Berufungsfrist, Berufungsbegründungsfrist – und ihr Beginn

Für Urteile, die nach dem Inkrafttreten der Neufassung des § 317 ZPO zum 1.07.2014 zugestellt worden sind, setzt der Beginn der Fristen zur Berufungseinlegung und begründung nicht mehr die Zustellung einer Urteilsausfertigung voraus. Entsprechend der nunmehr in § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO enthaltenen Regel genügt die Zustellung einer beglaubigten Abschrift des in vollständiger Form abgefassten Urteils1.

Berufungsfrist, Berufungsbegründungsfrist – und ihr Beginn

Zwar hat der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit zu § 517 ZPO entschieden, dass der Beginn der einmonatigen Berufungsfrist die Zustellung einer Ausfertigung des in vollständiger Form abgefassten Urteils voraussetzt und die Übergabe einer beglaubigten Abschrift des Urteils die Zustellungswirkung des § 517 ZPO nicht begründen kann2. Dieser Rechtsauffassung haben sich in der Folgezeit andere Bundesgerichtshofe des Bundesgerichtshofs angeschlossen3.

An dieser Rechtsprechung kann jedoch nach der Neufassung des § 317 ZPO durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.20134 nicht mehr festgehalten werden. § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist mit Wirkung vom 01.07.2014 dahingehend geändert worden, dass Urteile den Parteien von Amts wegen grundsätzlich in Abschrift zugestellt werden, die von der Geschäftsstelle nach § 169 Abs. 2 ZPO zu beglaubigen ist5. Ausfertigungen eines Urteils werden nach § 317 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur noch auf Antrag einer Partei erteilt, wobei nach § 317 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 ZPO die auf Antrag einer Partei erteilte Ausfertigung regelmäßig weder Tatbestand noch Entscheidungsgründe enthält. Mit Einführung der Übersendung einer beglaubigten Abschrift als Regelform der Urteilszustellung kann der Beginn der Fristen zur Einlegung (§ 517 ZPO) und zur Begründung einer Berufung (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO) nicht mehr an die Zustellung einer Ausfertigung des Urteils angeknüpft werden. Voraussetzung für den Beginn der genannten Rechtsmittelfristen ist eine Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils von Amts wegen in der in den §§ 169 ff. ZPO bestimmten Form6. Die nach § 166 Abs. 2 ZPO von Amts wegen zuzustellenden Dokumente können grundsätzlich in Urschrift, Ausfertigung oder (beglaubigter) Abschrift zugestellt werden, sofern nicht in speziellen materiell- oder prozessrechtlichen Vorschriften eine besondere Form der Zustellung vorgesehen ist7. Eine solche besondere Vorschrift enthält § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO in der seit dem 1.07.2014 geltenden Fassung, indem er die Übermittlung einer beglaubigten Abschrift als ausreichende Form der Amtszustellung von Urteilen vorsieht.

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Soweit in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten wird, trotz der Änderung des § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO müsse auch weiterhin daran festgehalten werden, dass nur die Zustellung einer Urteilsausfertigung die Fristen der §§ 517, 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO auslösen könne8, kann dem nicht gefolgt werden. Denn dies hätte zur Folge, dass sowohl die in § 517 ZPO vorgesehene Frist von einem Monat für die Einlegung einer Berufung als auch die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur dann zu laufen beginnen würden, wenn einer Prozesspartei auf ihren Antrag nach § 317 Abs. 2 ZPO eine Urteilsausfertigung zugestellt worden ist. Da Rechtsmittelfristen grundsätzlich für jede Prozesspartei gesondert zu laufen beginnen, hätte es die Partei damit aber selbst in der Hand, ob die für den Beginn der Rechtsmittelfrist notwendige Voraussetzung der ordnungsgemäßen Zustellung der Entscheidung erfüllt wird. Eine Partei könnte daher die einmonatige Berufungsfrist des § 517 ZPO umgehen, indem sie davon absieht, gemäß § 317 Abs. 2 ZPO auf Erteilung einer Ausfertigung anzutragen, und sich dadurch die Möglichkeit offen halten, Berufung gegen die ergangene Entscheidung bis zu dem aus § 517 ZPO folgenden spätesten Zeitpunkt von sechs Monaten9 nach der Verkündung der Entscheidung einzulegen. Diese Erwägung zeigt, dass für Urteile, die nach dem Inkrafttreten der Neufassung des § 317 ZPO zum 1.07.2014 zugestellt worden sind, der Beginn der Fristen zur Berufungseinlegung und begründung nicht mehr die Zustellung einer Urteilsausfertigung voraussetzen kann, sondern entsprechend der nunmehr in § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO enthaltenen Regel die Zustellung einer beglaubigten Abschrift des Urteils genügt.

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Da im vorliegenden Fall das angefochtene Urteil dem früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 25.08.2014 in beglaubigter Abschrift gemäß § 174 Abs. 1 ZPO gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, endete die Berufungsbegründungsfrist mit Ablauf des 25.10.2014 (§ 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB). Das so berechnete Fristende fiel mithin auf einen Sonnabend, so dass die Begründungsfrist gemäß § 222 Abs. 2 ZPO am darauffolgenden Montag, dem 27.10.2014, ablief. Der Antrag der Klägerin auf Fristverlängerung ist jedoch erst am 29.10.2014 und daher nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist beim Berufungsgericht eingegangen. Eine Verlängerung der Begründungsfrist kam daher nicht mehr in Betracht10.

Ebenso zutreffend hat das Berufungsgericht eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt, da die Frist zur Begründung der Berufung nicht schuldlos versäumt worden ist.

Der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat in der Berufungsinstanz eingeräumt, dass er den Eingangsstempel auf dem erstinstanzlichen Urteil fehlerhaft gedeutet habe und deshalb die Berufungsbegründungsfrist unzutreffend auf den 30.10.2014 notiert worden sei. Die Rechtsbeschwerde wendet hiergegen ein, das Berufungsgericht habe seiner Entscheidung nicht allein diese Einlassung zugrunde legen dürfen. Die Frage, ob die Klägerin unter Zugrundelegung der in ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung glaubhaft gemachten tatsächlichen Umstände schuldlos im Sinne des § 233 ZPO daran gehindert gewesen sei, die Frist zur Begründung der Berufung zu wahren, betreffe nicht die Feststellung von Tatsachen, sondern allein die rechtliche Würdigung. Diese Frage sei deshalb nicht einem Geständnis im Sinne des § 288 ZPO zugänglich, sondern unabhängig davon zu beantworten, welche Rechtsstandpunkte die Parteien insoweit vertreten haben mögen.

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Dadurch wird ein anwaltliches Verschulden des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin bei der fehlerhaften Eintragung der Berufungsbegründungsfrist nicht in Frage gestellt.

Einen Prozessbevollmächtigten treffen hinsichtlich der Wahrung von Rechtsmittelfristen besondere Sorgfaltspflichten. Er hat alles ihm Zumutbare zu veranlassen, damit diese Fristen gewahrt werden. Dazu gehört vorrangig, dass er eigenverantwortlich das für den Beginn des Laufs der Rechtsmittelfristen maßgebende Zustellungsdatum feststellt11. Beauftragt eine Partei für die Rechtsmittelinstanz einen anderen Anwalt, dann hat der Rechtsmittelanwalt in eigener Verantwortung durch geeignete und verlässliche Erkundigungen zu ermitteln, ob und wann ein Urteil der Vorinstanz zugestellt worden ist12.

Diese Sorgfaltspflichten wurden von dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin schuldhaft verletzt. Denn dieser durfte sich schon deshalb nicht auf den auf dem erstinstanzlichen Urteil aufgebrachten Eingangsstempel verlassen, weil dieser von Mitarbeitern der Klägerin selbst stammt. Unabhängig davon muss ein Rechtsmittelanwalt stets eigenverantwortlich überprüfen, wann das Urteil dem erstinstanzlich tätigen Rechtsanwalt tatsächlich zugestellt worden ist13.

Das anwaltliche Verschulden bei der Ermittlung des Zustellungsdatums war für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auch ursächlich.

Zwar schließt ein früheres Verschulden einer Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten die Wiedereinsetzung dann nicht aus, wenn seine rechtliche Erheblichkeit durch ein späteres, der Partei oder ihrem Vertreter nicht zuzurechnendes Ereignis entfällt (sog. überholende Kausalität)14. Nach §§ 233, 85 Abs. 2 ZPO darf ihr Wiedereinsetzung jedoch nur gewährt werden, wenn ihren Prozessbevollmächtigten kein auch nur mitursächliches Verschulden an der Fristversäumung trifft15. Dies ist hier nicht der Fall.

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Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Nichtbeachtung der Anweisung, Fristverlängerungsanträge stets vorab per Telefax an das Gericht zu übermitteln, die Ursächlichkeit des Verschuldens des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht ausschließt. Da der Rechtsanwalt den Fristverlängerungsantrag erst am Montag, dem 27.10.2014, und damit am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist diktiert hatte und der Schriftsatz von der Kanzleiangestellten auch erst an diesem Tag gefertigt wurde, hätte die Berufungsbegründungsfrist nur gewahrt werden können, wenn der Antrag noch an diesem Tag an das Berufungsgericht per Telefax übermittelt worden wäre. Hierzu war die Mitarbeiterin des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin jedoch nach der in der Kanzlei geltenden Weisung, auf die sich die Klägerin beruft, nicht verpflichtet. Nach dem Vortrag der Klägerin in der Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs besagte die Weisung nur, dass Fristverlängerungsanträge stets vorab per Telefax an das zuständige Gericht zu senden sind. Sie umfasste jedoch nicht die Verpflichtung, entsprechende Anträge stets noch am Tage ihrer Erstellung zu versenden. Der Anweisung, auf die sich die Klägerin stützt, hätte die Kanzleiangestellte folglich auch dann noch genügt, wenn sie den Fristverlängerungsantrag erst am darauffolgenden Tag per Telefax an das Berufungsgericht gesandt hätte, weil nach der fehlerhaft im Fristenkalender eingetragenen Frist an diesem Tag die Berufungsbegründungsfrist noch hätte gewahrt werden können. Die Anweisung, Fristverlängerungsanträge stets vorab per Fax an das zuständige Gericht zu übermitteln, war daher weder dazu bestimmt noch dazu geeignet, die Folgen einer von dem Prozessbevollmächtigten verschuldeten fehlerhaften Eintragung einer Rechtsmittelfrist zu verhindern.

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Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruht somit zumindest nicht ausschließlich auf einem Fehlverhalten der Kanzleiangestellten, das sich die Klägerin nicht zurechnen lassen müsste. Die von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu verantwortende fehlerhafte Eintragung des Zustellungsdatums der angegriffenen Entscheidung war für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist jedenfalls mitursächlich. Dies schließt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus16.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27. Januar 2016 – XII ZB 684/14

  1. Abgrenzung zu BGH, Beschluss BGHZ 186, 22 = FamRZ 2010, 1246[]
  2. BGH, Beschluss BGHZ 186, 22 = FamRZ 2010, 1246 Rn. 12 ff.[]
  3. vgl. BGH Beschlüsse vom 28.10.2010 – VII ZB 40/10 MDR 2011, 65 Rn. 6; und vom 31.07.2013 – VIII ZB 18/13 und – VIII ZB 19/13 NJW 2013, 3451 Rn. 6[]
  4. BGBl. I S. 3786[]
  5. BT-Drs. 17/12634 S. 30[]
  6. Prütting/Gehrlein/Lemke ZPO 7. Aufl. § 517 Rn. 4[]
  7. vgl. BGH, Beschluss BGHZ 186, 22 = FamRZ 2010, 1246 Rn. 13[]
  8. so auch Musielak/Voit/Ball ZPO 12. Aufl. § 517 Rn. 5; BeckOK ZPO/Wulf [1.06.2015] § 517 Rn. 8; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 36. Aufl. § 517 Rn. 2; Hk-ZPO/Saenger 6. Aufl. § 317 Rn. 2[]
  9. fünf Monate bis zum Beginn der Berufungsfrist und ein Monat Berufungsfrist[]
  10. vgl. BGH, Beschluss vom 22.07.2015 XII ZB 583/14 FamRZ 2015, 1878 Rn. 10 mwN[]
  11. vgl. BGH Beschluss vom 22.11.1990 – I ZB 13/90 NJW-RR 1991, 828[]
  12. BGH Beschluss vom 08.02.1996 – VII ZB 21/95 NJW 1996, 1477[]
  13. vgl. Zöller/Greger ZPO 31. Aufl. § 233 Rn. 23; Prütting/Gehrlein/Milger ZPO 7. Aufl. § 233 Rn. 49; vgl. auch BGH Beschluss vom 22.11.1990 – I ZB 13/90 NJW-RR 1991, 828, 829[]
  14. vgl. BGH, Beschluss vom 18.07.2007 XII ZB 32/07 FamRZ 2007, 1722 Rn. 11[]
  15. BGH Beschlüsse vom 11.05.2011 – IV ZB 2/11 AnwBl 2011, 865 Rn. 7; und vom 18.04.2000 – XI ZB 1/00 NJW 2000, 2511, 2512[]
  16. vgl. BGH Beschluss vom 12.11.2013 XII ZB 11/12 FamRZ 2014, 295 Rn. 21 mwN[]
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