Das aus dem Justizgewährungsanspruch folgende Gebot effektiven Rechtsschutzes beeinflusst die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen, die für die Eröffnung eines Rechtswegs und die Beschreitung eines Instanzenzugs von Bedeutung sind.

Hat der Gesetzgeber sich für die Eröffnung einer weiteren Instanz entschieden und sieht die betreffende Prozessordnung dementsprechend ein Rechtsmittel vor, darf der Zugang dazu nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden1. Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes, dem Willkürverbot und mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar ist eine den Zugang zur Revision erschwerende Auslegung und Anwendung des hier einschlägigen § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO dann, wenn sie wegen krasser Fehlerhaftigkeit sachlich nicht zu rechtfertigen ist, sich damit als objektiv willkürlich erweist und dadurch den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar einschränkt2. Hingegen genügt nicht bereits die nur einfachrechtlich fehlerhafte Handhabung der maßgeblichen Zulassungsvorschriften3.
Der hier angegriffene Beschluss ist nicht deshalb als objektiv willkürlich einzuordnen, weil der Bundesgerichtshof eine Zulassung der Revision bei Geltendmachung und Vorliegen eines Revisionsgrundes nach § 547 Nr. 1 bis 4 ZPO – im Gegensatz zum hier einschlägigen § 547 Nr. 5 ZPO – für zwingend hält4. Diese Differenzierung entbehrt nicht jeder sachlichen Grundlage. Die Revisionsgründe des § 547 Nr. 1 bis 4 ZPO spiegeln Verfahrensverstöße wider, die vom Gesetzgeber als so schwerwiegend befunden wurden, dass sie den Erfolg einer Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 ZPO begründen können. Der Bundesgerichtshof orientiert sich bei der Auslegung des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO an dieser gesetzgeberischen Wertung5.
Allerdings kann bei Vorliegen schwerer Verfahrensfehler die Zulassung der Revision zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verfassungsrechtlich geboten sein6. Um dem Bedürfnis einer Korrektur schwerer Verfahrensfehler gerecht zu werden, bewerten andere Verfahrensordnungen einen Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, als Zulassungsgrund für die Revision, so in § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG und § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO; das Arbeitsgerichtsgesetz sieht in § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG ausdrücklich einen Gleichlauf zwischen der Revisionszulassung und dem Vorliegen absoluter Revisionsgründe nach § 547 Nr. 1 bis 5 ZPO vor. Ein solcher Gleichlauf besteht in der Zivilprozessordnung nicht7. Der Gesetzeswortlaut des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO eröffnet jedoch den zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes notwendigen Auslegungsspielraum. Insbesondere erlaubt der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO die notwendige Korrektur einer Verletzung schwerer Verfahrensfehler in Einzelfällen8.
Bei der vorliegenden, vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommenen Verfassungsbeschwerde, zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf, dass wegen einer etwaigen Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes durch das in der Vorinstanz tätige Berliner Kammergericht9 nach den konkreten Umständen des Einzelfalls die Zulassung der Revision hier verfassungsrechtlich geboten war, der Bundesgerichtshof die grundgesetzlichen Maßgaben also krass verkannt hätte. Da der angegriffene Beschluss10 in verfahrensrechtlich zulässiger Weise auf eine weitergehende Begründung verzichtet, ist davon auszugehen, dass ihm das in anderen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geäußerte Verständnis zugrunde liegt, nach dem ein Verstoß gegen § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG nicht in jedem Fall zur Zulassung der Revision führt, sondern in Abhängigkeit vom Umfang des Verstoßes und der Reaktion der Parteien11. Der Verfassungsbeschwerde kann nicht entnommen werden, dass die Annahme, diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht gegeben, auf Willkür beruhen könnte. Zwar hebt die Verfassungsbeschwerde allgemein das Gewicht und den Wert des Prinzips der Öffentlichkeit mündlicher Gerichtsverhandlungen hervor, setzt dies aber nicht in Beziehung zum konkreten Vorgang in der Vorinstanz.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. Januar 2023 – 1 BvR 1700/20
- vgl. BVerfGE 74, 228 <234> 77, 275 <284> 104, 220 <232> 125, 104 <137>[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.12.2020 – 1 BvR 1173/19, Rn. 11[↩]
- vgl. BVerfGE 101, 331 <359 f.>[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 24.11.2020 – XI ZR 355/19, Rn. 16 m.w.N.[↩]
- vgl. ausdrücklich BGH, Beschluss vom 24.11.2020 – XI ZR 355/19, Rn. 18 m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.03.2001 – 1 BvR 383/00, Rn. 24 f.[↩]
- vgl. BT-Drs. 14/4722, S. 105[↩]
- vgl. BT-Drs. 14/4722, S. 104[↩]
- KG, Urteil vom 25.06.2019 – 13 U 31/17[↩]
- BGH, Beschluss vom 09.06.2020 – VI ZR 266/19[↩]
- vgl. dazu BGH, Beschluss vom 24.11.2020 – XI ZR 355/19, WM 2021, 198 <200 Rn. 18>[↩]
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