§ 33 Absatz 1 RVG ist auf außergerichtliche Vergleiche nicht anzuwenden. Dies gilt auch dann, wenn dieser außergerichtliche Vergleich zur Beendigung eines Klageverfahrens führt.

Berechnen sich die Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert oder fehlt es an einem solchen Wert, setzt das Gericht gemäß § 33 Abs. 1 RVG den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf Antrag durch Beschluss selbstständig fest.
Bereits der Wortlaut dieser Vorschrift legt eine Anwendung auf außergerichtliche Vergleiche nicht nahe. Diese trifft eine Regelung für den Fall, dass sich die „Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren“ nicht nach dem für die Gerichtsgebühren geltenden Wert richten oder ein solcher Wert fehlt. Ein solcher liegt hier nicht vor. Der außergerichtliche Vergleich gehört nicht zum gerichtlichen Verfahren, wenn dieses auch den Anlass für die Vergleichsverhandlungen und den Abschluss des privaten Vertrages gegeben haben mag1.
Auch der Zweck der Norm legt es nicht nahe, ihren Anwendungsbereich auf außergerichtliche Vergleiche auszudehnen. Will ein Rechtsanwalt seine Gebühren gegenüber seinem Mandanten geltend machen oder in dessen Auftrag die Erstattung durch einen Dritten erreichen, muss er im Regelfall Klage erheben, zu deren Begründung auch Ausführungen zum Geschäftswert zu machen und die tatsächlichen Anknüpfungstatsachen für die Wertfestsetzung ggf. zu beweisen sind. Von diesem regelmäßig gebotenen Vorgehen – das dem Rechtsanwalt ebenso wie anderen Dienstleister, etwa Steuerberatern, eröffnet ist – macht das Gesetz insoweit eine Ausnahme, als es in gerichtlichen Verfahren vorsieht, dass das Gericht den Geschäftswert festsetzt (§ 33 RVG) und in den Verfahren nach § 11 RVG bzw. §§ 104 ff. ZPO Anwaltsgebühren gegen den Mandanten oder den Gegner festsetzt. Das beruht letztlich darauf, dass sich das Gericht im Rahmen der sachlichen Befassung mit einer Klage ohnehin mit deren Gegenstand befassen muss und daher zu einer Wert- und Kostenfestsetzung leicht in der Lage ist. Schließen die Parteien – sei es auch anlässlich eines gerichtlichen Verfahrens – einen außergerichtlichen Vergleich, liegt eine vergleichbare Situation nicht vor: Das Gericht müsste sich – allein zur Wert, Gebühren- oder Kostenfestsetzung – mit Gegenständen befassen, zu deren sachlicher Befassung der Rechtsstreit keinen Anlass gibt. Um den Wert eines außergerichtlichen Vergleichs feststellen zu können, müsste es Erhebungen darüber anstellen, welche möglichen Ansprüche zwischen den Parteien ernsthaft im Streit standen, welchen Wert sie hatten und ob sie durch den außergerichtlichen Vergleich erledigt worden sind.
Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass das Gericht zu einem solchen Vorgehen auch genötigt ist, wenn die Parteien vor ihm einen Vergleich schließen und dabei – wie es nicht selten geschieht – über den Gegenstand des Rechtsstreits hinausgehen. In diesem Fall ist das Gericht zwar nicht genötigt, sich mit den mitverglichenen Gegenständen in gleicher Weise zu befassen, als wenn es über die Ansprüche selbst zu entscheiden hätte. Bevor es einen Vergleich beurkundet, wird es aber zumindest zu prüfen haben, ob die Regelungen gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder die guten Sitten (§ 138 BGB) verstoßen oder – etwa bei unklaren Formulierungen oder nicht vollstreckbaren Inhalten – Anlass zu einem gerichtlichen Hinweis (§ 139 ZPO) geben. Der hiermit verbundene Aufwand löst auch eine gerichtliche Mehrvergleichsgebühr (KV GKG Nr. 1900) aus, die bei einem außergerichtlichen Vergleich nicht anfällt.
Auch die Gesetzgebungsgeschichte spricht eher dafür, § 33 Absatz 1 RVG auf außergerichtliche Vergleiche nicht anzuwenden. Die Begründung des Regierungsentwurfs2 zu § 10 BRAGO, der dem jetzigen § 33 RVG entsprach, verweist hinsichtlich des Zwecks der Regelung auf zwei in der Begründung zu § 9 BRAGO genannte Fallgruppen; dabei handelt es sich zum einen um Fälle persönlicher Gebührenfreiheit der Parteien, zum anderen um Fallgestaltungen, in denen ein Gerichtsbeschluss über den Streitwert wegen sachlicher Gebührenfreiheit oder streitwertunabhängiger Gerichtsgebühren nicht zu ergehen hat.
In diese Fallgruppen lässt sich der außergerichtliche Vergleich weder einordnen noch steht er ihnen nahe.
Der in anderen obergerichtlichen Entscheidungen und der Literatur vertretenen gegenteilige Auffassung – die die Anwendbarkeit des § 33 Absatz 1 RVG auf außergerichtliche Vergleiche teilweise ohne nähere Begründung voraussetzt3 – vermag sich das Oberlandesgericht nicht anzuschließen.
Das OVG Berlin-Brandenburg4 hält dem Wortlautargument entgegen, dass § 33 Absatz 1 RVG zwar an ein gerichtliches Verfahren anknüpfe, die Festsetzung inhaltlich aber nicht auf rechtshängige Ansprüche beschränke. Dem ist insoweit zu folgen, als das Gericht bei Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs auch nicht rechtshängige Ansprüche zu bewerten hat. Das ändert aber nichts daran, dass der Gesetzeswortlaut keinen Anhalt dafür bietet, dass in dem privilegierten Verfahren nach § 33 Absatz 1 RVG auch anwaltliche Tätigkeiten bewertet werden sollen, die im gerichtlichen Verfahren ihren Ursprung haben mögen, aber ohne gerichtliche Mitwirkung und damit außerhalb des Verfahrens stattfinden5.
Eine andere Beurteilung ist auch dann nicht geboten, wenn der außergerichtliche Vergleich nach dem Vortrag der Parteien ausschließlich Ansprüche betroffen hat, die im gerichtlichen Verfahren als Haupt- oder Hilfsantrag geltend gemacht worden sind. Wird – wie hier – ein gerichtliches Verfahren durch Klagerücknahme beendet, tritt die aufschiebende Bedingung, unter die Hilfsanträge gestellt sind, nicht ein; das Gericht hat daher zu einer sachlichen Befassung mit dem Gegenstand der Hilfsanträge keinen Anlass.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 12. August 2015 – 12 W 10/15
- in ähnlicher Richtung OLG Koblenz FamRZ 2015, 432 6[↩]
- BT-Drs. 2/2545, S. 231 f.[↩]
- etwa OVG Hamburg, Beschluss vom 11.02.2013, juris; LAG Düsseldorf JurBüro 1993, 165; Gerold/Schmidt, RVG, 20. Auflage, § 33, Rn. 5; Baumgärtel/Hergenröder/Houben, RVG, 16. Auflage, § 33, Rn. 2; a. A. LAG BW Beschluss vom 25.07.2011 5 Ta 77/1135ff, differenzierend OLG Düsseldorf JurBüro 1993, 153[↩]
- OVG Berlin-Brandenburg, AGS 2013, 422 2; ähnlich zu § 10 BRAO KG JurBüro 1970, 853[↩]
- für eine Beschränkung auf anhängige Gegenstände Schneider AGS 2013, 422, 423[↩]