Das Altenteil in der Zwangsversteigerung

Steht nicht fest, ob das Recht eines vor- oder gleichrangigen Gläubigers durch das Fortbestehen eines als Altenteil eingetragenen Rechts nach § 9 Abs. 1 EGZVG beeinträchtigt ist, ist das Grundstück entsprechend § 59 Abs. 2 ZVG gleichzeitig zu den Bedingungen nach § 9 Abs. 1 EGZVG und zu den Bedingungen nach § 9 Abs. 2 EGZVG auszubieten. Für den Zuschlag kommt es darauf an, ob der antragstellende Gläubiger bei dem Ausgebot zu der Bedingung des Fortbestands des als Altenteil eingetragenen Rechts (§ 9 Abs. 1 EGZVG) keine oder eine schlechtere Deckung erreicht als bei dem Ausgebot zu der Bedingung des Erlöschen dieses Rechts (§ 9 Abs. 2 EGZVG). Der Wert des als Altenteil eingetragenen Rechts bleibt dabei außer Betracht. Bei der Erteilung des Zuschlags hat das Vollstreckungsgericht kein Ermessen.

Das Altenteil in der Zwangsversteigerung

Doppelt auszubieten war das Erbbaurecht nur, wenn es mit einem Wohnungsrecht belastet war, das als Altenteil eingetragen worden ist. Dann nämlich blieb das Wohnungsrecht nach § 9 Abs. 1 EGZVG i.V.m. Art. 30 Abs. 1 BayAGGVG bestehen, obwohl es den Grundpfandrechten der Gläubigerin im Rang nachging und deshalb nach § 44 Abs. 1 ZVG nicht in das geringste Gebot aufzunehmen war. Das wiederum berechtigte die Gläubiger nach § 9 Abs. 2 EGZVG zu dem gestellten Antrag, das Erbbaurecht (auch) zu der Bedingung auszubieten, dass das Wohnungsrecht daran erlischt. Ob dieses Recht als Teil eines Altenteils eingetragen worden ist, ist zweifelhaft. Allein aus der Vereinbarung eines Wohnungsrechts als Gegenleistung für die Übertragung eines Erbbaurechts kann nicht auf das Vorliegen eines Altenteils geschlossen werden. Entscheidend ist vielmehr, dass ein Beteiligter dem anderen seine wirtschaftliche Lebensgrundlage überträgt, um dafür in die persönliche Gebundenheit eines abhängigen Versorgungsverhältnisses einzutreten, während der Übernehmer eine wirtschaftlich selbstständige Stellung erlangt1. Daran kann es fehlen, wenn das Wohnungsrecht , wie hier, nicht dem bisherigen Inhaber des Erbbaurechts, sondern einem Dritten eingeräumt wird. Diese von dem Beschwerdegericht offen gelassene Frage bedarf indes keiner Klärung.

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War das Wohnungsrecht kein Altenteil, war das Erbbaurecht nicht doppelt auszubieten. Es blieb vielmehr bei dem Erlöschen nachrangiger Rechte nach § 44 Abs. 1, § 52 Abs. 1 ZVG. Dass das Erbbaurecht dennoch doppelt ausgeboten worden ist, wäre unschädlich. Es ist jedenfalls auch zu den Bedingungen des § 44 Abs. 1 ZVG ausgeboten und zu diesen Bedingungen zugeschlagen worden.

Das Ausgebot ist aber ebenfalls nicht zu beanstanden, wenn das Wohnungsrecht im Sinne von § 9 Abs. 1 EGZVG als Altenteil eingetragen worden sein sollte. Die Gläubigerin hatte beantragt, das Erlöschen des Wohnungsrechts als Versteigerungsbedingung zu bestimmen. Dazu war sie nach § 9 Abs. 2 EGZVG berechtigt, wenn ihre vorrangigen Rechte bei Fortbestehen des Wohnungsrechts beeinträchtigt wurden. Wenn das – wie hier – nicht sicher ist, ist entsprechend § 59 Abs. 2 ZVG doppelt auszubieten2; für direkte Anwendung der Norm: Jaeckel/Güthe, ZVG, 7. Aufl., § 9 EGZVG Anm. 10; Dorner, Bad. Ausführungsgesetz zum BGB, 1902 S. 258; Drischler, KTS 1971, 145, 147)). Dieses doppelte Ausgebot ist erfolgt. Es ist nicht zu beanstanden, dass beide Ausgebote – eines mit dem Erlöschen und eines ohne das Erlöschen des Wohnungsrechts – gleichzeitig erfolgten.

Die Frage, wie das doppelte Ausgebot bei § 9 Abs. 2 EGZVG technisch durchzuführen ist, wird allerdings unterschiedlich beantwortet. Nach einer Ansicht ist das Grundstück gleichzeitig zu den gesetzlichen Bedingungen des § 9 Abs. 1 EGZVG und zu den beantragten abweichenden Bedingungen des § 9 Abs. 2 EGZVG auszubieten3 123; Dorner, aaO, Bad. Ausführungsgesetz zum BGB, 1902 S. 258; Jaeckel/Güthe, aaO, § 9 EGZVG Anm. 10 Absatz 2; Steiner/Riedel, ZVG, 8. Aufl., § 9 EGZVG Rn. 11 Absatz (2) aE)). Nach der Gegenmeinung müssen die Ausgebote nacheinander erfolgen. Das Grundstück müsse erst unter Fortbestand des Wohnungsrechts und sodann unter dessen Erlöschen ausgeboten werden4. Der Bundesgerichtshof hat sich mit dieser Frage bislang nicht befasst. Der Bundesgerichtshof entscheidet sie im Sinne der zuerst genannten Ansicht.

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Für die zweite Meinung lässt sich zwar der Wortlaut der Vorschrift anführen, die eine tatsächliche Beeinträchtigung der vorrangigen Rechte des Gläubigers und damit letztlich auch einen Versuch voraussetzt, diese festzustellen5. Die Vorschrift sieht aber in diesem Fall gerade kein doppeltes, sondern ein Ausgebot zu der von der Regelung in § 9 Abs. 1 EGZVG abweichenden Bedingung vor, dass das Wohnungsrecht erlischt. Zu der Notwendigkeit eines doppelten Ausgebots gelangt man nicht allein auf Grund von § 9 Abs. 2 EGZVG, sondern unter entsprechender Anwendung von § 59 Abs. 2 ZVG, der das für eine vergleichbare Fallgestaltung vorsieht. Ein doppeltes Ausgebot nach § 59 Abs. 2 ZVG darf aber gleichzeitig erfolgen6. Das gilt auch im Fall des § 9 Abs. 2 EGZVG.

Dafür sprechen die Gesetzgebungsgeschichte und die Systematik der Vorschrift. Die heute in § 9 Abs. 2 EGZVG aufgenommene Regelung war im ursprünglichen Gesetzentwurf nicht enthalten. Sie beruht auf einem Vorschlag der XVI. Kommission des Reichstags7. Diese hielt es für geboten, die Wohnungsrechte für Altenteiler gegen ihren Fortfall in der Zwangsversteigerung abzusichern und hatte dazu zunächst erwogen, den heutigen § 59 ZVG entsprechend zu erweitern oder um einen § 59a mit entsprechendem Inhalt zu ergänzen. Vereinfachungsüberlegungen führten schließlich dazu, eine Erweiterung des bis dahin enger gefassten § 9 EGZVG vorzusehen, die später Gesetz geworden ist und bis heute gilt. Dieser Beratungsverlauf zeigt, dass dem Gesetzgeber ein Vorgehen nach § 59 Abs. 2 ZVG vorgeschwebt hat. An diese Vorschrift lehnt sich § 9 EGZVG jedenfalls systematisch an8. Das spricht für die Möglichkeit eines gleichzeitigen doppelten Ausgebots.

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Dafür sprechen auch praktische Überlegungen9. Die Forderung nach zwei aufeinander folgenden Ausgeboten liegt zwar auf den ersten Blick nahe, weil sie die ergebnisoffene Prüfung verspricht, ob das Grundstück auch mit dem Wohnungsrecht zu einem den Gläubiger befriedigenden Gebot versteigert werden kann. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass das praktisch nicht erreichbar ist. Der Gläubiger muss zu Beginn der Versteigerung auf die Notwendigkeit eines Antrags auf ein doppeltes Ausgebot hingewiesen werden10. Für die Bietinteressenten ist damit von vornherein klar, dass es zu einem solchen Antrag und damit auch zu einem Ausgebot kommen kann, das von § 9 Abs. 1 EGZVG abweicht. Dem Gläubiger muss rechtzeitig vor Ablauf der Bietstunde die Möglichkeit gegeben werden, diesen Antrag zu stellen. Das hat zur Folge, dass die Chancen auf ein für den Wohnungsrechtsinhaber günstigeres Versteigerungsergebnis durch ein Hinausschieben des Ausgebots zu den gemäß § 9 Abs. 2 EGZVG abweichenden Versteigerungsbedingungen nicht steigen. Dann aber ist es zweckmäßiger, ein gleichzeitiges Ausgebot zuzulassen.

Diesem Ergebnis steht der Schutzzweck des § 9 Abs. 1 EGZVG nicht entgegen. Der Vorschrift wird zwar gelegentlich die Funktion entnommen, dem Altenteiler auf Kosten des Gläubigers das Wohnungsrecht zu sichern11. Das entspricht aber weder der Intention des Gesetzgebers noch dem Text der Vorschrift. Sie will den Gläubiger nicht zurücksetzen. Das wäre auch schwer vertretbar, weil das Wohnungsrecht des Altenteilers in der von § 9 Abs. 1 EGZVG geregelten Fallsituation regelmäßig den Rechten des Gläubigers im Rang nachgeht. Die vorrangigen Gläubiger können auf den Fortbestand ihrer Rechte und der damit verbundenen Vollstreckungsmöglichkeiten vertrauen. Diesen Zugriff sichert ihnen § 9 Abs. 2 EGZVG12. Damit reduziert sich der Schutzzweck des § 9 Abs. 1 EGZVG darauf, dem Altenteiler die Chance zu verschaffen, den Verlust seines Wohnungsrechts zu vermeiden, wenn der vorrangige Gläubiger keinen Antrag auf Bestimmung des Erlöschens stellt oder wenn zu den gesetzlichen Bedingungen ein den Gläubiger zufriedenstellendes Gebot abgegeben wird13. Diese wird durch ein gleichzeitiges Ausgebot gegenüber den denkbaren Alternativen nicht geschmälert.

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Auch die Frage, welche Gebote bei der Prüfung einer Beeinträchtigung der Rechte des Gläubigers nach § 9 Abs. 2 EGZVG zu berücksichtigen sind, ist streitig. Nach einer Meinung kommt es nicht entscheidend auf den Betrag des Gebots, sondern auf seinen wirtschaftlichen Wert an14. Gemeint ist damit im Wesentlichen, dass der Wert des Wohnungsrechts dem Gebot hinzuzurechnen ist. Nach einer anderen Meinung kommt es darauf an, in welchem Umfang der Gläubiger bei Bestehenbleiben oder Erlöschen des Wohnungsrechts mit seinen Rechten ausfällt15. Das muss zwar nicht immer dazu führen, dass der Zuschlag auf das zahlenmäßig höchste Gebot zu erteilen ist. Auch ein niedrigeres Gebot unter der Bedingung des Bestehenbleibens des Wohnungsrechts kann dazu führen, dass der Gläubiger mit seinem Recht nicht ausfällt. Dann wäre es dem zahlenmäßig höheren unter der Bedingung des Erlöschens des Wohnungsrechts vorzuziehen16. Dieser Sonderfall liegt hier aber nicht vor. Die Gläubigerin verliert als Folge der Versteigerung ihre Rechte vollständig. Für sie kommt es allein darauf an, welchen Erlös die Versteigerung erbringt.

Diese zweite Meinung hält der Bundesgerichtshof für zutreffend. Die Regelung in § 9 Abs. 2 EGZVG soll dem vorrangigen Gläubiger die Möglichkeit geben, einen Ausfall mit seinem Recht zu vermeiden, der auf dem Fortbestand des später begründeten Wohnungsrechts beruht. Maßgeblich ist dafür eine Beeinträchtigung seines Rechts. Die liegt zwar nicht schon darin, dass das Wohnungsrecht bestehen bleibt, wohl aber darin, dass er bei einem Ausgebot mit Bestehenbleiben des Rechts weniger Erlös erzielt als auf ein Ausgebot mit Erlöschen dieses Rechts17. Der Wert des bestehenbleibenden Wohnungsrechts ist für ihn dabei ohne Bedeutung, weil er ihm nicht zugutekommt. Entscheidend ist die zahlenmäßige Höhe des Gebots. Das war auch die Vorstellung des Gesetzgebers. Die XVI. Kommission des Reichstags hat bei ihren Überlegungen zum Schutz der Altenteiler auch einen entsprechenden Textvorschlag erarbeitet18. Dieser Vorschlag ist zwar nicht Gesetz geworden, aber nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern, weil man mit § 9 EGZVG eine schlankere Formulierung erreichen wollte.

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Dem Vollstreckungsgericht steht nach allgemeiner Meinung bei der Erteilung des Zuschlags im Fall des § 9 EGZVG kein Ermessen zu. Seine Entscheidung ist gebunden und bestimmt sich allein danach, ob der betroffene Gläubiger einen Antrag nach § 9 Abs. 2 EGZVG stellt und ob er bei einem Ausgebot unter Fortbestehen des Wohnungsrechts keine oder eine schlechtere Deckung erreicht als bei einem Ausgebot ohne Fortbestehen dieses Rechts19. Entgegen einer vereinzelt gebliebenen Ansicht11 ergibt sich die Notwendigkeit einer Abwägung der Interessen des Gläubigers mit denen des Wohnungsrechtsinhabers auch nicht aus einer verfassungskonformen Auslegung der Norm. Verfassungsrechtlich geboten ist im Gegenteil der Abänderungsanspruch des Gläubigers. Die Norm stellt den Wohnungsrechtsinhaber in Absatz 1 besser, als es dem Rang seines Rechts entspricht. Das wäre bedenklich, wenn der Gläubiger eine dadurch ausgelöste Beeinträchtigung seines besseren Rechts entschädigungslos in Kauf nehmen müsste. Gerade das soll § 9 Abs. 2 EGZVG vermeiden. Das Beschwerdegericht hat deshalb zu Recht auch nur nebenbei erwähnt, dass die Schuldnerin für das Erbbaurecht keineswegs nur das Wohnungsrecht bestellt, sondern im Gegenteil auch die den Wert des Erbbaurechts ausschöpfenden Grundschuldverpflichtungen übernommen hat.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 1. Dezember 2011 – V ZB 186/11

  1. BGH, Beschluss vom 31.03.2011 – V ZB 313/10, WuM 2011, 533[]
  2. Steiner/Riedel, ZVG, 8. Aufl., § 9 EGZVG Rn. 11 unter ((2[]
  3. Löhnig/Makos, ZVG, § 9 EGZVG Rn. 23; Stöber, ZVG, 19. Aufl., § 9 EGZVG Rn.04.8; Drischler, Rpfleger 1983, 229, 231; Hagena, Rpfleger 1975, 73, 75 f.; davon gehen auch aus OLG Königsberg, OLGE 2, 509, 510; OLG Darmstadt, HessRspr 9 ((1909[]
  4. Hintzen in Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 13. Aufl., § 9 EGZVG Rn.19 f., klarer noch in der Vorauflage dieses Kommentars Reinhard/Müller, ZVG, 3./4. Aufl., § 9 EGZVG Anm. II 5; so wohl auch Scheyhing, SchlHA 1965, 122[]
  5. Hagena, Rpfleger 1975, 73, 75[]
  6. Hintzen in Dassler/Schiffhauer/Hintzen, Engels/Rellermeyer, aaO, § 59 Rn. 60; Löhnig/Siwonia, ZVG, aaO, § 59 Rn. 15; Stöber, aaO, § 59 Rn.04.4[]
  7. Drucks. 685, abgedruckt bei Hahn/Mugdan, die Gesammten Materialien zu den ReichsJustizgesetzen, Bd. 5, 1897, S. 100, 119 f.[]
  8. RGZ 148, 310, 314[]
  9. Hagena, Rpfleger 1975, 73, 76[]
  10. BGH, Urteil vom 21.03.1991 – III ZR 118/89, NJW 1991, 2759, 2760[]
  11. Kahlke, Rpfleger 1990, 233, 237 f.[][]
  12. Hintzen in Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, aaO, § 9 EGZVG Rn. 2, 16[]
  13. vgl. RGZ 148, 310, 315[]
  14. OLG Celle, Rpfleger 2010, 532, 533 f.[]
  15. Alff, Rpfleger 2010, 467[]
  16. OLG Darmstadt, HessRspr 9 (1909) 123; Alff, Rpfleger 2010, 467, 468[]
  17. RGZ 148, 310, 315[]
  18. Hahn/Mugdan, aaO, S. 120[]
  19. OLG Darmstadt, HessRspr 9 (1909) 123; LG Arnsberg, Rpfleger 1984, 427; Hintzen in Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, aaO, § 9 EGZVG Rn. 16; Löhnig/Makos, aaO, § 9 EGZVG Rn. 24; Stöber, aaO, § 9 EGZVG Rn.04.7 aE; Drischler, Rpfleger 1983, 229, 230[]
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