Das Vermächtnis in der Wohlverhaltensphase

Tritt der Erbfall in der Wohlverhaltensphase ein, entsteht die Obliegenheit des Schuldners, die Hälfte des Wertes des Vermächtnisses an den Treuhänder abzuführen, erst mit der Annahme des Vermächtnisses1.

Das Vermächtnis in der Wohlverhaltensphase

Der Schuldner hat in der Wohlverhaltensphase bestimmte Obliegenheiten zu beachten, da ihm ansonsten die Restschuldbefreiung nach § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO zu versagen ist. Eine solche Obliegenheitsverletzung sah der Bundesgerichtshof aber nicht darin, dass der Schuldner während der Wohlverhaltensperiode ein angefallene Vermächtnis nicht angenommen hat.

Die Obliegenheit nach § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist nicht verletzt. Nach dieser Bestimmung hat der Schuldner während der Laufzeit der Abtretungserklärung Vermögen, das er von Todes wegen erwirbt, zur Hälfte des Wertes an den Treuhänder herauszugeben. Zu dem von Todes wegen erworbenen Vermögen gehören neben einer Erbschaft auch ein Pflichtteilsanspruch und ein Anspruch aus einem Vermächtnis. Eine Erbschaft und ein Vermächtnis können jedoch ausgeschlagen werden, und von der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs kann abgesehen werden. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt der Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs ebenso wie die Ausschlagung einer Erbschaft oder der Verzicht auf ein Vermächtnis keine Obliegenheitsverletzung dar. Die Entscheidung über die Ausschlagung einer Erbschaft und über die Geltendmachung des Pflichtteils ist höchstpersönlicher Natur. Der persönliche Charakter dieser Entscheidungen ist auch in der Wohlverhaltensperiode zu beachten und darf nicht durch einen mittelbaren Zwang zur Annahme der Erbschaft oder zur Geltendmachung des Pflichtteils unterlaufen werden, der sich ergäbe, wenn man schon die Erbausschlagung selbst oder den Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteils als Obliegenheitsverletzung im Sinne von § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO ansähe2. Die Untätigkeit des Schuldners hinsichtlich seines Pflichtteilsanspruchs, die einem Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch gleich zu behandeln ist, weil sie noch vor der Entscheidung über die Restschuldbefreiung zur Verjährung des Anspruchs führte, rechtfertigt deren Versagung deshalb nicht.

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Bezüglich des Vermächtnisses kann im Ergebnis nichts anderes gelten. Zwar ist der Anspruch des Schuldners aus dem Vermächtnis nicht verjährt, weil noch die Verjährungsfrist von 30 Jahren nach § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB a.F. nach Maßgabe der Überleitungsbestimmung in Art. 229 § 23 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EGBGB gilt. Jedoch hat der Schuldner das Vermächtnis bisher nicht angenommen. Erst mit der Annahme des Vermächtnisses entsteht die Obliegenheit des Schuldners aus § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO, die Hälfte des Werts des Vermächtnisses an den Treuhänder abzuführen. Die dadurch für den Schuldner bestehende Möglichkeit, den Halbteilungsgrundsatz zu umgehen, indem er das Vermächtnis erst nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode annimmt, muss in Kauf genommen werden. Macht der Schuldner den Pflichtteil erst nach diesem Zeitpunkt geltend, tritt diese Folge ebenfalls ein3. Die bis zum 31. Dezember 2009 geltenden unterschiedlichen Verjährungsfristen (vgl. § 197 Abs. 1 Nr. 2 a.F.: 30 Jahre für den Anspruch aus dem Vermächtnis, § 2332 a.F.: drei Jahre für den Pflichtteilsanspruch) rechtfertigen keine unterschiedliche Behandlung.

Das Verhalten des Schuldners rechtfertigt auch nicht die Versagung der Restschuldbefreiung wegen eines Verstoßes gegen die Obliegenheit des Schuldners nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Diese Bestimmung verbietet dem Schuldner unter anderem, während der Laufzeit der Abtretungserklärung von Nummer 2 erfasstes, also von Todes wegen erworbenes Vermögen zu verheimlichen. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Begriff des Verheimlichens über denjenigen des schlichten Verschweigens hinausgeht. Er bezeichnet ein Verhalten, durch das von der Abtretung erfasste Bezüge oder von Todes wegen erworbenes Vermögen der Kenntnis des Treuhänders entzogen werden. Ein schlichtes Unterlassen stellt dann ein Verheimlichen dar, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln – zur Offenbarung des Vermögensgegenstandes also – besteht4. Die Pflicht, einen in der Wohlverhaltensperiode eingetretenen Erbfall unaufgefordert schon zu einem Zeitpunkt anzuzeigen, zu dem die Erbschaft oder ein Vermächtnis noch ausgeschlagen werden kann oder noch nicht feststeht, ob ein Pflichtteilsanspruch geltend gemacht wird, sieht die Insolvenzordnung nicht vor. Im Übrigen könnte die Versagung der Restschuldbefreiung nach § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO auch deshalb nicht auf die unterlassene Mitteilung eines Erbfalls in diesem Zeitraum gestützt werden, weil die Befriedigung der Gläubiger nicht beeinträchtigt ist, solange der Schuldner die Möglichkeit hat, durch Ausübung der ihm persönlich zustehenden Rechte den Vermögenserwerb rückgängig zu machen (§ 2180 Abs. 3, § 1953 Abs. 1 BGB) oder ihn – im Falle eines Pflichtteilsanspruchs – nicht geltend zu machen.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10. März 2011 – IX ZB 168/09

  1. Ergänzung von BGH WM 2009, 1517[]
  2. BGH, Beschluss vom 25.06.2009 – IX ZB 196/08, WM 2009, 1517 Rn. 13 bis 15[]
  3. vgl. BGH, Beschluss vom 16.07.2009 – IX ZB 72/09, ZInsO 2009, 1831 Rn. 10[]
  4. BGH, Beschluss vom 22.10.2009 – IX ZB 249/08, WM 2009, 2324 Rn. 11[]