Wird mit der Kündigung eines Versicherungsvertrages zugleich der Originalversicherungsschein vorgelegt, der den Kündigenden als Versicherungsnehmer ausweist, und ist die Kündigung mit dessen Namen unterzeichnet, darf der Versicherer, wie jetzt der Bundesgerichtshof entschieden hat, grundsätzlich mit befreiender Wirkung an die bezeichnete Zahlstelle leisten, selbst wenn die Unterschrift unter der Kündigungserklärung – wie sich später herausstellt – gefälscht war.

Mit der dem Versicherer vertraglich eingeräumten Berechtigung an den Inhaber des Versicherungsscheins mit befreiender Wirkung zu leisten, ohne aber diesem gegenüber zur Leistung verpflichtet zu sein, wird der Versicherungsschein zu einem qualifizierten Legitimationspapier i.S. des § 808 BGB. Die Legitimationswirkung des § 808 Abs. 1 Satz 1 BGB erstreckt sich auf die vertraglich versprochenen Leistungen. Eine solche ist bei einer Lebensversicherung aber nicht nur die Leistung der Versicherungssumme im Versicherungsfall, sondern auch die Leistung des Rückkaufswerts nach Kündigung des Vertrages; denn das Recht auf Rückkaufswert ist nur eine andere Erscheinungsform des Rechts auf die Versicherungssumme. Demgemäß erstreckt sich die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins als Urkunde i.S. des § 808 BGB auch auf das Kündigungsrecht zur Erlangung des Rückkaufswerts. Der Versicherer kann den Inhaber des Versicherungsscheins deshalb schon nach § 808 BGB – und unabhängig davon, dass sich die Inhaberklausel auch auf Verfügungen über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag erstreckt – als zur Kündigung berechtigt ansehen, wenn dieser die Auszahlung des Rückkaufswerts erstrebt1. Damit nimmt die Inhaberklausel dem Versicherer das Risiko der Doppelzahlung und der Uneinbringlichkeit seiner Kondiktion gegen den vermeintlichen Gläubiger ab.
Das Kammergericht hat in einer Entscheidung2 unterschieden zwischen dem Kündigungsrecht, auf das sich die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins erstrecke, und der Kündigungserklärung. Soweit es um diese Erklärung gehe, werde das auf den vorgelegten Versicherungsschein gestützte Vertrauen des Versicherers nur geschützt, wenn der Kündigende die Kündigung zumindest konkludent als Inhaber des Versicherungsscheins erkläre. Eine solche Auslegung der Kündigungserklärung scheide jedoch aus, wenn mit dem Versicherungsschein eine Kündigung des Versicherungsnehmers selbst, also des Gläubigers der Forderung, vorgelegt werde. Deren Echtheit werde von der durch den gleichzeitig vorgelegten Versicherungsschein bewirkten Legitimation nicht umfasst.
Damit wird der Umfang des Schutzes der hier vereinbarten Inhaberklausel verkannt. Die Auffassung des Kammergerichts würde zu dem widersprüchlichen Ergebnis führen, dass der Versicherer zwar an einen Nichtberechtigten, der im eigenen Namen die Versicherungssumme unter Vorlage des Versicherungsscheins kündigt, befreiend leisten könnte3, nicht aber an einen Nichtberechtigten, der die Kündigung unter dem Namen des Berechtigten erklärt.
Zwar ist der wahre Versicherungsnehmer als materiell Berechtigter nicht auf die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins angewiesen; er muss den Versicherungsschein gleichwohl bei Fälligkeit vorlegen, weil der Versicherer Leistungen aus dem Versicherungsvertrag nur gegen Vorlage des Versicherungsscheins erbringt (vgl. §§ 808 Abs. 2 Satz 1, 371 BGB, § 9 (1) ALB 86, § 10 (1) ALB 94). Hier geht es aber nicht um die Voraussetzungen, unter denen ein Anspruch aus dem Versicherungsvertrag geltend gemacht werden kann, sondern um die Frage, ob der Versicherer durch eine Leistung an den Kündigenden frei wird.
Wird mit der Kündigung des Versicherungsvertrages ein Versicherungsschein vorgelegt, der den Kündigenden als Versicherungsnehmer ausweist, und ist die Kündigung mit dem Namen des Versicherungsnehmers unterzeichnet, hat der Versicherer grundsätzlich keinen Anlass daran zu zweifeln, dass die Kündigungserklärung vom Versicherungsnehmer selbst herrührt. Andernfalls wäre der Versicherer gerade auch in Fällen, in denen der Versicherungsnehmer selbst unter Vorlage des Versicherungsscheins kündigt, stets gezwungen, sich der Echtheit der Unterschrift des Kündigenden zu vergewissern, um die befreiende Wirkung seiner Leistung abzusichern. Damit aber würde die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins, die gerade den Schutz des Schuldners bezweckt und bewirken soll, entscheidend eingeschränkt, letztlich sogar ausgehöhlt. Das Risiko, dass die Leistung in die Hände eines nach dem Versicherungsvertrag materiell Nichtberechtigten gelangt, besteht in solchen Fällen nicht anders als bei Kündigung einer Person, die nicht als Versicherungsnehmer auftritt. Deshalb darf der Versicherer den Inhaber des Versicherungsscheins nicht nur als kündigungsberechtigt ansehen, er darf grundsätzlich auch darauf vertrauen, dass die Kündigung auch von diesem selbst erklärt worden ist4. Darin liegt auch keine Überdehnung des Schuldnerschutzes. Denn zur Leistung an den materiell Nichtberechtigten kann es – selbst wenn dieser die Unterschrift unter die Kündigungserklärung unter Verwendung des Namens des Versicherungsnehmers gefälscht hat – nur dann kommen, wenn sich der Versicherungsnehmer selbst der Kontrolle über den Versicherungsschein – ob freiwillig oder unfreiwillig – begeben hat5 und dieser in die Hand des Dritten gelangt ist.
Auf der anderen Seite ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins ausnahmsweise dann nicht eingreift, wenn der Schuldner die mangelnde Verfügungsberechtigung positiv kennt oder sonst gegen Treu und Glauben die Leistung bewirkt hat; ob die befreiende Wirkung auch dann entfällt, wenn der Aussteller des Legitimationspapiers grob fahrlässig keine Kenntnis von der Nichtberechtigung des Inhabers hatte, ist bisher offen geblieben6.
Diese Einschränkungen schützen den wahren Gläubiger des Anspruchs auf die Versicherungsleistung; das gilt auch in Fällen, in denen es um die Identität des die Kündigung Erklärenden geht.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. Mai 2009 – IV ZR 16/08
- BGH, Urteil vom 22. März 2000 – IV ZR 23/99 – VersR 2000, 709 unter 3 m.w.N.[↩]
- KG, NJW-RR 2007, 1175[↩]
- vgl. OLG Koblenz VersR 2002, 873; OLG Köln VersR 1990, 1338[↩]
- vgl. OLG Bremen VersR 2008, 1056[↩]
- vgl. dazu BGH, Urteil vom 22. März 2000 aaO unter 2 c[↩]
- BGHZ 28, 368, 371; BGH, Urteile vom 24. Februar 1999 – IV ZR 122/98 – VersR 1999, 700 unter 2 a und b; vom 22. März 2000 aaO unter II 2 c[↩]