Eine Beschwerde ist formgerecht eingelegt, wenn trotz fehlerhafter Bezeichnung der angegriffenen Entscheidung aufgrund der Angaben in der Beschwerdeschrift und den sonstigen aus den Verfahrensakten erkennbaren Umständen vor Ablauf der Beschwerdefrist für das Gericht nicht zweifelhaft bleibt, welche Entscheidung angefochten wird, und es anhand der im Übrigen richtigen und vollständigen Angaben in der Rechtsmittelschrift nicht daran gehindert ist, seine verfahrensvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen1.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall streiten die Beteiligten um die Zahlung von Betreuungsunterhalt. Auf Antrag der Antragstellerin hat das Amtsgericht mit am 12.05.2021 verkündetem Beschluss den Antragsgegner verpflichtet, an die Antragstellerin ab Mai 2021 laufenden Betreuungsunterhalt sowie für den Zeitraum März 2019 bis einschließlich April 2021 rückständigen Betreuungsunterhalt zu zahlen. Im Übrigen hat es den Antrag abgewiesen. Mit am 14.05.2021 erlassenem Beschluss hat es den Verfahrenswert festgesetzt. Beide Beschlüsse sind den Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten am 17.05.2021 zugestellt worden.
Mit Rechtsanwaltsschriftsatz vom 07.06.2021 hat der Antragsgegner gegen den „Beschluss des Amtsgerichts [N]. Familiengericht vom 14.05.2021, zugestellt am 17.05.2021,“ Beschwerde eingelegt. Mit weiterem Schriftsatz vom 30.06.2021 hat er klargestellt, dass sich die Beschwerde gegen den Beschluss vom 12.05.2021 richte. Nach entsprechendem Hinweis hat das Oberlandesgericht Düsseldorf die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss vom 12.05.2021 verworfen2. Auf die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Antragsgegners hob der Bundesgerichtshof den Verwerfungsbeschluss des Oberlandesgererichts auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück an das Oberlandesgericht:
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Antragsgegner in seinem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip), welcher es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren3.
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung Folgendes ausgeführt: Der innerhalb der Beschwerdefrist eingegangene Schriftsatz vom 07.06.2021, nach dessen Wortlaut Beschwerde gegen einen am 17.05.2021 zugestellten Beschluss vom 14.05.2021 eingelegt werde, könne nicht als Beschwerde gegen die Entscheidung in der Hauptsache vom 12.05.2021 ausgelegt werden. Nur der Beschluss, mit dem das Amtsgericht den Verfahrenswert festgesetzt habe, datiere vom 14.05.2021. Aus dem Umstand, dass der Verfahrenswert erstinstanzlich nicht streitig gewesen sei und der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners am 7.06.2021 auf der Grundlage dieser Wertfestsetzung seine Verfahrenskostenhilfeliquidation eingereicht habe, lasse sich nicht hinreichend sicher schließen, dass der Antragsgegner nicht diesen Beschluss, sondern die Entscheidung in der Hauptsache habe anfechten wollen. Auch daraus, dass das Amtsgericht als Erklärungsempfänger die Rechtsmittelschrift als Beschwerde gegen die Entscheidung in der Hauptsache ausgelegt habe, könne der Antragsgegner für sich nichts herleiten. Maßgeblich sei, wie der Schriftsatz bei objektiver Würdigung unter Rücksicht auf Treu und Glauben habe verstanden werden müssen.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts hat der Antragsgegner mit dem am 7.06.2021 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten form- und fristgerecht Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 12.05.2021 eingelegt.
Nach § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG muss die Beschwerdeschrift die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Wie bei der für das zivilprozessuale Berufungsverfahren maßgeblichen Regelung in § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, an die § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG angelehnt ist4, ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift allerdings nicht, auf welche Weise die angefochtene Entscheidung bezeichnet werden muss. Da § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG dem Zweck dient, dem Beschwerdegericht und den übrigen Verfahrensbeteiligten Klarheit über den Gegenstand und die Beteiligten des Rechtsmittelverfahrens zu verschaffen, ist in der Beschwerdeschrift die angegriffene Entscheidung in der Regel durch eine vollständige Bezeichnung der Verfahrensbeteiligten, des Gerichts, das den angefochtenen Beschluss erlassen hat, des Verkündungsdatums und des Aktenzeichens zu bezeichnen5.
Dabei ist jedoch zu beachten, dass verfahrensrechtliche Formvorschriften kein Selbstzweck sind6. Daher dürfen keine übermäßigen Anforderungen an die Beachtung der Förmlichkeiten der Beschwerdeschrift gestellt werden. Ausreichend ist, wenn aufgrund der Angaben in der Beschwerdeschrift und den sonstigen aus den Verfahrensakten erkennbaren Umständen vor Ablauf der Beschwerdefrist für das Gericht nicht zweifelhaft bleibt, welche Entscheidung angefochten wird, und es anhand der im Übrigen richtigen und vollständigen Angaben in der Rechtsmittelschrift nicht daran gehindert ist, seine verfahrensvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen7.
Gemessen hieran hat der Antragsgegner durch die am 7.06.2021 beim Amtsgericht eingegangene Rechtsmittelschrift rechtzeitig Beschwerde gegen den am 17.05.2021 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts vom 12.05.2021 eingelegt. Zwar ist in diesem Schriftsatz der Erlasstermin der Entscheidung, gegen die sich das Rechtsmittel richten sollte, unzutreffend angegeben. Aus dem Inhalt der Verfahrensakten ergaben sich für das Gericht jedoch schon vor Ablauf der Beschwerdefrist hinreichende Anhaltspunkte, aus denen erkennbar war, dass der Antragsgegner die Entscheidung in der Hauptsache und nicht den Beschluss über die Festsetzung des Verfahrenswerts anfechten wollte.
So befand sich in den Verfahrensakten bereits die Verfahrenshilfeliquidation des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners, die er am Tage der Abfassung der Beschwerdeschrift beim Amtsgericht eingereicht und der er die in dem Beschluss vom 14.05.2021 festgesetzten Verfahrenswerte unbeanstandet zugrunde gelegt hatte. Zudem hatte das Amtsgericht in seiner Abgabeverfügung vom 09.06.2021, die innerhalb der Beschwerdefrist beim Beschwerdegericht eingegangen ist, das Datum der angefochtenen Entscheidung mit dem 12.05.2021 angegeben. An diesem Tag war jedoch nur die Entscheidung in der Hauptsache erlassen, nicht aber die über den Verfahrenswert, die vom 14.05.2021 stammt. Dieser Abgabenachricht, die dem Antragsgegnervertreter innerhalb der Beschwerdefrist übermittelt worden war, hat der Antragsgegner nicht widersprochen. Schließlich erfolgte die Aktenübersendung an das Beschwerdegericht ohne eine Abhilfeentscheidung durch das Amtsgericht. Bei einer gegen die Festsetzung des Verfahrenswerts gerichteten Beschwerde gemäß §§ 59 Abs. 1 Satz 5, 57 Abs. 3 Satz 1 FamGKG hätte das Amtsgericht jedoch zunächst selbst über die Abhilfe entscheiden und erst danach, nämlich im Falle der Nichtabhilfe, die Akte dem Beschwerdegericht vorlegen müssen.
Trotz der fehlerhaften Angaben in der Beschwerdeschrift zum Erlassdatum war das Beschwerdegericht auch seit Beginn seiner Befassung mit der Sache nicht gehindert, seine verfahrensvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen8. Das Verfahren wurde von der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts ohne weitere Beanstandung als Rechtsmittel gegen eine Hauptsacheentscheidung unter dem „UF“-Registerzeichen und nicht wie bei einer Beschwerde gegen eine Entscheidung über die Festsetzung des Verfahrenswerts unter dem „WF“-Registerzeichen eingetragen. Der Vorsitzende hat mit Verfügung vom 20.08.2021 Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt und gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, § 273 ZPO das persönliche Erscheinen der Beteiligten angeordnet. Im weiteren Verfahrensverlauf hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 29.10.2021 die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Beschwerde des Antragsgegners zulässig sei, weil sie „den Anforderungen des § 130 a Abs. 3, 1. Alt. 2 ZPO“ genüge. Schließlich hat das Beschwerdegericht am 14.11.2021 einen Termin zur mündlichen Verhandlung durchgeführt, bei dem allerdings die Antragstellerin nicht erschienen war.
Soweit das Beschwerdegericht eine solche Auslegung der Beschwerdeschrift für nicht möglich gehalten hat, ist der Bundesgerichtshof hieran nicht gebunden. Die Auslegung von Verfahrenshandlungen unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs freier rechtlicher Nachprüfung. Sie orientiert sich an dem Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht9.
Die Auslegung der am 7.06.2021 fristgerecht beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerdeschrift ergibt nach alldem, dass der Antragsgegner bereits mit dieser Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss vom 12.05.2021 eingelegt hat.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 2. August 2023 – XII ZB 432/22
- im Anschluss an BGH, Beschluss vom 20.05.2015 – XII ZB 368/14 , FamRZ 2015, 1276[↩]
- OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.09.2022 – II7 UF 104/21[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 23.01.2013 – XII ZB 167/11 FamRZ 2013, 1117 Rn. 4 mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 20.05.2015 – XII ZB 368/14 FamRZ 2015, 1276 Rn. 17[↩]
- BGH, Beschluss vom 20.05.2015 – XII ZB 368/14 FamRZ 2015, 1276 Rn. 17 mwN[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 20.05.2015 – XII ZB 368/14 FamRZ 2015, 1276 Rn. 18 und BGHZ 165, 371 = FamRZ 2006, 543[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 20.05.2015 – XII ZB 368/14 FamRZ 2015, 1276 Rn. 18 mwN und BGHZ 165, 371 = FamRZ 2006, 543 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss BGHZ 165, 371, 374 = FamRZ 2006, 543[↩]
- vgl. BGH Beschluss vom 20.01.2004 – VI ZB 68/03 , FamRZ 2004, 697, 698 mwN[↩]
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