Die Ablehnung der Genehmigung einer vertragsärztlichen Zweigpraxis ist nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts in jedem Fall gerechtfertigt, wenn zwischen dem Praxissitz und der beabsichtigten Zweigpraxis eine Fahrzeit von mehr als einer Stunde besteht.

Rechtsgrundlage für die Genehmigung von Zweigpraxen ist § 24 Abs 3 Satz 1 Nr 1 und 2 Ärzte-ZV. Nach dieser Regelung, die ihre gesetzliche Grundlage in § 98 Abs 2 Nr 13 SGB V hat, setzt die Genehmigung voraus, dass die Versorgung der Versicherten an dem weiteren Ort verbessert und die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt wird.
In diesem Rahmen ist für den Tatbestand des § 24 Abs 3 Satz 1 Nr 1 Ärzte-ZV unter anderem von Bedeutung, ob der Arzt in der Zweigpraxis auch für Nachbehandlungen und ggf. Notfallbehandlungen in ausreichendem Umfang zur Verfügung steht, was fraglich ist, wenn er in seiner Zweigpraxis nur ein zeitlich sehr begrenztes Angebot plant und wenn er diese geringe Präsenz auch nicht dadurch kompensieren kann, dass er sehr schnell den „weiteren Ort“ im Sinne des § 24 Abs 3 Ärzte-ZV erreicht. Ist beides der Fall, so dürfen die Zulassungsgremien bei der Prüfung der Versorgungsverbesserung als Nachteil werten, dass Nach- und Notfallbehandlungen durch andere Vertragsärzte durchgeführt werden müssten1.
Versorgungsnachteile am Sitz der Hauptpraxis
Diese Berücksichtigung von Versorgungsnachteilen ist in gleicher Weise im Rahmen des Tatbestandes des § 24 Abs 3 Satz 1 Nr 2 Ärzte-ZV möglich und ggf. geboten, wonach der Betrieb der geplanten Zweigpraxis die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Praxissitz nicht beeinträchtigen darf. Es ist zu gewichten, ob die Abwesenheiten des Arztes aufgrund des Betriebs der geplanten Zweigpraxis so nachteilig ins Gewicht fallen, dass deshalb von Beeinträchtigungen der ordnungsgemäßen Versorgung der Versicherten am Praxissitz auszugehen ist. Dabei ist von Bedeutung, ob der Arzt während der Anwesenheit in der Zweigpraxis und der Fahrten dorthin für Nachbehandlungen und ggf. Notfallbehandlungen am Praxissitz nicht im erforderlichen Umfang zur Verfügung steht und hier evtl außerdem für andere Patienten – sofern er der einzige Spezialist am Ort seines Praxissitzes ist – ins Gewicht fallende Versorgungsnachteile entstehen. Dabei spielt eine Rolle, welche Zeitspanne der Arzt benötigt, um vom „weiteren Ort“ im Sinne des § 24 Abs 3 Ärzte-ZV seine Praxis bzw seine Patienten im Einzugsbereich dieser Praxis aufsuchen zu können. Ist dies wegen der Entfernung zwischen beiden Standorten nicht in angemessener Zeit möglich, kann das zur Folge haben, dass Nach- und Notfallbehandlungen am Ort des Vertragsarztsitzes unter Umständen durch andere Vertragsärzte durchgeführt werden müssten, mit der Folge, dass diese die Basisdaten eines vom Arzt am Vertragsarztsitz behandelten Patienten neu erheben müssten (Anamnese, Erstuntersuchung, Labor) und dadurch ein Doppelaufwand und auch vermehrte Kosten entstehen könnten. Sind derartige Nachteile nach lebensnaher Betrachtungsweise zu befürchten, kann das die Schlussfolgerung tragen, dass der Betrieb der geplanten Zweigpraxis die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Praxissitz beeinträchtigt. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Entfernung zwischen Praxissitz und Zweigpraxis sehr groß ist und die Abwesenheit vom Praxissitz Zeiten umfasst, in denen im Bereich der Hauptpraxis üblicherweise praktiziert wird und kein organisierter Notfalldienst besteht.
Eine Beeinträchtigung der Versorgung der Patienten am Praxissitz durch den Betrieb der geplanten Zweigpraxis kann dann angenommen werden, wenn die Entfernung zwischen Praxissitz und Zweigpraxis sehr groß ist und die Abwesenheit vom Praxissitz Zeiten umfasst, in denen im Bereich des Stammsitzes üblicherweise praktiziert wird und kein organisierter Notfalldienst besteht. Bei einer Entfernung zwischen Praxissitz und Zweigpraxis von mehr als 125 km mit einer Fahrzeit von deutlich mehr als einer Stunde können die Probleme bei Nach- und Notfallbehandlungen nicht vernachlässigt werden; denn der Arzt kann seine Abwesenheit vom Praxissitz nicht durch schnelles Herbeikommen aus seiner Zweigpraxis in ausreichendem Ausmaß auffangen. Dies würde möglicherweise dann nicht als Hindernis anzusehen sein, wenn der Vertragsarzt an seinem Praxissitz in einer Berufsausübungsgemeinschaft mit einem weiteren gleichermaßen qualifizierten Kollegen tätig wäre, der dann zur Versorgung zur Verfügung stünde; im hier vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall ist der Kläger indessen in Einzelpraxis tätig.
Reine Diagnosepraxis
Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, die fehlende Möglichkeit zur Durchführung von Nach- und Notfallbehandlungen spiele hier keine Rolle, weil er keine invasiven, sondern nur diagnostische Leistungen erbringe. Denn akuter Bedarf nach einer Behandlung kann sich auch im diagnostischen Bereich unvorgesehen und eilbedürftig ergeben. Erforderlich ist nicht, dass damit häufig zu rechnen ist. Dass Fälle akuten diagnostischen Bedarfs jedenfalls durchaus vorkommen können und auch gelegentlich vorkommen, kann nicht in Abrede gestellt werden und ist auch vom Kläger eingeräumt worden.
Zweigpraxis Freitags nachmittags
Ohne Bedeutung ist weiterhin, dass der Kläger seine Bereitschaft erklärt hat, seine Tätigkeit in der Zweigpraxis auf sechs Stunden in der Woche zu beschränken und sein Behandlungsangebot auf die Zeit ab dem Mittag des Freitag zu konzentrieren. Denn auch dann erfasst seine Abwesenheit von seinem Praxissitz in F. Zeiten, in denen dort üblicherweise praktiziert wird und kein organisierter Notfalldienst besteht. Im Raum F. bieten die Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin, zu denen gemäß der Weiterbildungsordnung auch die Kinder- und Jugendmediziner mit dem Schwerpunkt Kinder-Kardiologie gehören, typischerweise auch noch am Freitagnachmittag Sprechzeiten an; der organisierte Notfalldienst beginnt, wie im Verfahren erörtert worden ist, erst ab 18 Uhr.
Überstunden in der Hauptpraxis
Keine ausschlaggebende Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass der Kläger bereits an den übrigen vier Tagen der Woche Sprechstunden in einem Umfang anbietet, der über die Mindestzahl von 20 Wochenstunden hinausgeht2. Ärzte dürfen zwar die Zahl ihrer Sprechstunden auf die normierte Mindestzahl reduzieren, müssen aber unabhängig davon in weitergehendem Umfang zumindest für Akutversorgungen zur Verfügung stehen. Diese Pflicht tritt nur insoweit zurück, als ein organisierter Notfalldienst zur Verfügung steht.
Auch auf eventuelle Vertretungsmöglichkeiten, wie der Kläger sie in der mündlichen Verhandlung als gewährleistet bezeichnet hat, kommt es nicht an. Für den Rückgriff hierauf ist aufgrund des Gebots der persönlichen Leistungserbringung in den Hauptpraxiszeiten außerhalb der Zeiten des organisierten Notfalldienstes grundsätzlich kein Raum. Die Vorschrift über die Vertretung eines Vertragsarztes ist auf die Fälle berechtigter Abwesenheit durch z.B. Krankheit, Urlaub, Fortbildung usw zugeschnitten (§ 32 Abs 1 Ärzte-ZV).
Bundessozialgericht, Urteil vom 9. Februar 2011 – B 6 KA 7/10 R