Bindung an einen fehlerhaften Verweisungsbeschluss

Eine Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit kann bindend sein, wenn das verweisende Gericht übersehen hat, dass sich nur die Geschäftsanschrift der beklagten GmbH, nicht aber der satzungsmäßige Sitz der Gesellschaft geändert hat. Übersieht das Gericht bei der Verweisung außerdem einen eigenen Gerichtsstand gemäß § 29 ZPO (Erfüllungsort am früheren Sitz der Beklagten zum Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses), steht auch dies einer Bindungswirkung der Verweisung nicht ohne weiteres entgegen1.

Bindung an einen fehlerhaften Verweisungsbeschluss

Der Verweisungsbeschluss ist für das Gericht, an das verwiesen wurde, bindend. Nach der gesetzlichen Regelung des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO kommt es nicht darauf an, ob die Verweisung rechtlich zutreffend war.

Die Verweisung wäre nach den in der Rechtsprechung zu § 281 ZPO entwickelten Grundsätzen – ausnahmsweise – dann als nicht bindend anzusehen, wenn sie objektiv willkürlich wäre2. Daraus, dass dem verweisenden Gericht ein rechtlicher Fehler unterlaufen ist, folgt jedoch nicht, dass dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint3.

Aus dem Handelsregisterauszug ergibt sich vorliegend, dass die Beklagte ihren satzungsgemäßen Sitz im Bezirk des Amtsgerichts Offenburg hat. Ein Sitz in einem anderen Gerichtsbezirk hat auch in der Vergangenheit nicht bestanden. Es war daher beim Amtsgericht Offenburg eine örtliche Zuständigkeit sowohl gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO, als auch – im Hinblick auf den geltend gemachten vertraglichen Anspruch – gemäß § 29 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 269 BGB gegeben.

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Das Amtsgericht Offenburg hat eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Lehrte angenommen, weil es möglicherweise unterstellt hat, dass mit der Veränderung des Verwaltungssitzes der Beklagten auch eine Verlegung des satzungsgemäßen Sitzes erfolgt sei4. Dies war, wie aus dem Handelsregisterauszug ersichtlich, unzutreffend. Der Registerauszug lag dem Amtsgericht Offenburg allerdings nicht vor. Außerdem hat das Amtsgericht Offenburg, worauf das Amtsgericht Lehrte zutreffend hinweist, einen eigenen Gerichtsstand des Erfüllungsorts, der sich aus dem Sitz der Beklagten zum (früheren) Zeitpunkt der Begründung der Verpflichtung ergab, nicht geprüft und übersehen.

Ein Verweisungsbeschluss kann dann als nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar angesehen werden – mit der Konsequenz eines Entfallens der Bindungswirkung, wenn das verweisende Gericht eine seine Zuständigkeit begründende Norm nicht zur Kenntnis genommen oder sich ohne weiteres darüber hinweggesetzt hat5. Eine solche Konstellation ist im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Die Fehler, die dem Amtsgericht Offenburg unterlaufen sind, können den Vorwurf der Willkür nicht begründen.

Eine Prüfung der Zuständigkeit anhand von § 29 ZPO mag nahegelegen haben, weil der Inhalt der Anspruchsbegründung darauf hindeutete, dass der Sitz der Beklagten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in Offenburg lag. Eine Befassung mit dieser Frage drängte sich dennoch nicht derart auf, dass die getroffene Verweisungsentscheidung als schlechterdings nicht auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann. Dabei ist vor allem darauf abzustellen, dass weder die Klägerin noch die Beklagte – die sich im streitigen Verfahren bislang nicht gemeldet hat – die Frage des Erfüllungsorts thematisiert und dazu vorgetragen hatten. Das Amtsgericht Offenburg war dadurch zwar nicht gehindert, die Frage von sich aus aufzugreifen und die dafür maßgeblichen tatsächlichen Umstände durch Erteilung geeigneter Hinweise einer Klärung zuzuführen. Der Umstand, dass es von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, stellt jedoch lediglich einen einfachen Rechtsfehler dar, der die getroffene Entscheidung nicht als offensichtlich unhaltbar erscheinen lässt6.

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Auch das weitere Versehen des Amtsgerichts Offenburg, das die Veränderung der Geschäftsanschrift – unzutreffend – mit einem neuen Sitz im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO gleichgesetzt hat, bewertet das Oberlandesgericht als einfachen Rechtsfehler, der an der Bindung der Verweisung gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO nichts ändert. Das Amtsgericht Offenburg hat übersehen, dass die Änderung der Geschäftsanschrift einer GmbH im Hinblick auf § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht die gleichen Wirkungen hat, wie die Änderung der Wohnanschrift einer natürlichen Person im Hinblick auf § 13 ZPO. Bei der Bewertung dieses Versehens ist zum einen zu berücksichtigen, dass nach der früher geltenden Rechtslage Geschäftssitz und satzungsgemäßer Sitz einer GmbH normalerweise zusammen fielen7. Zum anderen kann die Verfahrensweise des Amtsgerichts Offenburg auch deshalb nicht als objektiv willkürlich angesehen werden, weil es seine Auffassung (der „neue Sitz“ der Beklagten sei in Lehrte) beiden Parteien mitgeteilt hat. Keine der Parteien hat dieser Auffassung in der Frist zur Stellungnahme widersprochen. Zwar kann das Oberlandesgericht im Nachhinein nicht sicher feststellen, welche Überlegungen das Amtsgericht Offenburg vor der Verweisung tatsächlich angestellt oder – versehentlich – unterlassen hat; es erscheint jedoch zumindest verständlich, wenn das Amtsgericht Offenburg aus dem Verhalten der Parteien eine Bestätigung der eigenen – objektiv fehlerhaften – Auffassung zum Sitz der Beklagten in Lehrte abgeleitet hat8.

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Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 22. Oktober 2014 – 9 AR 9/14

  1. Anschluss an BGH, NJW-RR 2011, 1364[]
  2. vgl. dazu Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 30. Aufl.2014, § 281 ZPO Rn. 17[]
  3. vgl. zum Begriff der objektiven Willkür BGH, NJW-RR 2011, 1364, 1365[]
  4. vgl. die Verfügung des Amtsgerichts Offenburg vom 24.04.2014[]
  5. vgl. BGH, a.a.O.[]
  6. ebenso in einem gleichartigen Fall BGH, NJW-RR 2011, 1364, 1365[]
  7. vgl. die bis zum 31.10.2008 geltende Regelung in § 4 a Abs. 2 GmbHG a.F.[]
  8. vgl. zu diesem Gesichtspunkt – mögliche Stellungnahmen der Parteien zur Zuständigkeit – BGH, a.a.O.[]