Das vertraglich eingeräumte Widerrufsrecht

Nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum kann ein Widerrufsrecht nicht nur von Gesetzes wegen bestehen, sondern grundsätzlich auch im Vereinbarungswege festgelegt werden. Danach können Vertragspartner – als Ausprägung der Vertragsfreiheit – ein Widerrufsrecht vertraglich vereinbaren und für die nähere Ausgestaltung sowie die Rechtsfolgen auf die §§ 355, 357 BGB verweisen1.

Das vertraglich eingeräumte Widerrufsrecht

Ob einer Widerrufsbelehrung, die keine Beschränkung darauf enthält, dass sie nur in gesetzlich vorgesehenen Fällen gelten soll, die Vereinbarung eines vertraglichen Widerrufsrecht entnommen werden kann, kann hier dahingestellt bleiben2. Denn der Beklagte hätte in dem hier entschiedenen Fall ein ihm vertraglich eingeräumtes Widerrufsrecht jedenfalls nicht fristgemäß ausgeübt.

Der Beklagte war – ein vertraglich eingeräumtes Widerrufsrecht unterstellt – nach der Widerrufsbelehrung berechtigt, seine Beitrittserklärung binnen zwei Wochen zu widerrufen. Der Lauf der Frist hätte danach einen Tag, nachdem er die Widerrufsbelehrung unterschrieben hatte und ihm ein Exemplar der Belehrung sowie sein schriftlicher Vertragsantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde bzw. seines Vertragsantrags zur Verfügung gestellt worden waren, begonnen. Diese Zweiwochenfrist wäre, als sein Prozessbevollmächtigter den Widerruf erklärte, längst abgelaufen gewesen.

Für den Beginn der Widerrufsfrist kommt es nicht darauf an, ob die Widerrufsbelehrung den Anforderungen an eine Belehrung über ein gesetzliches Widerrufsrecht entspricht. Den Formulierungen des Beitrittsformulars lässt sich – wenn man der Widerrufsbelehrung überhaupt die Einräumung eines vertraglichen Widerrufsrechts entnehmen wollte – im Wege der Auslegung jedenfalls nicht entnehmen, die Klägerin habe dem Beklagten nicht nur ein vertragliches Widerrufsrecht mit der in der Widerrufsbelehrung beschriebenen Ausgestaltung einräumen wollen, sondern sich darüber hinaus auch verpflichtet, ihm gegenüber alle im Falle eines gesetzlichen Widerrufsrechts einzuhaltenden gesetzlichen Belehrungspflichten erfüllen zu wollen und ihm bei deren Nichteinhaltung ein unbefristetes Widerrufsrecht einzuräumen.

Weiterlesen:
1 Versicherungsvertrag - 2 Widerspruchsrechte?

Bei der Auslegung der Vertragserklärung ist der Hintergrund der gesetzlichen Widerrufsvorschriften in den Blick zu nehmen:

Die Fälle des gesetzlichen Widerrufsrechts, die eine Durchbrechung des Grundsatzes „pacta sunt servanda“ darstellen, sind enumerativ und abschließend geregelt (§ 355 Abs. 1 Satz 1 BGB) und knüpfen an bestimmte gesetzliche Merkmale an3. Wird einem Vertragspartner vertraglich ein Widerrufsrecht eingeräumt, das ihm nach dem Gesetz nicht zusteht, z.B. weil der Vertragsschluss außerhalb einer „Haustürsituation“ erfolgt und es daher an der vom Gesetz typisierten Situation eines strukturellen Ungleichgewichts fehlt, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass sich die Vertragspartner gleichwohl in einer solchen Situation begegnen. Sie sind vielmehr grundsätzlich als vom Gesetz gleichgewichtig eingeschätzte Vertragspartner anzusehen. Dann bestimmt sich der Inhalt des Widerrufsrechts aber auch ausschließlich durch Auslegung ihrer vertraglichen Vereinbarung.

Vor diesem Hintergrund bedarf es dann, wenn ein Unternehmer einem Verbraucher, ohne dazu gesetzlich verpflichtet zu sein, ein Widerrufsrecht eingeräumt hat, konkreter Anhaltspunkte in der getroffenen Vereinbarung dafür, dass zwar das Widerrufsrecht als solches von den gesetzlichen Voraussetzungen (z.B. einer Haustürsituation) unabhängig sein soll, gleichwohl die für die Ausübung des Widerrufsrechts vereinbarte Frist nur dann in Gang gesetzt werden soll, wenn der Unternehmer dem Anleger zusätzlich eine Belehrung erteilt hat, die den Anforderungen für ein gesetzliches Widerrufsrecht (hier: §§ 312, 355 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 20.11.20014) entspricht.

Weiterlesen:
Die Widerrufsbelehrung und die gezogenen Nutzungen

Derartige Anhaltspunkte bestehen vorliegend nicht. Ein vernünftiger Empfänger der Erklärung der Klägerin konnte den Formulierungen der Widerrufsbelehrung nicht entnehmen, dass die Klägerin sich für den Fall, dass ein gesetzliches Widerrufsrecht nicht besteht, verpflichten wollte, dem Anleger vertraglich ein unbefristetes Widerrufsrecht einräumen zu wollen, wenn die von ihr in der Widerrufsbelehrung genannten Voraussetzungen des Widerrufsrechts nicht den vom Gesetz für ein gesetzliches Widerrufsrecht aufgestellten Anforderungen genügten.

Für die gegenteilige Auslegung reicht es nicht aus, dass sich die Klägerin bei den Formulierungen an den Vorgaben des gesetzlichen Widerrufsrechts orientiert hat. Dies ist ersichtlich lediglich dem Umstand geschuldet, dass die Widerrufsbelehrung für den Fall des Eingreifens einer gesetzlichen Verpflichtung zur Belehrung in das Formular aufgenommen wurde, und besagt deshalb nichts für einen Willen der Klägerin, nicht bestehende Belehrungspflichten übernehmen und erfüllen zu wollen. Ebenso wenig folgt aus der Tatsache, dass die Klägerin selbstverständlich beabsichtigte, im Falle des Eingreifens eines gesetzlichen Widerrufsrechts mit der Belehrung die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen, aus der Sicht eines verständigen Empfängers ein Anhaltspunkt dafür, dass er sein (möglicherweise vertragliches) Widerrufsrecht unter anderen als unter den formulierten Voraussetzungen werde ausüben können.

Auch aus dem Umstand, dass die Klägerin unter Hinweis auf § 312d Abs. 3 BGB, § 355 Abs. 3 BGB auf ein „etwaiges vorzeitiges Erlöschen“ des Widerrufsrechts nach diesen Vorschriften verzichtet hat, folgt aus der maßgeblichen Sicht des Anlegers nicht, dass die Klägerin die gesetzlichen Belehrungspflichten auch in dem Fall erfüllen wollte, dass der Vertragsschluss nicht in einer Haustürsituation erfolgte. Es kann dahinstehen, ob der in der Widerrufsbelehrung erklärte Verzicht auf ein vorzeitiges Erlöschen des Widerrufsrechts nach den gesetzlichen Bestimmungen überhaupt dahin ausgelegt werden kann, er solle gegebenenfalls auch dann gelten, wenn die gesetzlichen Bestimmungen mangels Vorliegens eines gesetzlichen Widerrufsrechts schon nicht anwendbar sind und allenfalls ein vertraglich eingeräumtes Widerrufsrecht in Rede steht. Jedenfalls kommt in diesem Verzicht nicht zum Ausdruck, dem Anleger sämtliche Rechte, die das Gesetz dem Verbraucher in der besonders schutzwürdigen Situation eines Geschäftsabschlusses in einer Haustürsituation gewährt, selbst dann einräumen zu wollen, wenn eine solche Situation nicht gegeben ist. Der Verbraucher kann der Erklärung allenfalls entnehmen, dass der Unternehmer ihm damit ein Widerrufsrecht unter den in der Belehrung formulierten Voraussetzungen einräumt. Die Bezugnahme auf die gesetzlichen Bestimmungen ist für ihn nur insoweit von Bedeutung, als das ihm gegenüber formulierte Widerrufsrecht (dadurch) nicht eingeschränkt wird.

Weiterlesen:
Streitwert einer Hilfswiderklage

Bundesgerichtshof, Urteile vom 6. November 2012 – II ZR 176/12, II ZR 249/11 und II ZR 280/11

  1. vgl. Staudinger/Kaiser, BGB [2004], § 355 Rn. 11; Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., Vorb v § 355 Rn. 5; Bamberger/Roth/Grothe, BGB, 2. Aufl., § 355 Rn. 4; NK-BGB/Ring, 2. Aufl., § 355 Rn. 26; zur vertraglichen Vereinbarung einer Verlängerung der Widerrufsfrist vgl. BGH, Urteil vom 13.01.2009 – XI ZR 118/08, WM 2009, 350 Rn. 16 f.[]
  2. vgl. zu dieser Problematik BGH, Urteil vom 15.10.1980 – VIII ZR 192/79, WM 1980, 1386, 1387, insoweit in BGHZ 78, 248 nicht abgedruckt; Urteil vom 30.06.1982 – VIII ZR 115/81, WM 1982, 1027; Urteile vom 06.12.2011 – XI ZR 401/10, ZIP 2012, 262 Rn. 17 und – XI ZR 442/10; OLG Hamburg, Urteil vom 19.06.2009 – 11 U 210/06; OLG Köln, Urteil vom 22.07.2009 – 27 U 5/09; MünchKomm-BGB/Masuch, 6. Aufl., § 360 Rn. 15; Ebnet, NJW 2011, 1029, 1030 f.; Godefroid, Verbraucherkreditverträge, 3. Aufl., Rn. 486 f.; Münscher, WuB I G 1.05.03; Corzelius, EWiR 2009, 243, 244; Tetzlaff, GWR 2012, 88[]
  3. siehe insoweit auch BGH, Urteile vom 06.12.2011 – XI ZR 401/10, ZIP 2012, 262 Rn. 17; und – XI ZR 442/10[]
  4. BGBl. I S. 3138[]