Prämienanpassungsklausel in der privaten Krankenversicherung

Eine Prämienanpassungsklausel in der privaten Krankenversicherung, nach welcher der Versicherer die Beiträge bei einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als fünf Prozent überprüfen und anpassen kann, aber nicht muss, weicht nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG ab und benachteiligt diesen auch nicht unangemessen gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Prämienanpassungsklausel in der privaten Krankenversicherung

Dass § 8b Abs. 2 AVB KK unwirksam ist, lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 AVB KK unberührt1.

Zu Unrecht hat das Oberlandesgericht Rostock demgegenüber § 8b Abs. 1 Satz 4 AVB KK für unwirksam gehalten2. Die Klausel weicht nicht entgegen § 208 Satz 1 VVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers von der gesetzlichen Regelung in § 203 Abs. 2 VVG ab. § 203 Abs. 2 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG erlaubt die Festsetzung eines zusätzlichen Schwellenwerts – neben der gesetzlichen 10 %-Grenze – in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, bei dessen Überschreitung durch den Vergleich der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen der Versicherer zu einer Prämienanpassung berechtigt, aber noch nicht verpflichtet wird3.

§ 203 Abs. 2 VVG berechtigt den Versicherer bei einer nicht nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage zur Neufestsetzung der Prämie und verweist dafür in Satz 4 auf § 155 VAG in Verbindung mit der Krankenversicherungsaufsichtsverordnung (KVAV). § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG legt dazu den gesetzlichen Schwellenwert von 10 % fest, bei dessen Überschreitung durch eine Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen der Versicherer alle Prämien des betreffenden Tarifs zu überprüfen und bei einer nicht nur vorübergehenden Abweichung anzupassen hat. Der Wortlaut der Vorschrift lässt dabei noch unterschiedliche Deutungen zu, da er dem Versicherer die Möglichkeit eröffnet, in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen einen geringeren Prozentsatz als 10 % vorzusehen, ohne eindeutig festzulegen, ob dieser den gesetzlichen Schwellenwert – mit der damit verbundenen Verpflichtung zur Prämienanpassung – ersetzen muss oder auch neben diesen treten darf.

Weiterlesen:
Die Hebamme als Erfüllungsgehilfe des Belegarztes - und die Haftpflichtversicherungen

Nach dem Willen des Gesetzgebers soll § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG jedoch als Öffnungsklausel wirken, die den Versicherer berechtigt, bereits unterhalb der Schwelle zur zwingenden Prämienanpassung eine Überprüfung und Neukalkulation der Prämien vorzunehmen, ohne ihn insoweit zu verpflichten. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass die Versicherungsunternehmen – zur Vermeidung großer Prämiensprünge – in den Versicherungsbedingungen einen geringeren Schwellenwert mit der Maßgabe festlegen können, dass sie berechtigt sind, bereits beim Überschreiten dieses geringeren Wertes die Prämien zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen4. Der Gesetzgeber wollte damit das zuvor in den Prämienanpassungsklauseln geregelte und als bewährt angesehene Verfahren im Kern beibehalten5. Dieses frühere Verfahren sah aber in den – aufsichtsrechtlich genehmigten – Tarifbedingungen bereits vor, dass alle Tarifbeiträge überprüft und ggf. angepasst werden müssen, wenn die Gegenüberstellung von erforderlichen und kalkulierten Versicherungsleistungen eine Veränderung von mehr als 10 % ergibt, während diese bei einer Änderung von mehr als 5 % (nur) angepasst werden können (vgl. § 8c Abs. 1 Tarifbedingungen 1976, zitiert nach Münch-Komm-VVG/Boetius, 2. Aufl. § 203 Rn. 754).

Dieses Verständnis der gesetzlichen Regelung entspricht auch den versicherungsaufsichtsrechtlichen Normen im Übrigen. So geht § 17 Abs. 1 Satz 2 KVAV ebenfalls von der Möglichkeit aus, dass der in den Versicherungsbedingungen festgelegte Prozentsatz überschritten, jedoch von einer Neukalkulation abgesehen wird.

Weiterlesen:
Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung

Die Klausel benachteiligt den Versicherungsnehmer auch nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen. Unangemessen ist die Benachteiligung, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen6. So liegt es hier nicht.

Die Klausel erlaubt unter den dort genannten Voraussetzungen eine Anpassung der Prämien, d.h. sowohl eine Erhöhung als auch eine Senkung, ohne den Versicherer insoweit dazu zu verpflichten. Dieses Prämienanpassungsrecht des Versicherers soll aber vorrangig die dauernde Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge gewährleisten7. In diesem Sinne dient die Berechtigung zur Prämienanpassung nicht der Durchsetzung eigener Interessen des Versicherers zu Lasten des Versicherungsnehmers, sondern auch den Belangen der Versichertengemeinschaft. Die Berechtigung zur Vornahme von Prämienanpassungen bereits unterhalb der gesetzlichen Höchstschwelle für die Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen soll gerade zu stetigen Anpassungen führen, um große Prämiensprünge zu vermeiden8.

Die Rechtsprechung zu Preisanpassungsklauseln in anderen Vertragstypen9 ist hier nicht übertragbar. Die Klausel sieht kein einseitiges Recht des Versicherers vor, Kostensteigerungen oder Zinsentwicklungen „nach billigem Ermessen“ an den Versicherungsnehmer weiterzugeben. Das Prämienanpassungsrecht des Versicherers und die Erteilung der Zustimmung durch den Treuhänder unterliegen nicht dem weiten Maßstab des billigen Ermessens, sondern den durch die genannten Rechtsvorschriften geregelten, ins Einzelne gehenden engen und verbindlichen Vorgaben10. § 203 Abs. 2 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 VAG und die ergänzenden Prämienanpassungsklauseln wie hier § 8b Abs. 1 AVB KK beschränken die Möglichkeit des Versicherers, für ihn ungünstige Veränderungen der Rechnungsgrundlagen nach § 2 KVAV durch Prämienanpassungen auszugleichen. Nur bei zwei dieser Rechnungsgrundlagen – den Versicherungsleistungen und den Sterbewahrscheinlichkeiten – kann eine Abweichung der tatsächlichen von den kalkulierten Werten zum auslösenden Faktor einer Prämienanpassung werden, da der Gesetzgeber Veränderungen der weiteren Rechnungsgrundlagen, bei denen seiner Ansicht nach Veränderungen im Wesentlichen auf einer Unternehmensentscheidung beruhen, nicht zum Anlass einer Neukalkulation werden lassen wollte11. Erst wenn es – ausgelöst durch einen dieser Faktoren – überhaupt zu einer Neukalkulation kommt, werden dabei alle Rechnungsgrundlagen berücksichtigt. Nach dem aufsichtsrechtlich geregelten Prämienanpassungsverfahren führen daher Kostensteigerungen auch nicht unmittelbar zu Prämiensteigerungen oder Kostensenkungen zu Prämiensenkungen. Eine Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen nach oben oder unten kann bei der Neukalkulation anhand aller Rechnungsgrundlagen jeweils zu einer Anpassung der Prämie nach oben oder unten führen12. Die dem Versicherer durch die Klausel eröffnete Möglichkeit, bereits früher ein Prämienanpassungsverfahren durchzuführen, ist daher in beide Richtungen offen.

Weiterlesen:
Rückfrage der Rechtsschutzversicherung - und die Haftung des Versicherungsmaklers

Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. Juli 2023 – IV ZR 347/22

  1. vgl. BGH, Urteil vom 22.06.2022 – IV ZR 253/20, VersR 2022, 1078 Rn. 33 ff. zu § 8b MB/KK 2009[]
  2. OLG Rostock, Urteil vom 27.09.2022 – 4 U 132/21, VersR 2022, 1418[]
  3. vgl. auch OLG Karlsruhe VersR 2023, 768 66]; OLG Dresden VersR 2023, 717 14]; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 21.11.2022 – 1 U 55/22 5; OLG Hamburg VersR 2022, 565 110]; Haase-Uhländer in Bach/Moser, PKV 6. Aufl. § 8b MB/KK Rn. 39; Muschner in Langheid/Rixecker, VVG 7. Aufl. § 203 Rn. 23a; Reinhard in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 203 Rn. 12; MünchKomm-VVG/Boetius, 2. Aufl. § 203 Rn. 808; BeckOK-VAG/Franz/Frey, § 155 Rn. 48 [Stand: 1.06.2023]; a.A. OLG Köln, Urteil vom 04.03.2022 – 20 U 106/21 46; Klimke in Boetius/Rogler/Schäfer, Rechtshandbuch Private Krankenversicherung § 31 Rn. 97; BeckOK-VVG/Gramse, § 203 Rn. 23a [Stand: 1.05.2023]; Brand in Brand/Baroch Castellvi, VAG § 155 Rn. 26[]
  4. vgl. BT-Drs. 12/6959, S. 62 zur Vorgängerregelung in § 12b VAG a.F.[]
  5. vgl. aaO[]
  6. BGH, Urteil vom 26.01.2022 – IV ZR 144/21, BGHZ 232, 344 Rn. 43[]
  7. vgl. BGH, Urteile vom 19.12.2018 – IV ZR 255/17, BGHZ 220, 297 Rn. 44; vom 16.06.2004 – IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323, 326 8][]
  8. vgl. BT-Drs. 12/6959, S. 62[]
  9. vgl. BGH, Urteile vom 31.07.2013 – VIII ZR 162/09, BGHZ 198, 111 Rn. 39 ff.; vom 21.04.2009 – XI ZR 78/08, BGHZ 180, 257 Rn. 18 ff.[]
  10. BGH, Urteil vom 16.06.2004 – IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323, 328 13][]
  11. vgl. BT-Drs. 16/3945, S. 113[]
  12. vgl. Muschner in Langheid/Rixecker, VVG 7. Aufl. § 203 Rn. 23b; HK-VVG/Marko, 4. Aufl. § 203 Rn. 7[]
Weiterlesen:
Neues Versicherungsvertragsrecht