Wissentliche Pflichtverletzung – und die Berufshaftpflichtversicherung

Für den Ausschlussgrund der Wissentlichkeit der Pflichtverletzung ist der Versicherer darlegungs- und beweispflichtig. Hierfür hat er – wenn es sich nicht um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann – Anknüpfungstatsachen vorzutragen, die als schlüssige Indizien für eine wissentliche Pflichtverletzung betrachtet werden können. Erst wenn dieses geschehen ist, obliegt es dem Versicherungsnehmer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Umstände aufzuzeigen, warum die vorgetragenen Indizien den Schluss auf eine wissentliche Pflichtverletzung nicht zulassen.

Wissentliche Pflichtverletzung – und die Berufshaftpflichtversicherung

Hinsichtlich der zum Schadensersatzanspruch führenden Pflichtverletzung besteht eine Bindungswirkung an das Haftpflichturteil und die dort getroffenen Feststellungen. Damit wird verhindert, dass die im Haftpflichtprozess getroffene Entscheidung und die zugrunde liegenden Feststellungen im Deckungsprozess erneut in Frage gestellt werden können1.

Danach besteht im hier entschiedenen Fall die vom versicherten Insolvenzverwalter verletzte Pflicht in der Begründung von Masseverbindlichkeiten, die schon im Zeitpunkt ihrer Begründung aus der Masse voraussichtlich nicht vollständig erfüllt werden konnten (§ 61 InsO). Allein hierauf ist die Verurteilung im Haftpflichtprozess gestützt. Im Deckungsprozess ist es nicht mehr möglich, eine andere schadenverursachende Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers zugrunde zu legen als dies im Haftpflichtprozess geschehen ist2. Dabei ist allein auf die im Haftpflichtprozess festgestellten tatsächlichen Elemente der Pflichtwidrigkeit abzustellen3.

Hinsichtlich der Wissentlichkeit der somit maßgeblichen Pflichtverletzung bestht keine Bindungswirkung. Dieser Ausschlussgrund ist vielmehr im Deckungsprozess selbständig zu prüfen4.

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Wissentlich handelt nur derjenige Versicherte, der die verletzten Pflichten positiv kennt. Bedingter Vorsatz, bei dem er die in Rede stehende Verpflichtung nur für möglich hält, reicht dafür ebenso wenig aus wie eine fahrlässige Unkenntnis. Es muss vielmehr feststehen, dass der Versicherte die Pflichten zutreffend gesehen hat5.

Darlegungs- und beweispflichtig für die Verwirklichung der subjektiven Tatbestandsmerkmale des Risikoausschlusses ist der Versicherer6. In diesem Rahmen muss vom Versicherer dargelegt werden, der Versicherungsnehmer habe gewusst, wie er sich hätte verhalten müssen.

Diese den Versicherer treffende Darlegungslast wird jedoch unzulässig eingeschäft, indem verlangt wird, der Versicherungsnehmer habe im Rahmen der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast vorzutragen und plausibel zu machen, aus welchen Gründen es zum Verstoß gekommen sei, „bevor“ der Versicherer die Wissentlichkeit darzulegen und zu beweisen habe.

Soweit sich das Oberlandesgericht Celle7 für diese Ansicht auf Urteile anderer Oberlandesgerichte berufen hat8, ist dem zunächst entgegenzuhalten, dass sich eine entsprechende Rechtsauffassung einem Teil der zitierten Urteile nicht entnehmen lässt.

Lediglich das Oberlandesgericht Saarbrücken hat ausgeführt, dass ein Versicherungsnehmer schon aufgrund der bloßen Behauptung des Versicherers, es sei Wissentlichkeit der Pflichtverletzung gegeben, plausibel machen müsse, aus welchen Gründen es zu seinem Fehlverhalten gekommen ist; anderenfalls sei vom Vorliegen dieses Umstands auszugehen9.

Diese Rechtsauffassung trifft jedoch nicht zu. Aus der grundsätzlichen Darlegungs- und Beweislast des Versicherers folgt vielmehr, dass dieser zunächst einen Sachverhalt vorzutragen hat, der auf eine Wissentlichkeit der Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers zumindest hindeutet. Dabei wird der Vortrag weiterer zusätzlicher Indizien dann entbehrlich sein, wenn es sich um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann, so wie dies etwa in einem vom Oberlandesgericht Köln entschiedenen Fall gewesen ist (Pflicht des Rechtsanwalts zur Wahrnehmung von Gerichtsterminen, kein Versäumnisurteil gegen sich ergehen zu lassen und den Mandanten über den Verfahrensstand zu unterrichten10).

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Jenseits der Fälle der Verletzung von beruflichen Kardinalpflichten, in denen vom äußeren Geschehensablauf und dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge geschlossen werden kann, ist es aber Aufgabe des beweispflichtigen Versicherers, Anknüpfungstatsachen vorzutragen, die als schlüssige Indizien für eine wissentliche Pflichtverletzung betrachtet werden können. Erst wenn dieses geschehen ist, obliegt es dem Versicherungsnehmer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Umstände aufzuzeigen, warum die vorgetragenen Indizien den Schluss auf eine wissentliche Pflichtverletzung nicht zulassen.

Erklärungen, die dem Versicherungsnehmer gegebenenfalls im Rahmen sekundärer Darlegungslast obliegen, müssen sich nur auf den fehlenden Vorsatz der Pflichtverletzung beziehen. In keinem Fall obliegt es ihm darzulegen, dass das tatsächliche Handeln auch objektiv gerechtfertigt gewesen ist.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. Dezember 2014 – IV ZR 90/13

  1. BGH, Urteile vom 08.12 2010 – IV ZR 211/07, VersR 2011, 203 unter – II 1 b; vom 24.01.2007 – IV ZR 208/03, VersR 2007, 641 unter – II 1[]
  2. BGH, Urteil vom 20.06.2001 – IV ZR 101/00, VersR 2001, 1103 unter – II 2 b[]
  3. BGH, Urteil vom 08.12 2010 – IV ZR 211/07, VersR 2011, 203 Rn. 13[]
  4. BGH, Urteile vom 24.01.2007 – IV ZR 208/03, VersR 2007, 641 unter – II 2 und 3; vom 28.09.2005 – IV ZR 255/04, VersR 2006, 106 unter – II 2 a; vom 20.06.2001 – IV ZR 101/00, VersR 2001, 1103 unter – II 2 b[]
  5. BGH, Urteil vom 28.09.2005 – IV ZR 255/04, VersR 2006, 106 unter – II 2 b[]
  6. BGH, Urteile vom 20.06.2001 – IV ZR 101/00, VersR 2001, 1103 unter – II 3; vom 05.03.1986 IVa ZR 179/84, VersR 1986, 647 unter 2 d[]
  7. OLG Celle, Urteil vom 31.01.2013 – 8 U 203/12[]
  8. OLG Köln VersR 2012, 560; VersR 1990, 193; OLG Saarbrücken ZfSch 2008, 219; ZfSch 2007, 522; OLG Frankfurt NVersZ 2000, 439; OLG Hamm VersR 2000, 482[]
  9. OLG Saarbrücken ZfSch 2008, 219 unter – II 1 a (2); ZfSch 2007, 522 unter – II 2 c[]
  10. OLG Köln VersR 2012, 560[]
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