Ist die mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters erfolgte Befriedigung von Altverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren anfechtbar? Mit dieser Frage musste sich jetzt der Bundesgerichtshof befassen:

Eine Anfechtung der Befriedigung der Altverbindlichkeit der Schuldnerin mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 oder § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO kommt schon im Hinblick auf die Bindung des vorläufigen Insolvenzverwalter an seine Zusage, die Erfüllung nicht anzufechten, nicht in Betracht. Die nach Verfahrenseröffnung gleichwohl erklärte Anfechtung verstößt gegen Treu und Glauben. Ein Fall, in dem der vorläufige Insolvenzverwalter berechtigt ist, aufgrund der wirtschaftlichen Machtstellung des Gläubigers trotz des zunächst aufgegebenen Widerstands gegen die Befriedigung einer Altforderung diese später als endgültiger Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren anzufechten, ist nicht gegeben.
Der Insolvenzverwalter ist grundsätzlich berechtigt, die Erfüllung von Altverbindlichkeiten nach den Regeln der Deckungsanfechtung auch dann anzufechten, wenn er einer Rechtshandlung des Schuldners zugestimmt hat, durch die gesetzliche Ansprüche oder Altverbindlichkeiten erfüllt werden, ohne dass dies mit einer künftig zu erbringenden eigenen Leistung des Gläubigers in Zusammenhang steht1. Dies wird insbesondere damit begründet, dass § 55 Abs. 2 InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter ohne allgemeine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis keine entsprechende Anwendung findet. Dieser hat – ebenso wie der Sequester nach altem Recht – keine den Befugnissen des endgültigen Insolvenzverwalters derart angenäherte Rechtsstellung, dass eine Anfechtung der Rechtshandlungen des Schuldners, denen er zugestimmt hat, von vornherein ausscheidet. Die Anfechtung ist vielmehr nur dann ausgeschlossen, wenn der vorläufige Verwalter mit Zustimmungsvorbehalt durch sein Handeln einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand gesetzt hat und der Empfänger der Leistung demzufolge nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) damit rechnen durfte, ein auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr entziehbares Recht erhalten zu haben. Dies trifft grundsätzlich auch für Rechtshandlungen zu, welche die Tilgung von Altverbindlichkeiten zum Gegenstand haben2. An dieser Rechtsauffassung hält der Bundesgerichtshof fest.
Einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand begründet der vorläufige Verwalter in der Regel dann, wenn er Verträgen vorbehaltlos zustimmt, die der Schuldner mit dem Gläubiger nach Anordnung von Sicherungsmaßnahmen geschlossen und in denen er im Zusammenhang mit an das Schuldnerunternehmen zu erbringenden Leistungen des Gläubigers Erfüllungszusagen für Altverbindlichkeiten gegeben hat. Wegen der Einbindung des vorläufigen Verwalters in den Vertragsschluss darf der Gläubiger davon ausgehen, die als Erfüllung geleisteten Zahlungen endgültig behalten zu dürfen. Sie können ihm daher auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr im Wege der Anfechtung entzogen werden3.
Im Streitfall hat der Insolvenzverwalter einen entsprechenden schutzwürdigen Vertrauenstatbestand geschaffen, indem er an der Vereinbarung der Schuldnerin mit der Gläubigerin über die Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen vom 16.03.2009 mitgewirkt hat. Der Insolvenzverwalter hat zwar in seinem Begleitschreiben vom 16.03.2009 noch darauf hingewiesen, keine Verzichtserklärung für den endgültigen Insolvenzverwalter abgeben zu können. Dies entbindet ihn aber nicht von seiner Zustimmung zu der Vereinbarung vom 16.03.2009. Der Insolvenzverwalter hat darüber hinaus eingeräumt, in einem späteren Telefongespräch dem Geschäftsführer der Gläubigerin vor dessen Unterzeichnung der Vereinbarung vom 16.03.2009 erklärt zu haben, nicht anzufechten, wenn er selbst zum Insolvenzverwalter bestellt werde. Jedenfalls durch die Erläuterung des Begleitschreibens in dem Telefonat wurde bei der Gläubigerin ein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründet, dass sie die erhaltene Leistung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht wieder zurückgewähren müsse. Die Gläubigerin hat sich auf diese Erklärung verlassen, indem sie die Belieferung des Insolvenzverwalters zu den ursprünglich vereinbarten Preisen fortgesetzt und einer Reduzierung des Umfangs der zu liefernden Steine zugestimmt hat.
Der Insolvenzverwalter, der die Erfüllung von Altverbindlichkeiten anficht, die mit neuen Leistungen des Gläubigers an den Schuldner vertraglich verknüpft worden sind, handelt allerdings nicht treuwidrig, sofern der Gläubiger die Zustimmung des vorläufigen Verwalters nur aufgrund seiner wirtschaftlichen Machtstellung gegen dessen zunächst erklärten Widerstand durchsetzen konnte. Ein solcher Fall liegt hier nach dem festgestellten Sachverhalt nicht vor.
Hat der vorläufige Verwalter vor Erteilung der Zustimmung deutlich zum Ausdruck gebracht, er halte den vom Gläubiger erstrebten Vorteil nicht für gerechtfertigt, weil dem kein über die Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen hinausgehender zusätzlicher Nutzen der Masse gegenüber stehe, und war der Verwalter im Hinblick darauf, dass ihm zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs keine andere Wahl blieb, letztlich gezwungen, dem Begehren des anderen Teils nachzugeben, so ist kein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand begründet worden. In einem solchen Fall darf der Gläubiger nach Treu und Glauben keinen Vorteil daraus ziehen, dass der vorläufige Verwalter den zunächst entgegengebrachten Widerstand ersichtlich allein aus wirtschaftlichen Zwängen aufgegeben hat. Eine allein durch Ausnutzung besonderer Marktstärke bewirkte Zustimmung des vorläufigen Verwalters führt daher unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht dazu, die Anfechtung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auszuschließen. Entsprechende Tatsachen muss der Insolvenzverwalter darlegen und beweisen. Da er durch seine Zustimmung zum Vertrag regelmäßig einen Vertrauenstatbestand begründet, liegt es an ihm, die Umstände vorzutragen, die dem Vertragspartner im Einzelfall eine Berufung auf Treu und Glauben verwehren4.
Dies kommt etwa in Betracht, wenn ohne die Leistung des Lieferanten mit Mitteln der zukünftigen Masse bereits geschaffene Werte vernichtet werden – etwa weil ein kurz vor der Fertigstellung stehendes Werk wegen eines fehlenden Teils nicht vollendet werden kann, das nur der Vertragspartner liefern kann – und dadurch für die Gesamtheit der Gläubiger ein erheblicher Verlust entsteht. Geht es hingegen nur darum, Erschwernisse für eine Betriebsfortführung abzuwenden, die beispielsweise daraus resultieren, dass ein anderer Lieferant gesucht oder mit dem Auftraggeber über eine Vertragsänderung verhandelt werden muss, sind die bereits erbrachten Leistungen des Schuldners aber im Übrigen – sei es auch als Teilleistungen – abrechenbar und bewirkt der Ausfall des Anfechtungsgegners ansonsten keine nachhaltige Schädigung der (künftigen) Insolvenzmasse, ist eine Durchbrechung des Vertrauensschutzes, den der vorläufige Insolvenzverwalter mit seiner Zustimmung zu einer Befriedigung von Altforderungen geschaffen hat, nicht gerechtfertigt. Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn er zur Frage der Anfechtung nicht nur geschwiegen, sondern dem Anfechtungsgegner ausdrücklich erklärt hat, in keinem Fall anfechten zu wollen, wenn er selbst zum Insolvenzverwalter bestellt werde. Unter diesen Voraussetzungen ist eine Anfechtung allenfalls dann denkbar, wenn der Verzicht auf die Leistungen des Anfechtungsgegners zu einem für die Gesamtheit der Gläubiger unerträglichen Ergebnis geführt hätte.
Der Vortrag des Insolvenzverwalters reicht nicht aus, um eine entsprechende Zwangslage darzutun. Allein die Befürchtung, eine Auswechselung des Lieferanten könnte zu abweichenden Farb- und Qualitätsmerkmalen und in deren Folge zu Schwierigkeiten mit der Auftraggeberin, der Stadt K. , führen, genügt nicht, um dem Insolvenzverwalter das Recht einzuräumen, trotz der erklärten Zustimmung zu der auf besonderer vertraglicher Absprache beruhenden Erfüllung der Altverbindlichkeiten diese ausnahmsweise nachträglich anzufechten. Gleiches gilt, soweit das Berufungsgericht seine Entscheidung darauf stützt, der Insolvenzverwalter habe unter dem Druck der Drohung der Gläubigerin gehandelt, die Preise im Fall einer weiteren Belieferung mit Steinen zu erhöhen. Hierin sind allenfalls Erschwernisse der Betriebsfortführung zu sehen, die es nicht rechtfertigen, den Insolvenzverwalter von seiner Zusage zu entbinden, die Befriedigung der Altverbindlichkeiten nicht anzufechten.
Soweit der Insolvenzverwalter vorgetragen hat, andere Steinbruchunternehmen, die den mit der Stadt K. vereinbarten Granit hätten liefern können, seien hierzu nicht bereit gewesen, kommt es hierauf nicht an. Schon aus dem Umstand, dass es andere Lieferanten gab, die für die Gläubigerin hätten einspringen können, folgt, dass diese keine marktbeherrschende Stellung hatte, die es für die Masse unabdingbar erscheinen ließ, den Vertrag mit der Gläubigerin auch unter Inkaufnahme der Befriedigung von Altverbindlichkeiten aufrechtzuerhalten. Notfalls hätte der Insolvenzverwalter auch die Möglichkeit gehabt, die von der Schuldnerin schon erbrachten Leistungen abzurechnen und auf eine Weiterführung der Arbeiten zu verzichten. Eine vollständige Entwertung der Arbeiten der Schuldnerin wäre selbst in diesem Fall nicht eingetreten.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 10. Januar 2013 – IX ZR 161/11