Zimt ist doch keine Medizin

Vor zweieinhalb Jahren hatte es der Wett­be­werbs­se­nat des Ober­lan­des­ge­richts Hamm einem An­bie­ter aus Ost­west­fa­len un­ter­sagt, von ihm her­ge­stell­te Zimt­kap­seln als so­ge­nann­te diä­te­ti­sche Le­bens­mit­tel zu be­wer­ben und zu ver­trei­ben, denn das an­ge­bo­te­ne Zimt­prä­pa­rat sei wegen sei­ner phar­ma­ko­lo­gi­schen Wir­kung und sei­ner Zweck­be­stim­mung ge­ra­de auch zur Lin­de­rung der Zu­cker­krank­heit als Arz­nei­mit­tel zu qua­li­fi­zie­ren, für das die nö­ti­ge arz­nei­mit­tel­recht­li­che Zu­las­sung fehle.

Zimt ist doch keine Medizin

Dem hat jetzt der Bundesgerichtshof widersprochen: Ein Erzeugnis, dessen Wirkungen durch einen Stoff erzielt werden, der in entsprechender Menge in angemessener Weise auch mit der normalen Nahrung aufgenommen werden kann, kann auch dann als Lebensmittel und nicht als Arzneimittel anzusehen sein, wenn die empfohlene Häufigkeit der Aufnahme (hier: täglich) nicht den üblichen Ernährungsgewohnheiten entspricht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Begriff des Funktionsarzneimittels nach § 2 AMG im Sinne des europarechtlichen Arzneimittelbegriffs nach den Richtlinien 2004/27/EG1 und 2001/83/EG2 zu bestimmen3. Danach sind bei der Beurteilung, ob ein Erzeugnis unter die Definition des Funktionsarzneimittels fällt, alle seine Merkmale und insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen Eigenschaften, wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern sowie die Risiken zu berücksichtigen, die seine Verwendung mit sich bringen kann4. Die pharmakologischen Eigenschaften eines Erzeugnisses sind dabei der Faktor, auf dessen Grundlage – ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten des Erzeugnisses – zu beurteilen ist, ob dieses im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt werden kann5.

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Stoffe, die zwar auf den menschlichen Körper einwirken, sich aber nicht nennenswert auf den Stoffwechsel auswirken und somit dessen Funktionsbedingungen nicht wirklich beeinflussen, dürfen nicht als Funktionsarzneimittel eingestuft werden6. Enthält ein Erzeugnis im Wesentlichen einen Stoff, der auch in einem Lebensmittel in dessen natürlichem Zustand vorhanden ist, so gehen von ihnen keine nennenswerten Auswirkungen auf den Stoffwechsel aus, wenn bei einem normalen Gebrauch des fraglichen Erzeugnisses7 seine Auswirkungen auf die physiologischen Funktionen nicht über die Wirkungen hinausgehen, die ein in angemessener Menge verzehrtes Lebensmittel auf diese Funktionen haben kann8. Es kann dann nicht als ein Erzeugnis eingestuft werden, das die physiologischen Funktionen wiederherstellen, bessern oder beeinflussen könnte9.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat demgemäß die Arzneimitteleigenschaft eines Knoblauchextrakt-Pulvers, das bei angabegemäßer Dosierung dieselbe Menge Allicin enthielt wie 7,4 g roher frischer Knoblauch, mit der Begründung verneint, die physiologischen Wirkungen des Pulvers könnten auch durch den Verzehr der entsprechenden Menge Knoblauch als Lebensmittel erzielt werden10.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. Januar 2010 – I ZR 138/07

  1. vom 31. März 2004[]
  2. vom 6. November 2001[]
  3. BGH, Urteil vom 26.06.2008 – I ZR 61/05, GRUR 2008, 830 Tz. 12, 16 = WRP 2008, 1213 – L-Carnitin II; Urteil vom 26.06.2008 – I ZR 112/05, GRUR 2008, 834 Tz. 14 = WRP 2008, 1209 – HMB-Kapseln[]
  4. EuGH, Urteil vom 09.06.2005 – C-211/03, C-299/03 und C-316/03 bis C-318/03, Slg. 2005, I-5141 = WRP 2005, 863 Tz. 51 – HLH Warenvertrieb und Orthica; Urteil vom 15.11.2007 – C-319/05, Slg. 2007, I-9811 = GRUR 2008, 271 Tz. 55 – Kommission/Deutschland [Knoblauchkapseln]; Urteil vom 15.01.2009 – C-140/07, GRUR 2009, 511 Tz. 37 – Hecht-Pharma/Staatliches Gewerbeaufsichtsamt, vgl. ferner BGHZ 151, 286, 293 – Muskelaufbaupräparate; BGH GRUR 2008, 830 Tz. 18 – L-Carnitin II; GRUR 2008, 834 Tz. 19 – HMB-Kapseln[]
  5. EuGH, Urteil vom 30.04.2009 – C-27/08, GRUR 2009, 790 Tz. 20 = WRP 2009, 728 – BIOS Naturprodukte/Saarland, m.w.N.[]
  6. EuGH GRUR 2008, 271 Tz. 60 – Knoblauchkapseln; GRUR 2009, 511 Tz. 41 – Hecht-Pharma/Staatliches Gewerbeaufsichtsamt; EuGH, Urteil vom 05.03.2009 – C-88/07, ZLR 2009, 321 Tz. 75 – Kommission/Königreich Spanien; BGH GRUR 2008, 830 Tz. 19 – L-Carnitin II; GRUR 2008, 834 Tz. 20 – HMB-Kapseln). Der Begriff des Funktionsarzneimittels soll nur diejenigen Erzeugnisse erfassen, deren pharmakologische Eigenschaften wissenschaftlich festgestellt und die tatsächlich dazu bestimmt sind, eine ärztliche Diagnose zu erstellen oder physiologische Funktionen wiederherzustellen, zu bessern oder zu beeinflussen ((EuGH GRUR 2008, 271 Tz. 61 – Knoblauchkapseln[]
  7. vgl. EuGH GRUR 2009, 790 Tz. 22 – BIOS Naturprodukte/Saarland[]
  8. BGH GRUR 2008, 830 Tz. 19 – L-Carnitin II[]
  9. EuGH GRUR 2008, 271 Tz. 68 – Knoblauchkapseln[]
  10. EuGH, GRUR 2008, 271 Tz. 66 – Knoblauchkapseln[]
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