Deliktische Forderung und Restschuldbefreiung

Eine nicht oder ohne den Hinweis auf den Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung angemeldete Forderung wird auch dann von der Restschuldbefreiung erfasst, wenn die unterbliebene oder unvollständige Anmeldung nicht auf einem Verschulden des Gläubigers beruht.

Deliktische Forderung und Restschuldbefreiung

Nach Gewährung der Restschuldbefreiung werden die gegen die Beklagten verbliebenen Forderungen zu „unvollkommenen Verbindlichkeiten“, die weiterhin erfüllbar, aber nicht erzwingbar sind, herabgestuft1. Von der Erteilung der Restschuldbefreiung werden gemäß § 302 Nr. 1 InsO Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung nicht berührt, sofern der Gläubiger die entsprechende Forderung unter Angabe dieses Rechtsgrunds nach § 174 Abs. 2 InsO angemeldet hat. Der Rechtsgrund des vorsätzlichen Delikts kann entsprechend § 142 Abs. 2 InsO auch für eine bereits zur Tabelle festgestellte Forderung noch nachträglich beansprucht und mit einer Änderungsanmeldung gemäß § 177 Abs. 1 Satz 3 InsO in das Insolvenzverfahren eingeführt werden2.

Die Restschuldbefreiung wirkt gemäß § 301 Abs. 1 Satz 1 InsO gegen alle Insolvenzgläubiger. Wie § 301 Abs. 1 Satz 2 InsO klarstellt, gilt dies auch zu Lasten der Gläubiger, die ihre Forderung nicht angemeldet haben. Die Restschuldbefreiung erstreckt sich damit ohne Rücksicht auf ein insoweit eingreifendes Verschulden des Gläubigers auf eine nicht oder nicht rechzeitig angemeldete Forderung3. Daran anknüpfend kann sich ein Gläubiger nach dem eindeutigen Wortlaut des § 302 Nr. 1 InsO auf einen angeblichen Ausschluss seiner Forderung von der Restschuldbefreiung nicht mehr berufen, wenn es an der Eintragung der Anmeldung einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung in der Tabelle fehlt4. Weist der Gläubiger bei der Anmeldung seiner Forderung nicht darauf hin, dass sie nach seiner Einschätzung auf einer unerlaubten Handlung beruht, so wird die Forderung nach der Gesetzesbegründung von einer Restschuldbefreiung erfasst5. Dies gilt nach zutreffender, ganz überwiegender Auffassung auch dann, wenn der Gläubiger die Forderung unverschuldet entweder gar nicht oder ohne Angabe der die unerlaubte Handlung begründenden Umstände angemeldet hat6.

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Die gesetzliche Regelung des § 301 Abs. 1 Satz 2, § 302 Nr. 1 InsO sieht im Blick auf den Eintritt der Restschuldbefreiung keine Ausnahme zugunsten solcher Gläubiger vor, die schuldlos an der Anmeldung ihrer Forderung oder an der Angabe der eine unerlaubte Handlung begründenden Umstände gehindert waren7. Da es sich bei den Anmeldefristen um keine Notfristen handelt, scheidet eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO, § 4 InsO) aus8. Könnte sich ein Gläubiger nachträglich mit Erfolg darauf berufen, ohne Verschulden von dem Insolvenzverfahren oder seiner Forderung beziehungsweise den ihr zugrunde liegenden Umständen keine Kenntnis erlangt zu haben, wäre dies der mit der Regelung des § 301 Abs. 1 Satz 2, § 302 Nr. 1 InsO bezweckten Rechtssicherheit in hohem Maße abträglich9. Auch sonst muss es ein Gläubiger hinnehmen, dass eine verspätet angemeldete Forderung nicht bei der Verteilung berücksichtigt10 oder eine nicht angemeldete Forderung durch den Insolvenzplan gekürzt (§ 254 Abs. 1 Satz 1 und 3 InsO) wird.

Eine besondere Schutzbedürftigkeit des am Insolvenzverfahren nicht teilnehmenden oder seine Forderung nicht ordnungsgemäß anmeldenden Insolvenzgläubigers ist nicht anzuerkennen. Infolge der öffentlichen Bekanntmachung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 30 Abs. 1, § 9 Abs. 1 InsO) ist jeder Gläubiger grundsätzlich in der Lage, von der Insolvenz eines Schuldners Kenntnis zu nehmen. Dadurch wird der Gläubiger in den Stand gesetzt, seine Forderung rechtzeitig anzumelden. Angesichts des Umstands, dass seit dem Jahr 1999 für natürliche Personen die Möglichkeit der Restschuldbefreiung gemäß §§ 286 ff InsO besteht, müssen Gläubiger seither verstärkt damit rechnen, dass auch ihr Schuldner einen Insolvenzantrag stellt11. Der Gläubiger hat der ihm von dem Gesetzgeber ausdrücklich auferlegten Obliegenheit zu genügen, bei der Anmeldung darauf hinzuweisen, dass der von ihm beanspruchten Forderung eine unerlaubte Handlung des Schuldners zugrunde liegt12. Kommt der Gläubiger dieser Obliegenheit nicht nach, hat er den in § 302 Nr. 1 InsO geregelten Rechtsnachteil zu tragen.

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An dieser Beurteilung ist auch dann festzuhalten, wenn ein Gläubiger seine Forderung oder – wie im Streitfall – den Rechtsgrund der unerlaubten Handlung unverschuldet verspätet anmeldet. Durch die Restschuldbefreiung wird dem Schuldner ein Weg eröffnet, auf dem er sich nach einem Insolvenzverfahren von seinen restlichen Verbindlichkeiten befreien kann13. Für den Schuldner würde es eine erhebliche Härte bedeuten, wenn er nach erfolgreichen Durchlaufen der Wohlverhaltensperiode erstmals mit einer aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung herrührenden Forderung konfrontiert würde14. Aus dieser Erwägung hat der Gesetzgeber dem Gläubiger die Obliegenheit auferlegt, bereits bei der Forderungsanmeldung darauf hinzuweisen, dass der von ihm beanspruchten Forderung eine unerlaubte Handlung zugrundeliegt. Versäumt der Gläubiger den Hinweis auf den Rechtsgrund der unerlaubten Handlung, so wird die Forderung folgerichtig gemäß § 302 Nr. 1 InsO von der Restschuldbefreiung erfasst15.

Im Blick auf die Reichweite der Restschuldbefreiung auch für nicht oder nicht unter dem Rechtsgrund der unerlaubten Handlung angemeldete Forderungen gibt der Gesetzgeber mit der Regelung des § 301 Abs. 1 Satz 2, § 302 Nr. 1 InsO auf der Grundlage der ihm zustehenden normativen Gestaltungsfreiheit dem Grundsatz der Rechtssicherheit in Einklang mit Art. 19 Abs. 4 GG den Vorrang gegenüber Erwägungen der materiellen Gerechtigkeit16. Rechtssicherheit soll binnen einer angemessenen Frist hergestellt werden; dies gilt auch dann, wenn – wie vorliegend bei der Forderungsanmeldung – unmittelbar kein Gerichtsverfahren angestrengt wird (vgl. BVerfGE 60, 253, 269). Mit Hilfe der Regelung des § 301 Abs. 1 Satz 2, § 302 Nr. 1 InsO soll sowohl dem Schuldner als auch seinen Gläubigern möglichst schnell Gewissheit über die Reichweite der Restschuldbefreiung zuteil werden17. Die Obliegenheit der Forderungsanmeldung ist überdies ein geeignetes Mittel, zur Beschleunigung des Verfahrens beizutragen, weil sie im Interesse aller Beteiligten eine alsbaldige Klarstellung der Rechtslage fördert. Erfolgt eine Anmeldung unter dem Rechtsgrund der unerlaubten Handlung, ist nach dem Widerspruch des Schuldners für den Gläubiger sogleich der Weg zu einer Feststellungsklage nach § 184 InsO eröffnet18. Auf diese Weise kann der Rechtsgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung nach einer Beweisaufnahme und der Einvernahme von Zeugen, denen der Sachverhalt noch unmittelbar im Gedächtnis haftet, auf einer hinreichend frischen Tatsachengrundlage festgestellt werden. Auch die Güte der Entscheidung wird mithin tendenziell von der durch die Obliegenheit der Forderungsanmeldung veranlassten Zügigkeit des Verfahrens beeinflußt19.

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Abgesehen von der Regelung des § 302 Nr. 1 InsO müssen Gläubiger auch sonst im Restschuldbefreiungsverfahren einen Rechtsverlust hinnehmen, sofern sie formellen Obliegenheiten nicht genügen. Anträge auf Versagung der Restschuldbefreiung im eröffneten Insolvenzverfahren müssen gemäß § 290 Abs. 1 InsO im Schlusstermin gestellt werden. Ein nach dem Schlusstermin gestellter Antrag, mit dem einer der Versagungsgründe des § 290 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 InsO geltend gemacht wird, ist unzulässig20. Dies gilt auch dann, wenn der Gläubiger von dem zur Begründung seines Antrags herangezogenen Fehlverhalten des Schuldners erst nach dem Schlusstermin erfahren hat21. Das Nachschieben einer Begründung ist auch bei nachträglicher Kenntniserlangung schlechthin unzulässig. Das Gericht darf die Versagung nicht von Amts wegen auf andere Gründe stützen als die vom Antragsteller geltend gemachten22. Ebenso bleibt ein Versagungsantrag unberücksichtigt, wenn es – gleich aus welchen Gründen – an einer Glaubhaftmachung des Versagungsgrundes im Schlusstermin fehlt; sie kann nicht in späteren Verfahrensabschnitten nachgeschoben werden23.

Falls der Insolvenzschuldner die Forderung zwecks Erreichung der Restschuldbefreiung bewusst verschwiegen hätten, käme ein Ersatzanspruch aus § 826 BGB in Betracht24.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. Dezember 2010 – IX ZR 24/10

  1. BGH, Beschluss vom 25.09.2008 – IX ZB 205/06, WM 2008, 2219 Rn. 11 m.w.N.[]
  2. BGH, Urteil vom 17.01.2008 – IX ZR 220/06, WM 2008, 650 Rn. 12[]
  3. MünchKomm-InsO/Stephan, aaO § 301 Rn. 10; FK-InsO/Ahrens, aaO § 301 Rn. 3; Uhlenbruck/Vallender, aaO § 301 Rn. 3; BK-InsO/Ley, Mai 2009 § 301 Rn. 4; Römermann in Nerlich/Römermann, InsO § 301 Rn. 11 ff; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, aaO § 301 Rn. 2; HK-InsO/ Landfermann, 5. Aufl. § 301 Rn. 6; Mohrbutter/Ringstmeier/Pape, aaO § 17 Rn. 189; HmbKomm-InsO/Streck, 3. Aufl. § 301 Rn. 2; Smid/Kiesbye, InsO 3. Aufl. § 301 Rn. 3; Graf-Schlicker/Kexel, InsO 2. Aufl. § 301 Rn. 2; Prziklang, Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung 2000 S. 78; Vallender ZIP 2000, 1288, 1290; a.A. Döbereiner, Die Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung 1997 S. 241 ff; Wagner ZVI 2007, 9 ff.[]
  4. vgl. BT-Drs. 14/5680 S. 28[]
  5. BT-Drs. aaO S. 27; vgl. BGH, Beschluss vom 11.05.2010 – IX ZB 163/09, WM 2010, 1327 Rn. 6[]
  6. MünchKomm-InsO/Stephan, aaO § 302 Rn. 10; FK-InsO/Ahrens, aaO § 302 Rn. 10b; Uhlenbruck/Vallender, aaO § 302 Rn. 14; BK-InsO/Ley, aaO § 302 Rn. 11 ff; Römermann in Nerlich/Römermann, aaO § 302 Rn. 4; Kübler/Prütting/Bork/Wenzel, aaO § 302 Rn. 1b; HK-InsO/Landfermann, aaO § 302 Rn. 4; Mohrbutter/Ringstmeier/Pape, aaO § 17 Rn. 201; HmbKomm-InsO/Streck, aaO § 302 Rn. 5; Smid/Kiesbye, aaO § 302 Rn. 8; Graf-Schlicker/Kexel, aaO § 302 Rn. 5; Braun/Lang, InsO 4. Aufl. § 302 Rn. 5 f; Preuss, Verbraucherinsolvenzverfahren und Restschuldbefreiung 2. Aufl. 2003 Rn. 304; a.A. Prütting/ Stickelbrock, ZVI 2002, 305, 307 f.[]
  7. zutreffend Prütting/Stickelbrock, aaO S. 307[]
  8. Prütting/Stickelbrock, aaO; FK-InsO/Ahrens, aaO § 301 Rn. 3[]
  9. HK-InsO/Landfermann, aaO § 301 Rn. 6[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 02.07.2009 – IX ZR 126/08, WM 2009, 1578[]
  11. BGH, Beschluss vom 13.07.2006 – IX ZB 288/03, WM 2006, 1780 f. Rn. 11[]
  12. BT-Drs., aaO S. 27[]
  13. BT-Drs. 12/2443 S. 187[]
  14. BT-Drs. 14/5680 S. 27[]
  15. BT-Drs., aaO[]
  16. vgl. BVerfGE 60, 253, 268[]
  17. vgl. BVerfGE 60, 253, 270[]
  18. BGH, Urteile vom 18.05.2006, aaO; vom 18.01.2007, aaO; vom 12.06.2008, aaO; vom 18.12.2008, aaO S. 314 Rn. 12[]
  19. vgl. BVerfGE 60, 253, 271[]
  20. BGH, Beschluss vom 23.10.2008 – IX ZB 53/08, WM 2008, 2301, 2302 Rn. 9[]
  21. BGH, aaO Rn. 10[]
  22. BGH, Beschluss vom 12.02.2009 – IX ZB 158/08, WM 2009, 714, 715 Rn. 6[]
  23. BGH, Beschluss vom 14.05.2009 – IX ZB 33/07, WM 2009, 1294 Rn. 5, 6[]
  24. BGH, Beschluss vom 06.11.2008 – IX ZB 34/08, NZI 2009, 66 Rn. 11[]
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