Berufungsbegründungsfrist – und die nicht notierte Vorfrist

Ein Rechtsanwalt hat durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört die allgemeine Anordnung, bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren.

Berufungsbegründungsfrist – und die nicht notierte Vorfrist

Im vorliegenden Verfahren hatte das Oberlandesgericht München den Wiedereinsetzungsantrag für unbegründet erachtet, weil der Kläger schon nicht vorgetragen habe, dass in der Kanzlei seiner Rechtsanwältin die grundsätzliche Weisung bestanden habe, Vorfristen auszurechnen und zumindest in den Fristenkalender einzutragen. Dieses Organisationsverschulden sei kausal für das Versäumen der Berufungsbegründungsfrist gewesen, weil die Kanzleiangestellte die Berufungsbegründungsfrist grundsätzlich zutreffend berechnet habe, sodass davon auszugehen sei, dass bei einer entsprechenden Weisung die Vorfrist von mindestens einer Woche vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender eingetragen worden wäre1.

Diese Ausführungen hielten rechtlicher Nachprüfung durch den Bundesgerichtshof stand. Die Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist war für den BGH nicht zu beanstanden. In dem Unterlassen der Weisung, eine Vorfrist zu notieren, liege ein dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Organisationsverschulden seiner Prozessbevollmächtigten:

Ein Rechtsanwalt darf zwar die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen. Er hat aber durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung die allgemeine Anordnung, bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren. Die Vorfrist dient dazu sicherzustellen, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist verbleibt. Die Eintragung einer Vorfrist bietet eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist versehentlich unterblieben ist2.

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Diese Vorgaben hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers bei der Organisation ihrer Kanzlei nicht eingehalten. Eine Vorfrist war nicht notiert. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass dies versehentlich – entgegen einer anderslautenden Anordnung – unterblieben sei.

Der Organisationsmangel der Prozessbevollmächtigten des Klägers war für die Fristversäumnis auch ursächlich.

Wiedereinsetzung kann nicht gewährt werden, wenn die Ursächlichkeit des Organisationsmangels für das Versäumen der Frist nicht ausgeräumt ist. Hat ein Rechtsanwalt nicht alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung einer Berufungsbegründungsfrist ergriffen, geht es zu seinen Lasten, wenn nicht festgestellt werden kann, dass die Frist auch bei Durchführung dieser Maßnahmen versäumt worden wäre3.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Kanzleiangestellte der Prozessbevollmächtigten des Klägers, nur weil sie den Eintrag der Berufungsbegründungsfrist in das Fristenbuch versäumt hat, auch den Eintrag der Vorfrist in das Fristenbuch versäumt hätte. Es ist vielmehr zumindest möglich, dass die zusätzliche Fristensicherung der Vorfrist gegriffen und die Kanzleiangestellte nicht denselben Fehler zwei Mal gemacht und im Ergebnis zumindest die Vorfrist im Fristenkalender eingetragen hätte.

Die Kanzleiangestellte hatte die Berufungsbegründungsfrist grundsätzlich zutreffend berechnet und auch in der Handakte vermerkt4. Bei auf die Vorfrist bezogen unterstellt ordnungsgemäßem Vorgehen der Kanzleiangestellten wären die Akten der Prozessbevollmächtigten des Klägers folglich rechtzeitig vorgelegt worden. In diesem Fall hätte die Prozessbevollmächtigte des Klägers rechtzeitig bemerkt, dass eine Berufungsbegründung noch nicht erstellt war. Ein Rechtsanwalt hat eine ihm aufgrund einer Vorfrist vorgelegte und damit in seinen persönlichen Verantwortungsbereich (zurück)gelangte Fristsache rechtzeitig zu bearbeiten und für die Weiterleitung der bearbeiteten Sache in der Weise Sorge zu tragen, dass der entsprechende Schriftsatz fristgerecht bei Gericht eingeht. Dieser Pflicht wird er nicht durch eine weitere, auf den Tag des Fristablaufs notierte Frist enthoben. Hätte mithin die Prozessbevollmächtigte des Klägers nach Vorlage der Akten zur Vorfrist die Berufungsbegründung fristgerecht fertiggestellt und einem Büroangestellten mit der Weisung übergeben, sie bei Gericht einzureichen, wäre die Berufungsbegründungsfrist gewahrt worden5.

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War dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben, hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen (§ 520 Abs. 2 und 3 ZPO).

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20. September 2022 – VI ZB 17/22

  1. OLG München, Beschluss vom 14.02.2022 – 1 U 7600/21[]
  2. BGH, Beschluss vom 06.10.2020 – XI ZB 17/19 9 mwN[]
  3. BGH, Beschluss vom 06.10.2020 – XI ZB 17/19 12 mwN[]
  4. vgl. aber zum Fall der unzutreffenden Berechnung bzw. Übertragung der Berufungsbegründungsfrist BGH, Beschluss vom 29.10.2019 – VI ZB 31/19, MDR 2020, 115 Rn. 8; BGH, Beschluss vom 13.09.2018 – V ZB 227/17, NJW-RR 2018, 1451 Rn. 10[]
  5. vgl. BGH, Beschluss vom 06.10.2020 – XI ZB 17/19 14 mwN[]