Nach § 538 Abs. 1 ZPO hat das Berufungsgericht grundsätzlich die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden. Ob das Verfahren im ersten Rechtszuge an einem wesentlichen Mangel leidet, der nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO ausnahmsweise eine Zurückverweisung an das Gericht des ersten Rechtszugs ermöglicht, ist allein aufgrund des materiell-rechtlichen Standpunkts des Erstgerichts zu beurteilen.

Das Berufungsgericht darf gemäß § 538 Abs. 2 ZPO die Sache nur ausnahmsweise an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverweisen, u.a. soweit das Verfahren im ersten Rechtszuge an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist und eine Partei die Zurückverweisung beantragt (§ 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). In diesem Fall kommt eine Zurückverweisung nur in Betracht, wenn das erstinstanzliche Verfahren an einem so wesentlichen Mangel leidet, dass es keine Grundlage für eine Instanz beendende Entscheidung sein kann.
Ob ein solcher Mangel vorliegt, ist allein aufgrund des materiellrechtlichen Standpunkts des Erstgerichts zu beurteilen, auch wenn das Berufungsgericht ihn nicht teilt1. Hiernach begründet es keinen Fehler im Verfahren der Vorinstanz, wenn das Berufungsgericht Parteivorbringen materiellrechtlich anders beurteilt als das Erstgericht2.
Ein Verfahrensfehler kann in einem solchen Fall auch nicht mit einer Verletzung der richterlichen Hinweis- und Fragepflicht (§ 139 ZPO) begründet werden. Eine unrichtige Rechtsansicht des Erstrichters darf nicht auf dem Umweg über eine angebliche Hinweispflicht gegenüber den Parteien in einen Verfahrensmangel umgedeutet werden, wenn auf der Grundlage der Auffassung des Erstgerichts kein Hinweis geboten war. Das Berufungsgericht muss vielmehr auch insoweit bei Prüfung der Frage, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, den Standpunkt des Erstgerichts zugrunde legen3.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. Mai 2013 – VI ZR 325/11
- vgl. BGH, Urteile vom 10.12.1996 – VI ZR 314/95, NJW 1997, 1447 und vom 13.07.2010 – VI ZR 254/09, VersR 2010, 1666 Rn. 8; BGH, Urteile vom 01.02.2010 – II ZR 209/08, NJW-RR 2010, 1048 Rn. 11; vom 14.06.2012 – IX ZR 150/11, NJW-RR 2012, 1207 Rn. 14 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 13.07.2010 – VI ZR 254/09, aaO Rn. 15; vom 01.02.2010 – II ZR 209/08, aaO Rn 14; vom 14.06.2012 – IX ZR 150/11, aaO[↩]
- BGH, Urteile vom 10.12.1996 – VI ZR 314/95, aaO, 1448; vom 13.07.2010 – VI ZR 254/09, aaO; BGH, Urteil vom 14.06.2012 – IX ZR 150/11, aaO[↩]