungen der Versicherungsnehmerin ergeben könnten15.

Die Feststellungsklage ist auch begründet.

Der Versicherungsfall im Sinne von Ziffer 3.1 und 3.01.1 BBSG 19 ist eingetreten. Die Versicherungsgesellschaft hat auf entsprechende Nachfrage des Oberlandesgerichts mit Schriftsatz vom 25.08.2021 unstreitig gestellt, dass die Versicherungsnehmerin auch während des sog. 2 Lockdown die Corona-Schutzverordnung beachtete und ihren Betrieb für Touristen schloss. Damit liegen die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch dem Grunde nach aber vor:

Mit der Verordnung vom 30.10.2020 ordnete eine Behörde im Sinne von Ziffer 3.1 BBSG 19 die (Teil-)Schließung des klägerischen Betriebs an.

Was unter einer Behörde im Sinne von Ziffer 3.1 BBSG 19 zu verstehen ist, wird in den Versicherungsbedingungen nicht definiert.

Im Verwaltungsrecht wird der Begriff der Behörde in § 1 Abs. 4 VwVfG geregelt. Danach ist Behörde jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Die funktionelle Ausrichtung macht den Behördenbegriff des Verwaltungsverfahrensgesetzes zu einem verwaltungsverfahrensrechtlichen Begriff. Maßgeblich ist die Rechtsnatur der Verwaltungstätigkeit. Die Bezeichnung der Einrichtung, die diese Tätigkeit vornimmt, ist irrelevant. Es genügt, dass es sich um eine „Stelle“ handelt16. Auf dieser Grundlage unterfallen beispielsweise auch Landesministerien dem Behördenbegriff17.

Im vorliegenden Fall erließ das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung die Rechtsverordnung vom 30.10.2020. Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen handelt es sich hierbei um eine Behörde im Sinne des Verwaltungsrechts.

Dieser Behördenbegriff ist auch den Versicherungsbedingungen zugrunde zu legen. Denn wenn in Versicherungsbedingungen ein fest umrissenen Begriff der Rechtssprache Verwendung findet, ist im Zweifel anzunehmen, dass auch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen darunter nichts anderes verstehen wollen18. An solchen Zweifeln fehlt es im vorliegenden Fall. Insbesondere kann aus den ebenfalls versicherten Tätigkeitsverboten gegen sämtliche Betriebsangehörige gemäß Ziffer 3.01.1 BBSG 19 nicht gefolgert werden, dass Behörde im Sinne der Versicherungsbedingungen nur die zur Gefahrenabwehr „vor Ort“ zuständige Behörde gemeint sein kann. Zwar wird es sich bei einer obersten Landesbehörde in der Regel nicht um die für ein Tätigkeitsverbot zuständige Behörde handeln. Anders verhält es sich hingegen bei einer Betriebsschließung aufgrund Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung.

Selbst wenn die Versicherungsbedingungen unklar wären und somit auch eine Auslegung im Sinne des Versicherungsgesellschaftvortrags in Betracht käme, wäre dies aber jedenfalls nicht die einzige, ernsthaft in Betracht kommende Auslegungsvariante. Das aber hat zur Folge, dass zugunsten der Versicherungsnehmerin die Unklarheitenregelung gemäß § 305c Abs. 2 BGB greift.

Bei dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung des Landes Niedersachsen handelt es sich auch um die „zuständige“ Behörde im Sinne von Ziffer 3.1 BBSG 19. Gemäß § 32 Satz 1 IfSG sind die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28, 28a und 29 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen.

Weiterlesen:
Das Verbot des Gottesdienstbesuchs in Corona-Zeiten

Ob die Rechtsverordnung des Landes Niedersachsen vom 30.10.2020 rechtmäßig ist bzw. ob § 32 Satz 1 in Verbindung unter anderem mit § 28a Abs. 1 IfSG eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage darstellt19 oder ob ein Verstoß gegen das Zitiergebot vorliegt20, bedarf im vorliegenden Fall keiner Erörterung. Denn die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns ist keine Voraussetzung für den Versicherungsfall. Das folgt mittelbar aus Ziffer 12 BBSG 19. Danach besteht ein Anspruch auf Entschädigung insoweit nicht, als Schadensersatz aufgrund öffentlich-rechtlichen Entschädigungsrechts beansprucht werden kann (z. B. nach den Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes, den Vorschriften über Amtshaftung oder Aufopferung oder EU-Vorschriften). Diese Klausel betrifft die Berechnung der Anspruchshöhe und setzt dementsprechend einen Anspruch dem Grunde nach voraus. Wenn aber Schadensersatzansprüche aufgrund rechtswidrigen Verwaltungshandelns den gegen den Versicherer gerichteten Anspruch im Ausgangspunkt nur mindern, können sie nicht bereits im Vorwege zu dessen vollständigem Ausschluss führen.

Entgegen der von der Versicherungsgesellschaft vertretenen Auffassung setzt der Versicherungsfall auch nicht die Betriebsschließung aufgrund einer sog. intrinsischen Gefahr voraus. Insoweit kann den Versicherungsbedingungen eine entsprechende Einschränkung nicht entnommen werden. Voraussetzung ist gemäß Ziffer 3.01.1 BBSG 19 lediglich, dass die Behörde den Betrieb aufgrund des Infektionsschutzgesetzes „zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen“ schließt. Das Infektionsschutzgesetz sieht insoweit aber keine konkrete Handlungsform vor. So können auf § 28 IfSG gestützte Schutzmaßnahmen sowohl durch Verwaltungsakte als auch durch Allgemeinverfügungen oder Rechtsverordnungen ergehen21. Dass die Versicherungsbedingungen aber nur im Fall einer von mehreren behördlichen Handlungsformen Schutz gewähren wollen, kann dem Klauselwerk nicht entnommen werden22.

Insbesondere folgt das nicht aus dem Umstand, dass neben der Betriebsschließung auch Tätigkeitsverbote versichert sind. Denn entgegen der von der Versicherungsgesellschaft vertretenen Auffassung setzen auch Tätigkeitsverbote im Sinne des IfSG nicht zwingend eine intrinsische Gefahr voraus23. Das auf einer Infektion beruhende individuell-konkrete Tätigkeitsverbot ist zwar in § 31 IfSG geregelt. Diese Bestimmung hindert aber nicht, auf § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gestützte Tätigkeitsverbote auch gegenüber Nichtstörern zu erlassen, deren Betrieb nicht Ausgangspunkt einer intrinsischen Gefahr ist. Insoweit stellt § 31 IfSG keine abschließende Bestimmung dar. Den zuständigen Behörden steht vielmehr die Möglichkeit offen, alle notwendigen Schutzmaßnahmen auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zu stützen und diese etwa in Gestalt von Tätigkeitsverboten auch gegen Dritte zu richten24.

Doch selbst wenn Tätigkeitsverbote gegen Betriebsangehörige nur ausgesprochen werden könnten, wenn die maßgebliche Gesundheitsgefahr von dem jeweiligen Betrieb ausginge, könnte hieraus nicht gefolgert werden, dass das auch bei der behördlich angeordneten Betriebsschließung der Fall sein muss. Vielmehr können die Versicherungsbedingungen ebenso dahingehend ausgelegt werden, dass

  • jede behördlich angeordnete Betriebsschließung versichert ist
  • und zusätzlich auch die Konstellation, dass gegen sämtliche Betriebsangehörige aufgrund intrinsischer Gefahren ein Tätigkeitsverbot ausgesprochen wird.

Dass diese beiden Fälle notwendigerweise auf derselben Ursache beruhen müssen, kann den Versicherungsbedingungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnommen werden. Nur weil ein gegen einen Betriebsangehörigen gerichtetes Tätigkeitsverbot üblicherweise auf einem individuell-konkreten Verwaltungsakt beruht, muss das nicht notwendigerweise auch bei einer Betriebsschließung der Fall sein.

Soweit sich die Versicherungsgesellschaft zur Begründung ihrer abweichenden Auffassung auf Ziffer 11 BBSG 19 stützt, ist bereits die von der Versicherungsgesellschaft gezogene Schlussfolgerung unklar. Diese Klausel nimmt Bezug auf Ziffer 9.2 AT 19 und sieht eine Obliegenheit zur Mitteilung auch dann vor, wenn der Versicherungsnehmer keine Entschädigungsansprüche geltend machen will. Weshalb diese Regelung den Schluss auf einen lediglich eingeschränkten Versicherungsschutz erlaubt, erschließt sich nicht. Dasselbe gilt für den in Ziffer 5 BBSG 19 angesprochenen Versicherungsort.

Selbst wenn insoweit Zweifel verbleiben sollten und die Annahme eines auf intrinsische Gefahren beschränkten Versicherungsschutzes eine realistische Auslegungsmöglichkeit wäre, käme erneut die Unklarheitenregelung gemäß § 305c Abs. 2 BGB zum Tragen. Das hat zur Folge, dass die für den Versicherungsnehmer günstigste Auslegungsvariante heranzuziehen ist und dementsprechend auch auf nicht-intrinsischen Gefahren beruhende Betriebsschließungen dem Versicherungsschutz unterfallen.

Eine behördlich angeordnete Betriebsschließung scheitert auch nicht daran, dass der Versicherungsnehmerin eine Beherbergung von Geschäftsreisenden weiterhin möglich war. Das ist bereits deshalb nicht der Fall, weil die Versicherungsbedingungen in Ziffer 3.01.1 BBSG 19 ausdrücklich auch die Teilschließung dem Versicherungsschutz unterstellen. Dass die versicherte Teilschließung auf selbstständige, organisatorisch und faktisch abtrennbare Betriebsteile bezogen sein muss, kann den Versicherungsbedingungen nicht entnommen werden. Dementsprechend liegt eine Teilschließung auch dann vor, wenn lediglich die Beherbergung aus touristischen Zwecken untersagt wird und der Betrieb nur insoweit eingestellt werden muss. Das korrespondiert im Übrigen auch mit dem im streitgegenständlichen Fall vereinbarten umsatzabhängigen Leistungsversprechen. Denn weil die Parteien des Versicherungsvertrags für den Fall der ggf. auch nur teilweisen Betriebsschließung gerade keine Tagespauschale vereinbarten, wird dem mit einer Teilschließung verbundenen nur teilweisen Umsatzausfall durch eine entsprechende Reduzierung auch des Leistungsanspruchs hinreichend Rechnung getragen.

Die Versicherungsgesellschaft ist auch nicht berechtigt, nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB eine Vertragsanpassung zu verlangen. Die Geschäftsgrundlage wird gebildet durch die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei Vertragsabschluss aber zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, auf denen der Geschäftswille der Parteien sich aufbaut25.

Weiterlesen:
Corona - und das Konzertverbot in Berlin

Die Versicherungsgesellschaft hat insoweit vorgetragen, dass sie sich überhaupt nicht habe vorstellen können, dass es zu einer „einfach so“ versicherten Pandemie kommen könne. Insoweit ist bereits unklar, worin die angebliche Fehlvorstellung der Versicherungsgesellschaft zu sehen sein soll. Das allgemeine Risiko von Pandemien war jedenfalls bereits vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie seit der Antike bekannt26. Der Vortrag der Versicherungsgesellschaft kann demzufolge nur so verstanden werden, dass sie sich nicht habe vorstellen können, dass sie auch bei dem Auftreten einer Pandemielage zur Leistung verpflichtet sein könne. Allerdings ist völlig offen und kann auch dem Vortrag der Versicherungsgesellschaft nicht entnommen werden, weshalb diese etwaige Fehlvorstellung auch für die Versicherungsnehmerin erkennbar gewesen sein sollte. Dass sich die Versicherungsnehmerin im Zweifel bei Vertragsschluss keine Gedanken über die Möglichkeit einer Pandemie machte, hat noch nicht die Fehlvorstellung der Versicherungsnehmerin zur Konsequenz, beim Auftreten einer Pandemie trotz einer im Anschluss erfolgten behördlichen Betriebsschließung keinen Versicherungsschutz verlangen zu können. Nur wenn aber beide Parteien von der Annahme fehlenden Versicherungsschutzes im Fall einer pandemiebedingten Betriebsschließung ausgegangen sein sollten oder wenn für die Versicherungsnehmerin eine entsprechende Fehlvorstellung der Versicherungsgesellschaft zumindest erkennbar gewesen sein sollte, läge möglicherweise eine Geschäftsgrundlage im Sinne von § 313 Abs. 1 BGB vor. Eine solche Fehlvorstellung auf Versicherungsnehmerseite bzw. eine für die Versicherungsnehmerin zumindest erkennbare Fehlvorstellung der Versicherungsgesellschaft hat die Versicherungsgesellschaft aber bereits nicht substanziiert behauptet und auch im Übrigen fehlt es hierfür an Anhaltspunkten.

Soweit die Versicherungsgesellschaft die Kausalität zwischen der behördlich angeordneten Betriebsschließung und dem Umfang des von der Versicherungsnehmerin behaupteten Umsatzausfalls bestreitet , geht es lediglich um die im vorliegenden Fall nicht streitgegenständliche Höhe des Anspruchs. Die Versicherungsgesellschaft behauptet insoweit, dass der Umsatzrückgang auch durch den Rückgang der Übernachtungszahlen von Geschäftsreisenden verursacht worden sei. Ob das tatsächlich der Fall war, wird allerdings erst im nachfolgenden Betragsverfahren zu klären sein. Die gegenteilige Auffassung der Versicherungsgesellschaft beschränkt sich auf eine Behauptung, lässt eine Begründung aber vermissen.

Oberlandesgericht Celle, Urteil vom 18. November 2021 – 8 U 123/21

  1. vgl. BGH, Urteil vom 18.11.2020 – IV ZR 217/19; BGH, Urteil vom 08.01.2020 – IV ZR 240/18; BGH, Urteil vom 20.07.2016 – IV ZR 245/15[]
  2. jedenfalls nicht in ihrer Gesamtheit[]
  3. vgl. Duden, 7. Aufl., Stichwort „2namentlich“[]
  4. vgl. Duden, 7. Aufl., Stichwort „1namentlich“[]
  5. vgl. Thiery in: BeckOK Infektionsschutzrecht, Stand: 01.05.2021, § 6, Rn. 2; Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 5. Aufl., vor §§ 6 ff., Rn. 3[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 08.11.2017 – VIII ZR 13/17[]
  7. vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 15.02.2021 – 7 U 335/20[]
  8. vgl. Rixecker in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl., § 11, Rn. 60, 61[]
  9. vgl. BGH, Urteil vom 13.07.1994 – IV ZR 107/93[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 29.07.2004 – III ZR 293/03[]
  11. vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 03.02.2021 – 8 U 3271/20; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.11.2019 – 24 U 1/19; OLG Schleswig, Urteil vom 07.02.2019 – 16 U 82/18; OLG Karlsruhe, Urteil vom 15.01.2013 – 12 U 121/12; OLG Saarbrücken, Urteil vom 06.04.2011 – 5 U 428/10[]
  12. vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016 – VI ZR 559/14; BGH, Beschluss vom 21.01.2016 – V ZB 43/15[]
  13. vgl. BGH, Urteil vom 19.12.2018 – IV ZR 255/17; BGH, Versäumnisurteil vom 21.02.2017 – XI ZR 467/15; BGH Urteil vom 10.10.2017 – XI ZR 456/16[]
  14. vgl. BGH, Urteil vom 17.12.1997 – IV ZR 136/96; BGH, Urteil vom 16.04.1986 – IVa ZR 210/84[]
  15. vgl. OLG Hamm, Urteil vom 17.06.2020 – 20 U 182/15; OLG, Urteil vom 28.11.2019 – 8 U 55/19[]
  16. vgl. M. Ronellenfitsch in: BeckOK VwVfG, Stand: 01.10.2020, § 1, Rn. 67[]
  17. vgl. Kastner in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl., § 1 VwVfG, Rn. 27[]
  18. vgl. BGH, Urteil vom 04.07.2018 – IV ZR 200/16; BGH, Urteil vom 14.06.2017 – IV ZR 161/16[]
  19. vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.06.2021 – 1 S 1868/21[]
  20. vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.05.2021 – 11 S 67/21[]
  21. vgl. Johann/Gabriel in: BeckOK Infektionsschutzrecht, Stand: 01.05.2021, § 28, Rn. 30[]
  22. vgl. auch OLG Hamm, Urteil vom 14.07.2021 – 20 U 26/21; OLG Dresden, Urteil vom 13.07.2021 – 4 U 287/21[]
  23. a. A.: OLG Hamburg, Urteil vom 16.07.2021 – 9 U 199/20; OLG Schleswig, Urteil vom 10.05.2021 – 16 U 25/21[]
  24. vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.04.2020 – 11 S 25/20; OVG Münster, Beschluss vom 15.04.2020 – 13 B 440/20; OVG Bremen, Beschluss vom 09.04.2020 – 1 B 97/20; Johann/Gabriel in: BeckOK Infektionsschutzrecht, Stand: 01.05.2021, § 31 IfSG, Rn. 5[]
  25. vgl. BGH, Urteil vom 21.02.2014 – V ZR 176/12; BGH, Versäumnisurteil vom 05.10.2004 – X ZR 25/02; BGH, Urteil vom 27.09.1991 – V ZR 191/90[]
  26. vgl. Martens in: BeckOGK BGB, Stand: 01.04.2021, § 313, Rn. 223, 226.1[]