Zeugnisverweigerungsrecht des behandelnden Arztes – nach dem Tod des Versicherungsnehmers

Kann der Versicherungsnehmer als Geschützter seinen Willen nicht mehr äußern – was nach seinem Tod der Fall ist – kommt es maßgeblich darauf an, ob er den Arzt mutmaßlich von der Schweigepflicht entbunden hätte.

Zeugnisverweigerungsrecht des behandelnden Arztes – nach dem Tod des Versicherungsnehmers

Dabei ist der Wille des Verstorbenen zu ermitteln. Auf Seiten des Verstorbenen ist dabei kein Interesse an einer Aussage der benannten Ärzte auszumachen, wenn die Beweislast (hier: für den Anfechtungsgrund) bei der Versicherungsgesellschaft liegt. Treffen die Angaben zu den Gesundheitsfragen im Antragsformular und dem Fragebogen zu, so bedarf es aus Sicht des Versicherten hierzu keiner Bestätigung der behandelnden Ärzte. Sind die Angaben unvollständig oder gar falsch, so geht das Interesse des Verstorbenen dahin, dass dies nicht in einer Beweisaufnahme geklärt wird1.

Es ist damit hier nicht von einer mutmaßlichen Entbindung des Arztes von seiner Schweigepflicht auszugehen, weshalb der Arzt zur Zeugnisverweigerung gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO berechtigt ist. Der vom Oberlandesgericht Naumburg2 angesprochene Zweifelsfall liegt hier nicht vor. Das Oberlandesgericht Karlsruhe kann es daher auch im vorliegenden Fall offen lassen, ob und inwieweit bei derartigen Sachverhalten dem die Aussage verweigernden Zeugen eine nachvollziehbare Darlegung seiner Gründe abverlangt werden kann.

Eine tatsächlich erklärte Schweigepflichtentbindung lässt sich auch nicht auf das Antragsformular stützen, soweit dort vom Versicherungsnehmer unter der Rubrik „Schweigepflichtentbindung“ angekreuzt worden ist – „Ich habe mich für eine Einzelermächtigung entschieden (Variante 2)“. Nach dem Inhalt dieses Teils der Erklärung ist eine einzelne Entbindung des Versicherungsnehmers gefordert, die dieser in Anbetracht seines Todes nicht mehr abgegeben kann.

Die Entbindung von der Schweigepflicht kann auch nicht auf die im Falle des Todes und damit im Versicherungsfall wiederum in Bezug genommene Variante 1 der Schlusserklärung gestützt werden. Die Regelung zur Entbindung von der Schweigepflicht im Falle des Todes mit Bezug auf die Regelung nach Variante 1 im formularmäßigen Schlusserklärungstext ist gemäß § 305 Abs. 2 BGB unklar gefasst und ihr Inhalt daher durch Auslegung zu ermitteln.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an3. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind aus sich heraus zu interpretieren. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind4.

Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird die Klausel – Variante 1 der Schlusserklärung – dahin verstehen, dass trotz einer bei Antragsausfüllung nach Variante 1 der Schlusserklärung seitens des Versicherten erteilten Befreiung von der Schweigepflicht diese wiederum unter dem Vorbehalt eines Widerspruchs des Versicherungsnehmers steht und nach dem Wortlaut der Variante 1 die in Variante 1 vorgesehene Regelung zum Widerspruch nach Vertragsschluss „entsprechend“ gelten soll. Damit ist nach Wortlaut und Sinn der Regelung zu prüfen, ob im Todesfall von einer Befreiung von der Schweigepflicht ausgegangen werden kann oder hier ein Widerspruch des Versicherten anzunehmen sein könnte. Letzteres dürfte nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmer dann wiederum der Fall sein, wenn eine Befreiung von der Schweigepflicht zu einem Nachteil für den Versicherten führen könnte. Die Klausel ist mit dem so verstandenen Inhalt wirksam und benachteiligt insbesondere auch den Versicherungsnehmer, der sich bei Ausfüllung des Antragsformulars – wie hier – für eine Einzelermächtigung5 der formularmäßigen Schlusserklärung entschieden hat, nicht. Andernfalls könnte sich die Frage stellen, ob die Regelung in Variante 1 der Schlusserklärung überraschend ist, wenn sich der Versicherungsnehmer in dem Antragsformular für die Einzelermächtigung5 entschieden hat und erst in der formularmäßigen Schlusserklärung für den Todesfall auf die Variante 1 verwiesen wird, ohne dass sich hierzu bereits ein Bezug aus dem Antragsformular entnehmen lässt. Ausgehend von dem durch Auslegung gewonnenen Verständnis der Regelung der Variante 1 in der Schlusserklärung ist hier von einem Widerspruch des Versicherten zur Einvernahme der Zeugen Dr. B. und Dr. Bo. aus den oben zu §§ 383 Abs. 1 Nr. 6, 385 ZPO ausgeführten Gründen auszugehen.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 3. Dezember 2015 – 12 U 57/15

  1. OLG Karslruhe, Beschluss vom 03.09.2014 – 12 W 37/14[]
  2. OLG Naumburg, VersR 2005, 817[]
  3. BGHZ 123, 83, 85[]
  4. BGH WM 2014, 851[]
  5. Variante 2[][]