In-vitro-Fertilisation – und die Kosten der gleichzeitig durchgeführten Präimplantationsdiagnostik

Die Kosten einer begleitend zu einer In-vitro-Fertilisation (IVF) mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) durchgeführten Präimplantationsdiagnostik muss der private Krankenversicherer nicht erstatten.

In-vitro-Fertilisation – und die Kosten der gleichzeitig durchgeführten Präimplantationsdiagnostik

Die auf körperlichen Ursachen beruhende Unfähigkeit des Versicherungsnehmers, auf natürlichem Wege ein Kind zu zeugen, stellt eine bedingungsgemäße Krankheit im Sinne von § 1 Abs. 1 und 2 MB/KK dar1. Wird wie hier eine IVF in Kombination mit einer ICSI vorgenommen, um eine solche organisch bedingte Unfruchtbarkeit eines Mannes zu überwinden, ist dies eine insgesamt auf dieses Krankheitsbild abgestimmte Heilbehandlung, die darauf gerichtet ist, diese Unfruchtbarkeit zu lindern2.

Das gilt indes nicht für die Blastozystenkultur und PID. Vielmehr stellen diese Maßnahmen keine bedingungsgemäße Heilbehandlung des Versicherungsnehmers dar, weshalb dahinstehen könne, ob die bloße Trägerschaf t des vererblichen Gendefektes eine bedingungsgemäße Krankheit sei3. Denn Blastozystenkultur und PID zielen nicht darauf ab, beim Versicherungsnehmer selbst eine Veränderung seines Gesundheitszustandes zu bewirken. Ziel der PID ist es nicht, etwaige körperliche oder geistige Funktionsbeeinträchtigungen beim Versicherungsnehmer zu erkennen, zu heilen oder zu lindern. Vielmehr war die PID hier allein darauf gerichtet, Embryonen zu erkennen, die den das Zellweger-Syndrom verursachenden Gendefekt tragen, um diese Embryonen von der weiteren Verwendung bei der IVF-Behandlung auszuschließen. Diese zum Zwecke einer Aussonderung vorgenommene Bewertung der Embryonen nach medizinischen Kriterien soll künftiges Leiden eines eigenständigen Lebewesens vermeiden, nicht aber ein Leiden eines Elternteils oder auch beider Eltern behandeln4.

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Blastozystenkultur und PID waren überdies in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Streitfall, in dem beide angehenden Elternteile Anlagenträger des Zellweger-Syndroms sind, in der Kombination mit einer IVF/ICSI-Behandlung des Versicherungsnehmers für ihn auch nicht medizinisch notwendig:

Ob eine IVF/ICSI-Behandlung medizinisch notwendig im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 MB/KK ist, ist allerdings auch anhand der Erfolgsaussichten zu bestimmen5. Danach ist von einer nicht mehr ausreichenden Erfolgsaussicht und damit von einer nicht mehr gegebenen bedingungsgemäßen medizinischen Notwendigkeit der IVF/ICSI-Behandlung dann auszugehen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Embryotransfer zur gewünschten Schwangerschaft führt, signifikant absinkt und eine Erfolgswahrscheinlichkeit von 15% nicht mehr erreicht wird6. Auszugehen ist von der durch das IVFRegister umfassend dokumentierten Erfolgswahrscheinlichkeit der Behandlungen in Abhängigkeit vom Lebensalter der Frau. In einem zweiten Schritt ist jedoch zu prüfen, inwieweit individuelle Faktoren ihre Einordnung in die ihrem Lebensalter entsprechende Altersgruppe rechtfertigen, ob also ihre persönlichen Erfolgsaussichten aufgrund individueller Umstände höher oder niedriger einzuschätzen sind, als die im IVFRegister für ihre Altersgruppe ermittelten Durchschnittswerte es ausweisen7.

Im Urteil vom 04.12.20198 hat sich der Bundesgerichtshof damit befasst, ob zu diesen individuellen Faktoren auch die Prognose über den weiteren Verlauf einer Schwangerschaft und insbesondere eine verringerte so genannte „babytakehomeRate“, mithin ein individuell gesteigertes Abortrisiko zählt. Er hat im Grundsatz daran festgehalten, dass sich die Notwendigkeit der IVF/ICSI-Behandlung allein nach deren Behandlungsziel der Herbeiführung einer Schwangerschaft bemisst, weshalb ein allgemein bestehendes, in Abhängigkeit zum Alter der Mutter steigendes Risiko einer Fehlgeburt soweit es sich allein auf generelle statistische Erkenntnisse stützt im Regelfall nicht gesondert in die Erfolgsprognose einfließt .

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Allerdings hat der Bundesgerichtshof auch ausgesprochen, dass es dann anders liegen kann, wenn aufgrund individueller gesundheitlicher Beeinträchtigungen der Eltern eine Lebendgeburt wenig wahrscheinlich erscheint9.

Selbst wenn aber das Zellweger-Syndrom nicht nur die Lebenserwartung lebend geborener Kinder dramatisch verkürzt, sondern auch das Risiko einer Fehlgeburt erhöht, lägen im Streitfall keine solchen besonderen Umstände im Sinne der vorgenannten Bundesgerichtshofsrechtsprechung vor, weil was das Zellweger-Syndrom und seine Folgen betrifft keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Versicherungsnehmers, sondern allein des Embryos in Rede stünden. Anders als in dem vom OLG Karlsruhe10 entschiedenen Fall bliebe die PID mithin nicht auf ein Krankheitsbild der Ehefrau des Versicherungsnehmers (etwa organische Schäden an der Gebärmutter) oder des Versicherungsnehmers selbst, sondern allein auf eine mögliche Krankheit des Embryos abgestimmt11, denn sie diente wie oben bereits dargelegt auch dann nicht der Linderung gesundheitlicher Beeinträchtigungen der Eltern, sondern bliebe darauf gerichtet, unter mehreren Embryonen möglichst einen nicht vom Zellweger Syndrom betroffenen Embryo auszusuchen, um so dem werdenden Kind späteres Leiden zu ersparen12.

Daran, dass der Versicherer die Kosten der PID und Blastozys19 tenkultur hier nicht tragen muss, änderte sich im Ergebnis aber auch dann nichts, wenn man schon die Genträgerschaft beider Eltern für das Zellweger-Syndrom und eine dadurch möglicherweise verschlechterte Chance einer Lebendgeburt als für die Erfolgsaussichten der IVF/ICSI Behandlung maßgebliche individuelle Umstände im Sinne des BGH, Urteils vom 04.12.201913 ansähe. Denn bei dieser Betrachtung wäre die PID zwar auf die Maßnahmen der IVF/ICSI-Behandlung abgestimmt, weil sie bezweckt, durch Erhöhung der Erfolgsaussichten für eine Lebendgeburt eine sonst gar nicht gegebene bedingungsgemäße Notwendigkeit der IVF/ICSI-Behandlung überhaupt erst zu begründen. Das Leistungsversprechen des privaten Krankheitskostenversicherers, das lediglich darauf gerichtet ist, die Kosten einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung der versicherten Person wegen Krankheit und Unfallfolgen zu erstatten, geht indessen nicht so weit, dass der Versicherer auch die Kosten solcher medizinischer Maßnahmen zu tragen hat, die eine bedingungsgemäße Notwendigkeit der Heilbehandlung und damit den Versicherungsfall erst begründen sollen.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. Mai 2020 – IV ZR 125/19

  1. BGH, Urteile vom 04.12.2019 – IV ZR 323/18, r+s 2020, 93 Rn. 8; vom 15.09.2010 – IV ZR 187/07, VersR 2010, 1485 Rn. 10, 11; vom 21.09.2005 – IV ZR 113/04, BGHZ 164, 122 1113][]
  2. BGH, Urteile vom 04.12.2019, 15.09.2010 und 21.09.2005 jeweils aaO[]
  3. vgl. dazu BSGE 117, 212 15][]
  4. vgl. OLG München r+s 2018, 665 Rn. 8, 11; für Polkörperdiagnostiken: OLG Köln VersR 2017, 417, 418 27]; vgl. für die gesetzliche Krankenversicherung auch BSGE 117, 212 15][]
  5. BGH, Urteil vom 21.09.2005 – IV ZR 113/04, BGHZ 164, 122[]
  6. BGH, Urteil vom 21.09.2005 – IV ZR 113/04, BGHZ 164, 122, 129 23][]
  7. BGH, Urteil vom 21.09.2005 aaO S. 128 21][]
  8. BGH, Urteil vom 04.12.2019 – IV ZR 323/18, r+s 2020, 93 Rn. 1316[]
  9. BGH, Urteil vom 04.12.2019, aaO Rn. 17; vgl. auch OLG Celle, Urteil vom 24.04.2014 – 8 U 209/13, BeckRS 2014, 125990 Rn. 51 f.[]
  10. OLG Karlsruhe, r+s 2017, 597 Rn. 65[]
  11. a.A. Waldkirch, VersR 2020, 321, 324326[]
  12. vgl. dazu auch BSG SozR 42500 § 27 Nr. 27 10] für die gesetzliche Krankenversicherung[]
  13. BGH, Urteil vom 04.12.2019, aaO Rn. 17[]
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