Einer Partei, die zur notwendigen Wahrnehmung von Terminen (hier: Gerichts- und Ortstermine) bezahlten Urlaub genommen hat, steht kein Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung nach § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. § 22 JVEG, sondern nur ein Anspruch auf Zeitversäumnisentschädigung gemäß § 20 JVEG zu.

Die Frage, ob eine erstattungsberechtigte Partei, die zur Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen bezahlten Urlaub genommen hat, Entschädigung für Verdienstausfall oder nur für Zeitversäumnis erhält, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Während die überwiegend vertretene Ansicht nur eine Zeitversäumnisentschädigung anerkennt [1], hält die Gegenansicht die Gewährung einer Verdienstausfallentschädigung für gerechtfertigt [2].
Der Bundesgerichtshof hat sich nunmehr der erstgenannten Meinung angeschlossen:
Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen ist der Wortlaut von § 22 JVEG. Diese Vorschrift ist auf den Anspruch einer erstattungsberechtigten Partei entsprechend anwendbar, weil die Verweisung in § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO entgegen ihrem Wortlaut nicht nur die „Zeitversäumnis“ nach § 20 JVEG, sondern auch den „Verdienstausfall“ nach § 22 JVEG umfasst [3].
Entsprechend § 22 JVEG erhalten Parteien, „denen ein Verdienstausfall entsteht“, eine Entschädigung, die sich nach dem regelmäßigen Bruttoverdienst richtet und die für jede Stunde höchstens 17 € beträgt. Der Gesetzeswortlaut setzt damit einen tatsächlich entstandenen Verdienstausfall voraus, woran es im Fall des bezahlten Urlaubs fehlt, weil die Partei während dieses Zeitraums ihren Lohn bzw. ihr Gehalt ungeschmälert weiter erhält [4]. Tritt ein Verdienstausfall nicht ein, kommt folglich nur eine Zeitversäumnisentschädigung nach § 20 JVEG in Betracht.
Dies entspricht auch der Gesetzesbegründung zu §§ 20, 22 JVEG, die auf die früher für die Zeugenentschädigung geltenden Regelungen in § 2 ZSEG (Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen) verweist [5]. Den Gesetzesmaterialien zu dieser Vorschrift wiederum ist zu entnehmen, dass ein Zeuge für seinen Verdienstausfall nur dann entschädigt wird, wenn er einen solchen tatsächlich erlitten hat [6]. Auch vor der Einführung des ZSEG hat nichts anderes gegolten. Bereits in der Begründung für die bis dahin geltende Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige [7] wurde ausgeführt, dass die Erwerbsversäumnis bei der Bemessung der Zeugenentschädigung nur dann berücksichtigt wird, wenn sie tatsächlich angefallen ist.
Es besteht kein Anlass, § 22 JVEG über dessen Wortlaut hinaus dahingehend erweiternd auszulegen, dass dieser auch dann eine Verdienstausfallentschädigung ermöglicht, wenn ein Verdienstausfall – wie im Fall des bezahlten Urlaubs – tatsächlich nicht eintritt.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine solche Auslegung nicht schon deshalb geboten, weil die nutzlos aufgewendete Urlaubszeit unter schadensersatzrechtlichen Gesichtspunkten als ausgleichspflichtiger Vermögensschaden – vgl. z.B. § 651f Abs. 2 BGB – anerkannt ist.
Das Entschädigungssystem des JVEG kann nach seinem Sinn und Zweck nicht mit einer Schadensersatzregelung gleichgestellt werden [8]. Der Gesetzgeber erstrebt keinen vollen Ausgleich des an einem Verfahren teilnehmenden Zeugen; dieser erfüllt mit seiner Teilnahme am Termin vielmehr eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht und erhält dafür aus Billigkeitsgründen eine Entschädigung für die ihm erwachsenen Nachteile [9]. Daher begrenzt das JVEG den Verdienstausfall auf einen Höchstbetrag, der jedenfalls für die weniger verdienenden Arbeitnehmer einen vollen Ausgleich ermöglichen soll [10], und mutet damit zugleich einem großen Teil der Zeugen aus staatsbürgerlicher Verpflichtung einen Verdienstausfall zu [11]. Diese Beschränkungen des Entschädigungsanspruchs sind im Rahmen der entsprechenden Anwendung auf notwendige Terminswahrnehmungen einer Prozesspartei nach § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO ebenfalls zu beachten.
Soweit darauf hingewiesen wird, Parteien und Zeugen, die sich zur Terminswahrnehmung bezahlten Urlaub genommen hätten, müssten im Rahmen von § 22 JVEG so entschädigt werden, dass sie sich davon in gleichem Umfang Freizeit in Form von unbezahltem Urlaub „erkaufen“ könnten [12], rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Bei dieser allein auf Billigkeitserwägungen gestützten Auslegung geht es letztlich nicht mehr um einen Ausgleich für tatsächlich eingetretenen Verdienstausfall, sondern um den Ersatz für verbrauchte Urlaubszeit [13]. Der Ausgleich eines solchen „fiktiven“ Verdienstausfalls ist weder mit dem Gesetzeswortlaut [14] noch mit dem bereits dargestellten Gesetzgeberwillen zu vereinbaren.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26. Januar 2012 – VII ZB 60/09
- vgl. OLG Düsseldorf, MDR 1997, 1070 f.; OLG Stuttgart, JurBüro 1992, 123 [Zeugenentschädigung]; LAG Düsseldorf, JurBüro 1992, 686 und 813; OLG Schleswig, JurBüro 1991, 545 f.; OLG Hamm, Rpfleger 1991, 266 f.; OLG Koblenz, MDR 1986, 328 f.; KG, JurBüro 1983, 738 ff.; OVG Lüneburg, JurBüro 1983, 1180 f.; OLG München, MDR 1981, 163; OLG München, JurBüro 1973, 349 ff.; Binz/Dorndörfer/Petzold/Zimmermann, GKG etc., 2. Aufl., § 22 JVEG Rn. 3; Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., § 22 JVEG Rn.19 f.; Meyer/Höver/Bach, JVEG, 25. Aufl., § 22 Rn. 22.20; Schneider, JVEG, 1. Aufl., § 22 Rn. 26; Zimmermann, JVEG, 1. Aufl., § 22 Rn. 6 ff.; Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl., § 91 Rn. 13 „Zeitversäumnis“[↩]
- vgl. OLG Karlsruhe, Die Justiz 1987, 156; OLG Celle, JurBüro 1982, 107 f.; OLG Frankfurt, JurBüro 1981, 1700 ff.; LG Freiburg, MDR 1993, 89; AG Lübeck, Rpfleger 1995, 127[↩]
- dazu BGH, Beschluss vom 02.12.2008 – VI ZB 63/07, MDR 2009, 230, 231; Lappe, NJW 2006, 270, 275[↩]
- Zimmermann, JVEG, 1. Aufl., § 22 Rn. 8[↩]
- BT-Drucks. 15/1971, S. 185 f.[↩]
- vgl. BT-Drucks. 2/2545, S. 213; BT-Drucks. 10/5113, S. 58[↩]
- nachgewiesen in Wegner, Deutsche Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige, 8. Aufl. [1934], § 2 Rn. 8, 11[↩]
- vgl. OLG Schleswig, JurBüro 1991, 545 f.; OLG Koblenz, MDR 1986, 328 f.; OLG München, JurBüro 1973, 349, 350 – jeweils noch zum ZSEG[↩]
- BT-Drucks. 2/2545, S. 213[↩]
- BT-Drucks. 15/1971, S. 186[↩]
- vgl. OLG München, MDR 1981, 163, noch zum ZSEG[↩]
- vgl. OLG Celle, JurBüro 1982, 107, 108; OLG Frankfurt, JurBüro 1981, 1700, 1701; AG Lübeck, Rpfleger 1995, 127 – jeweils noch zum ZSEG[↩]
- Zimmermann, JVEG, 1. Aufl., § 22 Rn. 10[↩]
- vgl. KG, JurBüro 1983, 738, 740; OLG München, MDR 1981, 163; Zimmermann, JVEG, 1. Aufl., § 22 Rn. 10[↩]