Führen die Mitglieder einer Zivilkammer beim Landgericht untereinander Gespräche wegen einer Vielzahl von anhängigen Parallelverfahren mit zum Teil identischem Parteivortrag und versuchen sie, unter Austausch ihrer Argumente zu verschiedenen sich stellenden Rechtsfragen eine einheitliche Linie zu finden, so ist der schließlich den Einzelfall entscheidende originäre Einzelrichter nicht schon deshalb voreingenommen und befangen, weil er auf die Rechtsauffassung der Zivilkammer hinweist und sich für seine Entscheidung an dieser orientiert.

Die vorgebrachten Ablehnungsgründe vermögen bei der gebotenen objektiven Betrachtung eine Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters nicht zu begründen. Dieser hat sich, anders als der Kläger meint, nicht in willkürlicher Weise zur Vermeidung einer Beweisaufnahme auf einen nach Auffassung des Klägers unhaltbaren Rechtsstandpunkt zum Inhalt des BaFin-Berichts gestellt und sich auch nicht durch willkürliche Entscheidungen zu Lasten anderer Kläger in vergleichbaren Parallelverfahren über deren Vorbringen und Beweisanforderungen hinweggesetzt mit der Folge, dass der Kläger annehmen könnte, er werde im vorliegenden Verfahren in gleicher Weise willkürlich behandelt und mit seiner Klage ohne weitere Prüfung wegen Verjährungseintritts abgewiesen. Die vom Kläger mit seinem Befangenheitsgesuch gegen den als Einzelrichter zur Entscheidung berufenen Richter erhobenen Vorwürfe greifen nach der gebotenen Gesamtabwägung aller Umstände im Ergebnis nicht durch.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe geht davon aus, dass die Mitteilung der (vorläufigen) Rechtsauffassung in der mündlichen Verhandlung, auch wenn sie sich durch Entscheidungen und Äußerungen in Parallelverfahren bereits verfestigt hat, keinen Befangenheitsgrund gibt. Dies gilt auch dann noch, wenn die Zivilkammer, bei der eine Vielzahl von gleich gelagerten Verfahren anhängig ist, durch Besprechungen und Austausch von Argumenten im Vorfeld der Verfahrensbearbeitung durch die originär zuständigen Einzelrichter versucht, eine einheitliche Linie zu finden.
Eine Abstimmung der Rechtsauffassungen innerhalb der Zivilkammer hätte auch durch Vorlage ausgewählter Pilotverfahren an die Kammer zur Entscheidung gemäß § 348 Abs. 3 ZPO erfolgen können, was zweckmäßiger erschienen wäre. Die Kammer hätte dann die sich stellenden Verfahrensfragen in bestimmter Weise behandeln und ihre Rechtsauffassung nach Beratung im Urteil nach außen dokumentieren und gegebenenfalls eine ständige Rechtsprechung der Zivilkammer begründen können. Angesichts des dadurch entstehenden höheren Aufwands und unter Berücksichtigung des Gesichtspunkts, dass die 10. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe schon Erfahrung mit Fällen aus dem „B.-Komplex“ hatte, lässt sich daraus ein Befangenheitsgrund jedoch nicht herleiten. Dass Richter einer Zivilkammer für Parallelverfahren ihre Rechtsauffassungen austauschen und versuchen, für die gleich gelagerten Rechtsstreitigkeiten, zumal wenn größtenteils identischer Vortrag von den Parteien gehalten ist, eine einheitliche Linie zu finden, das heißt die Kraft der wechselseitigen Argumente abwägen und sich jeweils ihre eigene Rechtsauffassung bilden, wobei der einzelne Richter für sich abwägen wird, ob er eine sich herauskristallisierende Auffassung der Mehrheit der Kammermitglieder im Sinne der Einheitlichkeit der Kammerrechtsprechung mittragen kann und sich zu eigen macht oder – was immer vorbehalten ist – künftige Fälle gegebenenfalls auch in Abweichung von der Mehrheitsmeinung der Kammer entscheiden wird, gibt einem Verfahrensbeteiligten keinen Grund, von Voreingenommenheit des Richters auszugehen. Denn es versteht sich von selbst (auch ohne, dass dies ausdrücklich ausgesprochen wird), dass sich der originäre Einzelrichter durch seine Teilnahme an einer solchen Besprechung für die ihm zugewiesenen Verfahren in keiner Weise rechtlich bindet, auch nicht binden kann. Seine sachliche Unabhängigkeit ist daher durch eine solche Handhabung oder Verfahrensweise nicht beeinträchtigt.
Dies macht der Kläger auch nicht in diesem eigentlichen Sinne geltend. Er hält vielmehr die ihm nachteilige, von dem abgelehnten Richter (auch) in seiner Sache vertretene Rechtsauffassung, die derjenigen der gesamten Kammer entsprechen soll, für falsch und meint, der Richter sei nicht mehr bereit, seine Auffassung im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers und die von ihm vorgebrachten Argumente nochmals zu überdenken. Für letzteres gibt es aber keine Anhaltspunkte. Der Kläger hat einen solchen beharrenden und keinen Argumenten mehr zugänglichen Standpunkt des Richters auch nicht glaubhaft gemacht. Die dienstliche Stellungnahme des abgelehnten Richters vom 02.04.2012 und die dienstlichen Äußerungen der Kammervorsitzenden und der weiteren Kammermitglieder geben für die Annahme einer rechtsverbindlichen Festlegung für die dem Einzelrichter zugewiesenen Verfahren oder auch nur einer bestimmenden Einflussnahme auf Entscheidungen in den Einzelverfahren bei der Kammerbesprechung und internen Verständigung im Januar 2012 nichts her. Es spricht auch nichts dafür, dass sich der Einzelrichter selbst in der vom Kläger behaupteten Weise gebunden fühlte. Dazu enthält der Hinweis in seiner dienstlichen Stellungnahme auf den Einklang der Rechtsauffassung von fünf Richtern der Kammer keine aussagekräftige Erklärung. Dies erscheint vielmehr als bloße Bestärkung der Richtigkeit der vom abgelehnten Richter selbst vertretenen vorläufigen Rechtsauffassung, die auch von anderen geteilt werde.
Auch aus seiner Stellungnahme ergibt sich klar, dass sich der Richter keineswegs an eine Kammer-Absprache gebunden fühlt. Auch wenn maßgeblich die Sicht der Partei von ihrem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung ist, vermag der Senat einen berechtigten Grund für die Annahme von Voreingenommenheit und Parteilichkeit zu Lasten des Klägers im Rahmen der Gesamtabwägung der Umstände hier nicht festzustellen.
Ob die Auffassung des abgelehnten Richters richtig ist oder nicht, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn eine Ablehnung von Richtern wegen Besorgnis der Befangenheit ist grundsätzlich kein Instrument zur Fehler- und Verfahrenskontrolle (Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 42 Rn. 28). Insbesondere gibt eine, auch wiederholt in verschiedenen Verfahren, vertretene Rechtsansicht keinen objektiven Grund, der auch vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken könnte, der Richter stünde der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Offensichtlich unhaltbar oder so grob fehlerhaft, dass schon daraus – aus Sicht der Partei – auf eine unsachliche Einstellung des Richters ihr gegenüber geschlossen werden könnte und die Rechtsauffassung als in diesem Sinne, weil in keiner Weise rechtlich vertretbar, willkürlich erscheint, ist die von dem abgelehnten Richter zum Ausdruck gebrachte vorläufige Einschätzung vorliegend nicht.
Danach hat der Kläger weder hinreichend dartun noch glaubhaft machen können, dass die Verfahrensleitung des abgelehnten Richters oder dessen Rechtsauffassung auf Willkür beruhen würde. Sein Befangenheitsgesuch ist somit unbegründet, auch soweit er das Befangenheitsgesuch ergänzend auf die Ausführungen des abgelehnten Richters in seinen dienstlichen Stellungnahmen zum Befangenheitsgesuch gestützt hat.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 9. September 2013 – 17 W 16/13