Der Alt-Bundeskanzler – und das postmortale Persönlichkeitsrecht

Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Verfassungsbeschwerden der Witwe und Alleinerbin des verstorbenen vormaligen Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungsbeschwerden richteten sich gegen zivilgerichtliche Entscheidungen, die auf das postmortale Persönlichkeitsrecht gestützte Klagen auf Unterlassung sowie auf Zahlung einer Geldentschädigung betrafen.

Der Alt-Bundeskanzler – und das postmortale Persönlichkeitsrecht

Gegenstand der einen Verfassungsbeschwerde sind gerichtliche Entscheidungen in einem zunächst vom Alt-Bundeskanzler und nach dessen Tod von der Witwe des Altkanzlers gegen die Beklagten – Autoren und Verlegerin – geführten Verfahren gerichtet auf Unterlassung der Veröffentlichung und Verbreitung von 116 Passagen des Buches „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“. Die angegriffenen Urteile des Oberlandesgerichts Köln1 und des Bundesgerichtshofs2 sahen die Unterlassungsklage nur teilweise als begründet an.

Die andere Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen gerichtliche Urteile, die das Fortbestehen des Geldentschädigungsanspruchs wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Alt-Bundeskanzlers über dessen Tod hinaus betrafen. Der Alt-Bundeskanzler hatte die Autoren und die Verlegerin im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Buches „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“ auf Geldentschädigung in Höhe von 5 Mio. € in Anspruch genommen. Nach dem Versterben des Alt-Bundeskanzlers während des Berufungsverfahrens wies das Oberlandesgericht Köln die von der Witwe des Altkanzlers als Alleinerbin fortgeführte Klage insgesamt ab3. Die hiergegen gerichtete Revision blieb vor dem Bundesgerichtshof ohne Erfolg4

Das Bundesverfassungsgericht hat beide Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen:

Der Unterlassungsanspruch wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts

Die erste Verfassungsbeschwerde5 richtet sich gegen die zivilgerichtlichen Entscheidungen, die eine auf das postmortale Persönlichkeitsrecht gestützte Unterlassungsklage nur teilweise als begründet ansahen. Die Verfassungsbeschwerde wurde § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung zur Entscheidung angenommen, da sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe6; die Witwe des Altkanzlers zeige nicht auf, dass die Fachgerichte durch ihre Entscheidungen das aus Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete postmortale Persönlichkeitsrecht des Alt-Bundeskanzlers in verfassungsrechtlich relevanter Weise verletzt hätten:

Die Witwe des Altkanzlers ist als Alleinerbin des Alt-Bundeskanzlers befugt im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG, dessen postmortales Persönlichkeitsrecht im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend zu machen.

Die Witwe des Altkanzlers hat jedoch nicht in einer den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechenden Weise dargelegt, beschwerdebefugt zu sein.

Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG ist zur Begründung der Verfassungsbeschwerde das angeblich verletzte Recht zu bezeichnen und der seine Verletzung enthaltende Vorgang substantiiert darzulegen7. Die Verfassungsbeschwerde muss sich mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen8. Die Witwe des Altkanzlers muss darlegen, mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen kollidieren; sie muss das Grundrecht in Bezug zu dem Lebenssachverhalt setzen und die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung verdeutlichen9. Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffene Maßnahme verletzt sein sollen10.

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Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sind indes nur lebende Personen. Dieses Grundrecht gewährleistet den Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen11. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ergänzt als „unbenanntes“ Freiheitsrecht die speziellen („benannten“) Freiheitsrechte, die ebenfalls konstituierende Elemente der Persönlichkeit schützen12. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde sichern jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann13. Zu den Schutzgütern zählen unter anderem die Privat-11, Geheim- und Intimsphäre sowie die persönliche Ehre14 und das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person15. Eine wesentliche Gewährleistung ist der Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen einer Person, insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken15. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner äußerungsrechtlichen Ausprägung schützt unabhängig vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung vor Gefährdungen für die Persönlichkeitsentfaltung, die sich vornehmlich aus Form und Inhalt der Veröffentlichung selbst ergeben16.

Das Fortwirken des Persönlichkeitsrechts nach dem Tode ist zu verneinen, weil Träger dieses Grundrechts nur die lebende Person ist. Mit ihrem Tode erlischt der Schutz aus diesem Grundrecht17. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG setzt die Existenz einer wenigstens potentiell oder zukünftig handlungsfähigen Person als unabdingbar voraus. Daran vermag auch die Erwägung nichts zu ändern, dass die Rechtslage nach dem Tode für die freie Entfaltung der Person zu ihren Lebzeiten nicht ohne Belang sei. Die Versagung eines Persönlichkeitsschutzes nach dem Tode stellt keinen Eingriff dar, der die in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Handlungs- und Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt18.

Über den Tod des Menschen hinaus bleibt jedoch der Schutzauftrag des Art. 1 Abs. 1 GG bestehen. Es würde mit dem verfassungsverbürgten Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde, das allen Grundrechten zugrundeliegt, unvereinbar sein, wenn der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt, in diesem allgemeinen Achtungsanspruch nach seinem Tode herabgewürdigt oder erniedrigt werden dürfte. Dementsprechend endet die in Art. 1 Abs. 1 GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, nicht mit dem Tode19.

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Der Witwe des Altkanzlers ist nicht darin zuzustimmen, dass die Schutzwirkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit dem aus Art. 1 Abs. 1 GG resultierenden Schutz identisch seien. Eine solche Annahme liefe im Ergebnis auf eine Gleichsetzung der Menschenwürde mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht hinaus, welche weder der normativen Bedeutung von Art. 1 Abs. 1 GG gerecht würde noch in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Stütze fände. Das Bundesverfassungsgericht betont vielmehr in ständiger Rechtsprechung die Differenz zwischen Menschenwürde und allgemeinem Persönlichkeitsrecht, wie sich etwa daraus ergibt, dass die Menschenwürde im Konflikt mit der Meinungsfreiheit nicht abwägungsfähig ist, während es bei einem Konflikt der Meinungsfreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht regelmäßig zu einer Abwägung kommt20. Für die Frage der Reichweite des Ehrschutzes Verstorbener ist zu berücksichtigen, dass das Schutzbedürfnis des Verstorbenen in dem Maße schwindet, in dem die Erinnerung an ihn verblasst, so dass im Laufe der Zeit auch das Interesse an der Nichtverfälschung des Lebensbildes abnimmt21. Unabhängig von der Frage, wie weit der Achtungsanspruch Verstorbener im Einzelfall geht, reicht er jedenfalls nicht weiter als der Ehrschutz lebender Personen22.

Konkret geschützt wird der aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Achtungsanspruch Verstorbener vor grober Herabwürdigung und Erniedrigung23. Geschützt wird auch der sittliche, personale und soziale Geltungswert, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat24.

Beeinträchtigungen können dementsprechend nicht durch die grundrechtliche Gewährleistung kollidierender Freiheitsrechte – etwa der Meinungsfreiheit – gerechtfertigt werden25. Da aber nicht nur einzelne, sondern sämtliche Grundrechte Konkretisierungen des Prinzips der Menschenwürde sind, hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass es stets einer sorgfältigen Begründung bedarf, wenn angenommen werden soll, dass der Gebrauch eines Grundrechts auf die unantastbare Menschenwürde durchschlägt26. Dafür genügt ein Berühren der Menschenwürde nicht. Vorausgesetzt ist eine sie treffende Verletzung. Bei Angriffen auf den durch die Lebensstellung erworbenen Geltungsanspruch genügt beispielsweise nicht dessen Infragestellung, wohl aber deren grobe Entstellung27.

Zwar ist der Witwe des Altkanzlers darin zuzustimmen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen BVerfGE 54, 208 <217 f.> und BVerfGE 54, 148 <155>, festgestellt hat, dass das Unterschieben nicht getätigter Äußerungen wie auch die unrichtige, verfälschte und entstellte Wiedergabe einer Äußerung, insbesondere in Zitatform, das allgemeine Persönlichkeitsrecht in besonderem Maße berühren kann. Um auf der Grundlage der vorgenannten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung von einer die Menschenwürde in ihrem unantastbaren Kern treffenden Verletzung auszugehen, muss jedoch eine grobe Herabwürdigung und Erniedrigung des allgemeinen Achtungsanspruchs, der dem Menschen kraft seines Personseins zusteht, oder des sittlichen, personalen und sozialen Geltungswerts, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat, dargelegt werden.

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Diesen Anforderungen genügt die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis nicht.

Die Witwe des Altkanzlers hat nicht darlegen können, dass durch die angegriffenen Passagen, seien sie gesondert seien sie im Zusammenhang betrachtet, der aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Achtungsanspruch des Alt-Bundeskanzlers grob herabgewürdigt oder erniedrigt wurde. Der vom Alt-Bundeskanzler durch seine Lebensleistung erworbene sittliche, personale und soziale Geltungswert ist jedenfalls nicht in einer den Kern der Menschenwürde erfassenden Weise verletzt worden. Entgegen der Ansicht der Witwe des Altkanzlers ist durch die freiwillige Preisgabe von Erinnerungen aus der Zeit seiner politischen Verantwortungsübernahme gegenüber einem vertraglich zur Anfertigung von Entwürfen seiner Memoiren verpflichteten Journalisten nicht der innerste Kern der Persönlichkeit betroffen.

Im Streit stand im fachgerichtlichen Verfahren einzig noch die Verantwortlichkeit der Verlegerin, des Verlags. Dass der Alt-Bundeskanzler sich insbesondere hinsichtlich seines Geheimhaltungswillens gegenüber der Verlegerin, die sich im Grundsatz auf die presserechtliche Freiheit zur Wiedergabe wahrer Äußerungen berufen kann, zu Lebzeiten mit Erfolg auch nur auf eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hätte berufen können, hat die Witwe des Altkanzlers ebenfalls nicht dargelegt.

Unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs sind die angegriffenen Urteile nicht zu beanstanden. Der Bundesgerichtshof hat – wie schon das Oberlandesgericht – seinem Urteil die zutreffenden verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zur Reichweite des postmortalen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG zugrundegelegt. Zutreffend geht er davon aus, dass der aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Achtungsanspruch Verstorbene vor grober Herabwürdigung und Erniedrigung schützt und dass der sittliche, personale und soziale Geltungswert, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat, dem Schutz unterworfen ist. Weiter ist der Bundesgerichtshof unter Berücksichtigung der Frage, ob es sich bei den angegriffenen Passagen des Buches um eine zutreffende Wiedergabe der Äußerungen des Alt-Bundeskanzlers handelte, zutreffend davon ausgegangen, dass die für die Annahme eines Verstoßes notwendige, die unantastbare Menschenwürde treffende Verletzung vorliegend nicht gegeben ist. Eine Infragestellung des durch die Lebensstellung erworbenen Geltungsanspruchs genügt nicht. Hiergegen ist aus verfassungsgerichtlicher Sicht nichts zu erinnern.

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Der Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts

Die zweite Verfassungsbeschwerde28 richtet sich gegen die zivilgerichtlichen Entscheidungen, durch die eine Klage auf Zahlung einer Geldentschädigung wegen einer Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts abgewiesen wurde. Das Bundesverfassungsgericht nahm auch diese zweite Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), da sie unbegründet sei; die angegriffenen Urteile verletzten nicht das aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende postmortale Persönlichkeitsrecht des Alt-Bundeskanzlers:

Die in Art. 1 Abs. 1 GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, endet nicht mit dem Tod. Demgegenüber wird ein Verstorbener nicht durch das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG geschützt, weil Träger dieses Grundrechts nur lebende Personen sind29.

Ebenso wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines lebenden Menschen begründet der postmortale Schutz der Menschenwürde nicht selbst bestimmte materiellrechtliche Ansprüche gegenüber Verletzungen durch Private. Dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag ist jedoch bei der Ausformung des einfachen Rechts Rechnung zu tragen, durch die er konkretisiert wird30. Diese Verpflichtung trifft nicht nur den Gesetzgeber, sondern, soweit er keine Entscheidung getroffen hat, auch die Gerichte31.

Die aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht ist jedoch grundsätzlich unbestimmt. Die Aufstellung und normative Umsetzung eines angemessenen Schutzkonzepts ist Sache des Gesetzgebers, dem grundsätzlich auch dann ein Einschät-zungs, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt, wenn er verpflichtet ist, Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen. Gleiches gilt, wenn die Zivilgerichte mangels einer Entscheidung des Gesetzgebers die Schutzpflicht wahrnehmen. Nur ausnahmsweise lassen sich aus den Grundrechten konkrete Regelungspflichten ableiten32.

Nach diesem Maßstab haben die Gerichte die aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht nicht dadurch verletzt, dass sie der Witwe des Altkanzlers als Alleinerbin des Alt-Bundeskanzlers einen Entschädigungsanspruch wegen einer zu Lebzeiten des Alt-Bundeskanzlers entstandenen Persönlichkeitsrechtsverletzung verweigert haben.

Der aus der Garantie der Menschenwürde folgende Schutzauftrag gebietet nicht die Bereitstellung einer bestimmten Sanktion für Würdeverletzungen. Insbesondere gibt es keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz des Inhalts, dass eine Verletzung der Menschenwürde stets einen Entschädigungsanspruch nach sich ziehen muss33. Jedoch müssen die Gerichte bei der Konkretisierung der Tatbestandsmerkmale von Normen, die die Persönlichkeit postmortal schützen, die Fundierung dieses Schutzes in Art. 1 Abs. 1 GG beachten34.

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Der Bundesgerichtshof hat – entsprechend dem angegriffenen Urteil des Oberlandesgerichts – in dem angegriffenen Urteil ausgeführt, der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei im Grundsatz nicht vererblich. Dies gelte auch dann, wenn der Anspruch im Zeitpunkt des Todes des Verletzten und ursprünglichen Anspruchsinhabers bereits bei Gericht anhängig oder gar rechtshängig sei. Die grundsätzliche Unvererblichkeit ergebe sich entscheidend aus der Funktion des Geldentschädigungsanspruchs. Insoweit stehe der Genugtuungsgedanke im Vordergrund. Einem Verstorbenen könne aber Genugtuung nicht mehr verschafft werden. Dass der Geldentschädigungsanspruch auch der Prävention diene, ändere an der grundsätzlichen Unvererblichkeit des gesamten Anspruchs nichts und gebiete das (Fort-)Bestehen eines solchen Anspruchs nach dem Tode auch nicht unter dem Aspekt der Menschenwürde.

Diese Ausführungen begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Aus der Garantie der Menschenwürde folgt keine Pflicht der Zivilgerichte, die zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen des persönlichkeitsrechtlichen Sanktionensystems auszuweiten35. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob der Präventionsgedanke es rechtfertigen könnte, in Fällen wie dem vorliegenden einen Anspruch auf eine Geldentschädigung zu gewähren.

Verfassungsrechtlich geboten ist dies jedenfalls dann nicht, wenn die Rechtsordnung andere Möglichkeiten zum Schutz der postmortalen Menschenwürde bereithält. Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass die postmortale Menschenwürde des Alt-Bundeskanzlers gegen Übergriffe durch die Beklagten schutzlos gestellt war. Dem Alt-Bundeskanzler standen zu Lebzeiten, der Witwe des Altkanzlers stehen nach seinem Versterben Unterlassungsansprüche gegen die Beklagten zu36.

Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 24. Oktober 2022 – 1 BvR 19/22 – 1 BvR 110/22

  1. OLG Köln, Urteil vom 29.05.2018 – 15 U 65/17[]
  2. BGH, Teil, Urteil vom 29.11.2021 – VI ZR 248/18[]
  3. OLG Köln, Urteil vom 29.05.2018 – 15 U 64/17[]
  4. BGH, Teil, Urteil vom 29.11.2021 – VI ZR 258/18[]
  5. BVerfG – 1 BvR 19/22[]
  6. vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>[]
  7. vgl. BVerfGE 9, 109 <114 f.> 81, 208 <214> 99, 84 <87>[]
  8. vgl. BVerfGE 89, 155 <171> 101, 331 <345 f.>[]
  9. vgl. BVerfGE 79, 203 <209> 108, 370 <386 f.> 120, 274 <298> BVerfG, Beschluss vom 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a., Rn. 88[]
  10. vgl. BVerfGE 99, 84 <87> 101, 331 <346> 115, 166 <179 f.> 130, 1 <21> 149, 86 <108 f. Rn. 61> 151, 67 <84 f. Rn. 49> BVerfG, Beschluss vom 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a., Rn. 89; stRspr[]
  11. vgl. BVerfGE 121, 69 <90>[][]
  12. vgl. BVerfGE 79, 256 <268> 119, 1 <24>[]
  13. vgl. BVerfGE 79, 256 <268>[]
  14. vgl. BVerfGE 54, 148 <153 f.> 114, 339 <346> 119, 1 <24>[]
  15. vgl. BVerfGE 119, 1 <24>[][]
  16. vgl. BVerfGE 152, 152 <192 Rn. 91>[]
  17. BVerfGE 146, 1 <46 Rn. 103>[]
  18. BVerfGE 30, 173 <194>[]
  19. BVerfGE 30, 173 <194> vgl. BVerfGE 146, 1 <46 f. Rn. 103> BVerfG, Beschluss vom 05.04.2001 – 1 BvR 932/94, Rn. 27[]
  20. BVerfG, Beschluss vom 25.08.2000 – 1 BvR 2707/95, Rn. 8; vgl. BVerfGE 93, 266 <293 f.>[]
  21. vgl. BVerfGE 30, 173 <196>[]
  22. BVerfG, Beschluss vom 24.01.2018 – 1 BvR 2465/13, Rn.20[]
  23. vgl. BVerfGE 30, 173 <194>[]
  24. BVerfGE 146, 1 <46 f. Rn. 103> vgl. BVerfGK 9, 83 <88> 9, 92 <95 f.> 13, 115 <117> BVerfG, Beschlüsse vom 05.04.2001 – 1 BvR 932/94, Rn.19; vom 04.11.2008 – 1 BvR 1832/07, Rn. 7; Beschluss vom 24.01.2018 – 1 BvR 2465/13, Rn.20[]
  25. vgl. BVerfGE 75, 369 <380>[]
  26. vgl. BVerfGE 93, 266 <293>[]
  27. BVerfG, Beschluss vom 05.04.2001 – 1 BvR 932/94, Rn.20; vgl. BVerfGE 93, 266 <293> 107, 275 <284> BVerfG, Beschluss vom 04.02.2010 – 1 BvR 369/04 u.a., Rn. 30; EGMR (GK), Éditions Plon c. France, Urteil vom 18.05.2004, Nr. 58148/00, § 53; EGMR, Genner v. Österreich, Urteil vom 12.01.2016, Nr. 55495/08, § 45[]
  28. BVerfG – 1 BvR 110/22[]
  29. vgl. BVerfGE 30, 173 <194> 146, 1 <46 Rn. 103> BVerfGK 9, 325 <327>[]
  30. vgl. BVerfGE 63, 131 <142 f.> 73, 118 <201> 99, 185 <194 f.> 101, 361 <386>[]
  31. vgl. BVerfGE 96, 56 <64> BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98[]
  32. vgl. BVerfGE 96, 56 <64>[]
  33. vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.12.2005 – 1 BvR 1359/05, Rn. 17; BVerfGK 9, 325 <328>[]
  34. vgl. BVerfGK 3, 49 <52> 9, 325 <328>[]
  35. vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.12.2005 – 1 BvR 1359/05, Rn. 17; BVerfGK 9, 325 <327 ff.>[]
  36. vgl. BGH, Teil, Urteil vom 29.11.2021 – VI ZR 248/18, juris und BVerfG, Beschluss vom 24.10.2022 – 1 BvR 19/22[]
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