Ausgangspost in der Anwaltskanzlei – und die Fristenkontrolle

Ein Rechtsanwalt darf regelmäßig anfallende Büroarbeiten auf zuverlässige Mitarbeiter delegieren. Hierzu gehört grundsätzlich auch die Erledigung der ausgehenden Post. Der Rechtsanwalt hat aber in diesen Fällen durch allgemeine, unmissverständliche Anordnungen dafür zu sorgen, dass Fehler nach Möglichkeit vermieden werden.

Ausgangspost in der Anwaltskanzlei – und die Fristenkontrolle

Deswegen muss der Rechtsanwalt eine allgemeine Weisung erteilen, dass die Erledigung fristgebundener Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages von einer dazu beauftragten Bürokraft ausgehend von den Eintragungen im Fristenkalender nochmals selbstständig überprüft wird1.

Die allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze dient nicht nur der Überprüfung, ob sich schon aus den Eintragungen im Fristenkalender noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben, sondern soll darüber hinaus klären, ob in einer im Fristenkalender als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung tatsächlich noch aussteht2.

Das erfordert die Anweisung an das Büropersonal, anhand der Ausgangspost und gegebenenfalls der Akten zu überprüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden sind3.

Soweit vertreten wird, nach Rechtsprechung des XII. Zivilsenats könne sich der Rechtsanwalt, anstatt eine abendliche Fristenkontrolle anzuordnen, damit begnügen, seine Angestellten nach der Absendung fristgebundener Schriftsätze zu fragen, und müsse Unstimmigkeiten nur dann nachgehen, wenn er mit den Angaben der Angestellten nicht zufrieden sei, lässt sich dies den dafür in Anspruch genommenen Entscheidungen4 nicht entnehmen. Soweit diese Entscheidungen die abendliche Ausgangskontrolle betreffen, wird vielmehr betont, dass allgemeine Nachfragen des Rechtsanwalts an zuverlässige Angestellte zur Erledigung fristgebundener Schriftsätze nicht davon entlasten, die gebotene abendliche Ausgangskontrolle entweder durch die allgemeine Kanzleiorganisation5 oder durch eine ausdrückliche Einzelanweisung sicherzustellen6.

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Diese von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gestellten Anforderungen hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall schuldhaft nicht erfüllt:

Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich nicht, dass zur Durchführung der abendlichen Ausgangskontrolle den Kanzleiangestellten eine ordnungsgemäße Weisung erteilt worden ist, wonach die damit konkret betrauten Büroangestellten die tatsächliche Absendung des fristwahrenden Schriftsatzes in allen Fällen anhand der Ausgangspost, hier dem Sendebericht des Telefax, und gegebenenfalls anhand der Akten nochmals überprüfen mussten.

Die konkrete Nachfrage des Prozessbevollmächtigten des Klägers bei der Rechtsanwaltsfachangestellten W. war nicht geeignet, diesen Organisationsmangel auszugleichen, da sie sich nicht auf die gebotene erneute abendliche Kontrolle der Erledigung fristgebundener Schriftsätze, sondern auf die Erinnerung der Angestellten an die ursprüngliche Bearbeitung des Postausgangs im Laufe des Tages bezog.

Dieser Organisationsmangel des Prozessbevollmächtigten des Klägers war für die Fristversäumnis ursächlich. Hätte in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers die gebotene Anordnung zur Durchführung der beschriebenen allabendlichen Ausgangskontrolle bestanden, wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der zuständigen Mitarbeiter7 die Berufungsbegründungsfrist nicht versäumt worden. Bei einer ggf. anhand der Akten durchgeführten Prüfung, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichnete Berufungsbegründungsschrift tatsächlich abgesandt worden war, wäre vor Ablauf der nach dem Vortrag des Klägers im Fristenkalender ordnungsgemäß eingetragenen Berufungsbegründungsfrist aufgefallen, dass ein Sendeprotokoll des Telefaxgeräts zur Absendung des Schriftsatzes nicht vorliegt und folglich dieser auch nicht per Telefax an das zuständige Gericht abgesandt worden war.

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Die Ursächlichkeit des Organisationsverschuldens des Prozessbevollmächtigten für die Fristversäumnis des Klägers wird nicht dadurch aufgehoben, dass zusätzlich eine seiner Mitarbeiterinnen auf Nachfrage irrtümlich die Absendung des fristgebundenen Schriftsatzes während des Tages bestätigt hat. Denn die Verantwortung eines Rechtsanwalts für den verspäteten Eingang eines Schriftsatzes wird nicht dadurch beseitigt, dass auch seine Mitarbeiter gegen ihre Pflichten verstoßen und so zur Unzulässigkeit eines Rechtsmittels mit beitragen. Für die Kausalität zwischen schuldhafter Pflichtverletzung und Fristversäumung, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt, genügt Mitursächlichkeit8.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18. Juni 2019 – XI ZB 28/18

  1. BGH, Beschlüsse vom 04.11.2014 – VIII ZB 38/14, WM 2014, 2388 Rn. 8 f.; vom 09.12 2014 – VI ZB 42/13, NJW-RR 2015, 442 Rn. 8; vom 26.02.2015 – III ZB 55/14, WM 2015, 782 Rn. 8; vom 25.04.2017 – XI ZB 18/16 10; und vom 20.11.2018 – XI ZB 31/17 13[]
  2. BGH, Beschlüsse vom 02.03.2000 – V ZB 1/00, NJW 2000, 1957; vom 04.11.2014, aaO Rn. 10; vom 25.04.2017, aaO; und vom 20.11.2018, aaO[]
  3. BGH, Beschlüsse vom 04.11.2014, aaO Rn. 13; vom 15.12 2015 – VI ZB 15/15, WM 2016, 1558 Rn. 8; vom 25.02.2016 – III ZB 42/15, WM 2016, 563 Rn. 10; vom 10.08.2016 – VII ZB 17/16, NJW-RR 2016, 1403 Rn. 17; vom 25.04.2017 – XI ZB 18/16, Rn. 10; vom 25.04.2017, aaO; und vom 20.11.2018, aaO[]
  4. BGH, Beschlüsse vom 08.12 1993 XII ZB 155/93, Rn. 10; vom 12.04.1995 XII ZB 38/95, Rn. 18; und vom 18.10.1995 XII ZB 123/95, Rn. 11[]
  5. vgl. BGH, Beschluss vom 08.12 1993, aaO Rn. 11[]
  6. BGH, Beschluss vom 18.10.1995, aaO Rn. 10 f.[]
  7. vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 15.12 2015 – VI ZB 15/15, WM 2016, 1558 Rn. 11 mwN[]
  8. BGH, Beschluss vom 19.12 2017 – XI ZB 16/17, FamRZ 2018, 610 Rn. 10 mwN[]
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