Gruppenversicherung – und der Versicherungsnehmer als Versicherungsvermittler

Ein Unternehmen, das als Versicherungsnehmer eine Auslandsreisekrankenversicherung sowie eine Auslands- und Inlands-Rückholkosten-Versicherung als Gruppenversicherung für seine Kunden bei einem Versicherungsunternehmen unterhält und gegenüber Verbrauchern Mitgliedschaften vertreibt, die zur Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen im Fall einer Erkrankung oder eines Unfalls im Ausland berechtigen, und das von den geworbenen Mitgliedern eine Vergütung für den erworbenen Versicherungsschutz erhält, ist Versicherungsvermittler im Sinne von § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO und bedarf deshalb der Erlaubnis der zuständigen Industrie- und Handelskammer.

Gruppenversicherung – und der Versicherungsnehmer als Versicherungsvermittler

Mit dieser Entscheidung setzt der Bundesgerichtshof eine entsprechende Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union um.

Der Bundesgerichtshof hat dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung von Art. 2 Nr. 3 und 5 der Richtlinie 2002/92/EG über Versicherungsvermittlung und von Art. 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 8 der Richtlinie (EU) 2016/97 über Versicherungsvertrieb folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt1:

Ist ein Unternehmen, das als Versicherungsnehmer eine Auslandsreisekrankenversicherung sowie eine Auslands- und Inlands-Rückholkosten-Versicherung als Gruppenversicherung für seine Kunden bei einem Versicherungsunternehmen unterhält, gegenüber Verbrauchern Mitgliedschaften vertreibt, die zur Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen im Fall einer Erkrankung oder eines Unfalls im Ausland berechtigen und von den geworbenen Mitgliedern eine Vergütung für den erworbenen Versicherungsschutz erhält, Versicherungsvermittler im Sinne von Art. 2 Nr. 3 und 5 der Richtlinie 2002/92/EG und Art. 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 8 der Richtlinie (EU) 2016/97?

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Fragen wie folgt beantwortet2:

2 Nrn. 3 und 5 der Richtlinie 2002/92/EG über Versicherungsvermittlung und Art. 2 Abs. 1 Nrn. 1, 3 und 8 der Richtlinie (EU) 2016/97 über Versicherungsvertrieb sind dahin auszulegen, dass unter den Begriff „Versicherungsvermittler“ und damit den Begriff „Versicherungsvertreiber“ im Sinne dieser Bestimmungen eine juristische Person fällt, deren Tätigkeit darin besteht, eine freiwillige Mitgliedschaft in einer zuvor von ihr bei einer Versicherungsgesellschaft abgeschlossenen Gruppenversicherung anzubieten, für die sie von ihren Kunden eine Vergütung erhält und die die Kunden zur Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen namentlich im Fall einer Erkrankung oder eines Unfalls im Ausland berechtigt.

Nach der hier beanstandeten Verhaltensweise der Gruppenversicherungsnehmerin im September 2017 ist die im Streitfall maßgebliche Vorschrift des § 34d Abs. 1 GewO geändert worden. Diese Änderungen beruhen darauf, dass die dieser Vorschrift zugrundeliegenden Bestimmungen der Art. 2 Nr. 3 und 5 der Richtlinie 2002/92/EG durch diejenigen der Art. 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 8 der Richtlinie (EU) 2016/97 ersetzt worden sind.

Nach § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO in der vom 02.07.2016 bis zum 22.02.2018 geltenden Fassung (GewO aF) bedurfte derjenige der Erlaubnis der zuständigen Industrie- und Handelskammer, der gewerbsmäßig als Versicherungsmakler oder als Versicherungsvertreter den Abschluss von Versicherungsverträgen vermitteln will (Versicherungsvermittler). In der Erlaubnis war anzugeben, ob sie einem Versicherungsmakler oder einem Versicherungsvertreter erteilt wird (§ 34d Abs. 1 Satz 3 GewO aF).

Nach § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO in der seit dem 23.02.2018 geltenden Fassung (GewO nF) bedarf der Erlaubnis der zuständigen Industrie- und Handelskammer, wer gewerbsmäßig den Abschluss von Versicherungs- oder Rückversicherungsverträgen vermitteln will (Versicherungsvermittler). Versicherungsvermittler ist, wer als Versicherungsvertreter eines oder mehrerer Versicherungsunternehmen oder eines Versicherungsvertreters damit betraut ist, Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen (§ 34d Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GewO nF) oder als Versicherungsmakler für den Auftraggeber die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen übernimmt, ohne von einem Versicherungsunternehmen oder einem Versicherungsvertreter damit betraut zu sein (§ 34d Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 GewO nF). In der Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO nF ist anzugeben, ob sie einem Versicherungsmakler oder einem Versicherungsvertreter erteilt wird (§ 34d Abs. 1 Satz 5 GewO nF).

Weiterlesen:
Widerruf - und die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von Lebensversicherungsverträgen

Die Erlaubnis ist nach § 34d Abs. 2 GewO aF (§ 34d Abs. 5 GewO nF) zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, in ungeordneten Vermögensverhältnissen lebt, den Nachweis einer Berufshaftpflichtversicherung oder einer gleichwertigen Garantie nicht erbringen kann oder nicht durch eine vor der Industrie- und Handelskammer erfolgreich abgelegte Prüfung nachweist, dass er die für die Versicherungsvermittlung oder Versicherungsberatung notwendige Sachkunde über die versicherungsfachlichen, insbesondere hinsichtlich Bedarf, Angebotsformen und Leistungsumfang, und die rechtlichen Grundlagen sowie die Kundenberatung besitzt.

Derjenige, dem eine Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO erteilt worden ist, ist in das Vermittlerregister einzutragen (§ 34d Abs. 7 GewO aF, § 34d Abs. 10 GewO nF).

Die Bestimmung des § 34d Abs. 1 GewO (aF und nF) beruht auf Art. 2 Nr. 3 und 5 der Richtlinie 2002/92/EG und auf Art. 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 8 der Richtlinie (EU) 2016/97, die die Richtlinie 2002/92/EG mit Wirkung vom 01.10.2018 ersetzt hat.

3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2002/92/EG sieht vor, dass Versicherungs- und Rückversicherungsvermittler bei der zuständigen Behörde in ihrem Herkunftsmitgliedstaat einzutragen sind. Die Eintragung ist von der Erfüllung der beruflichen Anforderungen gemäß Art. 4 der Richtlinie 2002/92/EG abhängig (vgl. Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie 2002/92/EG). Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 und Abs. 4 Unterabs. 4 sowie Art. 10 der Richtlinie (EU) 2016/97 enthalten entsprechende Regelungen und erweitern diese Anforderungen auf Versicherungsvermittler in Nebentätigkeit.

Nach Art. 2 Nr. 5 der Richtlinie 2002/92/EG ist „Versicherungsvermittler“ jede natürliche oder juristische Person, die die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung gegen Vergütung aufnimmt oder ausübt. Nach dem Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2002/92/EG kann die mit Vergütung gemeinte Gegenleistung finanzieller Art sein oder jede andere Form eines wirtschaftlichen Vorteils annehmen, der zwischen den Parteien vereinbart wurde und an die Leistung geknüpft ist. Art. 2 Nr. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie 2002/92/EG definiert „Versicherungsvermittlung“ im Sinne der Richtlinie als das Anbieten, Vorschlagen oder Durchführen anderer Vorbereitungsarbeiten zum Abschließen von Versicherungsverträgen oder das Abschließen von Versicherungsverträgen oder das Mitwirken bei deren Verwaltung und Erfüllung, insbesondere im Schadensfall. Nach Art. 2 Nr. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 2002/92/EG gelten diese Tätigkeiten nicht als Versicherungsvermittlung, wenn sie von einem Versicherungsunternehmen oder einem Angestellten eines Versicherungsunternehmens, der unter der Verantwortung des Versicherungsunternehmens tätig wird, ausgeübt wird. Die beiläufige Erteilung von Auskünften im Zusammenhang mit einer anderen beruflichen Tätigkeit, sofern diese Tätigkeit nicht zum Ziel hat, den Kunden beim Abschluss oder der Handhabung eines Versicherungsvertrags zu unterstützen, oder die berufsmäßige Verwaltung der Schadensfälle eines Versicherungsunternehmens oder die Schadensregulierung und Sachverständigenarbeit im Zusammenhang mit Schadensfällen gelten ebenfalls nicht als Versicherungsvermittlung (Art. 2 Nr. 3 Unterabs. 3 der Richtlinie 2002/92/EG).

Weiterlesen:
Heilung einer unwirksamen Prämienerhöhung in der Krankenversicherung

Nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 der Richtlinie (EU) 2016/97 ist „Versicherungsvermittler“ jede natürliche oder juristische Person, die kein Versicherungs- oder Rückversicherungsunternehmen oder ihre Angestellten und kein Versicherungsvermittler in Nebentätigkeit ist und die die Versicherungsvertriebstätigkeit gegen Vergütung aufnimmt oder ausübt. Der Begriff „Vergütung“ wird in Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Richtlinie (EU) 2016/97 dahin definiert, dass er alle Arten von Provisionen, Gebühren, Entgelten oder sonstigen Zahlungen, einschließlich wirtschaftlicher Vorteile jeglicher Art, oder finanzielle oder nicht finanzielle Vorteile oder Anreize, die in Bezug auf Versicherungsvertriebstätigkeiten angeboten oder gewährt werden, erfasst. Der Versicherungsvermittler gehört nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 8 der Richtlinie (EU) 2016/97 neben den Versicherungsvermittlern in Nebentätigkeit oder einem Versicherungsunternehmen zu den „Versicherungsvertreibern“. „Versicherungsvertrieb“ im Sinne dieser Richtlinie ist die Beratung, das Vorschlagen oder Durchführen anderer Vorbereitungsarbeiten zum Abschließen von Versicherungsverträgen, das Abschließen von Versicherungsverträgen oder das Mitwirken bei deren Verwaltung und Erfüllung, insbesondere im Schadensfall, einschließlich der Bereitstellung von Informationen über einen oder mehrere Versicherungsverträge aufgrund von Kriterien, die ein Kunde über eine Website oder andere Medien wählt, sowie die Erstellung einer Rangliste von Versicherungsprodukten, einschließlich eines Preis- und Produktvergleichs, oder ein Rabatt auf den Preis eines Versicherungsvertrags, wenn der Kunde einen Versicherungsvertrag direkt oder indirekt über eine Website oder ein anderes Medium abschließen kann (Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie [EU] 2016/97).

Im vorliegenden Fall ist das Oberlandesgericht Koblenz in der Vorinstanz mit Recht davon ausgegangen, dass ein Verstoß gegen § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO (aF und nF) gemäß § 3a UWG als unlauter anzusehen ist, weil es sich dabei um eine Marktverhaltensregelung handelt3. Die in § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO vorgesehene Eintragungspflicht hat das Ziel sicherzustellen, dass als Versicherungsvermittler nur tätig wird, wer die strengen beruflichen Anforderungen in Bezug auf Sachkompetenz, Leumund, Berufshaftpflichtschutz und finanzielle Leistungsfähigkeit erfüllt4. Die dieser Regelung zugrundeliegenden Richtlinien 2002/92/EG und (EU) 2016/97 verfolgen einen doppelten Zweck: zum einen soll ein hohes berufliches Niveau der Versicherungsvermittlung und die Harmonisierung des unionsweiten Vermittlermarkts durch die Beseitigung von Hindernissen für die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr geschaffen werden, zum anderen soll der Verbraucherschutz, das heißt der Schutz der Versicherungsnehmer, in diesem Bereich verbessert werden5. § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO ist daher eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG, die eine unionsrechtskonforme Reglementierung der Berufsausübung darstellt6.

Das Oberlandesgericht Koblenz hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass im Streitfall ein Verstoß gegen § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO nicht schon deshalb ausscheidet, weil die zuständige Behörde das geschäftliche Verhalten der Gruppenversicherungsnehmerin als rechtmäßig angesehen hat.4

Ein Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung nach § 3a UWG kommt zwar nicht in Betracht, wenn die zuständige Verwaltungsbehörde einen wirksamen Verwaltungsakt erlassen hat, der das beanstandete Marktverhalten ausdrücklich erlaubt7.

Das Schreiben der für die Gruppenversicherungsnehmerin zuständigen Industrie- und Handelskammer, mit dem mitgeteilt wird, bei dem Geschäftsmodell der Gruppenversicherungsnehmerin handele es sich nicht um eine nach § 34d GewO erlaubnispflichtige Tätigkeit, stellt aber lediglich die Beantwortung der Anfrage der Gruppenversicherungsnehmerin zur Genehmigungsbedürftigkeit ihrer Tätigkeit dar. Diese Äußerung enthält keine Regelung, die für einen Verwaltungsakt mit Tatbestandswirkung unverzichtbar ist8. Ein Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (§ 35 Satz 1 VwVfG). Eine Maßnahme hat Regelungscharakter, wenn sie nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt darauf gerichtet ist, eine Rechtsfolge zu setzen. Sie muss für den Betroffenen rechtsverbindlich Rechte oder Pflichten begründen, inhaltlich ausgestalten, ändern, aufheben, feststellen oder einen derartigen Ausspruch rechtsverbindlich ablehnen9. In dem Schreiben der Industrie- und Handelskammer Koblenz liegt kein solcher – feststellender – Verwaltungsakt, der der Gruppenversicherungsnehmerin das vom Kläger mit der Klage beanstandete Verhalten ausdrücklich erlaubt.

Weiterlesen:
Wechsel der Lebensversicherung - und die Dokumentations- und Hinweispflichten des Vermittlers

Die Gruppenversicherungsnehmerin hat sich beim Vertrieb von Mitgliedschaften in der von ihr unterhaltenen Gruppenversicherung gemäß § 3a UWG unlauter verhalten, weil sie dabei als Versicherungsvermittlerin tätig geworden ist, ohne über die hierfür gemäß § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO (aF und nF) erforderliche Erlaubnis der Industrie- und Handelskammer zu verfügen. Dass die Gruppenversicherungsnehmerin als Versicherungsvermittlerin im Sinne von § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO tätig geworden ist, ergibt sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung dieser Bestimmung. Bei der Auslegung des Begriffs des „Versicherungsvermittlers“ und des Begriff des „Versicherungsvertreibers“ im Sinne von Art. 2 Nr. 5 der Richtlinie 2002/92/EG und Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 und 8 der Richtlinie (EU) 2016/97, der eine in Art. 2 Nr. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2002/92/EG und Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie (EU) 2016/97 angeführte Tätigkeiten ausübt, ist nicht nur der Wortlaut dieser Bestimmungen zu berücksichtigen, sondern auch ihr Kontext und die Ziele, die mit ihnen verfolgt werden10. Dies führt dazu, dass die Tätigkeit der Gruppenversicherungsnehmerin als Versicherungsvermittlung anzusehen ist.

Nach dem Wortlaut des § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO (aF und nF) und des Art. 2 Nr. 3 und 5 der Richtlinie 2002/92/EG beziehungsweise Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 und 3 der Richtlinie (EU) 2016/97 ist der Versicherungsvermittler zum einen „gewerbsmäßig“ beziehungsweise „gegen Vergütung“ tätig, zum anderen übt er bestimmte Tätigkeiten der Versicherungsvermittlung beziehungsweise des Versicherungsvertriebs aus.

Die Gruppenversicherungsnehmerin ist „gewerbsmäßig“ im Sinne von § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO (aF und nF) tätig. Dieses Tatbestandsmerkmal ist in Übereinstimmung mit Art. 2 Nr. 5 der Richtlinie 2002/92/EG und Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 der Richtlinie (EU) 2016/97 als eine Tätigkeit „gegen Vergütung“ auszulegen.

Das Tatbestandsmerkmal der Tätigkeit gegen Vergütung ist im Streitfall als erfüllt anzusehen. Jede Mitgliedschaft eines Kunden der Gruppenversicherungsnehmerin, die den Gruppenversicherungsvertrag mit der Versicherungsgesellschaft abgeschlossen hat und in diesem Rahmen Versicherungsbeiträge an sie entrichtet, führt zu einer Zahlung an sie. Damit trägt die Gruppenversicherungsnehmerin gegen eine solche Vergütung dazu bei, dass ihre Kunden den Versicherungsschutz erlangen, der in dem von ihr mit einer Versicherungsgesellschaft abgeschlossenen Vertrag vorgesehen ist. Die Aussicht auf diese Vergütung stellt für die Gruppenversicherungsnehmerin ein eigenes wirtschaftliches Interesse dar, das sich von dem Interesse der Mitglieder an der Erlangung des sich aus dem betreffenden Vertrag ergebenden Versicherungsschutzes unterscheidet und geeignet ist, sie zu veranlassen, angesichts der Freiwilligkeit des Beitritts zu diesem Vertrag auf eine große Zahl von Vertragsbeitritten hinzuwirken, wovon im Übrigen hier auch ihr Rückgriff auf Werbeunternehmen zeugt, die den Vertragsbeitritt im Wege der Haustürwerbung anbieten11.

Weiterlesen:
Arbeitsunfähig durch Mobbing

In Anbetracht der weiten Konzeption des Vergütungsbegriffs sowohl nach dem Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2002/92/EG als auch nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Richtlinie (EU) 2009/97 ist es unerheblich, dass die Zahlung bei jedem Beitritt zum Gruppenversicherungsvertrag an die Gruppenversicherungsnehmerin, die diesen Vertrag mit der Versicherungsgesellschaft abgeschlossen hat, von den Mitgliedern als Gegenleistung für die ihnen von der Gruppenversicherungsnehmerin abgetretenen Ansprüche auf Versicherungsleistungen geleistet wird und nicht vom Versicherer in Form zum Beispiel einer Provision. Im Übrigen ändert dieser Umstand nichts an dem eigenen wirtschaftlichen Interesse der Gruppenversicherungsnehmerin daran, dass ihre Kunden dem Vertrag auf möglichst breiter Ebene beitreten, damit die verschiedenen Zahlungen den Betrag der Beiträge, die sie selbst im Rahmen dieses Vertrags an den Versicherer zahlt, finanzieren oder gar übersteigen12.

Die Gruppenversicherungsnehmerin übt auch eine Tätigkeit der Versicherungsvermittlung beziehungsweise des Versicherungsvertriebs aus.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union stellt jede der Tätigkeiten, auf die in den Definitionen des Begriffs „Versicherungsvermittler“ in Art. 2 Nr. 5 der Richtlinie 2002/92/EG und Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 der Richtlinie (EU) 2016/97 verwiesen wird, für sich genommen eine Tätigkeit der Versicherungsvermittlung dar. Im Übrigen hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass diese Tätigkeiten weit gefasst sind und dazu insbesondere nicht nur das Anbieten und das Vorschlagen von Versicherungsverträgen, sondern auch andere Vorbereitungsarbeiten zum Abschluss solcher Verträge gehören, ohne dass die Art dieser Vorbereitungsarbeiten in irgendeiner Art und Weise beschränkt wäre13.

Auch wenn der Wortlaut von § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO (aF und nF) und Art. 2 Nr. 3 und 5 der Richtlinie 2002/92/EG und von Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 und 3 der Richtlinie (EU) 2016/97 eine Tätigkeit wie diejenige der Gruppenversicherungsnehmerin nicht ausdrücklich erwähnt, sind die Definitionen in diesen Bestimmungen doch so zu verstehen, dass sie eine solche Tätigkeit umfassen14.

Es ist deshalb unerheblich, dass die Gruppenversicherungsnehmerin nicht den Abschluss von Versicherungsverträgen, mit denen Versicherungsnehmer den Versicherungsschutz von einem Versicherer gegen Zahlung von Beiträgen erlangen möchten, anstrebt, sondern den freiwilligen Beitritt ihrer eigenen Kunden gegen eine an sie erfolgende Vergütung zu einem Gruppenversicherungsvertrag, den sie zuvor mit einem Versicherer im Hinblick auf die Bereitstellung eines solchen Versicherungsschutzes für diese Kunden abgeschlossen hat. Eine solche Tätigkeit ist mit der vergüteten Tätigkeit eines Versicherungsvermittlers oder eines Versicherungsvertreibers vergleichbar, die darauf gerichtet ist, dass Versicherungsnehmer mit einem Versicherer Versicherungsverträge abschließen, die die Deckung bestimmter Risiken gegen Zahlung einer Versicherungsprämie zum Gegenstand haben15.

Weiterlesen:
Widerrufsbelehrung in Kursivdruck

Ebenso wenig kommt es darauf an, dass die Gruppenversicherungsnehmerin als Versicherungsnehmerin selbst Partei des Gruppenversicherungsvertrags ist, dem beizutreten sie ihre Kunden veranlassen möchte. Genauso wie die Eigenschaft als Versicherungsvertreiber nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 8 der Richtlinie (EU) 2016/97 nicht mit der Eigenschaft als Versicherer unvereinbar ist, ist die Eigenschaft als Versicherungsvermittler und damit Versicherungsvertreiber nicht mit der Eigenschaft als Versicherungsnehmer unvereinbar16.

Soweit die Revisionserwiderung in der mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht geltend gemacht hat, der Gerichtshof der Europäischen Union habe seiner Entscheidung einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt, er habe nicht berücksichtigt, dass die Gruppenversicherungsnehmerin nicht lediglich Verbrauchern gegen Entgelt den Beitritt zu einer Gruppenversicherung ermögliche, sondern ihnen ein umfassendes Paket an Leistungen anbiete, ändert dies nichts daran, dass die Gruppenversicherungsnehmerin als Versicherungsvermittlerin anzusehen ist. Dem Gerichtshof der Europäischen Union war aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des Bundesgerichtshofs bekannt, dass die Leistungen der Gruppenversicherungsnehmerin teilweise von ihr selbst finanziert sind und teilweise aus abgetretenen Ansprüchen aus der Gruppenversicherung erbracht werden. Für die Einordnung der Tätigkeit der Gruppenversicherungsnehmerin als Versicherungsvermittlerin im Sinne von § 34d Abs. 1 GewO reicht es nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in dieser Sache aus, dass zu den Leistungen der Gruppenversicherungsnehmerin jedenfalls auch die Ermöglichung des Beitritts ihrer Kunden zu einer Gruppenversicherung gehört.

Was den Kontext der Bestimmungen der Richtlinien betrifft, ergibt sich aus dem Erwägungsgrund 9 der Richtlinie 2002/92/EG und dem Erwägungsgrund 5 der Richtlinie (EU) 2016/97, dass Versicherungsprodukte von verschiedenen Kategorien von Personen oder Einrichtungen vertrieben werden können und dass sich zur Gewährleistung der Gleichbehandlung dieser Akteure sowie des Kundenschutzes diese Richtlinien auf all diese Personen oder Einrichtungen beziehen sollten17. Nach den Erwägungsgründen 6 und 16 der Richtlinie (EU) 2016/97 soll den Verbrauchern trotz der Unterschiede zwischen den Vertriebskanälen das gleiche Schutzniveau zugutekommen. Nach Erwägungsgrund 16 der Richtlinie (EU) 2016/97 sollen außerdem gleiche Wettbewerbsbedingungen und Wettbewerbschancen für alle Versicherungsvermittler und Versicherungsvertreiber geschaffen werden18. Im Hinblick auf diesen Kontext ist die Tätigkeit der Gruppenversicherungsnehmerin als Versicherungsvermittlung im Sinne der die Richtlinie 2002/92/EG und die Richtlinie (EU) 2016/97 in das deutsche Recht umsetzenden Regelung des § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO anzusehen19.

Eine solche Auslegung steht im Einklang mit den Zielen, die mit diesen Richtlinien verfolgt werden, die im Wesentlichen in den Erwägungsgründen 8 und 9 der Richtlinie 2002/92/EG zum Ausdruck kommen. Danach soll die Gleichbehandlung aller Kategorien von Versicherungsvermittlern sichergestellt und der Verbraucherschutz im Versicherungswesen verbessert werden20. Deshalb unterliegt die Gruppenversicherungsnehmerin – ebenso wie andere Versicherungsvermittler – den Zulassungs- und Eintragungspflichten, die insbesondere gewährleisten sollen, dass Versicherungsvermittler über die im Bereich der Versicherungsvermittlung und beratung erforderliche Zuverlässigkeit und Sachkenntnis verfügen21. Zum anderen trägt es zum Ziel der Verbesserung des Verbraucherschutzes im Versicherungswesen bei, wenn Unternehmen wie die Gruppenversicherungsnehmerin in den Anwendungsbereich des § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO (aF und nF) und der Richtlinie 2002/92/EG und der Richtlinie (EU) 2016/97 einbezogen werden und ihnen damit die Einhaltung der in diesen Richtlinien vorgesehenen Vorschriften zur Vorgabe gemacht wird22.

Weiterlesen:
Deckungszusage für die in der Rechtsschutzverischerung mitversicherte Person - und die Zahlung an den Versicherungsnehmer

Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. Dezember 2022 – I ZR 8/19

  1. BGH, Beschluss vom 15.10.2020 – I ZR 8/19, GRUR 2021, 80 = WRP 2021, 38 – Gruppenversicherung I[]
  2. EuGH, Urteil vom 29.09.2022 – C633/20, GRUR 2022, 1682 = WRP 2023, 37 – TC Medical Air Ambulance Agency[]
  3. OLG Koblenz, Urteil vom 19.12.2018 – 9 U 805/18[]
  4. vgl. Erwägungsgründe 14 und 16 der Richtlinie 2002/92/EG[]
  5. vgl. EuGH, Urteil vom 17.10.2013 – C555/11, r + s 2014, 428 27] – EEAE u. a.[]
  6. zu § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO aF: BGH, Urteil vom 18.09.2013 – I ZR 183/12, GRUR 2013, 1250 9 und 11] = WRP 2013, 1585 – Krankenzusatzversicherungen; Urteil vom 06.11.2013 – I ZR 104/12, GRUR 2014, 88 14] = WRP 2014, 57 – Vermittlung von Netto-Policen; Urteil vom 30.01.2014 – I ZR 19/13, GRUR 2014, 794 16] = WRP 2014, 945 – Gebundener Versicherungsvermittler, jeweils mwN[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2005 – I ZR 194/02, BGHZ 163, 265 17] – Atemtest I; Urteil vom 24.09.2013 – I ZR 73/12, GRUR 2014, 405 10 f.] = WRP 2014, 429 – Atemtest II; Urteil vom 30.04.2015 – I ZR 13/14, BGHZ 205, 195 31] – Tagesschau-App; Urteil vom 07.05.2015 – I ZR 29/14, GRUR 2015, 1244 19] = WRP 2016, 44 – Äquipotenzangabe in Fachinformation; Urteil vom 30.01.2020 – I ZR 40/17, GRUR 2020, 426 15] = WRP 2020, 443 – Ersatzteilinformation II[]
  8. BGHZ 163, 265 18] – Atemtest I[]
  9. BVerwGE 159, 148 12], mwN[]
  10. EuGH, Urteil vom 31.05.2018 – C542/16, VersR 2019, 165 39] – Länsförsäkringar Sak Försäkringsaktiebolag u. a.; EuGH, GRUR 2022, 1682 39] – TC Medical Air Ambulance Agency[]
  11. EuGH, GRUR 2022, 1682 41] – TC Medical Air Ambulance Agency[]
  12. EuGH, GRUR 2022, 1682 42] – TC Medical Air Ambulance Agency[]
  13. EuGH, VersR 2019, 165 37 und 53] – Länsförsäkringar Sak Försäkringsaktiebolag u. a.; EuGH, GRUR 2022, 1682 43] – TC Medical Air Ambulance Agency[]
  14. vgl. EuGH, GRUR 2022, 1682 44] – TC Medical Air Ambulance Agency[]
  15. EuGH, GRUR 2022, 1682 45] – TC Medical Air Ambulance Agency[]
  16. EuGH, Urteil vom 24.02.2022 C143/20 und C213/20, NJW 2022, 1513 87 und 88] – A u. a. [Unit-Linked-Versicherungsverträge]; EuGH, GRUR 2022, 1682 46] – TC Medical Air Ambulance Agency[]
  17. EuGH, GRUR 2022, 1682 47] – TC Medical Air Ambulance Agency[]
  18. EuGH, GRUR 2022, 1682 49] – TC Medical Air Ambulance Agency[]
  19. vgl. EuGH, GRUR 2022, 1682 50] – TC Medical Air Ambulance Agency[]
  20. EuGH, GRUR 2022, 1682 52] – TC Medical Air Ambulance Agency[]
  21. EuGH, GRUR 2022, 1682 55] – TC Medical Air Ambulance Agency[]
  22. EuGH, GRUR 2022, 1682 56] – TC Medical Air Ambulance Agency[]