7½ Jahre

Und noch ein zweites Mal hat sich der Bundesgerichtshof mit der Frage einer Haftung wegen Verletzung der elterlichen Aufsichtspflicht befassen müssen. Sein Urteil bei einem 7 1/2 Jahre alten Kind:

7½ Jahre

Normal entwickelten Kindern im Alter von 7½ Jahren ist im Allgemeinen das Spielen im Freien auch ohne Aufsicht gestattet, wenn die Eltern sich über das Tun und Treiben in großen Zügen einen Überblick verschaffen.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH bestimmt sich das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes sowie danach, was den Eltern in ihren jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann. Entscheidend ist, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Dabei kommt es für die Haftung nach § 832 BGB stets darauf an, ob der Aufsichtspflicht nach den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falles genügt worden ist1. Entscheidend ist also nicht, ob der Erziehungsberechtigte allgemein seiner Aufsichtspflicht genügt hat; entscheidend ist vielmehr, ob dies im konkreten Fall und in Bezug auf die zur widerrechtlichen Schadenszufügung führenden Umstände geschehen ist2.

Nach diesen Grundsätzen fand es der BGH revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht Bochum als Berufungsgericht die Erfüllung der elterlichen Aufsichtspflicht seitens der Beklagten als ausreichend angesehen hat:

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Bei der Prüfung, ob die Eltern ihrer Aufsichtspflicht nachgekommen sind, ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts der Maßstab eines normal entwickelten Kindes im Alter von 7 Jahren und 7 Monaten anzuwenden. Umstände, die im Hinblick auf die Person des Kindes zu einer gesteigerten Aufsichtspflicht führen könnten, macht die Revision nicht geltend. Dem Berufungsgericht ist, so der BGH, darin zuzustimmen, dass bei dem zugrunde zu legenden Entwicklungsstand das unbeaufsichtigte Spielenlassen auf einem Spielplatz auch über einen Zeitraum von bis zu zwei Stunden in Verbindung mit der Belehrung, den Spielplatz nicht zu verlassen, unter dem Gesichtspunkt der Aufsichtspflicht grundsätzlich nicht zu beanstanden ist.

Der BGH hat in seiner Parallelentscheidung vom gleichen Tage zu dem jüngeren Mitschädiger ausgeführt, dass bereits Kinder in einem Alter von fünf Jahren ohne ständige Überwachung im Freien, etwa auf einem Spielplatz oder Sportgelände oder in einer verkehrsarmen Stra-ße auf dem Bürgersteig, spielen dürfen und dabei nur gelegentlich beobachtet werden müssen. Dabei ist regelmäßig ein Kontrollabstand von höchstens 30 Minuten ausreichend, um das Spiel von bisher unauffälligen fünfjährigen Kindern außerhalb der Wohnung bzw. des elterlichen Hauses zu überwachen3.

Dies gilt erst recht für bereits in größerem Maße in die Selbständigkeit entlassene Kinder im Alter von sieben bis acht Jahren. In diesem Alter ist weder eine Überwachung „auf Schritt und Tritt“ noch eine regelmäßige Kontrolle in kurzen, etwa halbstündigen Zeitabständen wie bei kleineren Kindern erforderlich. Grundsätzlich muss Kindern in diesem Alter, wenn sie normal entwickelt sind, das Spielen im Freien auch ohne Aufsicht in einem räumlichen Bereich gestattet sein, der den Eltern ein sofortiges Eingreifen nicht ermöglicht. Zum Spiel der Kinder gehört auch, Neuland zu entdecken und zu „erobern“. Dies kann ihnen, wenn damit nicht besondere Gefahren für das Kind oder für andere verbunden sind, nicht allgemein untersagt werden. Vielmehr muss es bei Kindern dieser Altersstufe, die in der Regel den Schulweg allein zurücklegen, im Allgemeinen genügen, dass die Eltern sich über das Tun und Treiben in großen Zügen einen Überblick verschaffen, sofern nicht konkreter Anlass zu besonderer Aufsicht besteht. Andernfalls würde jede vernünftige Entwicklung des Kindes, insbesondere der Lernprozess im Umgang mit Gefahren, gehemmt4. Von diesen Grundsätzen ist im Streitfall auszugehen, weil keine Umstände vorliegen, die aufgrund der Entwicklung des Kindes oder der Ausgestaltung des Spielplatzes eine andere Bewertung erfordern würden.

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Da es insbesondere von den Eigenheiten des Kindes und seinem Erziehungsstand abhängt, in welchem Umfang allgemeine Belehrungen und Verbote ausreichen oder deren Beachtung auch überwacht werden muss (vgl. BGH, Urteile vom 19. November 1963 – VI ZR 96/63 – aaO; vom 10. Juli 1984 – VI ZR 273/82 – aaO)), reichte es für die Erfüllung der elterlichen Aufsichtspflicht insoweit aus, dass die Beklagten ihren Sohn stets angehalten haben, fremdes Eigentum zu achten.Ein Kind, das dahin belehrt wurde, keine fremden Sachen zu beschädigen, kann auch verstehen, dass es ein Auto nicht mit einer Glasscherbe beschädigen darf. Da die Eltern über den Aufenthaltsort ihres Kindes jedenfalls im Wesentlichen informiert waren und das Kind zusätzlich angewiesen haben, den Parkplatz nicht zu betreten, haben sie das getan, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen unternehmen müssen, um eine Schädigung Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Eine darüber hinausgehende Belehrung dahin, dass durch ein Kratzen mit einer Glasscherbe an einem Autoblech regelmäßig ein erheblicher Schaden entsteht und das Kind in der Nähe von Autos nicht mit Bällen, Ästen, Steinen zu spielen und/oder zu werfen und Autos insbesondere nicht zu bemalen oder zu zerkratzen habe, war auch in einer größeren Wohnanlage mit einem Parkplatz nicht erforderlich. Bei einem Kind im Alter von 7 oder 8 Jahren kann man jedenfalls nach der hier erfolgten Belehrung die Einsichtsfähigkeit voraussetzen, dass diese Handlungen nicht vorgenommen werden dürfen.

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Schließlich liegt eine Aufsichtspflichtverletzung auch nicht deswegen vor, weil das Kind – möglicherweise entgegen einer Anweisung seiner Eltern – in einem Gebüsch in der Nähe des Parkplatzes Verstecken gespielt hat. Beim Versteckspielen im Gebüsch handelt es sich um ein typisches kindliches Verhalten, das in der Nähe eines Spielplatzes üblich ist und bei dem hier gegebenen Alter kein Eingreifen der Eltern erfordert. Aus diesem typischen kindlichen Verhalten ergibt sich keine erhöhte Gefahrenlage, auch wenn dies in der Nähe eines Parkplatzes erfolgt. Insbesondere muss die Aufsichtsperson nicht damit rechnen, dass in der Folge die hier vorliegenden unerlaubten Handlungen begangen werden.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 24. März 2009 – VI ZR 199/08

  1. vgl. BGHZ 111, 282, 285; Urteile vom 11. Juni 1968 – VI ZR 144/67 – VersR 1968, 903; vom 10. Juli 1984 – VI ZR 273/82 – VersR 1984, 968, 969; vom 1. Juli 1986 – VI ZR 214/84 – VersR 1986, 1210, 1211; vom 7. Juli 1987 – VI ZR 176/86 – VersR 1988, 83, 84; vom 19. Januar 1993 – VI ZR 117/92 – VersR 1993, 485, 486[]
  2. vgl. BGHZ 111, 282, 285; Urteile vom 24. November 1964 – VI ZR 163/63 – VersR 1965, 137, 138; vom 11. Juni 1968 – VI ZR 144/67 – aaO; vom 27. November 1979 – VI ZR 98/78 – VersR 1980, 278, 279[]
  3. vgl. auch BGH, Urteile vom 19. März 1957 – VI ZR 29/56 – VersR 1957, 340, 341; vom 19. November 1963 – VI ZR 96/63 – VersR 1964, 313, 314; Bernau NZV 2008, 329 f.; Scheffen/Pardey, Schadensersatz bei Unfällen mit Minderjährigen, 2. Aufl., B Rn. 270; Staudinger/Belling/Eberl-Borges, BGB, Neubearbeitung 2008, § 832 Rn. 61, jeweils m.w.N.[]
  4. vgl. BGH, Urteile vom 10. Juli 1984 – VI ZR 273/82 – aaO m.w.N.; vom 7. Juli 1987 – VI ZR 176/86 – aaO; vom 18. März 1997 – VI ZR 91/96 – VersR 1997, 750[]
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