Kombi statt Cabrio – Alles für die Krankentagegeldversicherung

In der Krankentagegeldversicherung ist Maßstab für die Prüfung der Arbeitsunfähigkeit der bisher ausgeübte Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung. Daher kann der Versicherer den Versicherten nicht darauf verweisen, unter Kapitaleinsatz eine Weiterführung seiner bisherigen Tätigkeit unter geänderten Bedingungen zu ermöglichen.

Kombi statt Cabrio – Alles für die Krankentagegeldversicherung

In einem jetzt vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatte das Oberlandesgericht Schleswig die Annahme einer Arbeitsunfähigkeit einer Handelsvertreterin mit der Begründung verneint, problematisch bei einem Schulterengpasssyndrom sei nach den Ausführungen des Sachverständigen das Anheben von Lasten von 10 bis 20 kg in der Armvorhaltebewegung, wie sie beim Heben der Musterkoffer aus dem Kofferraum oder dort hinein vorkomme. Dem könne die Klägerin aber zumutbar dadurch begegnen, dass sie sich ein Fahrzeug ohne Ladekante, etwa einen Kombi, anstelle ihres Cabrios mit hoher Ladekante anschaffe. Damit ließe sich die problematische Armvorhaltebewegung vermeiden; zudem ließen sich die Koffer auch mit dem linken Arm leichter hinein- oder herausheben.

Dies fand vor dem BGH keine Gnade: Das Berufungsgericht hat der Klägerin einen Anspruch auf Krankentagegeld zu Unrecht mit der Begründung versagt und, so der BGH, von der Klägerin eine dem Wesen der Krankentagegeldversicherung fremde Umorganisation der Arbeitsabläufe verlangt.

In der Krankentagegeldversicherung setzt der Eintritt eines Versicherungsfalles neben der medizinisch notwendigen Heilbehandlung eine in deren Verlauf ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit voraus (§ 1 (2) Satz 1 MB/KT 94). Arbeitsunfähigkeit liegt gemäß § 1 (3) MB/KT 94 vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgeht. Diese Definition der Arbeitsunfähigkeit knüpft an die konkrete berufliche Tätigkeit der versicherten Person und nicht allgemein an ihre beruflichen Möglichkeiten an. Dementsprechend bemisst sich die Arbeitsunfähigkeit nach der bisherigen Art der Berufsausübung, selbst wenn der Versicherte noch andere Tätigkeiten ausüben kann1. Daher ist der Versicherer nicht berechtigt, den Versicherungsnehmer auf so genannte Vergleichsberufe oder gar sonstige, auf dem Arbeitsmarkt angebotene Erwerbstätigkeiten zu verweisen2. Dies gilt auch dann, wenn der Versicherte mindestens 50 % der von seinem Berufsbild allgemein umfassten Tätigkeiten noch ausüben kann; sofern ihm die bisherige Berufsausübung völlig unmöglich geworden ist, muss er sich nicht darauf verweisen lassen, eine seinen verbliebenen beruflichen Fähigkeiten entsprechende andere Arbeit aufzunehmen3. Hingegen ist der Versicherte nicht arbeitsunfähig, wenn er gesundheitlich zu einer – wenn auch nur eingeschränkten – Tätigkeit in seinem bisherigen Beruf imstande geblieben ist4. Ob der Versicherte seinem Beruf nicht mehr in der bisherigen Ausgestaltung nachgehen kann, ist durch einen Vergleich der Leistungsfähigkeit, die für die bis zur Erkrankung konkret ausgeübte Tätigkeit erforderlich ist, mit der noch verbliebenen Leistungsfähigkeit festzustellen5.

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Das Berufungsgericht hat bei seiner Vergleichsbetrachtung zwar berücksichtigt, wie die Außendiensttätigkeit der Klägerin vor ihrem Unfall tatsächlich gestaltet war, ihr aber eine andere Arbeitsorganisation abverlangt. Damit hat es außer Acht gelassen, dass Maßstab für die Prüfung der Arbeitsunfähigkeit der bisherige Beruf in seiner konkreten Ausprägung ist. Mit Blick darauf kann der Versicherer den Versicherten nicht darauf verweisen, durch Umorganisation seiner Arbeitsabläufe, notfalls mit dem dazu erforderlichen Kapitaleinsatz, die Voraussetzungen für die Wiederausübung seines Berufs zu schaffen. Ob und inwieweit der Versicherte nach Treu und Glauben gehalten ist, über die medizinische Behandlung hinaus an der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit aktiv mitzuwirken, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls ist er nicht gezwungen, seine berufliche Tätigkeit durch Austausch oder Veränderung der bislang eingesetzten Arbeitsmittel neu zu organisieren. Für die Berufsunfähigkeitsversicherung hat der Senat bereits entschieden, dass sich der Versicherte eine nachträglich entstandene Umorganisationsmöglichkeit nicht zu seinem Nachteil anrechnen lassen muss, wenn er diese durch eine eigene Anstrengung geschaffen hat, zu der er dem Versicherer gegenüber weder aufgrund einer vertraglich vereinbarten Obliegenheit noch aufgrund seiner Schadensminderungspflicht verpflichtet war. Eine solche überobligationsmäßige Anstrengung liegt z.B. vor, wenn der Versicherte durch Kapitaleinsatz sein Unternehmen erweitert6

Dies gilt erst recht für die Krankentagegeldversicherung, die nur auf die bisherige Berufstätigkeit des Versicherten abstellt und eine Verweisung auf andere Erwerbstätigkeiten nicht kennt. Auch bei der Krankentagegeldversicherung wäre es unbillig, dem Versicherer, der an dem unternehmerischen Risiko des Versicherten nicht beteiligt ist, Leistungsfreiheit zu gewähren, wenn der Versicherte seinen Betrieb nicht anders gestaltet. Ebenso wenig kann der Versicherer von der Verpflichtung zur Zahlung von Krankentagegeld frei werden, wenn der Versicherte nicht seine Tätigkeit durch einen – unter Umständen mit erheblichem Kapitalaufwand verbundenen – Austausch der Arbeitsmittel verändert.

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Demnach kann die Versicherung dem Versicherten nach Auffassung des BGH nicht anlasten, dass diese nicht ihr Cabrio, mit dem sie zu den Präsentationsterminen fuhr, gegen einen anderen PKW mit niedrigerer Ladekante tauschte und die Musterkoffer nicht durch kleinere Koffer oder Trolleys ersetzte. Ob dem Versicherten im Einzelfall eine Veränderung seiner Arbeitsmittel zumutbar ist, wenn der Versicherer die ihm dafür entstehenden Kosten übernimmt, kann dahinstehen. Mit einem entsprechenden Angebot ist die Beklagte weder vor noch nach der Leistungseinstellung an die Klägerin herangetreten.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. Mai 2009 – IV ZR 274/06

  1. Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl.
    § 1 MB/KT 94 Rdn. 6 m.w.N.[]
  2. BGH, Urteile vom 9. Juli 1997 – IV ZR 253/96 – VersR 1997, 1133 unter II 2 b; vom 25. November 1992 – IV ZR 187/91 – VersR 1993, 297 unter II 1[]
  3. BGH, Urteil vom 25. November 1992 aaO; Prölss aaO m.w.N.[]
  4. BGH, Urteil vom 25. November 1992 aaO[]
  5. Prölss aaO Rdn. 7 m.w.N.[]
  6. BGH, Urteil vom 28. April 1999 – IV ZR 123/98 – VersR 1999, 958 unter II 2 b[]