Unfall nur mit der Polizei – zur Haftungsfreistellung bei der Autovermietung

Die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Autovermietungsunternehmens enthaltene Klausel, wonach die gegen Zahlung eines zusätzlichen Entgelts gewährte Haftungsfreistellung uneingeschränkt entfällt, wenn der Mieter gegen die ebenfalls in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Verpflichtung, bei einem Unfall die Polizei hinzuzuziehen, verstößt, ist nach § 307 BGB unwirksam1. Die durch die Unwirksamkeit der Klausel entstehende Vertragslücke kann durch die Heranziehung von § 28 Abs. 2 und 3 VVG geschlossen werden2.

Unfall nur mit der Polizei – zur Haftungsfreistellung bei der Autovermietung

Unwirksamkeit der AGBKlausel

Die Regelung des Autovermieters ist unwirksam, weil nach ihr die vertraglich vereinbarte Haftungsbeschränkung ohne Rücksicht auf das Verschulden des Mieters und die Relevanz der Obliegenheitsverletzung für die Interessen des Autovermieters entfällt.

Zwar wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Mieter eines Kraftfahrzeuges nicht unangemessen benachteiligt, wenn in allgemeinen Geschäftsbedingungen die gegen Zahlung eines zusätzlichen Entgelts gewährte Haftungsfreistellung davon abhängig gemacht wird, dass er bei Unfällen die Polizei hinzuzieht. Eine solche Klausel ist vielmehr wirksam. Die Vereinbarung, dass bei jedem Unfall die Polizei hinzugezogen werden muss, begründet – in Begriffe der Kaskoversicherung umgesetzt – eine Obliegenheit des Mieters. Diese fügt sich in das Leitbild der Kaskoversicherung ein. Der Mieter hat es in der Hand, entweder die Obliegenheit zu erfüllen, oder sich über sie hinwegzusetzen, dann aber seine Haftungsfreiheit einzubüßen. Die Obliegenheit hat auch nicht eine Verpflichtung zum Gegenstand, sich selbst bei der Polizei anzuzeigen. Der Mieter hat lediglich bei Unfällen die Polizei hinzuzuziehen, um an Ort und Stelle die erforderlichen Feststellungen treffen zu lassen. Er ist weder verpflichtet, sich selbst zu belasten, noch wird sein Recht, in einem Ermittlungsverfahren die Aussage zu verweigern, berührt3.

Der Mieter wird jedoch dadurch unangemessen benachteiligt, dass die AGB-Klausel bei einem Verstoß gegen die Verpflichtung, bei einem Unfall die Polizei zu verständigen, uneingeschränkt einen völligen Wegfall der Haftungsfreistellung vorsieht.

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Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine Klausel ist unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn der Verwender die Vertragsgestaltung einseitig für sich in Anspruch nimmt und eigene Interessen missbräuchlich auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein die Interessen seines Partners hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen4. Im Zweifel ist eine unangemessene Benachteiligung anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen werden soll, nicht zu vereinbaren ist (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB).

Vereinbaren die Parteien eines gewerblichen Kraftfahrzeugmietvertrages gegen Entgelt eine Haftungsreduzierung für den Mieter nach Art der Vollkaskoversicherung mit Selbstbeteiligung, so darf dieser – gleichsam als Quasi-Versicherungsnehmer – darauf vertrauen, dass die Reichweite des mietvertraglich vereinbarten Schutzes im Wesentlichen dem Schutz entspricht, den er als Eigentümer des Kraftfahrzeuges und als Versicherungsnehmer in der Fahrzeugvollversicherung genießen würde. Nur bei Einräumung dieses Schutzes genügt der gewerbliche Vermieter von Kraftfahrzeugen seiner aus dem Grundsatz von Treu und Glauben erwachsenen Verpflichtung, schon bei der Festlegung seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Interessen künftiger Vertragspartner angemessen zu berücksichtigen5.

Diesen Anforderungen wird die hier streitgegenständliche Klausel der Allgemeinen Geschäfts- und Vertragsbedingungen des Autovermieters nicht gerecht.

Auch hinsichtlich der Rechtsfolge der Obliegenheitsverletzung hat sich die Freistellungszusage am Leitbild der Kaskoversicherung zu orientieren. Für diese war jedoch bereits vor der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes6 anerkannt, dass die Leistungsfreiheit bei nachträglichen Obliegenheitsverletzungen sowohl von der Intensität des Verschuldens des Versicherungsnehmers als auch von der Relevanz für die Gefährdung der Interessen des Versicherers abhängt7. An diese von der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmen von dem in § 6 VVG a.F. enthaltenen Alles-oder-Nichts-Prinzip lehnt sich die Neufassung des § 28 Abs. 2 und 3 VVG an8. Nach § 28 Abs. 2 VVG wird der Versicherer bei Verletzung einer vom Versicherungsnehmer zu erfüllenden vertraglichen Obliegenheit nur dann von der Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich gehandelt hat. Bei einer grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit, für deren Nichtvorliegen der Versicherungsnehmer die Beweislast trägt, ist der Versicherer lediglich berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG bleibt der Versicherer jedoch auch in diesen Fällen zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt noch für die Feststellung des Versicherungsfalles oder für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Eine Vertragsbestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Versicherers, nach der eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers grundsätzlich zur Leistungsfreiheit des Versicherers führt, verstieße gegen das Leitbild des § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG und wäre deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam9. Gleiches gilt für eine vorformulierte Vertragsbestimmung, die bei einer Obliegenheitsverletzung, durch die die Interessen des Vermieters nicht beeinträchtigt werden, zu einem vollständigen Wegfall der Haftungsreduzierung führen würde.

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Diese nunmehr gesetzlich vorgesehene Abkehr von dem nach früherem Recht maßgeblichen „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ (vgl. auch § 6 Abs. 1, 3 Satz 1 VVG a.F.) in der Fahrzeugvollversicherung ist auch bei der Ausgestaltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines gewerblichen Mietwagenunternehmens zu berücksichtigen. Da sich die Ausgestaltung einer vertraglich vereinbarten Haftungsfreistellung am Leitbild der Kaskoversicherung zu orientieren hat, kann durch eine Regelung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines gewerblichen KfzMietvertrages nicht zu dem nach früherem Recht geltenden „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ zurückgekehrt werden10. Die vollständige Leistungsfreiheit des Vermieters bei einer lediglich grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung oder einer Obliegenheitsverletzung, durch die seine Interessen nicht beeinträchtigt werden, ist mit wesentlichen Grundgedanken des § 28 Abs. 2 und 3 VVG nicht zu vereinbaren. Eine solche Klausel benachteiligt den Mieter unangemessen (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) und ist daher gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

Insoweit ist unerheblich, dass die vom Autovermieter verwendeten Allgemeinen Geschäfts- und Vertragsbedingungen möglicherweise bereits vor dem Inkrafttreten des reformierten Versicherungsvertragsgesetzes zum 1. Januar 2008 erstellt worden sind. Maßgeblich für die Prüfung, ob eine Regelung der Allgemeinen Geschäfts- und Vertragsbedingungen des Autovermieters der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB stand hält, ist nicht der Zeitpunkt, zu dem die vorformulierten Vertragsbedingungen erstellt worden sind, sondern allein der Zeitpunkt des Vertragsschlusses11.

Folgen der Unwirksamkeit

Wegen der Unwirksamkeit der Klausel bleibt dem Mieter die Haftungsfreistellung allerdings nicht uneingeschränkt erhalten.

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Ist eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam, sind vorrangig die gesetzlichen Vorschriften als eine konkrete Ersatzregelung in Betracht zu ziehen (vgl. § 306 Abs. 2 BGB). Nur wenn solche nicht zur Verfügung stehen, stellt sich die Frage, ob der ersatzlose Wegfall einer unwirksamen Klausel eine sachgerechte Lösung darstellt. Scheiden beide Möglichkeiten aus, ist zu prüfen, ob durch eine ergänzende Vertragsauslegung eine interessengerechte Lösung gefunden werden kann12.

Ist eine Allgemeine Versicherungsbedingung nicht Vertragsbestandteil geworden, so treten an ihre Stelle die Regelungen des Versicherungsvertragsgesetzes13. Das gilt entsprechend für die Haftungsfreistellung bei der gewerblichen Kraftfahrzeugvermietung, die sich am Leitbild der Fahrzeugversicherung zu orientieren hat14.

Im vorliegenden Fall kann die durch die Unwirksamkeit der AGB-Klausel entstandene Lücke durch einen Rückgriff auf § 28 Abs. 2 und 3 VVG geschlossen werden. Zwar findet diese Vorschrift auf das Vertragsverhältnis zwischen einem gewerblichen Kfz-Vermieter und seinem Kunden keine unmittelbare Anwendung. Da eine vertraglich vereinbarte Haftungsfreistellung in einem Kfz-Mietvertrag jedoch nach den Grundsätzen der Kaskoversicherung auszugestalten ist, ist der Vermieter, der eine unwirksame Klausel verwendet, dem Versicherer gleichzustellen. Daher ist es sachgerecht, auf die Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes zurückzugreifen, um die Lücke zu schließen, die durch die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Klausel entstanden ist.

Die in den Allgemeinen Vertrags- und Geschäftsbedingungen des Autovermieters enthaltene Vereinbarung, dass bei jedem Unfall die Polizei hinzugezogen werden muss, begründet – in die Begriffe der Kaskoversicherung umgesetzt – eine Obliegenheit des Mieters15. § 28 VVG bestimmt die Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls und bietet einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen des Vermieters an einer vollständigen Aufklärung des Unfallgeschehens und den Folgen, die sich für den Mieter ergeben, wenn er diese vertragliche Verpflichtung nicht erfüllt.

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Ein Rückgriff auf § 28 Abs. 2 und 3 VVG, um die durch die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Vertragsbestimmung entstandene Lücke zu schließen, führt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht zu einer unzulässigen geltungserhaltenden Reduktion16.

Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion verbietet bei einer vorformulierten Vertragsbestimmung, durch die der Kunde des Verwenders unangemessen benachteiligt wird, eine Auslegung, die der Klausel gerade noch zur Wirksamkeit verhilft. Dadurch soll vermieden werden, dass ein Klauselverwender risikolos seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen einseitig in seinem Interesse ausgestalten und dabei davon ausgehen kann, dass eine Klausel, die der Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB nicht stand hält, zumindest teilweise erhalten bleibt17. Dies würde dem Zweck des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, den Vertragspartner des Verwenders vor ungültigen Klauseln zu schützen, den Rechtsverkehr von unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen freizuhalten und auf einen den Interessen beider Seiten gerecht werdenden Inhalt Allgemeiner Geschäftsbedingungen hinzuwirken, zuwiderlaufen18.

Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktionen wird erst relevant, wenn die durch die Unwirksamkeit einer Klausel entstandene Vertragslücke nicht – wie im vorliegenden Fall – gemäß § 306 Abs. 2 BGB durch den Rückgriff auf gesetzliche Regelungen geschlossen werden kann, sondern es einer (ergänzenden) Vertragsauslegung bedarf19.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. März 2012 – XII ZR 44/10

  1. im Anschluss an BGH, Urteile vom 02.12.2009 – XII ZR 117/08, NJW-RR 2010, 480 ff.; und vom 10.06.2009 – XII ZR 19/08 – NJW 2009, 3229 f.[]
  2. im Anschluss an BGH, Urteil vom 11.10.2011 – VI ZR 46/10, VersR 2011, 1524 ff.[]
  3. BGH, Urteile vom 10.06.2009 XII ZR 19/08, NJW 2009, 3229 Rn. 18 und vom 02.12.2009 XII ZR 117/08, NJW-RR 2010, 480 Rn. 12 f.[]
  4. BGH, Urteil vom 19.12.2007 – XII ZR 61/05, NJW-RR 2008, 818 Rn. 17[]
  5. BGH, Urteil vom 19.01.2005 – XII ZR 107/01, NJW 2005, 1183; BGH, Urteile vom 11.10.2011 VI ZR 46/10, VersR 2011, 1524 Rn. 11; vom 17.12.1980 VIII ZR 316/79, NJW 1981, 1211; vom 16.12.1981 VIII ZR 1/81, NJW 1982, 987 f. und vom 19.06.1985 VIII ZR 250/84, NJW-RR 1986, 51[]
  6. Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz – VVG) vom 23.11.2007, BGBl. I S. 2631[]
  7. BGH, Urteile vom 10.06.2009 – XII ZR 19/08, NJW 2009, 3229 Rn.19; und vom 02.12.2009 – XII ZR 117/08, NJW-RR 2010, 480 Rn. 13; BGH, Urteil vom 11.11.1981 – VIII ZR 271/80, NJW 1982, 167[]
  8. vgl. BT-Drucks. 16/3945, S. 69; BGH, Urteil vom 11.01.2012 IV ZR 251/10 – EBE/BGH 2012, 58 Rn. 10; MünchKomm-VVG/Wandt 1. Aufl. § 28 Rn. 14; Looschelders in Looschelders/Pohlmann VVG 2. Aufl. Vorbemerkung A. Rn. 25[]
  9. vgl. BGH, Urteil vom 11.10.2011 – VI ZR 46/10, VersR 2011, 1524 Rn. 13; Prölss in Prölss/Martin VVG 28. Aufl. § 28 Rn. 164; Pohlmann in Looschelders/Pohlmann VVG 2. Aufl. Vorbemerkung B. Rn. 59[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 11.10.2011 – VI ZR 46/10, VersR 2011, 1524 Rn. 13[]
  11. vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 11.10.2011 – VI ZR 46/10, VersR 2011, 1524 Rn. 14; Looschelders/Paffenholz JR 2010, 290, 293[]
  12. vgl. BGH, Urteile vom 11.10.2011 – VI ZR 46/10, VersR 2011, 1524 Rn. 17 und vom 12.10.2005 – IV ZR 162/03, NJW 2005, 3559, 3564[]
  13. BGH, Urteil vom 11.10.2011 – VI ZR 46/10, VersR 2011, 1524 Rn. 15; MünchKomm-BGB/Basedow, 5. Aufl., § 306 Rn. 21[]
  14. vgl. BGH, Urteile vom 10.06.2009 – XII ZR 19/08, VersR 2010, 260 Rn. 18 f.; und vom 02.12.2009 – XII ZR 117/08, NJW-RR 2010, 480 Rn. 14[]
  15. BGH, Urteil vom 02.12.2009 – XII ZR 117/08, NJW-RR 2010, 480 Rn. 13[]
  16. vgl. auch Rogler r+s 2010, 1, 4 f. hinsichtlich eines Rückgriffs auf § 28 VVG für unwirksame Klauseln über Obliegenheitsverletzungen[]
  17. BGH, Urteil vom 11.10.2011 – VI ZR 46/10, VersR 2011, 1524 Rn.20[]
  18. BGH, Urteil vom 11.10.2011 – VI ZR 46/10, VersR 2011, 1524 Rn.20; BGHZ 84, 109, 114 ff.; 96, 18, 25 f.[]
  19. vgl. BGH, Urteil vom 11.10.2011 VI ZR 46/10, VersR 2011, 1524 Rn.20; BGHZ 96, 18, 26[]
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