Beim Gerichtshof der Europäischen Union sind derzeit gegen insgesamt acht Mitgliedsstaaten – darunter auch Deutschland – von der Europäischen Kommission angestrengte Vertragsverletzungsverfahren anhängig, in denen die Kommission bemängelt, dass diese Staaten den Zugang zum Beruf des Notars auf ihre eigenen Staatsangehörigen beschränken. In sechs dieser Verfahren – gegen Belgien, Frankreich, Luxemburg, Österreich, Deutschland und Griechenland hat nun der zuständige Generalanwalt, Cruz Villalon, seine Schlussanträge vorgelegt1. Und der Generalanwalt teilt für zumindest sechs Mitgliedsstaaten die Ansicht der Kommission: Nach seiner Ansicht verstoßen die Mitgliedstaaten gegen ihre Verpflichtungen aus dem EU-Vertrag, indem sie den Zugang zum Beruf des Notars auf ihre eigenen Staatsangehörigen beschränken. Die Teilnahme des Notarberufs an der Ausübung öffentlicher Gewalt kann, so der Generalanwalt, keine unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit rechtfertigen.

In einer erheblichen Zahl von Mitgliedstaaten und insbesondere in den von den vorliegenden Rechtssachen betroffenen Staaten besteht die Hauptaufgabe des Notars in der Beurkundung von Rechtsakten. Der Notar wird auf Ersuchen der Partei tätig und nimmt im Rahmen der Beurkundung eine Prüfung der Rechtmäßigkeit der zu errichtenden verbindlichen Urkunde vor, nachdem er festgestellt hat, dass die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Parteien und alle für die Beurkundung erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind. Die Beurkundung bewirkt, dass der Rechtsakt erhöhte Beweiskraft erlangt und zugleich vollstreckbar wird. Der Notar ist Träger eines öffentlichen Amtes und repräsentiert den Staat, auch wenn seine Tätigkeit als freiberuflich betrachtet wird.
Den vorliegenden Rechtssachen liegt die Fragestellung zugrunde, ob die Funktion des Notars mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden ist. Zum einen sind nach dem Vertrag Tätigkeiten, die dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ausgeschlossen. Zum anderen sieht die Richtlinie 2005/362 vor, dass das von ihr geschaffene Anerkennungssystem diesen Ausschluss nicht berührt, und dies insbesondere in Bezug auf Notare.
Belgien, Frankreich, Luxemburg, Österreich, Deutschland und Griechenland
Mit der ersten Reihe von Vertragsverletzungsklagen beim Gerichtshof der Europäischen Union beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass Belgien, Frankreich, Luxemburg, Österreich, Deutschland und Griechenland durch die Aufstellung eines Staatsangehörigkeitserfordernisses, das den Zugang zum Beruf des Notars auf Personen beschränkt, die die jeweilige Staatsangehörigkeit besitzen, gegen ihre Verpflichtungen aus dem Vertrag und, mit Ausnahme Frankreichs, durch die Nichtumsetzung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen im Hinblick auf den Notarberuf gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2005/36 verstoßen haben.
Zu anderen Berufen hat der Gerichtshof insoweit bisher festgestellt, dass diese nicht unmittelbar und spezifisch an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnahmen. Die Tätigkeit des Notars ihrerseits nimmt zwar an der Ausübung öffentlicher Gewalt teil, doch hält es der Generalanwalt in seinen heutigen Schlussanträgen dennoch für erforderlich, festzustellen, in welchem Umfang ein solches Staatsangehörigkeitserfordernis unter Berücksichtigung des Ausmaßes der mit der notariellen Tätigkeit verbundenen Teilnahme an der öffentlichen Gewalt zur Erreichung der verfolgten Ziele erforderlich ist.
Der Generalanwalt untersucht zunächst, ob der Notarberuf an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnimmt. Er weist dazu darauf hin, dass vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit nur jene Tätigkeiten ausgeschlossen werden können, die, in sich selbst betrachtet, eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt darstellen, und dieser Ausschluss dem Beruf als Ganzem nur in den Fällen zugute kommen kann, in denen sich die Tätigkeiten der öffentlichen Gewalt nicht von den übrigen Tätigkeiten trennen lassen. Ferner ist nach Ansicht des Generalanwalts für die Beurteilung, ob eine Tätigkeit an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnimmt, die Art ihres Verhältnisses zur Staatsordnung das entscheidende Kriterium.
Der Notarberuf nimmt in diesem Sinne allgemein und als Ganzes unmittelbar und spezifisch an der Ausübung öffentlicher Gewalt teil, weil die Beurkundung Handlungen, Verfügungen und Verhaltensweisen, die sonst nicht mehr rechtlichen Wert hätten als die Äußerung eines privaten Willens, eine eigene öffentliche Qualität verleiht und in allen beklagten Staaten den unabtrennbaren Kern der notariellen Tätigkeit darstellt.
Sodann analysiert der Generalanwalt, ob diese Teilnahme an der Ausübung der öffentlichen Gewalt ein Staatsangehörigkeitserfordernis für den Zugang zum Beruf des Notars rechtfertigen kann. Er weist dazu darauf hin, dass der Umstand, dass eine Tätigkeit vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ausgenommen ist, die Mitgliedstaaten nicht von der Einhaltung des Unionsrechts befreit. In diesem Sinne ist die erwähnte Maßnahme, da sie die notarielle Tätigkeit und somit eine aus natürlichen Personen bestehende Gruppe betrifft, im Licht der Unionsbürgerschaft zu prüfen, die Personen Freizügigkeit gewährt, wenn die wirtschaftlichen Freiheiten nicht zur Anwendung gelangen.
Da ein Staatsangehörigkeitserfordernis die Staatsangehörigkeit als negativen Tatbestand verwendet, d. h. die Staatsangehörigkeit als einen Grund für die Versagung des Zugangs zu einer Tätigkeit, stellt eine solche Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit einen schweren Eingriff in die Sphäre des Unionsbürgers dar, der nur nach einer strengen Prüfung seiner Verhältnismäßigkeit zulässig wäre.
Der Generalanwalt bemerkt dazu, dass keine der Garantien und Besonderheiten des Notarberufs eine so schwerwiegende und drastische Maßnahme rechtfertigt wie eine unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Insbesondere was den Eid betrifft, den Notare vor der Aufnahme ihrer Tätigkeit ablegen, erfordert nach Ansicht des Generalanwalts der Begriff der Loyalität nicht notwendigerweise eine Verbindung im Sinne der Staatsangehörigkeit.
Im Ergebnis ist der Generalanwalt der Auffassung, dass der Vertrag in Anbetracht der konkreten Gegebenheiten des Notarberufs eine staatliche Maßnahme, die Personen, die Zugang zu diesem Beruf wünschen, aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert, nicht zulässt, weil eine solche Maßnahme nach dem Intensitätsgrad, mit dem diese Tätigkeit an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnimmt, unverhältnismäßig ist. Er schlägt daher dem Gerichtshof vor, festzustellen, dass die sechs Mitgliedstaaten dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem Vertrag verstoßen haben, dass sie den Zugang zum Notarberuf ihren Staatsangehörigen vorbehalten haben.
Was schließlich einen Verstoß gegen die Richtlinie 2005/36 anbelangt, weist der Generalanwalt darauf hin, dass es im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens Sache der Kommission ist, zu beweisen, dass der Staat gegen Unionsrecht verstoßen hat. Nach Ansicht des Generalanwalts hat jedoch die Kommission zur Anwendbarkeit der Richtlinie auf den Notarberuf keine ausreichenden Argumente vorgetragen, so dass der Gerichtshof die Klage im Übrigen abweisen müsste.
Portugal
Anders beurteilt der Generalanwalt dagegen die Situation in Portugal: Auch hier begehrt die Europäische Kommission, eine Vertragsverletzung Portugals festzustellen, und zwar abweichend von den vorstehend behandelten Rechtssachen ausschließlich wegen des Bestehens eines den Anforderungen der Richtlinie 2005/36 widersprechenden Systems des Berufszugangs. Obwohl nämlich in Portugal kein Staatsangehörigkeitserfordernis vorgesehen ist, ist der Zugang zum Beruf an vier Voraussetzungen geknüpft, darunter das Erfordernis eines nach portugiesischem Recht anerkannten Hochschulabschlusses in Rechtswissenschaften, die Absolvierung eines Praktikums und das Bestehen der Zugangsprüfung des Conselho do Notariado (Notariatsrat).
Zunächst wendet Generalanwalt Cruz Villalón die in den vorhergehenden Rechtssachen entwickelte Argumentation auf den Fall Portugals an. Seiner Ansicht nach nimmt auch im Rahmen des portugiesischen Notariats die Beurkundung unmittelbar und spezifisch an der Ausübung öffentlicher Gewalt teil, so dass festzustellen ist, dass der Notarberuf, da die Beurkundung den unabtrennbaren Kern der notariellen Tätigkeit darstellt, allgemein und als Ganzes unmittelbar und spezifisch an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnimmt.
Ferner weist der Generalanwalt darauf hin, dass der Umstand, dass die Richtlinie den Ausschluss der an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilhabenden Tätigkeiten vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit unberührt lässt, bedeutet, dass in diesen Fällen die Ausnahme anwendbar ist und daher die Bestimmungen der Richtlinie nicht anzuwenden sind. Da somit das portugiesische Notariat unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden ist, ist der Generalanwalt der Ansicht, dass Portugal nicht verpflichtet war, die Richtlinie 2005/36 im Hinblick auf den Notarberuf umzusetzen, und daher ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie nicht verletzt hat.
Im Ergebnis schlägt der Generalanwalt dem Gerichtshof vor, die Vertragsverletzungsklage gegen Portugal abzuweisen.
Gerichtshof der Europäischen Union, Schlussanträge des Generalanwalts
– C-47/08 [Kommission/Belgien],
– C-50/08, [Kommission/Frankreich],
– C-51/08 [Kommission/Luxemburg]
– C-53/08 [Kommission/Österreich],
– C-54/08 [Kommission/Deutschland],
– C-61/08 [Kommission/Griechenland] und
– C-52/08 [Kommission/Portugal]
- daneben ist beim EuGH noch ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren wegen der gleichen Frage gegen die Niederlande anhängig – C-157/09[↩]
- Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. L 255, S. 22), mit der die Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ABl. L 19, S. 16), aufgehoben wurde.[↩]