Wenn der Versicherungsvertreter den Gesundheitsfragen ausfüllt…

Der Nachweis einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht oder einer arglistigen Täuschung seitens des Antragstellers obliegt dem Versicherer. Der Nachweis falscher Angaben des Versicherungsnehmers lässt sich nach der Auge- und Ohr-Rechtsprechung, wenn der Agent das Formular ausgefüllt hat, allein mit dessen Inhalt nicht erbringen, sofern der Versicherungsnehmer substantiiert behauptet, die Fragen des Agenten mündlich richtig beantwortet zu haben. In diesem Fall muss, wie das Oberlandesgericht Karlsruhe in einem aktuellen Urteil betont, der Versicherer beweisen, dass der Versicherungsnehmer diesen mündlich nicht zutreffend unterrichtet hat. Denn was dem Agenten in Bezug auf die Antragstellung gesagt und vorgelegt wird, ist dem Versicherer gesagt und vorgelegt worden (§§ 43 Nr. 1 VVG a.F., 166 Abs. 1 BGB), auch wenn der Versicherungsagent es nicht in das Formular aufgenommen hat1. Dass gilt auch insoweit, als der Versicherungsnehmer ergänzende Angaben unterlässt, weil der Agent ihn über die in den schriftlichen Antrag aufzunehmenden Tatsachen falsch unterrichtet2. Beweisen muss der Versicherer auch, dass der Agent die angeblich falsch beantworteten Fragen überhaupt gestellt hat3.

Wenn der Versicherungsvertreter den Gesundheitsfragen ausfüllt…

Regelmäßig wird der Versicherer den ihm obliegenden Beweis durch die Vernehmung des Agenten zu führen versuchen. Das Ausfüllen von Antragsformularen gehört zu den Kernaufgaben des Versicherungsagenten, die im Hinblick auf die rechtliche Tragweite derartiger Angaben besonders wichtig sind. Wenn ein Zeuge hierzu glaubhaft aussagt, dass er sich diesbezüglich immer daran halte, alles Mitgeteilte festzuhalten, und dies nachvollziehbar damit begründet, dass die Gesundheitsprüfung nicht seine Sache sei, so kann dies nicht von vorneherein als denkgesetzlich ausgeschlossen betrachtet werden4. Allerdings verbietet sich auch eine unkritische Übernahme solcher Aussagen.

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Wie die Zeugenaussagen des Versicherungsvertreters zu bewerten sind, schildert das Oberlandesgericht Karlsruhe sodann plastisch:

Der Senat hat in seiner langjährigen Praxis kaum einen Versicherungsagenten vernommen, der einleitend nicht erklärt hätte, sämtliche Formularfragen im Wortlaut vorzulesen und im Antragsbogen alle Antworten ohne eigene Kommentierung einzutragen. Nicht selten ist bereits dem ausgefüllten Formular zu entnehmen, dass diese Praxis zumindest bei dem in Rede stehenden Antragsgespräch nicht befolgt wurde. Der Senat hat auch schon erleben müssen, dass ein Agent trotz mehrfachen Ansetzens sich unfähig erwiesen hat, die Gesundheitsfragen im Termin im Wortlaut bzw. zumindest nicht sinnentstellend vorzulesen. Vielfach hat sich bei näherem Befragen trotz der anfänglichen gegenteiligen Beteuerungen ergeben, dass doch Bewertungen und Belehrungen des Agenten das Ausfüllen des Formulars mitbestimmten. Der Senat hat allerdings auch seine Überzeugungsbildung auf die Aussage des Agenten stützen können, wenn sich aus den Umständen deutliche Hinweise darauf ergeben haben, dass beim Antragsgespräch die Gesundheitsfragen intensiv erörtert wurden.

Letztlich verbieten sich hier Beweisregeln. Maßgebend kann nur die Beweiswürdigung im Einzelfall sein, die selten ohne eine Anhörung auch des Versicherungsnehmers vollständig sein dürfte.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 18. Mai 2010 – 12 U 20/09

  1. BGHZ 116, 387, 389[]
  2. vgl. BGH VersR 2001, 1541; Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl. § 22 Rdn. 6[]
  3. BGH RuS 2005, 10[]
  4. OLG Saarbrücken, VersR 2006, 681[]
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