Mit der Beweiskraft des Protokolls für die Vorlesung einer schriftlich fixierten Entscheidungsformel 1 hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

Ein Urteil wird erst durch seine förmliche Verlautbarung mit allen prozessualen und materiellrechtlichen Wirkungen existent. Vorher liegt nur ein – allenfalls den Rechtsschein eines Urteils erzeugender – Entscheidungsentwurf vor 2. Die Verlautbarung eines Urteils erfolgt grundsätzlich öffentlich im Anschluss an die mündliche Verhandlung oder in einem hierfür anzuberaumenden Termin durch Vorlesung der Urteilsformel (§ 310 Abs. 1 Satz 1, § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die wirksame Urteilsverkündung weiter voraus, dass zumindest die Urteilsformel im Zeitpunkt der Verkündung schriftlich niedergelegt ist, weil sie sonst weder verlesen noch in Bezug genommen werden kann (§ 311 Abs. 2 Sätze 1 und 2 ZPO) 3.
Eine wirksame Verkündung gemäß § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist hier durch das Protokoll nachgewiesen. Nach § 165 ZPO kann die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten, zu denen nach § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO die Verkündung der Entscheidung gehört 4, nur durch das Protokoll bewiesen werden.
Aufgrund der Beweiskraft des Protokolls steht fest, dass dieses Formerfordernis hier beachtet worden ist. Grundsätzlich erbringt die Protokollierung der Verkündung des Urteils in Verbindung mit der nach § 160 Abs. 3 Nr. 6 ZPO vorgeschriebenen Aufnahme der Urteilsformel in das Protokoll – sei es direkt oder als Anlage zum Protokoll – Beweis dafür, dass das Urteil auch in diesem Sinne ordnungsgemäß, d.h. auf der Grundlage einer schriftlich fixierten Urteilsformel, verkündet worden ist 5. Dabei kommt es nicht darauf an, dass das Verkündungsprotokoll nicht genau erkennen lässt, ob das Urteil durch Bezugnahme auf die Urteilsformel oder durch Verlesen der Formel verkündet wurde und ob das Urteil zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig abgefasst war 6. Denn jede Form der Verlautbarung – durch Verlesen der Urteilsformel oder durch Bezugnahme hierauf – setzt voraus, dass der Urteilstenor im Zeitpunkt der Verkündung schriftlich niedergelegt war 7. Die Zivilprozessordnung fordert nicht, dass die schriftlich fixierte Urteilsformel Bestandteil der Akten wird.
Gegen den diese nur durch das Protokoll beweisbaren Förmlichkeiten betreffenden Inhalt ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig. Eine Fälschung des Protokolls wird jedoch nicht behauptet. Die Beweiskraft etwa hindernde äußere Mängel des Protokolls im Sinne des § 419 ZPO sind nicht ersichtlich.
Aus Gründen der Rechtssicherheit ist es weiter unverzichtbar, dass das beweiskräftige Protokoll über die Verkündung eines Urteils innerhalb der Fünf-Monats-Frist erstellt wird, denn allein durch das Protokoll kann bewiesen werden, dass und mit welchem Inhalt ein Urteil verkündet worden ist 8. Dies ist hier mit Erstellung des Protokolls im Anschluss an die mündliche Verhandlung noch im September 2012 geschehen.
Da die Parteien im Verhandlungstermin, in dem verkündet worden war, dass eine Entscheidung am Schluss der Sitzung ergehen werde, vertreten waren und ihnen zeitnah zum Verhandlungstermin das Protokoll, das auch die Urteilsformel enthielt, übersandt worden war, sind auch keine besonderen Umstände gegeben, die es zulassen würden, eine Ausnahme von der Bestimmung des § 544 Abs. 1 Satz 2 ZPO anzunehmen 9.
Zwar ist das Urteil als nicht mit Gründen versehen anzusehen, weil es nicht innerhalb von fünf Monaten nach der Verkündung in vollständiger Form unterschrieben der Geschäftsstelle übergeben worden ist 10, so dass deshalb ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 6 ZPO vorliegen könnte, der auch eine Zulassung der Revision gebieten könnte 11. Dies wirkt sich jedoch weder auf den Fristbeginn noch den Ablauf der Sechs-Monats-Frist des § 544 Abs. 1 Satz 2 ZPO aus. Auch bei Fehlen von Gründen liegt nämlich eine wirksame Entscheidung vor, die nur auf ein zulässiges Rechtsmittel hin aufgehoben werden kann 9.
Durch die spätere Zustellung des Urteils ist auch eine neue Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht in Gang gesetzt worden 12.
Ein Wiedereinsetzungsantrag ist vorliegend nicht gestellt worden. Wiedereinsetzung ohne Antrag kann nicht gewährt werden, da innerhalb der Antragsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO, deren Lauf spätestens mit Zustellung des vollständigen Urteils begonnen hat, die versäumte Prozesshandlung nicht nachgeholt worden ist (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. April 2015 – VI ZR 132/13
- Anschluss an BGH, Beschluss vom 11.03.2015 – XII ZB 571/13, Rn. 14[↩]
- BGH, Beschluss vom 14.06.1954 – GSZ 3/54, BGHZ 14, 39, 44; BGH, Beschluss vom 08.02.2012 – XII ZB 165/11, NJW 2012, 1591 Rn. 11[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 23.10.1998 – LwZR 3/98, NJW 1999, 794; BGH, Urteil vom 16.10.1984 – VI ZR 205/83, NJW 1985, 1782, 1783; BGH, Urteil vom 13.04.2011 – XII ZR 131/09, NJW 2011, 1741 Rn. 17; MünchKomm-ZPO/Musielak, 4. Aufl., § 311 Rn. 7; Vollkommer in Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 310 Rn. 2; Thole in Prütting/Gehrlein, ZPO, 6. Aufl., § 310 Rn. 8[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 16.02.1989 – III ZB 38/88, VersR 1989, 604[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 16.10.1984 – VI ZR 205/83, NJW 1985, 1782, 1783; BGH, Urteil vom 13.04.2011 – XII ZR 131/09, NJW 2011, 1741 Rn. 17; Beschluss vom 11.03.2015 – XII ZB 571/13 14[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 03.03.2004 – VIII ZB 121/03, BGH-Report 2004, 979, 980; Musielak in Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl., § 311 Rn. 4[↩]
- BGH, Urteil vom 13.04.2011 – XII ZR 131/09, NJW 2011, 1741 Rn. 17; Beschluss vom 11.03.2015 – XII ZB 571/13 14[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 13.03.2012 – VIII ZB 104/11, AnwBl.2012, 558 Rn. 12; Urteil vom 13.04.2011 – XII ZR 131/09, NJW 2011, 1741 Rn.20; Beschluss vom 11.03.2015 – XII ZB 571/13 15[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 29.09.1998 – KZB 11/98, NJW 1999, 143, 144[↩][↩]
- vgl. GmS-OBG, Beschluss vom 27.04.1993 – GmS-OGB 1.92, BVerwGE 92, 367, 375 ff.; BVerfG, NJW 2001, 2161, 2162[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 30.11.2011 – I ZR 26/11, NJW-RR 2012, 760 Rn. 6[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 11.02.1998 – IV ZB 31/97, BGHR ZPO § 516 Fristbeginn 11; Heßler in Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 517 Rn. 18[↩]
- Anschluss an BFHE 244, 536[↩]