Die Geschäftsstelle des Bundesgerichtshofs ist als Geschäftsstelle des Gerichts des höheren Rechtszugs nicht nur dann für die Erteilung des Rechtskraftzeugnisses zuständig, wenn gegen ein Berufungsurteil Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt worden ist, sondern auch dann, wenn die Wiederaufnahme des durch dieses Berufungsurteil geschlossenen Verfahrens betrieben und das im Wiederaufnahmeverfahren ergangene Urteil wiederum mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochten wird.

Nach § 706 Abs. 1 ZPO sind Zeugnisse über die Rechtskraft der Urteile auf Grund der Prozessakten von der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges und, solange der Rechtsstreit in einem höheren Rechtszug anhängig ist, von der Geschäftsstelle des Gerichts dieses Rechtszuges zu erteilen. Der Zweck des Rechtskraftzeugnisses ist es, den Prozessbeteiligten den Nachweis zu ermöglichen, dass das fragliche Urteil in äußere (formelle) Rechtskraft erwachsen ist, also durch ein Rechtsmittel nicht mehr angegriffen werden kann. Demgemäß beschränkt sich die Prüfung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle auf den Tatbestand der äußeren (formellen) Rechtskraft. Das Zeugnis hat nur formelle Bedeutung; insoweit genießt es allerdings die Beweiskraft des § 418 ZPO1. Das Rechtskraftzeugnis wird nur auf Antrag erteilt2.
Im hier entschiedenen Streitfall oblag die Erteilung des Rechtskraftzeugnisses dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Bundesgerichtshofs, weil der Rechtsstreit dort noch anhängig ist.
Die Zuständigkeit des Urkundsbeamten des Gerichts der höheren Instanz beginnt mit Einreichung einer Rechtsmittelschrift, nicht schon mit Einreichung nur eines Prozesskostenhilfegesuchs3. „Anhängig“ ist vom Standpunkt der Geschäftsstelle zu verstehen, die mit der Bearbeitung der Sache im Rechtsmittelzug bis zur Rücksendung der Akten auch noch befasst bleibt, wenn das Gericht seine rechtsprechende Tätigkeit bereits abgeschlossen hat oder das Rechtsmittel zurückgenommen worden ist4.
Dies gilt auch im Streitfall. Zwar hat der Bundesgerichtshof die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil vom 15.04.2015 bereits am 29.06.2017 zurückgewiesen und die Akten danach wieder an die Vorinstanz zurückgegeben. Da die Beklagte jedoch beim Berufungsgericht gegen das Berufungsurteil Restitutionsklage eingereicht, das Berufungsgericht diese abgewiesen und die Beklagte gegen dieses Urteil des Berufungsgerichts wiederum Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt hat, befand sich der Rechtsstreit erneut beim Bundesgerichtshof. Wie sich aus der Regelung des § 706 Abs. 1 ZPO ergibt, soll der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle desjenigen Gerichts für die Erteilung des Rechtskraftzeugnisses zuständig sein, der mit der Bearbeitung der Sache befasst ist und dem die Prozessakten vorliegen, die Grundlage der von ihm vorzunehmenden Prüfung der Rechtskraft sind. Danach ist die Geschäftsstelle des Bundesgerichtshofs als Geschäftsstelle des Gerichts des höheren Rechtszugs nicht nur dann für die Erteilung des Rechtskraftzeugnisses zuständig, wenn gegen ein Berufungsurteil Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt worden ist, sondern auch dann, wenn die Wiederaufnahme des durch dieses Berufungsurteil geschlossenen Verfahrens (§ 578 Abs. 1 ZPO) betrieben und das in diesem Verfahren ergangene Urteil wiederum mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochten wird, weil in einem Wiederaufnahmeverfahren der Bestand des angefochtenen Berufungsurteils vom Gericht des höheren Rechtszugs geprüft wird und sich auch in diesem Fall die Prozessakten dort befinden.
Im vorliegenden Fall ist das Berufungsurteil seit der Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten durch den BGH, Beschluss vom 29.06.2017 rechtskräftig, so dass die Voraussetzungen für die Erteilung des Rechtskraftzeugnisses vorliegen.
Nach § 705 Satz 1 ZPO tritt die Rechtskraft der Urteile vor Ablauf der für die Einlegung des zulässigen Rechtsmittels oder des zulässigen Einspruchs bestimmten Frist nicht ein. Der Eintritt der Rechtskraft wird durch rechtzeitige Einlegung des Rechtsmittels oder des Einspruchs gehemmt (§ 705 Satz 2 ZPO). Berufungsurteile werden gemäß § 544 Abs. 7 Satz 3 ZPO mit Ablehnung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rechtskräftig. Danach wurde mit der Zurückweisung der Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision durch den BGH, Beschluss vom 29.06.2017 das Berufungsurteil vom 15.04.2015 rechtskräftig.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hatte allein zu prüfen, ob der Bundesgerichtshof über die von der Beklagten gegen das Berufungsurteil eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde abschlägig entschieden hat.
Dagegen war der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle nicht gehalten, sich vor Erteilung des Rechtskraftzeugnisses zu vergewissern, ob die Beklagte beim Berufungsgericht eine (zweite) Restitutionsklage eingereicht hat. Die Einleitung eines Restitutionsverfahrens steht der Erteilung des Rechtskraftzeugnisses nicht entgegen.
Die Rechtkraft wird nur gehemmt, wenn ein Rechtsmittel an sich statthaft und rechtzeitig eingelegt worden ist5. Außerordentliche Rechtsbehelfe wie die Nichtigkeitsklage und die Restitutionsklage (§ 578 ZPO), das Gesuch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO), die Anhörungsrüge (§ 321a ZPO) oder die Verfassungsbeschwerde hindern nicht den Eintritt der Rechtskraft; sie führen allerdings bei erfolgreicher Geltendmachung zu deren rückwirkenden Beseitigung6. Dass die Erhebung einer Restitutionsklage der Erteilung des Rechtskraftzeugnisses nicht entgegensteht, ergibt sich im Übrigen daraus, dass sich die Restitutionsklage gemäß § 578 Abs. 1 ZPO zulässigerweise nur gegen rechtskräftige Urteile richten kann.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle war deshalb auch nicht verpflichtet, Nachforschungen darüber anzustellen, ob die Beklagte – wie sie geltend macht – gegen die Entscheidung, für die das Rechtskraftzeugnis beantragt war, Verfassungsbeschwerde eingelegt oder eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhoben hat.
Die Beklagte macht im hier entschiedenen Verfahren auch ohne Erfolg geltend, der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle habe die Rechtskraft des Berufungsurteils vom 15.04.2015 anhand der Verfahrensakte nicht feststellen können, weil der die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zurückweisende Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29.06.2017 lediglich das Datum des Berufungsurteils nenne und das Aktenzeichen der Berufungsinstanz nicht ausweise; das Berufungsgericht habe am selben Tag mehrere Entscheidungen verkündet.
Die Akte des Bundesgerichtshofs wird Bestandteil der Verfahrensakten. Aus der Akte des Bundesgerichtshofs, in dem sich der die Nichtzulassungsbeschwerde zurückweisende Beschluss befindet, ist zweifelsfrei zu erkennen, welches Urteil des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen worden und durch deren Zurückweisung rechtskräftig geworden ist.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 8. Juli 2021 – I ZR 196/15
- BGH, Urteil vom 21.12.1959 – III ZR 138/58, BGHZ 31, 388, 391 10][↩]
- BGHZ 31, 388, 390 f. 9][↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 26.01.1956 – VI ZA 106/55, Rpfleger 1956, 97, 98[↩]
- BGH, Rpfleger 1956, 97, 98[↩]
- vgl. GmS-OGB, Beschluss vom 24.10.1984 – GmS-OGB 1/83, BGHZ 88, 353, 357 f. 13 f.][↩]
- zur Anhörungsrüge vgl. BGH, Urteil vom 10.05.2012 – IX ZR 143/11, NJW 2012, 3087 Rn. 13; MünchKomm-.ZPO/Götz, 6. Aufl., § 705 Rn. 4; Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., Vorbemerkungen zu §§ 578 – 591 Rn. 18 bis 19[↩]
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- Bundesgerichtshof (Empfangsgebäude): Nikolay Kazakov