Berichtigung vorgeblich nicht entscheidungserheblicher Urteilsgründe

Das Begehren auf Berichtigung der schriftlichen Urteilsgründe kann nicht auf die Behauptung gestützt werden, die beanstandete Feststellung sei nicht entscheidungserheblich.

Berichtigung vorgeblich nicht entscheidungserheblicher Urteilsgründe

Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung sind Berichtigungen in den Urteilsgründen ab dem Zeitpunkt, in dem das schriftliche Urteil aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts hinausgegeben wird, unzulässig, wenn dadurch auch nur der Verdacht einer nachträglichen sachlichen Änderung und somit einer Verfälschung des Urteils entstehen kann1. Die Vornahme sachlicher Änderungen würde im Ergebnis auf einen unzulässigen Widerruf des bereits erlassenen, wirksamen Urteils hinauslaufen2.

Eine Berichtigung kommt deshalb nur in sehr engen Grenzen in Betracht. Sie wird in entsprechender Anwendung des § 319 ZPO lediglich insoweit als zulässig angesehen, als es sich um eine offensichtliche, versehentliche Unrichtigkeit des Urteils3 und damit um ein Versehen handelt, das sich zwanglos aus klar zu Tage tretenden Umständen ergibt4. Dies ist insbesondere bei Schreib- und Rechenfehlern sowie sonstigen äußerlichen Unstimmigkeiten, die unmittelbar aus der Urteilsurkunde ersichtlich sind, der Fall. Ein offenkundiges und damit berichtigungsfähiges Fassungsversehen wird aber auch dann angenommen, wenn die Divergenz zwischen erkennbar Gewolltem und mündlich oder schriftlich Formuliertem für die Verfahrensbeteiligten aus anderen Verfahrensvorgängen – beispielsweise der mündlichen Urteilsbegründung – unzweifelhaft auf der Hand liegt5.

er Oberlandesgericht sieht auch unter Berücksichtigung der im Beschwerdevorbringen geltend gemachten Grund- und Menschenrechtsverletzungen keine Veranlassung, von den in der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für eine nachträgliche Berichtigung der Urteilsgründe abzuweichen. Dies gilt selbst insoweit, als sich der Verurteilte darauf beruft, dass die beantragte Berichtigung keinerlei Auswirkung auf die vom Gericht getroffene Entscheidung habe und die beanstandete Passage vollkommen unnötig sei.

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Eine Abgrenzung zwischen entscheidungserheblichen und nicht entscheidungserheblichen Feststellungen ist nicht praktikabel. Ob sich das Gericht von einem – vordergründig nur wenig relevant erscheinenden – Umstand bei der Beweiswürdigung oder bei der Strafzumessung auch nur geringfügig hat leiten lassen, liegt außerhalb der Beurteilungsmöglichkeiten eines Rechtsmittelgerichts, da die Ausführungen zur Strafzumessung gem. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO nur die bestimmenden – nicht etwa sämtliche6 – Zumessungsgründe erkennen lassen müssen. Ob eine Partnerin „im Rotlichtmilieu“ tätig ist, kann für die Stabilität der Lebensverhältnisse eines Angeklagten und damit für eine Prognoseentscheidung nach § 56 StGB – die angesichts der letztlich festgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren sechs Monaten nicht von vornherein außer Betracht bleiben konnte – durchaus von Bedeutung sein. Eine Ausnahme von den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zu den Voraussetzungen für eine Urteilsberichtigung in Bezug auf „nicht entscheidungserhebliche“ Festsetzungen war deshalb zu verwerfen.

Grundrechtsverletzungen kommen sowohl hinsichtlich des Bf. als auch seiner Verlobten nur in Bezug auf das sich aus Art. 2 Abs. 1 GG ergebende allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Ausprägung des sogenannten sozialen Geltungsanspruchs7 in Betracht. Darüber hinaus gehende Menschenrechte aus Art. 6, 8 und 14 EMRK sind hingegen ersichtlich nicht tangiert. Insbesondere betrifft der geltend gemachte Berichtigungsanspruch nicht die nach Art. 6 Abs. 1 EMRK gebotene Fairness des Verfahrens in Bezug auf den gegen den Bf. erhobenen Anklagevorwurf. Im Hinblick auf Strafprozesse sind nichtangeklagte Personen – wie seine Verlobte – vom Schutzbereich der Vorschrift nicht erfasst. Nach der diesbezüglichen Argumentation im Beschwerdevorbringen dürften Feststellungen in Bezug auf Nichtangeklagte – z.B. Zeugen, Geschädigte, Angehörige – in Strafurteilen überhaupt nicht getroffen werden, da sie nicht am Verfahren beteiligt sind und keinen Einfluss auf den Verfahrensgang haben, was ersichtlich abwegig ist. Personen, die nicht Prozesssubjekt sind, erfahren schon dadurch ausreichenden Schutz in Bezug auf sie betreffende nachteilige Feststellungen der Strafgerichte, dass diese keine Rechtskraft entfalten und ihnen nicht wirksam entgegengehalten werden können. Aus Art. 6 Abs. 1 EMRK ergibt sich lediglich eine Verpflichtung des Gerichts, seine getroffene Entscheidung zu begründen8. Zu den Voraussetzungen, unter denen ein Anspruch auf Berichtigung der schriftlichen Urteilsgründe besteht, lässt sich aus dieser Vorschrift hingegen nichts herleiten. Ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK scheidet schon deshalb aus, weil die beanstandete Urteilspassage keine Aussage über die Begehung einer Straftat enthält. Inwiefern durch diese Passage bzw. die Ablehnung ihrer Berichtigung ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 14 EMRK begründet sein soll, erschließt sich nicht.

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Das Oberlandesgericht hat bereits erhebliche Zweifel daran, dass die gerügte Feststellung die Qualität eines Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG – ein weitergehender Schutz ergibt sich vorliegend auch aus Art. 8 EMRK nicht – hat. Schließlich ist der Name der Verlobten des Bf. nicht genannt und eine Einsichtnahme in das Urteil für Nichtverfahrensbeteiligte nach den Vorgaben der §§ 474 ff. StPO nur sehr eingeschränkt möglich. Eine vom Verurteilten losgelöste Weitergabe des schriftlichen Urteils innerhalb seines sozialen Nahbereichs drängt sich zumindest nicht auf. Im Übrigen entfaltet das – zumindest hinsichtlich des Bf. – rechtskräftige Urteil keine Rechtskraft und damit auch keine Bindungswirkung in Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen9. Soweit ungeachtet dessen von einer zumindest reflexartigen Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auszugehen wäre, ist diese bei entsprechender Abwägung mit dem Interesse an der Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege, die ein wesentlicher Bestandteil des in der Verfassung verankerten Rechtsstaatsprinzips ist, hinzunehmen. Schließlich wird es bei der Abfassung der Gründe eines Strafurteils regelmäßig geboten sein, Feststellungen in Bezug auf Personen zu treffen, die die Entscheidung selbst nicht anfechten können. Diese Feststellungen besitzen – nicht zuletzt im Interesse eines Angeklagten, der hieraus nicht selten schuld- und strafmindernde Umstände ableiten kann – häufig ehrabträglichen Charakter. Würde in all diesen Fällen die nicht unter den Vorbehalt eines offenkundigen Fassungsversehens gestellte Möglichkeit einer Urteilsberichtigung nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss eröffnet, wäre eine Befassung der und der Rechtsmittelgerichte mit entsprechenden Begehren in so empfindlichem Maße zu befürchten, dass sie ihrer originären Aufgabe der Strafrechtspflege nur noch eingeschränkt nachkommen könnten.

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Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 1. April 2014 – 4 Ws 79/14

  1. BGH, Beschluss vom 24.04.2007 – 4 StR 558/06; BayObLG, Beschluss vom 19.06.1998 – 2St RR 91/98; OLG Oldenburg, Beschluss vom 27.02.1990 – 1 Ws 35/90[]
  2. Velten in SK-StPO V, 4. Aufl., § 268 Rn. 17[]
  3. BGHSt 12, 374, 376 f.[]
  4. BGH NJW 1991, 1900 f.; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 267 Rn. 39 m.w.N. zur Rspr.[]
  5. BGH, MDR 1991, 362 ff. m.w.N. zur Rspr.[]
  6. BGH, Urteil vom 07.11.2007 – 1 StR 164/07[]
  7. Di Fabio in Maunz-Dürig, GG, 2001, Art. 2 Abs. 1, Rn. 169[]
  8. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., Art. 6 MRK, Rn. 11a[]
  9. BGH NStZ 2010, 529; Meyer-Goßner, aaO., Einl. Rn. 170 m.w.N. zur Rspr.[]