Rechtsschutz durch die Kfz-Haftpflicht trotz angeblicher Unfallmanipulation

Hat der Kfz-Haftpflichtversicherer im Verkehrsunfallprozess gegen den mitversicherten und mitverklagten Fahrer den Vorwurf eines versuchten Versicherungsbetrugs (Unfallmanipulation) erhoben, so muss er den Fahrer im Rahmen seiner Rechtsschutzverpflichtung von den Kosten für die Vertretung durch einen eigenen Rechtsanwalt freihalten, obwohl er ihm als Streithelfer beigetreten ist und sein Prozessbevollmächtigter auf diesem Wege für beide Klageabweisung beantragt hat.

Rechtsschutz durch die Kfz-Haftpflicht trotz angeblicher Unfallmanipulation

Die Rechtsschutzverpflichtung und die Pflicht zur Befriedigung begründeter Haftpflichtansprüche sind gleichrangige Hauptleistungsverpflichtungen des Haftpflichtversicherers1. Nach § 150 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. umfasst die Versicherung auch die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten, die durch die Verteidigung gegen den von einem Dritten erhobenen Anspruch entstehen, soweit die Aufwendung dieser Kosten den Umständen nach geboten ist.

Der im Haftpflichtprozess mit der Beauftragung eines eigenen Anwalts für den Kläger verbundene Kostenaufwand war hier geboten.

Im Haftpflichtprozess hat grundsätzlich der Haftpflichtversicherer selbst in Erfüllung seiner Rechtsschutzverpflichtung die Interessen des Versicherten so zu wahren, wie das ein von diesem beauftragter Rechtsanwalt tun würde2. Das ist im Regelfall unproblematisch, weil sich die Abwehrinteressen des Versicherers und des Versicherten meist entsprechen werden. Wegen des umfassend versprochenen Rechtsschutzes gilt das aber sogar dann, wenn eine Kollision der Interessen des Versicherers und des Versicherten auftritt. Selbst in diesem Fall bleibt der Versicherer grundsätzlich verpflichtet, seine eigenen Interessen hintanzustellen. Nur diese weite Auslegung des Leistungsversprechens kann den mit der Haftpflichtversicherung bezweckten Schutz gewährleisten2.

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Eine besondere Interessenkollision entsteht dann, wenn im Haftpflichtprozess nach einem Verkehrsunfall neben dem Fahrer und Halter des versicherten Fahrzeugs gestützt auf den gesetzlichen Direktanspruch zugleich der Haftpflichtversicherer auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird und letzterer sich mit der Behauptung verteidigen will, der behauptete Unfall sei in Wahrheit von den vorgeblich Unfallbeteiligten verabredet worden.

In diesem Fall steht der Haftpflichtversicherer in einem unauflösbaren Konflikt. Er kann sich zwar dafür entscheiden, sein Ziel, eine Unfallverabredung gerichtlich feststellen zu lassen, nicht weiterzuverfolgen, um stattdessen allein das Rechtsschutzbegehren der Versicherten zu unterstützen und damit seiner nach dem Versicherungsvertrag geschuldeten Rechtsschutzverpflichtung zu genügen. Wird er aber auch selbst unmittelbar auf Schadensersatz in Anspruch genommen, kann es ihm nicht verwehrt werden, sich dagegen umfassend zu verteidigen, und zwar auch mit der Behauptung, das schadenbegründende Ereignis sei nicht – wie vom Geschädigten behauptet – unfreiwillig erlitten, sondern von den angeblich Unfallbeteiligten einvernehmlich herbeigeführt worden. Dennoch bleibt der Haftpflichtversicherer – lehnt er nicht von vornherein Deckung ab – aufgrund seines Leistungsversprechens weiter gehalten, den Versicherungsnehmer und den mitversicherten Fahrer wie ein von diesen beauftragter Anwalt zu vertreten und sie notfalls von Schadensersatzverpflichtungen freizuhalten.

In der geschilderten Situation ist weder der Haftpflichtversicherer noch ein von ihm beauftragter Rechtsanwalt in der Lage, beide Ziele gleichzeitig zu verfolgen, ohne dabei die vom Versicherungsvertrag geschützten Interessen der Versicherten zu verletzen. Vielmehr stehen sowohl der Haftpflichtversicherer als auch der von ihm beauftragte Rechtsanwalt in einem unlösbaren Interessenkonflikt, der es ihnen verbietet, im Haftpflichtprozess zugleich das eigene Anliegen und das des Versicherten zu vertreten3. Soll Letzterem der im Versicherungsvertrag versprochene Rechtsschutz dennoch ungeschmälert zuteil werden, ist er – wie hier der Kläger als mitversicherter Fahrer – darauf angewiesen, dass der Haftpflichtversicherer seine Rechtsverteidigung im Haftpflichtprozess in andere Hände legt und deshalb die Kosten eines eigens für den Versicherten beauftragten Rechtsanwalts übernimmt, denn nur damit kann gewährleistet werden, dass sowohl der Versicherer als auch der Versicherte ihre unterschiedlichen Standpunkte im Haftpflichtprozess gleichermaßen Erfolg versprechend vertreten können.

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Zwar steht es dem Haftpflichtversicherer im Rahmen der ihm übertragenen Prozessführungsbefugnis grundsätzlich frei, im Haftpflichtprozess den versprochenen Rechtsschutz durch einen eigens für den Versicherten beauftragten Rechtsanwalt oder lediglich mittels einer Nebenintervention zu gewährleisten4. Bei der hier in Rede stehenden Interessenkollision ist dieses Ermessen aber nicht mehr eröffnet, weil einerseits der Versicherer selbst nicht mehr in der Lage ist, die Interessen des Versicherten sachgerecht wahrzunehmen, ein vom Versicherer beauftragter Rechtsanwalt schon wegen der Strafdrohung des § 356 StGB gehindert wäre, zugleich die Interessen des Versicherers und des Versicherten zu vertreten5, und andererseits der Versicherte gerade deshalb, weil gegen ihn von Seiten des Versicherers ein Betrugsvorwurf erhoben wird, in besonderem Maße des rechtlichen Beistands bedarf.

Wie der Bundesgerichtshof (in BGH, Beschluss vom 06.07.2010, aaO)) zu der Frage, ob der Wunsch des Versicherten nach Beiordnung eines eigenen Rechtsanwalts in solchen Fällen mutwillig im Sinne von § 114 Satz 1 ZPO erscheint, bereits ausgeführt hat, sind hier die Interessen des beklagten Versicherungsnehmers und des beklagten Haftpflichtversicherers nur vordergründig gleichgerichtet, auch wenn sie beide der Klage entgegentreten6. Für den Versicherungsnehmer ist es von besonderem Interesse, ob die Haftpflichtklage mit der Begründung abgewiesen wird, es liege ein von ihm mitmanipulierter Unfall vor, oder aus anderen Gründen. Deswegen kann weder mit Blick auf § 114 Satz 1 ZPO noch für die Frage, ob die Unterstützung des Versicherungsnehmers durch einen eigenen Rechtsanwalt notwendig erscheint, angenommen werden, eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei nähme in einem solchen Fall ihre Rechte ohne den Beistand eines eigenen Prozessbevollmächtigten wahr7. Denn der Haftpflichtversicherer lässt über seinen Rechtsanwalt in einem zentralen Punkt, dem der Unfallmanipulation, gerade das Gegenteil dessen vortragen, was der beklagte Versicherungsnehmer vorzutragen wünscht8. Deshalb muss der Versicherungsnehmer, der sich im Haftpflichtprozess gegen den Vorwurf eines versuchten Versicherungsbetrugs verteidigen will, diesen Vorwurf nicht ohne eigene anwaltliche Vertretung hinnehmen und sich auf eventuelle Nachfolgeprozesse verweisen lassen9.

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Entgegen einer in Rechtsprechung und Literatur vereinzelt vertretenen Auffassung lässt sich der aufgezeigte Interessenkonflikt nicht anderweitig lösen. Zwar wird teilweise angenommen10, das Versicherteninteresse genieße nach dem Haftpflichtversicherungsvertrag einen nur eingeschränkten Schutz. Er beschränke sich darauf zu verhindern, dass es im Haftpflichtprozess überhaupt zu einer Verurteilung, insbesondere durch ein Versäumnisurteil, komme. Das werde durch eine streitgenössische Nebenintervention des Haftpflichtversicherers auf Seiten des Versicherten in jedem Falle ausreichend gewährleistet, während es auf weitergehende – insbesondere strafrechtliche – Rechtsschutzziele, den Wunsch des Versicherten nach einer anderen Begründung der Haftpflichtentscheidung und sonstige Motive des Versicherten nicht ankomme.

Diese Ansicht, der bereits der Bundesgerichtshof in seinem (die zitierte Entscheidung des Kammergerichts aufhebenden) Beschluss (BGH, Beschluss vom vom 06.07.2010, aaO)) entgegengetreten ist, überzeugt auch deshalb nicht, weil der durchschnittliche Versicherungsnehmer eine solche Beschränkung der Rechtsschutzverpflichtung dem Leistungsversprechen des Versicherers nicht entnehmen kann, das nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf gerichtet ist, den Versicherten im Haftpflichtprozess wie ein von ihm beauftragter Anwalt zu vertreten. Von einem selbst beauftragten Rechtsanwalt kann der Versicherte aber zu Recht erwarten, dass seine Interessen in einer Weise vertreten werden, die ihn nicht der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung oder der Rückforderung der Versicherungsleistung und der im Haftpflichtprozess entstandenen Prozesskosten aussetzen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. September 2010 – IV ZR 107/09

  1. BGH, Urteile vom 07.02.2007 – IV ZR 149/03, BGHZ 171, 56 Tz. 12 m.w.N.; vom 30.09.1992 – IV ZR 314/91, BGHZ 119, 276, 281[]
  2. BGHZ aaO[][]
  3. so auch BGH, Beschluss vom 06.07.2010 – VI ZB 31/08; OLG Düsseldorf Verkehrsrecht aktuell 2009, 165 m. zust. Anm. Elsner in jurisPR-VerkR 7/2010 Anm. 4; OLG Köln VersR 1997, 597; OLG Koblenz VersR 1996, 604; LG Hagen r+s 1996, 466; Meiendresch, r+s 2005, 50 ff.[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 09.03.1993 – VI ZR 249/92, VersR 1993, 625; Freyberger, VersR 1991, 842, 845; Geyer, VersR 1989, 882, 888[]
  5. vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 06.07.2010, aaO[]
  6. vgl. OLG Köln VersR 1997, 597, 598[]
  7. BGH aaO[]
  8. OLG Düsseldorf Verkehrsrecht aktuell 2009, 165[]
  9. BGH aaO; OLG Düsseldorf aaO[]
  10. KG VersR 2008, 1558 = NZV 2008, 519 – zur Frage der Mutwilligkeit im Sinne von § 114 ZPO; AG Düsseldorf VersR 1997, 52; Freyberger, VersR 1991, 842 ff.; Geyer, VersR 1989, 882, 888[]
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