Der Bürge und die Verjährung

Mit Fragen der Verjährung einer Forderung gegenüber Hauptschuldner und Bürge hatte sich jetzt der Bundesgerichtshof zu beschäftigen:

Der Bürge und die Verjährung

Verhandlungen des Hauptschuldners

Eine durch ernsthafte Verhandlungen des Hauptschuldners mit dem Gläubiger gemäß § 203 Satz 1 BGB bewirkte Hemmung der Verjährung ist auch gegenüber dem Bürgen wirksam.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist der Begriff „Verhandlungen“ im Sinne von § 203 Satz 1 BGB weit auszulegen. Der Gläubiger muss dafür lediglich klarstellen, dass er einen Anspruch geltend machen und worauf er ihn stützen will. Anschließend genügt jeder ernsthafte Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen, sofern der Schuldner dies nicht sofort und erkennbar ablehnt. Verhandlungen schweben schon dann, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruches oder dessen Umfang ein. Nicht erforderlich ist, dass dabei Vergleichsbereitschaft oder Bereitschaft zum Entgegenkommen signalisiert wird oder dass Erfolgsaussicht besteht1.

Richtig ist zwar, so der BGH, dass der Bürge nach § 768 Abs. 2 BGB eine Einrede nicht dadurch verliert, dass der Hauptschuldner auf sie verzichtet, und dass dies auch für die Einrede der Verjährung gilt, und zwar unabhängig davon, ob die Verjährung im Zeitpunkt des Verzichts bereits eingetreten war oder nicht (BGH, Urteil vom 18. September 2007 – XI ZR 447/06, WM 2007, 2230, Tz. 18 m.w.N.)). Anders liegen die Dinge jedoch, soweit der Hauptschuldner mit dem Gläubiger ernsthaft über den Bestand der Hauptschuld verhandelt und hierdurch eine Hemmung der Verjährung gemäß § 203 Satz 1 BGB herbeiführt. Diese Hemmung wirkt auch gegenüber dem Bürgen, da dies vom Gesetzgeber erkennbar so gewollt und dem Verjährungsverzicht durch den Hauptschuldner nicht vergleichbar ist.

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Die Vorschrift des § 768 Abs. 2 BGB bezweckt den Schutz des Bürgen in Fällen, in denen der Hauptschuldner durch sein rechtsgeschäftliches Handeln ohne Mitwirkung des Bürgen eine neue Verjährungsfrist schafft oder die bestehende Verjährungsfrist verlängert2. Ein Verhandeln im Sinne von § 203 Satz 1 BGB erfüllt diesen Tatbestand nur scheinbar. Dabei handelt es sich – anders als beim Verzicht auf die Einrede der Verjährung – nicht um eine Verfügung des Hauptschuldners über die Einrede. Vielmehr tritt die Hemmung der Verjährung bei Verhandlungen von Gesetzes wegen ein. Die den früheren Rechtsgedanken der § 639 Abs. 2, § 651g Abs. 2 Satz 3 und § 852 Abs. 2 BGB aF verallgemeinernde Regelung in § 203 BGB3 verfolgt den Zweck, Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Verhandlungen zwischen Gläubiger und Hauptschuldner sollen deshalb nicht unter den Druck einer ablaufenden Verjährungsfrist gestellt werden. Zugleich soll dem verhandlungsbereiten Hauptschuldner die Einrede der Verjährung vorbehalten bleiben, während der Gläubiger von der Verwirklichung anderer verjährungshemmender Tatbestände, insbesondere von der Einleitung gerichtlicher Verfahren, abgehalten werden soll4. Dieses Ziel würde verfehlt, würde der Gläubiger durch die Anwendung von § 768 Abs. 2 BGB auch auf den Hemmungstatbestand des § 203 Satz 1 BGB gezwungen, die Verjährung gegenüber dem Hauptschuldner anderweitig zu hemmen, um eine spätere Berufung des Bürgen auf die Verjährung der Hauptforderung zu verhindern5.

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In diesem Sinne hat der Bundesgerichtshof bereits für das bis zum 31. Dezember 2000 geltende Verjährungsrecht ausgeführt, dass ein Bürge nur insoweit schutzwürdig ist, als er die Bürgschaft für eine bestimmte Forderung übernimmt und ein Interesse daran hat, dass sich seine Haftung nicht in einer Weise erweitert, mit der er nicht zu rechnen braucht. Ein Bürge muss sich jedoch, wenn er die Haftung für eine in kurzer Frist verjährende Forderung übernimmt, von vornherein darauf einrichten, dass die Forderung nur dann bereits innerhalb dieses Zeitraums gegenüber dem Hauptschuldner geltend gemacht werden muss, wenn keine Hemmungs-, oder Unterbrechungstatbestände vorliegen6. Anders als ein Einredeverzicht des Hauptschuldners bedroht dessen Verhandeln mit dem Gläubiger den Bürgen nicht mit einem vollständigen Einredeverlust. Es führt lediglich dazu, dass der Bürge die Einrede der Verjährung der Hauptschuld erst später geltend machen kann, und ist daher für den Bürgen weit weniger nachteilig.

Zudem sind Verhandlungen zwischen Hauptschuldner und Gläubiger – anders als ein Verzicht des Hauptschuldners auf die Verjährungseinrede – für den Bürgen nicht per se nachteilig. Sie können zu einer erheblichen Reduzierung der Hauptschuld führen, die im Falle seiner späteren Inanspruchnahme auch dem Bürgen zugute kommt. Zu seinem Nachteil geführte Scheinverhandlungen muss er sich nicht entgegenhalten lassen.

Klage gegen Bürge und späterer Untergang des Hauptschuldners

Eine gegen den Bürgen erhobene Klage hemmt auch bei einem späteren Untergang des Hauptschuldners als Rechtsperson gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB die Verjährung der Hauptschuld7.

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Die von der Klägerin erhobene Bürgschaftsklage hat zwar im Zeitpunkt ihrer Erhebung am 10. November 2005 die Verjährung der Hauptforderung nicht gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB hemmen können, da seinerzeit noch die Erhebung einer die Verjährung der Hauptforderung hemmenden Klage gegen die erst später untergegangene Hauptschuldnerin möglich war. Sie hat aber eine Hemmung der Verjährung der Hauptforderung im Sinne von § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB bewirkt, als die Hauptschuldnerin am 13. April 2006 im Handelsregister gelöscht worden ist, da von diesem Zeitpunkt an eine die Verjährung der Hauptforderung hemmende Klage gegen die Hauptschuldnerin nicht mehr möglich war. Dazu bedurfte es nicht der Erhebung einer neuen Bürgschaftsklage, da andernfalls ein Gläubiger bei Löschung der Hauptschuldnerin im Handelsregister eine bereits erhobene Bürgschaftsklage zurücknehmen müsste, um sie – nunmehr verjäh-rungshemmend – sogleich erneut zu erheben. Abgesehen davon, dass er dazu gemäß § 269 Abs. 1 ZPO nach durchgeführter mündlicher Verhandlung im Bürgschaftsprozess auf die Einwilligung des Bürgen angewiesen wäre, der daran kein Interesse haben kann, würde eine solche Verfahrensweise auch unnötige Kosten verursachen und im Hinblick auf den Schutzzweck von § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB reine Förmelei sein.

Voraussetzung dafür, dass eine bereits erhobene Bürgschaftsklage die Verjährung der Hauptforderung im Zeitpunkt des späteren Untergangs des Hauptschuldners hemmt, ist allerdings, dass der Prozess gegen den Bürgen bis zu diesem Zeitpunkt durch die Vornahme der zur Förderung des Verfahrens notwendigen Handlungen betrieben worden, also nicht ohne triftigen Grund zum Stillstand gekommen ist8. Geschieht dies nicht und gerät der Bürgschaftsprozess dadurch in Stillstand, führt dies zum Ende der Hemmung der Verjährung der Hauptschuld gemäß § 204 Abs. 2 BGB.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. Juli 2009 – XI ZR 18/08

  1. vgl. BGH, Urteile vom 17. Februar 2004 – VI ZR 429/02, NJW 2004, 1654, vom 26. Oktober 2006 – VII ZR 194/05, NJW 2007, 587, Tz. 10 und vom 1. Februar 2007 – IX ZR 180/04, NJW-RR 2007, 1358, Tz. 32[]
  2. BGH, Urteil vom 18. September 2007 – XI ZR 447/06, WM 2007, 2230, Tz. 18; Grothe, WuB IV A § 202 BGB 1.08[]
  3. Palandt/Heinrichs, BGB, 68. Aufl., § 203 Rn. 1[]
  4. BT-Drucks 14/6040, S. 111; Staudinger/Peters, BGB (2004), § 203 Rn. 1[]
  5. Dingler, BauR 2008, 1379, 1381[]
  6. vgl. BGHZ 153, 337, 342[]
  7. Fortführung von BGHZ 153, 337, 342 f.[]
  8. Palandt/Heinrichs, BGB, 68. Aufl., § 204 Rn. 47; Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, 12. Aufl., § 204 Rn. 54 f.[]