m Internet finden sich seit geraumer Zeit verschiedene Portale, auf denen Patienten (im Folgenden: Nutzer) die Möglichkeit gegeben wird, für eine beabsichtigte zahnärztliche Behandlung Angebote verschiedener Zahnärzte einzuholen, um auf diese Weise Kosten zu sparen. Die Teilnahme von Zahnärzten an einem solchen virtuellen Marktplatz hat das Bundesverfassungsgericht nun auch in einem zweiten Beschluss gebilligt:

Ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit bedarf nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG einer gesetzlichen Grundlage, die ihrerseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen an grundrechtseinschränkende Gesetze genügt [1]. Darüber hinaus sind Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie vernünftigen Zwecken des Gemeinwohls dienen und den Berufstätigen nicht übermäßig oder unzumutbar treffen [2], also dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen.
Diesen Anforderungen werden berufsgerichtliche Entscheidungen nicht gerecht, die den Zahnarzt wegen seiner Teilnahme an einem solchen Portal mit einer berufsrechtlichen Sanktion belegen. Es ist nicht mit Art. 12 Abs. 1 GG zu vereinbaren, dass die Gerichte das Fehlen einer persönlichen Untersuchung des Patienten vor der Abgabe der Kostenschätzung als Verletzung einer Berufspflicht beurteilen. Denn es sind keine Gründe des Gemeinwohls zu erkennen, nach denen eine solche Untersuchung im konkreten Fall geboten gewesen wäre.
In dem hier vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall stellte das Landesberufsgericht lediglich pauschal darauf ab, dass das persönliche Verhältnis zwischen Patient und Behandler die Besonderheit der Berufsausübung eines Zahnarztes ausmache. Ein konkreter, sachverhaltsbezogener Grund, warum bereits in diesem Stadium der Anbahnung der Arzt-Patienten-Beziehung ein persönlicher Kontakt vorhanden sein muss, wird nicht genannt und ist auch nicht ersichtlich.
Schon die allgemeine Prämisse der Gerichte, ein sachgerechtes, dem Gebot der Gewissenhaftigkeit entsprechendes Angebot erfordere generell eine vorherige persönliche Untersuchung, vermag das Bundesverfassungsgericht nicht zu überzeugen. Unbeachtet bleibt hierbei bereits, dass auch bei einem per Internet abgegebenen Gebot dem bietenden Zahnarzt zahlreiche Informationen zur Verfügung stehen, die es ihm erlauben, den Schwierigkeitsgrad der Behandlung zutreffend einzuschätzen. So muss der Nutzer, bevor er den Preisvergleich für die Zahnreinigung starten kann, etwa mitteilen, wie viele Zähne ohne Zahnersatz er besitzt, ob bei ihm bereits eine Parodontosebehandlung oder Zahnreinigung durchgeführt wurde und, falls ja, wann dies zuletzt der Fall war. Auch weitere Angaben, zum Beispiel zu Allergien oder sonstigen besonderen Eigenschaften, sind möglich. Warum ein Zahnarzt unter diesen Voraussetzungen nicht in der Lage sein sollte, eine realistische Kostenschätzung abzugeben, leuchtet nicht ein. Dies gilt erst recht, wenn man bedenkt, dass es sich bei einer Zahnreinigung nicht um einen komplexen, besonders individualisierten Eingriff, sondern um eine Standardleistung handelt, die der Zahnarzt in der Regel nicht einmal in eigener Person erbringt.
Nicht hinreichend berücksichtigt wird auch, dass das Bestehen einer persönlichen Beziehung zwischen Zahnarzt und Patient kein Selbstzweck ist, sondern dazu dient, für den Patienten eine sachgerechte, seine Interessen wahrende Behandlung sicherzustellen. Dagegen handelt es sich nicht um ein Erfordernis, das den Zahnarzt vor Konkurrenz durch Kollegen schützen soll. Zwar ist es richtig, dass die Entwicklung eines Vertrauensverhältnisses ein wesentlicher Faktor für die Aufnahme einer zahnärztlichen Behandlung ist. Die Entwicklung eines solchen Vertrauensverhältnisses wird durch die Nutzung der Internetplattform freilich keineswegs ausgeschlossen; denn wenn sich der Patient für einen der Zahnärzte, die auf der Plattform eine Kostenschätzung abgegeben haben, entscheidet, folgt ohnehin eine persönliche Untersuchung, aufgrund der der Zahnarzt nunmehr ein verbindliches Angebot abgibt. Ab diesem Zeitpunkt unterscheidet sich das Behandlungsverhältnis dann auch grundsätzlich nicht mehr von jenen, die auf „traditionelle“ Weise zustande gekommenen sind. Die Internetplattform erleichtert damit letztlich für den Nutzer nur den Preisvergleich und die Kontaktanbahnung. Beides sind aber Aspekte, die dem Patientenschutz nicht entgegenstehen und die daher nicht geeignet sind, eine Beschränkung der Berufsfreiheit zu rechtfertigen.
Dass die Nutzung des Internets als solche im vorliegenden Fall geeignet sein könnte, Gemeinwohlbelange zu beeinträchtigen, ist nicht zu erkennen und wird in den angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen auch nicht dargetan. Ganz im Gegenteil erlaubt allein die Wahl des Mediums Internet es schon im Grundsatz nicht, die Grenzen erlaubter Außendarstellung von freiberuflich Tätigen enger zu ziehen [3]. Auch mit dieser Vorgabe ist die strikte Forderung nach einer persönlichen Untersuchung als Voraussetzung für die Abgabe einer Kostenschätzung, durch die die Nutzung des Mediums für den Bereich des Kostenvergleichs praktisch ausscheiden würde, nicht zu vereinbaren.
Es wird nicht verkannt, dass ein Zahnarzt nach dem Grundprinzip einer Internetplattform, die als „virtueller Marktplatz“ funktioniert, zunächst eine vergleichsweise niedrige Kostenschätzung abgeben muss, um überhaupt die Chance zu haben, von einem Nutzer ausgewählt zu werden. Hieraus alleine folgt jedoch noch keine Beeinträchtigung von Gemeinwohlbelangen, die ein Verbot rechtfertigen könnten. Insbesondere sind auch keine Gemeinwohlbelange ersichtlich, die verlangen, ein gegenseitiges preisliches Unterbieten von Zahnärzten schon als solches zu verhindern. Ob es mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar ist, darüber hinausgehende Verhaltensweisen – zum Beispiel so genannte Lockvogelangebote, also die Methode, einen Patienten mit einem besonders günstigen (nicht kostendeckenden) Angebot mit dem Ziel in die Praxis zu locken, ihm gegenüber weitere lukrativere Leistungen zu erbringen und abzurechnen – als berufsrechtswidrig einzustufen, kann dahingestellt bleiben; denn Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer in dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall ein solches Verhalten zur Last zu legen ist, bestehen nicht. Die generelle Gefahr, dass es zu solchen Angeboten kommen könnte, erlaubt schon unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kein allgemeines Verbot, eine Kostenschätzung über das Internet abzugeben.
Darüber hinaus ist es auch nicht mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, eine im Internet abgegebene Kostenschätzung generell als berufsrechtswidrige Werbung im Sinne von § 21 Abs. 1 BO zu qualifizierten. Es begegnet allerdings keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, die Kostenschätzung als Werbemaßnahme zu behandeln. Ein solches Verhalten erfüllt die Anforderungen für das Vorliegen von Werbung, denn es ist planvoll darauf angelegt, andere dafür zu gewinnen, die eigenen Leistungen in Anspruch zu nehmen [4].
Mit Blick auf den Schutz der Berufsfreiheit durch Art. 12 Abs. 1 GG ist es jedoch nicht haltbar, die Abgabe einer Kostenschätzung im Internet, unabhängig von ihrem konkreten Inhalt, als berufsrechtswidrig einzustufen; denn es fehlt gerade an Gemeinwohlgründen, auf die sich eine solche Grundrechtseinschränkung stützen ließe. Weder ist ersichtlich, dass eine derartige Nutzung des Internets das Vertrauen in die Zahnärzte erschüttern noch dass es zu einer Verunsicherung der Patienten führen könnte, wie die Landeszahnärztekammer in ihrer Stellungnahme befürchtet. Eine Verunsicherung, die auch einen Vertrauensverlust gegenüber den Zahnärzten im Allgemeinen nach sich ziehen mag, setzt zunächst voraus, dass auf Seiten der Patienten fehlerhafte Vorstellungen über die Kostenschätzung und deren Funktion bestehen. Bereits hierfür gibt es aber keine Anhaltspunkte. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass den Nutzern der Internetplattform aufgrund der deutlichen Hinweise auf der Eingangsseite des Portals und in dessen allgemeinen Geschäftsbedingungen bekannt ist, dass die Schätzung unverbindlich ist und eine bindende Kostenaufstellung erst nach einer persönlichen Untersuchung abgegeben werden kann. Die Kostenschätzung hat auch einen klaren Bezugspunkt, nämlich die vom Nutzer nachgesuchte und durch das Portal definierte Leistung. Was hieran Verwirrung stiften oder für den Patienten unverständlich sein könnte, erschließt sich nicht.
Im Übrigen kann gerade nicht unterstellt werden, dass die die Kostenschätzung abgebenden Zahnärzte generell nicht Willens oder in der Lage seien, die Behandlungen auch zu den geschätzten Preisen durchzuführen. Wie schon dargelegt, ist davon auszugehen, dass ihnen mit den von den Nutzern angegebenen Daten hinreichende Informationen, um eine realistische Schätzung der Kosten vornehmen zu können, zur Verfügung stehen. Da eine spätere, nicht auf nachvollziehbaren Gründen beruhende Erhöhung der Kosten nicht nur in der Regel zu einer schlechten Bewertung des betreffenden Zahnarztes führen, sondern auch der Attraktivität des dem Preisvergleich dienenden Internetportals insgesamt schaden würde, dürften zudem weder der Arzt noch die Portalbetreiber ein Interesse an der Einstellung unrealistisch niedriger Schätzungen haben. Schon deswegen ist die Annahme, eine im Internet abgegebene Kostenschätzung sei per se mit der Gefahr der Unsachlichkeit verbunden, weil sie keine „seriösen“ Angaben bieten könne, nicht zu halten.
Schließlich kann eine Berufsrechtswidrigkeit auch nicht mit einem Verstoß gegen § 8 Abs. 5 BO [5] (nunmehr § 2 Abs. 9 BO) begründet werden. Bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen liegen bei verfassungskonformer Auslegung der Bestimmung nicht vor. Das Bundesverfassungsgericht hat schon im Hinblick auf die Versteigerung von rechtsanwaltlichen Beratungsleistungen entschieden, dass die dort vom Rechtsanwalt an das Internetauktionshaus zu zahlende Provision kein Entgelt, das für die Vermittlung von Aufträgen gezahlt wird, darstellt, weil die Provision nicht für die Vermittlung des Auftrags, sondern bloß für die Zurverfügungstellung des Mediums für die Werbung geschuldet wird [6]. Genau so verhält es sich auch hier, denn die Zahlung der Gebühr erfolgt ausschließlich als Gegenleistung für die Nutzung der Internetplattform und die damit zusammenhängenden Dienste, nicht dagegen für die Vermittlung oder Zuweisung eines Patienten.
Aus den vorhergehenden Erwägungen ergibt sich, dass auch § 8 Abs. 1 und 2 BO keine tragfähige Rechtsgrundlage ist, um die Abgabe von Kostenschätzungen im Internet, ohne konkrete Prüfung ihres Inhalts, als unzulässig einzustufen. Anhaltspunkte dafür, die vom Beschwerdeführer abgegebene Kostenschätzung könne aufgrund ihres Inhalts berufswidrig gewesen sein, gibt es, wie bereits dargelegt, nicht.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 8. Dezember 2010 – 1 BvR 1163/09
- vgl. BVerfGE 94, 372, 389 f.; 111, 366, 373; stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 7, 377, 405 f.; 85, 248, 259[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.02.2008 – 1 BvR 1886/06, NJW 2008, 1298, 1299[↩]
- vgl. BVerfGE 111, 366, 378[↩]
- Berufsordnung für Zahnärzte der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.02.2008 – 1 BvR 1886/06, NJW 2008, 1298, 1299 f.[↩]