Anhörung im Vollstreckungsschutzverfahren

Im Verfahren auf Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO kann die Anhörung einer Partei in entsprechender Anwendung der §§ 375, 451 ZPO durch einen beauftragten oder ersuchten Richter erfolgen. Dies kommt nicht in Betracht, wenn Gesichtspunkte eine Rolle spielen, die nur aufgrund eines unmittelbaren Eindrucks von der Anhörung zutreffend beurteilt werden können.

Anhörung im Vollstreckungsschutzverfahren

Die Frage, in welcher Form die von einem mit mehreren Richtern besetzten Spruchkörper für erforderlich gehaltene Anhörung einer Partei zu erfolgen hat, ist in der Zivilprozessordnung weder für Verfahren mit obligatorischer mündlicher Verhandlung noch für Verfahren mit – wie im Vollstreckungsverfahren – freigestellter mündlicher Verhandlung ausdrücklich geregelt. Für nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) zu betreibende Verfahren ist es anerkannt, dass die Anhörung eines Verfahrensbeteiligten nicht notwendig vor allen Mitgliedern des Spruchkörpers erfolgen muss1. Entsprechendes gilt nach §§ 375, 451 ZPO für die Vernehmung eines Zeugen oder einer Partei. Dagegen ist für die Parteianhörung nach § 141 ZPO im Zivilprozess umstritten, ob diese zwingend vor dem Prozessgericht zu erfolgen hat2 oder vor dem beauftragten oder ersuchten Richter stattfinden kann3. Begründet wird die zwingende Anhörung vor dem Prozessgericht damit, dass sie Teil der mündlichen Verhandlung ist und die Vorschrift des § 141 ZPO keine Anhörung vor dem beauftragten oder ersuchten Richter vorsieht.

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Die unterschiedliche Handhabung bei der Zeugenund Parteivernehmung sowie der Anhörung nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit einerseits und der Parteianhörung nach der Zivilprozessordnung andererseits überzeugt allerdings nicht. Die Zeugen- und Parteivernehmung dienen der Beweiserhebung und damit dem Ziel, den Wahrheitsgehalt von Parteibehauptungen zu ermitteln. Die Parteianhörung nach § 141 ZPO ist dagegen in erster Linie darauf gerichtet, den Sachverhalt aufzuklären, Lücken und Unklarheiten im Parteivortrag zu beheben und den Streitstand festzustellen. Daneben kann in bestimmten Prozesskonstellationen eine Parteianhörung zur Wahrung der Chancengleichheit einer Partei im Zivilprozess erforderlich sein4. Damit überschneidet sich die Parteivernehmung mit der Parteianhörung, wenn deren Ergebnis im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO berücksichtigt wird5. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Parteianhörung, deren Zweck in der Aufklärung und Vervollständigung des Streitstoffs und der Ermittlung des der Entscheidung zugrunde zu legenden Sachverhalts besteht, zwingend vor dem Gericht erfolgen muss, während die Durchführung der Beweisaufnahme, die zur Ermittlung der Wahrheit oder Unwahrheit von Prozessbehauptungen erforderlich ist, einem beauftragten oder ersuchten Richter übertragen werden kann. Die Frage, ob die Parteianhörung in einem Verfahren mit notwendiger mündlicher Verhandlung vor dem Prozessgericht erfolgen muss, braucht vorliegend allerdings nicht abschließend entschieden zu werden. Für das Verfahren nach § 765a ZPO ist eine mündliche Verhandlung vor dem Beschwerdegericht fakultativ. Jedenfalls in einem solchen Fall braucht die Parteianhörung nicht zwingend vor dem Gericht zu erfolgen, sondern kann einem beauftragten oder ersuchten Richter übertragen werden.

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Die Anhörung durch einen von dem Spruchkörper beauftragten Richter setzt allerdings in entsprechender Anwendung von § 375 Abs. 1a, § 451 ZPO voraus, dass diese Verfahrensweise zur Vereinfachung der Verhandlung zweckmäßig erscheint und außerdem von vornherein anzunehmen ist, dass das Ergebnis der Anhörung auch ohne unmittelbaren Eindruck von deren Verlauf sachgemäß gewürdigt werden kann6. Dementsprechend darf das Ergebnis der Anhörung durch den beauftragten Richter nicht verwertet werden, wenn Gesichtspunkte eine Rolle spielen, die nur aufgrund eines unmittelbaren Eindrucks von der Parteianhörung zuverlässig beurteilt werden können.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. Januar 2016 – I ZB 12/15

  1. vgl. BGH, Beschluss vom 17.06.2010 – V ZB 127/10, NVwZ 2010, 1318 Rn. 12 bis 15; Beschluss vom 09.11.2011 – XII ZB 286/11, NJW 2012, 317 Rn. 31[]
  2. vgl. RG SeuffArch 64 (1909), 242, 243; OLG Braunschweig, SeuffArch 55 (1900), 461, 462; Wieczorek/Schütze/Schmid, ZPO, 4. Aufl., § 141 Rn. 44; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 141 Rn. 26; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 36. Aufl., § 141 Rn. 2; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 12. Aufl., § 141 Rn. 11; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 141 Rn. 6[]
  3. vgl. OLG Köln, MDR 1986, 152; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 74. Aufl., § 141 Rn. 12[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2013 – VI ZR 325/11, NJW 2013, 2601 Rn. 10[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 16.07.1998 – I ZR 32/96, NJW 1999, 363, 364; BGH, NJW 2013, 2601 Rn. 11[]
  6. vgl. BGH, NVwZ 2010, 1318 Rn. 13[]
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