Der erste Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist – und das Vertrauen des Anwalts

Ein Rechtsanwalt darf regelmäßig erwarten, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn er einen erheblichen Grund vorträgt. Demgemäß besteht keine Verpflichtung, sich innerhalb des Laufs der Berufungsbegründungsfrist beim Gericht zu erkundigen, ob der Verlängerungsantrag rechtzeitig eingegangen ist und ob ihm stattgegeben werde1.

Der erste Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist  – und das Vertrauen des Anwalts

Im hier entschiedenen Fall nimmt die Antragstellerin den Antragsgegner im Stufenverfahren auf Trennungsunterhalt in Anspruch. Das Familiengericht hat den Antrag in der Auskunftsstufe mit einem der Antragstellerin am 27.01.2020 zugestellten Teilbeschluss abgewiesen. Hiergegen hat die Antragstellerin rechtzeitig Beschwerde eingelegt. Nachdem eine Beschwerdebegründung nicht innerhalb der bis zum 27.03.2020 laufenden Begründungsfrist beim Oberlandesgericht eingegangen war, hat dieses durch eine der Antragstellerin am 6.04.2020 zugegangene richterliche Verfügung auf die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist hingewiesen. Am 4.05.2020 hat die Antragstellerin die Beschwerde begründet und wegen der Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Hierzu hat sie vorgetragen und durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, am 18.03.2020 einen an das Oberlandesgericht adressierten Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist um einen Monat zur Post gegeben zu haben. Das Oberlandesgericht Brandenburg hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Beschwerde der Antragstellerin verworfen2.

Hiergegen wendet sich diese mit der Rechtsbeschwerde und erhielt nun vom Bundesgerichtshof Recht:

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO sowie § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Das Oberlandesgericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht der Antragstellerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren3.

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Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, zur Gewährung der begehrten Wiedereinsetzung und im Übrigen zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Nach dem zugrunde zu legenden Sachvortrag der Antragstellerin lasse sich nicht feststellen, dass die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist unverschuldet gewesen sei. Es ergebe sich ein Organisationsverschulden des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin dahin, dass die gerichtliche Fristverlängerung nicht ordnungsgemäß kontrolliert worden sei. Auf die Verlängerung der Frist habe er nicht vertrauen dürfen, solange er keine anderslautende Nachricht vom Gericht erhalten habe. Er habe vor Ablauf der ursprünglichen Frist am 27.03.2020 beim Beschwerdegericht nachfragen müssen, ob und in welchem Umfang dem Verlängerungsgesuch stattgegeben worden sei. Zur Einhaltung dieser Nachfrageobliegenheit habe er keine ausreichenden organisatorischen Vorkehrungen dargelegt.

Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Oberlandesgericht hat der Antragstellerin zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist versagt.

Wird Wiedereinsetzung mit der Behauptung begehrt, dass ein zur Post aufgegebener fristgebundener Schriftsatz verloren gegangen sei, so bedarf dies einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe zur Post als Grundlage für die Glaubhaftmachung, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten eingetreten ist4. Insoweit hat das Oberlandesgericht zu Recht den von der Antragstellerin glaubhaft gemachten Sachvortrag zugrunde gelegt, einen Antrag auf Fristverlängerung um einen Monat rechtzeitig am 18.03.2020 zur Post gegeben zu haben.

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Handelt es sich wie hier um einen ersten Fristverlängerungsantrag, der auf erhebliche Gründe gestützt ist, darf der Antragsteller auf die Bewilligung der Fristverlängerung vertrauen5.

Der Antragsteller eines Fristverlängerungsantrags muss sich insoweit auch nicht innerhalb des Laufs der Beschwerdebegründungsfrist beim Gericht erkundigen, ob der Verlängerungsantrag rechtzeitig eingegangen ist und ob ihm stattgegeben werde6. Das folgt schon daraus, dass die Fristverlängerung auch noch durch einen am letzten Tag der Frist nach Dienstschluss eingehenden Fristverlängerungsantrag, über den naturgemäß erst nach Ablauf der Frist entschieden wird, erwirkt werden kann7.

Soweit abweichend davon einer früheren Entscheidung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs eine Erkundigungspflicht noch vor Ablauf der gesetzlichen Frist entnommen werden könnte8, hält der hier XII. Zivilsenat selbst daran nicht fest9.

Der Vertrauensschutz gilt grundsätzlich so lange, bis das Gericht über den Verlängerungsantrag entschieden hat10.

Nach diesen Maßstäben fällt im vorliegenden Fall dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin kein Verschulden zur Last.

Der Wiedereinsetzungsantrag und die Beschwerdebegründung sind rechtzeitig eingegangen. Das Hindernis zur Einhaltung der Frist entfiel am 6.04.2020, als der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin die gerichtliche Mitteilung erhielt, dass eine Beschwerdebegründung nicht eingegangen sei. Zu einem früheren Zeitpunkt wurde die Frist auch nicht unter dem Aspekt in Gang gesetzt, dass die Antragstellerin sich wegen ungewöhnlich langen Ausbleibens einer Reaktion auf ihren Fristverlängerungsantrag bei Gericht hätte erkundigen müssen11.

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Ab dem 6.04.2020 lief die Frist von einem Monat, um Wiedereinsetzung zu beantragen und die Beschwerdebegründung einzureichen, § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 234 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Diese Frist hat die Antragstellerin gewahrt; Wiedereinsetzungsantrag und Beschwerdebegründung sind am 4.05.2020 und damit rechtzeitig beim Beschwerdegericht eingegangen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen daher vor.

Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass die Antragstellerin um Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist nur bis zum 27.04.2020 nachgesucht und nicht binnen dieser Frist die Beschwerdebegründung eingereicht hat.

Allerdings hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass dem Berufungskläger Wiedereinsetzung nur gewährt werden kann, wenn sein Prozessbevollmächtigter die in einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist begehrte Frist eingehalten hat12. Diese Entscheidungen betrafen jedoch Sachverhalte, in denen die Wiedereinsetzungsfrist nicht schon vor Ablauf der beantragten verlängerten Begründungsfrist zu laufen begann. Dann entspricht es der Pflicht des Rechtsanwalts zur Wahl des sichersten Weges, die durch den Antrag sich selbst gesetzte Frist einzuhalten. Dagegen hat hier das Oberlandesgericht innerhalb der beantragten Verlängerungsfrist mitgeteilt, dass die Beschwerdebegründung (und damit auch der Antrag auf Fristverlängerung) nicht eingegangen sei. Damit wurde eine neue, für die Wiedereinsetzung maßgebliche Monatsfrist nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO in Gang gesetzt. Diese vom Gesetz vorgegebene Frist ist nicht von der zuvor von der Antragstellerin beantragten Fristverlängerung abhängig. Sie wird durch den Antrag der Antragstellerin nicht verkürzt, sondern steht ihr in voller Länge zur Verfügung13.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 2. Dezember 2020 – XII ZB 324/20

  1. im Anschluss an BGH, Beschluss vom 31.01.2018 – XII ZB 565/16 , FamRZ 2018, 841[]
  2. OLG Brandenburg, Beschluss vom 22.06.2020 – 13 UF 42/20[]
  3. BGH, Beschluss vom 25.01.2017 – XII ZB 504/15 , FamRZ 2017, 821 Rn. 5 mwN[]
  4. BGH Beschluss vom 28.04.2020 – VIII ZB 12/19 , NJW-RR 2020, 818 Rn. 15 mwN[]
  5. BGH, Beschluss vom 31.01.2018 – XII ZB 565/16 , FamRZ 2018, 841 Rn.19; vgl. bereits BVerfG NJW 1989, 1147[]
  6. BGH, Beschluss vom 31.01.2018 – XII ZB 565/16 FamRZ 2018, 841 Rn. 30 mwN[]
  7. vgl. BGH Beschluss vom 13.12.2005 – VI ZB 52/05 – VersR 2006, 568 Rn. 7[]
  8. BGH Beschluss vom 24.11.2011 – VI ZB 69/08 , FamRZ 2010, 370 Rn. 10; vgl. auch BGH Beschluss vom 16.10.2014 – VII ZB 15/14 , NJW-RR 2015, 700 Rn. 12[]
  9. BGH Beschluss vom 30.05.2017 – VI ZB 54/16 , NJW-RR 2017, 1532 Rn. 13[]
  10. BGH, Beschluss vom 15.08.2007 – XII ZB 82/07 , FamRZ 2007, 1724 Rn. 10 f.[]
  11. vgl. BGH, Beschlüsse vom 02.12.2015 – XII ZB 211/12 FamRZ 2016, 366 Rn. 14 ff.; und vom 28.03.2001 – XII ZB 100/00 – VersR 2002, 1045, 1046[]
  12. BGH Beschlüsse vom 14.10.1993 – LwZB 2/93 , NJW 1994, 55, 56; und vom 04.03.2004 – IX ZB 121/03 NJW 2004, 1742[]
  13. vgl. BGH Beschluss vom 16.04.2009 – VII ZB 66/08 , NJW-RR 2009, 1583 Rn. 9 f. mwN[]
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