Der Restitutionsgrund des nachträglichen Auffindens einer Urkunde (§ 580 Nr. 7b ZPO) kann nicht die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil begründen.

Zu diesem Ergebnis ist nunmehr der Bundesgerichtshof gekommen und hat eine entsprechende Rechtsbeschwerde zurückgewiesen. Nach § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO unterliegt ein zweites Versäumnisurteil, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist (§ 345 ZPO), der Berufung insoweit, als sie darauf gestützt wird, dass ein Fall der Versäumung nicht vorgelegen habe. Eine zulässige Berufung setzt also die schlüssige Darlegung voraus, dass der Termin nicht schuldhaft versäumt worden sei1. Wird die fehlende oder unverschuldete Säumnis nicht schlüssig dargelegt, ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen.
Die Rechtsbeschwerde verkennt dies nicht. Sie meint jedoch, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Vorbringen eines Restitutionsgrundes im Revisionsverfahren trotz der neuen Vortrag grundsätzlich ausschließenden Vorschrift des § 559 ZPO sei auf die ebenfalls das zulässige Vorbringen und den Prüfungsumfang einschränkende Vorschrift des § 514 Abs. 2 ZPO zu übertragen. Dies trifft indes nicht zu.
Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist oder auf die der Revisionskläger eine Verfahrensrüge stützt (§ 559 Abs. 1 ZPO). Trotz dieser ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darüber hinaus tatsächliches Vorbringen zu den in § 580 ZPO angeführten Restitutionsgründen zu berücksichtigen sein. Dabei ist zu unterscheiden: Soweit die Restitutionsgründe auf einer strafbaren Handlung beruhen (§ 580 Nr. 1 bis 5 ZPO), können sie in der Revisionsinstanz geltend gemacht werden, wenn deswegen, wie § 581 Abs. 1 ZPO es verlangt, eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist2. Entsprechendes gilt für den Restitutionsgrund des § 580 Nr. 6 ZPO, der ebenfalls ein rechtskräftiges Urteil voraussetzt3. Beruft sich der Revisionskläger in der Revisions-instanz dagegen auf einen der Tatbestände des § 580 Nr. 7b ZPO (Wiederauffinden einer Urkunde oder Möglichkeit, diese zu gebrauchen), kann das neue tatsächliche Vorbringen zugelassen werden, wenn anderenfalls in dem anhängigen Verfahren noch weitere unrichtige Urteile ergehen, die nur durch eine Restitutionsklage beseitigt werden können. Wird der Rechtsstreit durch das Urteil des Revisionsgerichts insgesamt beendet, können dagegen neue Tatsachen und Beweismittel, die einen Restitutionsgrund nach § 580 Nr. 7b ZPO darstellen, grundsätzlich nicht entgegen § 559 Abs. 1 ZPO (§ 561 ZPO a.F.) vom Revisionsgericht berücksichtigt werden4.
Die Zulassung des vorweggenommenen Restitutionsgrundes des § 580 Nr. 7b ZPO steht im Widerspruch zu Sinn und Zweck der Vorschriften über die Folgen der Säumnis, insbesondere der §§ 345, 514 Abs. 2 ZPO. Das Säumnisverfahren ist Folge des Mündlichkeitsprinzips und der Verhandlungsmaxime5. Eine Partei könnte den Fortgang des Verfahrens blockieren, wenn sie nicht zum Termin erscheint oder nicht zur Sache verhandelt. Die Zivilprozessordnung knüpft daher nachteilige Rechtsfolgen an die Säumnis. Ist der Kläger säumig, ist die Klage ohne Sachprüfung abzuweisen (§ 330 ZPO). Ist der Beklagte säumig, hat das Gericht neben der Säumnis die Zulässigkeit und die Schlüssigkeit der Klage zu prüfen (§ 331 Abs. 1 und 2 ZPO). Ein erstes Versäumnisurteil kann noch im Wege des Einspruchs aus der Welt geschafft werden. Ist der Einspruch zulässig, wird der Prozess in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor Eintritt der Versäumnis befand (§ 342 ZPO). Um zu verhindern, dass der Einspruch „ein bequemes Mittel zur Verschleppung der Prozesse“ wird, hat der historische Gesetzgeber seine wiederholte Zulassung jedoch beschränkt6.
Erscheint die Partei nach rechtzeitigem Einspruch gegen das (erste) Versäumnisurteil erneut nicht zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch oder erscheint sie zwar, ist sie aber nicht ordnungsgemäß vertreten oder verhandelt sie nicht, hat das Gericht nur noch die Voraussetzungen der wiederholten Säumnis, insbesondere die ordnungsgemäße Ladung zum Termin7, zu prüfen, bevor es den Einspruch durch (zweites) Versäumnisurteil verwirft (§ 345 ZPO). Ein weiterer Einspruch findet nicht statt.
Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil kann – ebenfalls folgerichtig – nur die Zulässigkeit des Versäumnisurteils betreffen8. Eine Erweiterung der Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts hat der Bundesgerichtshof, anders als bei § 559 ZPO9, wiederholt abgelehnt. Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil kann nicht darauf gestützt werden, dass bei Erlass des ersten Versäumnis-urteils ein Fall der Säumnis nicht vorgelegen habe10. Sie kann auch nicht auf die fehlende Schlüssigkeit der Klage gestützt werden11. Die an die wiederholte Säumnis einer Partei geknüpfte Sanktion des § 514 Abs. 2 ZPO (§ 513 Abs. 2 ZPO a.F.) steht in einer Reihe mit weiteren gesetzlichen Regelungen im Versäumnisverfahren (§ 708 Nr. 2 ZPO, § 340 Abs. 3 ZPO; § 341 Abs. 1 ZPO), die sämtlich darauf hinauslaufen, eine Partei, gegen die ein Versäumnisurteil erlassen ist, im Interesse der Prozessbeschleunigung zu besonders sorgfältiger Prozessführung zu veranlassen. Bleibt die Partei erneut schuldhaft säumig, ist es nur konsequent, an dieses Fehlverhalten die schärfere Sanktion des endgültigen Prozessverlustes zu knüpfen12.
Eine Ausnahme hiervon hat der Bundesgerichtshof nur für den Fall angenommen, dass sich der Einspruch nicht gegen ein Versäumnisurteil, sondern gegen einen Vollstreckungsbescheid richtete, der gemäß § 700 Abs. 1 ZPO einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleichsteht13. Grund hierfür ist jedoch, dass ein Vollstreckungsbescheid anders als ein (erstes) Versäumnisurteil nicht auf einer richterlichen Prüfung der Zulässigkeit und der Schlüssigkeit der Klage beruht. Das Gericht, das über den Einspruch befindet, hat bei Säumnis des Einspruchsführers gemäß § 700 Abs. 6 ZPO die Voraussetzungen des § 331 Abs. 1, 2 erster Halbsatz ZPO zu prüfen, bevor es den Einspruch gemäß § 345 ZPO verwerfen kann. Auch hier gilt also, dass der Prüfungsumfang des Berufungsgerichts demjenigen des Einspruchsgerichts entspricht. Der Gegenstand des Rechtsstreits ändert sich nicht14.
Der Grundsatz des Gleichlaufs der Prüfungskompetenz von Einspruchs- und Berufungsgericht würde durchbrochen, wollte man dem Berufungskläger gestatten, sich auf „vorweggenommene“ Restitutionsgründe zu berufen. Es handelt sich ausnahmslos um Einwendungen, die das Gericht, das über den Einspruch zu befinden hatte, wegen der Säumnis der Partei nicht prüfen konnte und auch nicht zu prüfen hatte. Gründe der Prozesswirtschaftlichkeit allein vermögen ein anderes Ergebnis nicht zu rechtfertigen. Soweit der Bundesgerichtshof im Revisionsverfahren neues Vorbringen zu den Restitutionsgründen des § 580 Nr. 1-6 ZPO zugelassen hat, liegt der Grund für die Abweichung von dem Grundsatz des § 559 Abs. 1 ZPO (§ 561 ZPO a.F.) gerade nicht im Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit, sondern darin, dass das in der Revisionsinstanz ohne Berücksichtigung des neuen Vorbringens ergehende Urteil sich unter Umständen mit dem Inhalt des rechtskräftigen Urteils eines anderen Gerichts in Widerspruch setzen oder doch dieses Urteil unbeachtet lassen würde. Daraus ergäben sich für die Einheitlichkeit und das Ansehen der Rechtsprechung in hohem Maße abträgliche Folgen15. Darum geht es hier nicht. Die in § 580 Nr. 7b ZPO zusammengefassten Restitutionsgründe betreffen eine Urkunde, die noch nicht Gegenstand einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung war.
Soweit der Bundesgerichtshof im Revisionsverfahren unter bestimmten Voraussetzungen auch neuen Vortrag zu den Restitutionsgründen des § 580 Nr. 7b ZPO zugelassen hat, hat er ebenfalls betont, dass Gründe der Prozesswirtschaftlichkeit nicht ausreichten, sondern höhere Belange der Allgemeinheit und der ihr dienenden Rechtspflege die Abweichung von der zwingenden Vorschrift des § 559 ZPO (§ 561 ZPO a.F.) rechtfertigen müssten16. Im hier fraglichen Fall der Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil gilt das in noch höherem Maße, weil die Vorschriften über das Säumnisverfahren nicht nur der Konzentration des Rechtsstreits auf Rechtsfragen dienen, sondern weitergehend einer Verschleppung des Rechtsstreits vorbeugen sollen. Die Zulassung der Restitutionsgründe des § 580 Nr. 7b ZPO steht diesem Ziel entgegen. Die erstmalige Prüfung neuer Tatsachen im Berufungsverfahren würde fast immer zu Verfahrensverzögerungen führen. Gründe des Allgemeinwohls, die es rechtfertigen würden, diesen Nachteil in Kauf zu nehmen, sind nicht ersichtlich. Das zweite Versäumnisurteil, das die säumige Partei unter Vorlage von nachträglich aufgefundenen Urkunden im Wege der Berufung angreifen will, kann durch diese Urkunden nicht einmal „unrichtig“ geworden sein, weil es ausschließlich auf dem gemäß § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO als zugestanden geltenden Vorbringen des Klägers beruht und den Vortrag des Beklagten nicht zu berücksichtigen hat. Darauf hat schon das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 6. Oktober 2011 – IX ZB 148/11
- BGH, Urteil vom 19.11.1998 – IX ZR 152/98, NJW 1999, 724; Beschluss vom 20.12.2010 – VII ZB 72/09, NJW 2011, 928 Rn. 9[↩]
- BGH, Beschluss vom 13.01.2000 – IX ZB 3/99, LM ÜberlG Nr. 1 unter II 4a aa[↩]
- BGH, Urteil vom 23.11.2006 – IX ZR 141/04, ZIP 2007, 697 Rn. 14 a.E.[↩]
- BGH, Beschluss vom 13.01.2000, aaO unter II. 4 a bb[↩]
- Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 22. Aufl., vor § 330 Rn. 1[↩]
- Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Band 2, Neudruck 1983, S. 298 zu § 300[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 20.12.2010, aaO Rn. 11[↩]
- Hahn, aaO S. 359 zu § 479[↩]
- vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 559 Rn. 7; Prütting/Gehrlein/Ackermann, ZPO, 3. Aufl., § 559 Rn. 5 ff[↩]
- BGH, Beschluss vom 16.04.1986 – VIII ZB 26/85, BGHZ 97, 341[↩]
- BGH, Beschluss vom 06.05.1999 – V ZB 1/99, BGHZ 141, 351[↩]
- BGH, Beschluss vom 16.04.1986, aaO S. 345 f[↩]
- BGH, Urteil vom 25.10.1990 – IX ZR 62/90, BGHZ 112, 367[↩]
- vgl. hierzu Hahn, aaO; BGH, Urteil vom 25.10.1990, aaO S. 371[↩]
- BGH, Beschluss vom 13.01.2000 – IX ZB 3/99, LM ÜberlG Nr. 1 unter II 4a aa; Urteil vom 23.11.2006 – IX ZR 141/04, ZIP 2007, 697 Rn. 14[↩]
- BGH, Beschluss vom 13.01.2000 – IX ZB 3/99, LM ÜberlG Nr. 1 unter II 4a bb[↩]
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- Landgericht Hamburg: Juliette Kober