§ 15 a RVG stellt lediglich die bereits unter § 118 Abs. 2 BRAGO geltende und mit Einführung des RVG nicht geänderte Rechtslage klar, wonach sich die Gebührenanrechnung im Verhältnis zu Dritten und damit insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich nicht auswirkt1.

Mit diesen klaren Worten distanziert sich nun der zweite BGH-Senat im Nachhinein von der Anrechnungsrechtsprechung.
Nach der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz sollte Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG so zu verstehen sein, dass eine entstandene Geschäftsgebühr unter der Voraussetzung, dass es sich um denselben Gegenstand handelt, teilweise auf die spätere Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen sei. Durch diese Anrechnung verringere sich die erst später nach Nr. 3100 VV RVG angefallene Verfahrensgebühr, während die zuvor bereits entstandene Geschäftsgebühr von der Anrechnung unangetastet bleibe2.
Dieser Auffassung des VIII. Zivilsenats, die in Instanzrechtsprechung und Literatur auf Kritik gestoßen ist3, haben sich zwischenzeitlich mehrere Senate des Bundesgerichtshofs angeschlossen4.
Der Gesetzgeber hat auf diese Entwicklung in der Rechtsprechung einiger Senate des Bundesgerichtshofs sowie die dagegen geäußerte Kritik reagiert und in dem mit Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des am 4. August 2009 verkündeten Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30. Juli 20095 eingeführten § 15 a Abs. 2 RVG geregelt, dass ein Dritter sich auf eine im Gesetz vorgesehene Gebührenanrechnung nur berufen kann, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in denselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden. § 15 a RVG ist gemäß Art. 10 des vorgenannten Gesetzes am Tag nach der Verkündung in Kraft getreten.
Eine ausdrückliche Übergangsregelung hat der Gesetzgeber nicht angeordnet. Infolgedessen ist streitig geworden, ob § 15 a RVG auch auf sog. Altfälle Anwendung findet6.
Wohl überwiegend wird in § 15 a RVG eine bloße Klarstellung der bestehenden Gesetzeslage gesehen7.
Nach der Gegenansicht ist durch § 15 a RVG die Rechtslage geändert worden, so dass diese Vorschrift gemäß § 60 Abs. 1 RVG für Altfälle keine Anwendung findet8.
Nach einer vermittelnden Meinung hat § 15 a Abs. 2 RVG zwar das geltende Recht geändert. Dennoch findet diese Vorschrift ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens auch auf Altfälle Anwendung, denn die Übergangsvorschrift des § 60 Abs. 1 RVG greife hier nicht. Diese behandle die Berechnung der Vergütung des Anwalts, nicht jedoch die Frage, was ein Dritter zu ersetzen habe. Geregelt sei in § 60 RVG daher allein das Verhältnis des Anwalts zu seinem Auftraggeber und nicht das des Letztgenannten zu einem ersatzpflichtigen Dritten9.
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshiofs schließt sich nunmehr der erstgenannten, auch vom II. Zivilsenat des BGH befürworteten Sichtweise an:
Der Gesetzgeber hat mit § 15 a RVG das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz nicht geändert, sondern lediglich die seiner Ansicht nach bereits zuvor bestehende Gesetzeslage klargestellt. Danach betreffen Anrechnungsvorschriften grundsätzlich nur das Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandant. Gegenüber dem Gegner musste und muss daher die Verfahrensgebühr auch dann in voller Höhe festgesetzt werden, wenn schon eine Geschäftsgebühr entstanden war. Sichergestellt wird durch § 15 a Abs. 2 RVG lediglich, dass ein Dritter nicht mehr zu erstatten hat, als der gegnerische Anwalt von seinem Mandanten verlangen kann.
Bereits unter Geltung der BRAGO entsprach es allgemeiner Meinung, dass die Anrechnungsbestimmung nur den Rechtsanwalt im Innenverhältnis zu seinem Mandanten hindere, nebeneinander sowohl die Geschäfts- als auch die Prozessgebühr zu beanspruchen, die Anrechnung der vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr nach § 118 Abs. 2 BRAGO auf die im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren angefallene Prozessgebühr (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO) jedoch im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sei10.
Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Celle11 belegen auch die Beschlüsse des I. Zivilsenats des BGH vom 20. Oktober 200512, des VII. Zivilsenats vom 27. April 200613 und des X. Zivilsenats vom 30. Januar 200714, dass sich daran ebenfalls nach Inkrafttreten des RVG nichts ändern sollte. Zwar ging es in diesen Entscheidungen nicht um die Frage der Anrechnung gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG im Kostenfestsetzungsverfahren. Vielmehr befassen sie sich mit der Frage, ob der nicht anrechenbare Teil der Geschäftsgebühr aus Gründen der Prozessökonomie im Kostenfestsetzungsverfahren mit festgesetzt werden kann bzw. ob er im Falle separater Geltendmachung im Erkenntnisverfahren streitwerterhöhend wirkt. Ein solcher nicht anrechenbarer Teil der Geschäftsgebühr ergibt sich jedoch nur, wenn sich nicht im Rahmen der Kostenfestsetzung gegenüber dem Gegner infolge der nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vorzunehmenden Anrechnung die Verfahrensgebühr verringert, sondern die Geschäftsgebühr. Denn eine Reduzierung der Verfahrensgebühr würde dazu führen, dass die Geschäftsgebühr nicht nur zum Teil, sondern stets in voller Höhe bestehen bliebe.
Nach dem Wortlaut des § 118 Abs. 2 BRAGO war die „Geschäftsgebühr … auf die entsprechenden Gebühren für ein anschließendes gerichtliches … Verfahren anzurechnen“. Das RVG brachte gegenüber § 118 Abs. 2 BRAGO insoweit eine Änderung, als nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG nur noch eine teilweise Anrechnung zu erfolgen hat. Beibehalten wurde jedoch die Systematik der Anrechnungsregelung, denn auch nach dem Wortlaut von Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ist die „Geschäftsgebühr … auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens“ anzurechnen.
Den Gesetzesmaterialien zum RVG lässt sich ebenfalls nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber an dem bisher ungeminderten Ansatz der Prozessgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren mit der Einführung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes etwas ändern wollte. Die Gesetzesbegründung nimmt vielmehr ausdrücklich Bezug auf § 118 Abs. 2 BRAGO, ohne die damalige Praxis zu missbilligen. Lediglich der Umfang der Anrechnung sollte geändert und – das Vermittlungsverfahren nach § 52 a FGG a.F. ausgenommen – vereinheitlicht werden15. Hätte der Gesetzgeber mit dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz die bisherige Rechtslage nicht nur hinsichtlich der Höhe, sondern auch der Richtung der Anrechnung ändern wollen, so hätte er Entsprechendes in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebracht.
Dementsprechend hat der Gesetzgeber das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz nicht durch den neu eingefügten § 15 a RVG – etwa im Sinne einer Wiederherstellung der unter der BRAGO geltenden Rechtslage – geändert, sondern lediglich die seiner Ansicht nach bereits bestehende Gesetzeslage klargestellt, derzufolge die Anrechnung gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG grundsätzlich nur das Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandant betrifft und sich im Verhältnis zu Dritten, also insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht auswirkt16. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber die Konstellationen präzisiert, in denen sich auch ein Dritter ausnahmsweise auf die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere berufen kann.
Das folgt aus Gesetzesgeschichte und Gesetzesmaterialien zu § 15 a RVG17. Der Entwurf der Bundesregierung zu einem Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und kostenrechtlicher Vorschriften18 vom 17. Dezember 2008 sah eine neue Regelung in dem hier fraglichen Punkt des RVG noch nicht vor.
Ausweislich der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses19 sollte der bisher nicht im Gesetz definierte Begriff der Anrechnung in § 15a RVG legaldefiniert werden, um unerwünschte Auswirkungen zum Nachteil des Auftraggebers zu vermeiden und den mit der Anrechnung verfolgten Gesetzeszweck, dass der Rechtsanwalt für eine Tätigkeit nicht doppelt honoriert wird, zu wahren. In der nachfolgenden Einzelbegründung20 führt der Rechtsausschuss weiter aus, dass das Verständnis des Bundesgerichtshofs von der Anrechnungsregelung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG zu unbefriedigenden Ergebnissen führe, die den Absichten zuwider liefen, die der Gesetzgeber mit dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz verfolgt habe. Ziel der Neuregelung in § 15 a RVG sei es daher, den mit den Anrechnungsvorschriften verfolgten Gesetzeszweck zu wahren, zugleich aber unerwünschte Auswirkungen zum Nachteil des Auftraggebers zu vermeiden.
Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung keine Änderung der Rechtslage vornehmen, sondern nur eine in der Rechtsprechung entstandene Auslegung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes, die seiner Intention nicht entsprach, unterbinden und das schon bisher nach seinem Willen unter dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz in Anlehnung an die Praxis zu § 118 Abs. 2 BRAGO geltende Recht klarstellen wollte.
Nachdem somit in § 15 a RVG keine Gesetzesänderung gesehen werden kann, sondern nur eine vom Gesetzgeber gewollte Klarstellung der geltenden Rechtslage, ist von dieser Rechtslage auszugehen. Einer Anrufung des Großen Senats für Zivilsachen bedarf es trotz der bisher abweichenden Auslegung der Anrechnungsregelung gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG durch andere Senate des Bundesgerichtshofs deshalb nicht mehr16. Eben so wenig liegt ein Fall der Rückwirkung vor.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 9. Dezember 2009 – XII ZB 175/07
- Anschluss an BGH, Beschluss vom 02.09.2009 – II ZB 35/07, ZIP 2009, 1927[↩]
- vgl. BGH Urteile vom 07.03.2007 – VIII ZR 86/06, NJW 2007, 2049, 2050; vom 14.03.2007 – VIII ZR 184/06, NJW 2007, 2050, 2052; und vom 11.07.2007 – VIII ZR 310/06, NJW 2007, 3500 f.; sowie BGH, Beschluss vom 22.01.2008 – VIII ZB 57/07, FamRZ 2008, 878, 879; zustimmend Peter NJW 2007, 2298, 2299; Streppel MDR 2007, 929, 930 f.; a.A. noch BGH Beschlüsse vom 20.10.2005 – I ZB 21/05, NJW-RR 2006, 501, 502, vom 27.04.2006 – VII ZB 116/05, FamRZ 2006, 1114; und vom 30.01.2007 – X ZB 7/06, VersR 2007, 1102[↩]
- vgl. KG, MDR 2008, 1427; KG, JurBüro 2008, 304, 305 f.; OLG Karlsruhe, AGS 2007, 494, 495; Ruess, MDR 2007, 1401, 1402 ff.; Schons, AGS 2007, 284 f.; Hansens, RVGreport 2008, 121 f., 127[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 30.04.2008 – III ZB 8/08, FamRZ 2008, 1346; vom 14.08.2008 – I ZB 103/07, AGS 2008, 574; vom 24.09.2008 – IV ZB 26/07; und vom 25.09.2008 – VII ZB 93/07[↩]
- BGBl. I S. 2449[↩]
- offen gelassen in BGH, Beschlüsse vom 09.09.2009 – Xa ZB 2/09; und vom 29.09.2009 – X ZB 1/09[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 02.09.2009 – II ZB 35/07, ZIP 2009, 1927, 1928; OLG Koblenz AGS 2009, 420, 421; OLG Düsseldorf AGS 2009, 372, 373; OLG Stuttgart AGS 2009, 371, 372; OLG Köln Beschluss vom 14.09.2009 – 17 W 195/09; LG Saarbrücken, Beschluss vom 03.09.2009 – 5 T 434/09; AG Bremen, Beschluss vom 22.09.2009 – 9 C 213/09; OVG Münster, AGS 2009, 447, 448; VG Osnabrück, Beschluss vom 03.09.2009 – 5 A 273/08; Nickel, FamRB 2009, 324 f.; Henke, AnwBl. 2009, 709; Hansens, AnwBl. 2009, 535, 540; Enders, JurBüro 2009, 393, 400; Kallenbach, AnwBl. 2009, 442; siehe auch AG Wesel, AGS 2009, 312[↩]
- vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19.10.2009 – 2 W 280/09; OLG Celle, OLGR 2009, 749, 751 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 25.09.2009 – 25 W 333/09; OLG Bamberg, Beschluss vom 15.09.2009 – 4 W 139/09; KG Beschlüsse vom 13.10.2009 – 27 W 98/09; und vom 10.09.2009 – 27 W 68/09; KG, Beschluss vom 13.08.2009 – 2 W 128/09; OLG Frankfurt, Beschluss vom 10.08.2009 – 12 W 91/09; VG Ansbach, Beschluss vom 23.09.2009 – AN 19 M 08.30392; siehe auch OLG Hamm, AGS 2009, 445; sowie LAG Hessen AGS 2009, 373[↩]
- vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 13.08.2009 – 3 W 793/09; und LG Berlin, AGS 2009, 367, 369 f.; ebenso wohl auch OLG München, Beschluss vom 13.10.2009 – 11 W 2244/09[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 14.09.2004 – VI ZB 22/04, VersR 2005, 707; BGH, Urteil vom 11.12.1986 – III ZR 268/85, WM 1987, 247, 248; OLG München, FamRZ 2008, 531; OLG Schleswig, AnwBl. 1997, 125; OLG Frankfurt, AnwBl. 1985, 327; Müller-Rabe, NJW 2009, 2913; Tomson, NJW 2007, 267, 268; Ruess, MDR 2007, 1401; Peter, NJW 2007, 2298, 2299; Gerold/ Schmidt/v.Eicken/Madert BRAGO 15. Aufl. § 118 Rdn. 27 f.[↩]
- vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19.10.2009 – 2 W 280/09[↩]
- I ZB 21/05 – NJW-RR 2006, 501, 502[↩]
- VII ZB 116/05, FamRZ 2006, 1114[↩]
- X ZB 7/06, VersR 2007, 1102[↩]
- BT-Drs. 15/1971, S. 209[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 02.09.2009 – II ZB 35/07, ZIP 2009, 1927, 1928[↩][↩]
- zweifelnd BGH, Beschluss vom 29.09.2009 – X ZB 1/09[↩]
- BT-Drs. 16/11385[↩]
- BT-Drs. 16/12717, S. 2[↩]
- BT-Drs. 16/12717, S. 58[↩]