Auch wenn der Ausdruck „islamische Sprechpuppe“ persönlichkeitsverletzend ist, erreicht er noch nicht die strenge Grenze der Formalbeleidigung. Dagegen sind Äußerungen wie „Gestapo Chefin“, „Nazi“, „Faschistin“ und „staatsfeindliche Verbrecherin“ als Schmähkritik und Formalbeleidigungen so grob ehrverletzend, dass Auskünfte zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche zu erteilen sind.

So hat das Oberlandesgericht Stuttgart in den hier vorliegenden Fällen über Beschwerden der Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg gegen Entscheidungen des Landgerichts Stuttgart [1] entschieden. Dieses hatte in erster Instanz die Auskunfts- und Unterlassungsansprüche der Antragstellerin wegen beleidigender Äußerungen von Facebook-Nutzern und youtube-Kommentatoren teilweise zurückgewiesen.
Am 24. Juni 2020 hatte die Präsidentin des Landtags nach einem Ordnungsruf den Abgeordneten Dr. Fiechtner von der Sitzung ausgeschlossen und das Hausrecht mit Hilfe der Polizei durchgesetzt. Dabei liegt den beiden Beschlüssen 4 W 54/20 und 4 W 56/20 mit der Beteiligten Facebook Ltd. zugrunde, dass der Abgeordnete am gleichen Tag auf seinem Facebookprofil berichtet hatte, dass er „Klage gegen Aras und den Landtag vor dem Verfassungsgerichtshof“ eingereicht habe. Dies wurde von einer Facebook-Nutzerin u.a. damit kommentiert, dass „diese islamische Sprechpuppe schon mal gar nicht in ein deutsches Parlament gehört“.
Die Antragstellerin begehrt in diesen beiden Beschwerdesachen von Facebook eine datenschutzrechtliche Erlaubnis für eine Auskunft über Bestands- und Nutzerdaten des Profils der o.g. Nutzerin sowie die Untersagung der Löschung dieser Daten. Bei den Aussagen der zu identifizierenden Nutzerin handle es sich um Beleidigungen im Sinne des § 185 Strafgesetzbuch.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart waren die Auskunftsansprüche der Beschwerdeführerin insoweit zurückzuweisen und die Entscheidungen des Landgerichts [2] zu bestätigen: Die Aussage in den Beiträgen der Nutzerin verletze zwar die Persönlichkeitsrechte der Antragstellerin, die Grenzen der Schmähkritik, Formalbeleidigung oder Menschenwürdeverletzung seien allerdings noch nicht erreicht. Die Aussage sei auf der Grundlage der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts [3] nach einer Abwägung noch als zulässige Meinungsäußerung hinzunehmen. Es könne hier nicht von einer sog. Schmähkritik ausgegangen werden, bei der die bloße Diffamierung der Person und das grundlose Verächtlichmachen derselben gewollt sei, ohne irgendwie nachvollziehbaren Bezug zu einer sachlichen Auseinandersetzung. Vielmehr habe die Aussage einen eindeutigen Bezug zu einer Auseinandersetzung über den Sitzungsausschluss des Landtagsabgeordneten. Zwar sei der gerügte Ausdruck „islamische Sprechpuppe“ persönlichkeitsverletzend, erreiche aber noch nicht die strenge Grenze der Formalbeleidigung.
Weiter hat das Oberlandesgericht nach einer ausführlichen Abwägung zwischen der in einer Ehrverletzung liegenden Persönlichkeitsverletzung und der Meinungsäußerungsfreiheit aber ausdrücklich eine Verrohung der Sprache in den sozialen Medien und den Verfall politischer Sitten verurteilt. Dies ändere nach der o.g. Entscheidung des BVerfG jedoch nichts daran, dass die Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit nicht verschoben werden dürften, weil Anstands- und Ehrvorstellungen auch einer (deutlichen) Mehrheit der Gesellschaft hierzu nicht geeignet seien.
Im Verfahren 4 W 55/20 wurde die Verpflichtung von google zur Auskunft über Verkehrs- und Nutzungsdaten von Nutzern und deren e‑mail- und IP-Adressen begehrt. Dem liegt zugrunde, dass der Abgeordnete Dr. Fiechtner nach seinem Sitzungsausschluss auch ein Video über seinen Auftritt im Landtag über die Plattform youtube online gestellt hatte, zu dem diverse Kommentare verschiedener Nutzer verfasst wurden. In diesen Kommentaren wird die Landtagspräsidentin u.a. als „Gestapo Chefin“, „Nazi“, „Faschistin“ und „staatsfeindliche Verbrecherin“ bezeichnet.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart seien die hier genannten Bezeichnungen als Schmähkritik und Formalbeleidigungen so grob ehrverletzend, dass bei einer Abwägung die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts überwiege. Die begehrten Auskünfte sind daher zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche der Landtagspräsidentin aufgrund der rechtswidrigen und strafrechtlich relevanten Kommentare dieser Nutzer von google zu erteilen. Aus diesen Gründen hat das Oberlandesgericht entsprechend § 14 Abs. 3 Telemediengesetz (TMG) google zur Auskunft über die Nutzerdaten der o.g. Kommentatoren verpflichtet. Nur hinsichtlich weniger Kommentare (u.a. „unverschleiert“ und „arabisches Tanzpüppchen“) verneinte der Beschwerdesenat einen Auskunftsanspruch der Landtagspräsidentin zu den jeweiligen Nutzerdaten der Kommentatoren des youtube-Videos.
Weiterhin hat das Oberlandesgericht Stuttgart die Anschlussbeschwerde von google gegen die bereits erstinstanzlich erfolgte Verpflichtung zur Herausgabe von Nutzerdaten weiterer beleidigender Kommentatoren überwiegend zurückgewiesen und der Landtagspräsidentin auch insoweit Recht gegeben.
Oberlandesgericht Stuttgart, Beschlüsse vom 8. September 2020 – 4 W 54/20 und 4 W 56/20; Beschluss vom 12. Oktober 2020 – 4 W 55/20