Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haben die Zivilgerichte im Rechtsstreit um die Berechtigung einer Prämienerhöhung nicht zu prüfen, ob der Treuhänder tatsächlich von demjenigen Versicherer unabhängig sei, dessen Prämienerhöhung er zugestimmt habe1. Das Bundesverfassungsgericht hat nun eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen diese Rechtsprechung des BGH richtet, nicht zur Entscheidung angenommen.

Soweit § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG die Berechtigung des Versicherers zur Neufestsetzung der Prämie von der Zustimmung eines „unabhängigen Treuhänders“ abhängig mache, handelt es sich nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nur um eine Bezeichnung für diejenige Person, die nach den Bestimmungen des Versicherungsaufsichtsrechts hierzu bestellt worden sei. Dies ergibt für den Bundesgerichtshof eine Auslegung der Vorschrift, die ausgehend von dem Wortlaut und der Systematik der gesetzlichen Regelung ihre Entstehungsgeschichte, ihren Sinn und Zweck sowie die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes berücksichtigt.
Das Bundesverfassungsgericht verwarf nun die Rüge, der Bundesgerichtshof habe mit dieser Rechtsprechung das einfache Recht verfassungswidrig ausgelegt beziehungsweise fortgebildet. Die angegriffene Entscheidung bewegt sich vielmehr innerhalb der insoweit gezogenen verfassungsrechtlichen Grenzen2.
Insbesondere stellt die Ansicht des Bundesgerichtshofs, § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG bezeichne mit dem Begriff „unabhängiger Treuhänder“ die nach den Vorgaben des Versicherungsaufsichtsrechts bestellte Person, weder den klaren Wortlaut des Gesetzes hintan3 noch liegt diese Deutung des Wortlauts der Norm offensichtlich eher fern4. Zu diesen aufsichtsrechtlichen Vorgaben gehört insbesondere das Erfordernis der Unabhängigkeit des Treuhänders. Zumindest vor diesem Hintergrund steht dem Verständnis des Gerichts der Wortlaut der Norm nicht entgegen. Verfassungsrechtlich unbedenklich stellt der Bundesgerichtshof insbesondere darauf ab, dass § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG auch die weiteren aufsichtsrechtlichen Voraussetzungen der Treuhänderbestellung nicht als Tatbestandsmerkmal einer Prämienerhöhung aufgreift.
Dass sich das nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs ergebende Zusammenspiel zwischen der den Zivilgerichten obliegenden „sachlichen“ Prüfung von Beitragserhöhungen und der Kontrolle der an den „unabhängigen Treuhänder“ gestellten Anforderungen durch die Versicherungsaufsicht über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetze5, ist nicht ersichtlich und ergibt sich namentlich nicht aus der Entstehungsgeschichte der einschlägigen gesetzlichen Regelungen.
Eine Verletzung des Justizgewährungsanspruchs der Versicherungsnehmer ist dabei für das Bundesverfassungsgericht nicht ersichtlich. Die Einhaltung aller „sachlichen“ Anforderungen an eine einseitige Beitragserhöhung nach § 203 Abs. 2 VVG unterliegt der tatsächlichen und rechtlichen Prüfung durch die Zivilgerichte6. Dass dies unter den gegebenen Umständen der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ergebenden Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes nicht genüge, zeigt die Verfassungsbeschwerde nicht auf7.
Die Möglichkeit einer Verletzung des grundrechtlichen Schutzanspruchs des Versicherungsnehmers aus Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG8 legt die Verfassungsbeschwerde ebenfalls nicht dar.
Die Vertrags- und Kalkulationsfreiheit der Versicherer fällt in den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG9. Der zwangsweise Ausschluss des Rechts der Versicherer zur ordentlichen Kündigung greift in ihre Vertragsfreiheit ein. Die Möglichkeit einseitiger Prämienerhöhung, die die Vertragsfreiheit der Versicherungsnehmer einschränkt, soll dies ausgleichen und zielt auf die Wiederherstellung des Äquivalenzverhältnisses. Prämienanpassungen unterliegen nach der angegriffenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs umfassenden rechtlichen Vorgaben und darüber hinaus der Zustimmung eines nach Maßgabe des Versicherungsaufsichtsrechts bestellten Treuhänders, der zuverlässig, fachlich geeignet und unabhängig sein muss. Dass diese fachgerichtliche Rechtsprechung grundrechtliche Schutzpflichten evident verletze10, ist nicht ersichtlich.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 30. Oktober 2020 – 1 BvR 453/19
- BGH, Urteil vom 19.12.2018 – IV ZR 255/17[↩]
- vgl. nur BVerfGE 128, 193 132, 99 133, 168 149, 126 BVerfG, Beschluss vom 23.05.2016 – 1 BvR 2230/15 u.a., Rn. 35 ff.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.05.2016 – 1 BvR 2230/15 u.a., Rn. 49[↩]
- vgl. BVerfGE 133, 168 m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.05.2016 – 1 BvR 2230/15 u.a., Rn. 38 f.[↩]
- vgl. etwa BGHZ 159, 323 [↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.12.1999 – 1 BvR 2203/98[↩]
- vgl. etwa BVerfGE 81, 242 103, 89 114, 1 114, 73 BVerfGK 7, 283 [↩]
- vgl. BVerfGE 123, 186 [↩]
- vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 17.02.2017 – 1 BvR 781/15, Rn. 25[↩]