Als Grundstück nach § 9 Abs. 5 StVO ist eine Fläche, die nicht dem fließenden Verkehr dient, anzusehen, wenn sie außerhalb der Straße liegt und nicht als deren Teil angesehen werden kann.

So der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart in dem hier vorliegenden Fall. Der Kläger wendet sich gegen ein Urteil des Amtsgerichts. Danach ist er unter Missachtung der besonderen Sorgfalt und unter Verursachung eines Unfalls mit Sachschaden in ein Grundstück abgebogen. Wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit ist er zu einer Geldbuße von 80,00 Euro verurteilt worden. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, durch die er die Verletzung materiellen und formellen Rechts geltend macht.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts greifen die Verfahrensrügen nicht durch; auch die Sachrüge bleibt erfolglos. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers tragen die Feststellungen im angefochtenen Urteil den Schuldspruch. Insbesondere begegnet die Annahme des Amtsgerichts, der Betroffene habe die besonderen Sorgfaltspflichten des § 9 Abs. 5 StVO missachtet, keinen Bedenken.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts steuerte der Betroffene sein Fahrzeug nach links auf die Gegenfahrbahn, was die hinter dem Betroffenen fahrende Zeugin als ein Abbiegen nach links ohne Verwendung des Blinkers interpretierte. Dann aber zog der Betroffene seinen Pkw unter starkem Lenkeinschlag wieder nach rechts, so dass er sich quer vor dem Pkw der Zeugin befand und deren Fahrbahnhälfte versperrte. Der Betroffene wollte auf einen der beiden hintereinander befindlichen Kurzparkplätze einbiegen, welche sich – aus der Fahrtrichtung der Zeugin gesehen – rechts neben der Straße gegenüber einer Einmündung und im rechten Winkel zur Fahrbahn der Zeugin befinden; bei den Kurzzeitparkplätzen handelt es sich um eine mit Knochensteinen gepflasterte Fläche mit Bordsteinabsenkung. Vor seinem Fahrmanöver hatte der Betroffene weder den Blinker gesetzt noch den nachfolgenden Verkehr beobachtet. Die Zeugin fuhr mit ihrem Pkw mit der rechten Vorderfront gegen die hintere Tür des Fahrzeugs des Betroffenen.
Zu Recht ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Betroffene “in ein Grundstück“ abbiegen wollte, weshalb ihn die Sorgfaltspflichten des § 9 Abs. 5 StVO trafen. Der Grundstücksbegriff des § 9 Abs. 5 StVO ist umstritten. Nach überwiegender Auffassung liegt ein Abbiegen in ein Grundstück immer dann vor, wenn der Fahrzeugführer mit seinem Fahrzeug den fließenden Verkehr verlässt [1].
Nach anderer Auffassung kommt es darauf an, ob die Fläche, in die abgebogen wird, zum öffentlichen Verkehrsraum gehört. Flächen, die wenigstens tatsächlich für jeden Verkehrsteilnehmer zur Benutzung freigegeben und in diesem Sinne öffentlich sind, scheiden als Grundstücke aus, selbst wenn sie, wie Parkplätze oder Parkstreifen, nicht dem fließenden Verkehr dienen [2].
Nach Auffassung des Gerichts ist eine Fläche, die nicht dem fließenden Verkehr dient, jedenfalls dann Grundstück im Sinne des § 9 Abs. 5 StVO, wenn sie außerhalb der Straße liegt und nicht mehr als deren Teil angesehen werden kann. Dies ergibt eine am Sinn und Zweck der Vorschrift orientierte Auslegung. Das Abbiegen in eine solche Fläche ist nämlich typischerweise besonders gefährlich. Da der Abbiegende die Ursache für diese besonderen Risiken setzt, werden ihm spezifische Sorgfaltspflichten auferlegt, welche über die Sorgfaltsanforderungen hinausgehen, die bei sonstigen Abbiegevorgängen zu beachten sind. Die besondere Gefährlichkeit eines solchen Fahrmanövers ergibt sich daraus, dass der Abbiegende beim Verlassen des fließenden Verkehrs seine Geschwindigkeit in der Regel deutlich reduzieren muss, was Gefahren für den nachfolgenden Verkehr heraufbeschwört. Die Unfallträchtigkeit erhöht sich noch dadurch, dass andere Verkehrsteilnehmer die Verkehrssituation selbst dann nicht ohne weiteres einzuschätzen vermögen, wenn der Abbiegende seinen Ankündigungspflichten aus § 9 Abs. 1 Satz 1 StVO nachkommt; insbesondere ist – anders als beim Abbiegen in eine Straße – nicht gewährleistet, dass andere Verkehrsteilnehmer erkennen, wo genau der Abbiegende die Straße verlässt.
Weder der Wortlaut noch der Kontext der Vorschrift stehen einer solchen teleologischen Auslegung entgegen. Das Gesetz verwendet den Begriff “Grundstück“. Dass es sich dabei um ein “privates“ Grundstück handeln müsste, ergibt sich daraus nicht. Die hier vertretene Auslegung steht auch nicht im Widerspruch zu § 10 StVO, in dem ebenfalls der Begriff des Grundstücks verwendet wird. Als Gegenstück zu § 9 Abs. 5 StVO regelt er das Einfahren aus einem “Grundstück“ auf die “Straße“ und “von anderen Straßenteilen“ auf die “Fahrbahn“. In dieser Vorschrift stellt der Verordnungsgeber das Grundstück der Straße gegenüber. Daraus lässt sich lediglich ableiten, dass Grundstücke im Sinne der StVO nur Flächen sind, die nicht zur Straße gehören.
Im vorliegenden Fall wollte der Betroffene den fließenden Verkehr und die Straße verlassen, indem er sein Fahrzeug auf die Parkplätze steuerte, die von der Straße durch einen abgesenkten Bordstein und die besondere Pflasterung erkennbar abgetrennt und deshalb nicht mehr als Straßenteile anzusehen sind. Deshalb hatte er gemäß § 9 Abs. 5 StVO die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen.
Einer Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG bedurfte es nicht. Der hier vertretene Grundstücksbegriff wäre in den Fällen, die den oben zitierten Beschlüssen des Oberlandesgerichts Köln und Düsseldorf zugrundelagen, nicht entscheidungserheblich. Dort waren die Parkstreifen bzw. Parktaschen lediglich durch eine (aufgemalte) Markierung von der Fahrbahn getrennt; sie gehörten aber gleichwohl noch zur Straße.
Welche besonderen Vorkehrungen der Betroffene beim Abbiegen zu treffen hatte, kann dahinstehen. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts hat er nämlich nicht einmal seinen Ankündigungs- und Rückschaupflichten aus § 9 Abs. 1 Satz 1 und 4 StVO Genüge getan.
Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 20. Oktober 2011 – 4 Ss 623/11
- vgl. OLG Celle DAR 1973, 306; OLG Frankfurt DAR 1988, 243; OLG Düsseldorf NZV 1993, 198; sowie die zivilrechtliche Rechtsprechung: vgl. OLG Köln VRS 89, 432 und KG Beschluss vom 16.06.2011 – 12 U 135/10, Parktasche; OLG Köln VRS 99, 39, Parkstreifen; OLG München, Urteil vom 29.10.2010 – 10 U 2996/10, direkt an die Straße angrenzender Parkplatz vor der Gebäude der örtlichen Sparkasse; König in Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage, StVO § 9 Rn. 45[↩]
- vgl. OLG Köln VRS 58, 222; OLG Düsseldorf NZV 1993, 360; Burmann in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., StVO § 9 Rn 53[↩]
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