Die Vorschriften der Insolvenzordnung stehen der Befriedigung einzelner Insolvenzgläubiger aus dem insolvenzfreien Vermögen des Schuldners während des Insolvenzverfahrens (und anders als in der Wohlverhaltensphase) grundsätzlich nicht entgegen. Mit dieser Begründung wies der Bundesgerichtshof jetzt die Klage einer Insolvenzverwalterin ab, mit der dieser die Auskehrung dieser Schuldnerzahlung an die Insolvenzmasse begehrte.

Ansprüche der Insolvenzverwalterin aus eigenem Recht als Insolvenzverwalterin bestehen nicht, weil die Zahlung an den Gläubiger mit Mitteln erfolgte, die nicht zur Insolvenzmasse im Sinne der §§ 35, 36 InsO gehörten und deshalb nicht der Verfügungsbefugnis der Klägerin nach § 80 InsO unterlagen.
Die Insolvenzverwalterin hat auch durch die mit dem Schuldner vereinbarte Abtretung keinen Anspruch gegen den Gläubiger auf Rückzahlung erworben, denn dem Schuldner stand ein solcher Anspruch nicht zu.
Die Voraussetzungen für einen Anspruch des Schuldners aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB liegen nicht vor. Der Beklagte hat die Zahlung des Schuldners nicht ohne rechtlichen Grund erlangt. Der die Vermögensverschiebung an den Beklagten materiell rechtfertigende Grund liegt in dessen Anspruch auf Zahlung der Gebühren, den auch die Klägerin nicht in Abrede stellt. Zu den Rechtsnormen, die bestimmen, ob dem Bereicherten das Erlangte dauerhaft zustehen soll, gehören im Streitfall allerdings auch die Normen und die darin enthaltenen Wertungen des Insolvenzrechts1. Diese rechtfertigen jedoch, so der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungsgründen, keine andere Beurteilung:
Gemäß § 87 InsO können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur noch nach den Vorschriften des Insolvenzrechts verfolgen. Sie haben ihre Forderungen zur Insolvenztabelle anzumelden, Zwangsvollstreckungen sind weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig,§ 89 Abs. 1 InsO. Damit soll erreicht werden, dass die Insolvenzgläubiger gleichmäßige Befriedigung erlangen2. Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Insolvenzgläubiger gilt während der Dauer des Insolvenzverfahrens jedoch nur in Bezug auf die Insolvenzmasse. Sie soll der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger zur Befriedigung zur Verfügung stehen und muss vor unberechtigten Zugriffen einzelner Gläubiger geschützt werden. Für das freie, nicht zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen des Schuldners gilt der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung im Insolvenzverfahren hingegen nicht. Das schon in § 14 KO enthaltene Verbot, während der Dauer des Insolvenzverfahrens in dieses Vermögen zu vollstrecken, dient nicht der Gleichbehandlung der Gläubiger, sondern soll dem Schuldner die Möglichkeit geben, schon während des Konkurses eine neue wirtschaftliche Existenz zu begründen3. Da der Neuerwerb des Schuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anders als unter der Geltung der Konkursordnung zur Insolvenzmasse gehört, hat dieser Gesichtspunkt allerdings heute nur noch eine geringe Bedeutung4. Freiwillige Zahlungen des Schuldners mit Mitteln, die nicht zur Insolvenzmasse gehören (dies sind insbesondere unpfändbare Gegenstände, § 36 InsO), sind daher durch die §§ 87, 89 InsO nicht untersagt. Dies entspricht auch der im Schrifttum herrschenden Auffassung5. Eine Rückzahlung kann allenfalls im Wege der Einzelgläubigeranfechtung erwirkt werden6.
Auch wenn der Gläubiger – wie hier auf der Grundlage der §§ 1, 3 BEG NRW – weitere Leistungen an den Schuldner davon abhängig macht, dass der Schuldner zuvor seine Rückstände begleicht, handelt es sich weder um eine Anspruchsverfolgung im Sinne von § 87 InsO noch um eine Zwangsvollstreckung im Sinne von § 89 InsO7. Geht der Schuldner auf das Verlangen des Gläubigers ein und erbringt er eine Zahlung aus seinem insolvenzfreien Vermögen, verletzt er nicht den Grundsatz der Gleichbehandlung in seinem von der Insolvenzordnung gezogenen Rahmen.
Die Ansicht, die Rechtsordnung missbillige die Vermögensverschiebung an den Gläubiger, lässt sich auch nicht darauf stützen, dass die Zahlung dem Schuldner unzumutbar gewesen sei, weil er dadurch seine Obliegenheit nach § 295 Abs. 1 Nr. 4 InsO verletzt habe. Nach dieser Vorschrift darf der Schuldner aus Gründen der Gläubigergleichbehandlung während der Laufzeit der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO Zahlungen zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger nur an den Treuhänder leisten und keinem Insolvenzgläubiger einen Sondervorteil verschaffen. Diese Obliegenheit besteht jedoch erst in der Wohlverhaltensphase nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Ankündigung der Restschuldbefreiung8. Für die während des Insolvenzverfahrens erfolgte Zahlung des Schuldners gilt sie nicht. Es kann deshalb dahinstehen, ob § 295 Abs. 1 Nr. 4 InsO Zahlungen des Schuldners aus seinem unpfändbaren und deshalb nicht von der Abtretungserklärung erfassten Vermögen überhaupt verbietet9 und ob eine etwaige Obliegenheitsverletzung jedenfalls deshalb außer Betracht zu bleiben hat, weil sie unter den gegebenen Umständen die Befriedigung der Gläubiger nicht beeinträchtigen und deshalb nicht zu einer Versagung der Restschuldbefreiung führen könnte (§ 296 Abs. 1 Satz 1 InsO).
Ein Anspruch auf Rückzahlung besteht, so der Bundesgerichtshof weiter, auch nicht aus § 826 BGB. Die Durchsetzung berechtigter Forderungen kann nur dann gegen die guten Sitten verstoßen, wenn sich der Gläubiger unlauterer Mittel bedient10. Welche Voraussetzungen dafür unter insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten erfüllt sein müssen, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. In Betracht können etwa Fälle kommen, in denen ein Gläubiger mit Monopolstellung Leistungen, welche der Schuldner dringend benötigt, von der Begleichung rückständiger Verbindlichkeiten in einem Umfang abhängig macht, die dem insolventen Schuldner unter Berücksichtigung seines berechtigten Interesses am Erhalt seines pfändungs- und damit insolvenzfreien Vermögens nicht zuzumuten ist. Ein solcher Fall liegt hier nicht annähernd vor. Der Beklagte hat ausschließlich die gesetzlichen Bestimmungen der §§ 1, 3 BEG NRW angewandt. Danach war ihm die Zulassung eines neuen Fahrzeugs für den Schuldner ohne Ermessensspielraum verwehrt, solange dieser noch Gebühren oder Auslagen aus vorausgegangenen Zulassungs- und damit zusammenhängenden Verwaltungsvorgängen schuldete. Für den Schuldner entstand dadurch zwar eine gewisse Zwangslage. Es ist aber weder festgestellt, dass der Schuldner auf die Zulassung eines Fahrzeugs zwingend angewiesen war, noch war die Bezahlung der Rückstände aus dem insolvenzfreien Vermögen unzumutbar.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. Januar 2010 – IX ZR 93/09
- MünchKomm-BGB/Schwab, 5. Aufl. § 812 Rn. 345; OLG Brandenburg WM 2002, 974, 975; vgl. auch BGHZ 71, 309, 312[↩]
- MünchKomm-InsO/Breuer, 2. Aufl. § 87 Rn. 2; HK-InsO/Kayser, 5. Aufl. § 87 Rn. 1[↩]
- Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 14 Rn. 2; Kilger/Schmidt, KO 17. Aufl. § 14 Anm. 1a[↩]
- vgl. die Regierungsbegründung zu § 100 InsO-E = § 89 InsO, BT-Drs. 12/2443 S. 137[↩]
- Jaeger/Eckardt, InsO § 89 Rn. 59; MünchKomm-InsO/Breuer, aaO § 89 Rn. 32; Kilger/Schmidt, aaO[↩]
- Jaeger/ Eckardt, aaO; vgl. dazu Huber, AnfG 10. Aufl. § 1 Rn. 57 und § 16 Rn. 4[↩]
- anders für den Fall einer Zwangsabmeldung nach § 14 KraftStG FK-InsO/App, 5. Aufl. § 89 Rn. 9[↩]
- BGH, Beschluss vom 18.12.2008 – IX ZB 249/07, WM 2009, 361 m.w.N.[↩]
- verneinend AG Göttingen ZInsO 2005, 1001, 1002; MünchKomm-InsO/Ehricke, 2. Aufl. § 295 Rn. 97 und § 294 Rn. 32; FK-InsO/Ahrens, 5. Aufl. § 295 Rn. 58; Pape, InVo 2006, 454, 460; Adam, ZInsO 2006, 1132[↩]
- BGH, Urteile vom 07.03.1985 – III ZR 90/83, WM 1985, 866, 868; und vom 19.10.1987 – II ZR 9/87, NJW 1988, 700, 703[↩]
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