Der Insolvenzantrag eines nachrangigen Gläubigers ist auch dann zulässig, wenn dieser im eröffneten Verfahren keine Befriedigung erwarten kann.

Die Gläubigerin einer nur nachrangigen Forderung (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) hat ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Befriedigungsaussichten ein Rechtsschutzinteresse (§ 14 InsO) für einen Insolvenzantrag. Zwar wird im Schrifttum aus der Regelung des § 174 Abs. 3 InsO teils hergeleitet, dass nachrangige Gläubiger (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) zu einer Antragstellung nur berechtigt sind, wenn sie zumindest eine teilweise Befriedigung erwarten können1. Zutreffend ist jedoch die Gegenauffassung, die einem nachrangigen Gläubiger ein Rechtsschutzinteresse auch dann zuspricht, wenn er voraussichtlich nicht mit einer Quote rechnen kann2.
Die Regelung des § 174 Abs. 3 InsO bezieht sich auf eröffnete Verfahren, die im Falle fehlender Befriedigungsaussichten nicht mit der Anmeldung und Prüfung nachrangiger Forderungen belastet werden sollen3. Damit trifft das Gesetz jedoch keine weitergehende Aussage dahin, dass ein Insolvenzantrag und die Verfahrenseröffnung auf eine nachrangige Forderung nicht gestützt werden können. Vielmehr ist § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zu entnehmen, dass nachrangig zu befriedigende Gesellschafter zu den Insolvenzgläubigern (§ 38 InsO) gehören4. Der Gesetzgeber will die nachrangigen Gläubiger von Anfang an in das Insolvenzverfahren einbeziehen und lediglich im weiteren Verfahren wegen ihrer geringen Befriedigungsaussichten eine Verzögerung vermeiden, indem eine Anmeldung solcher Forderungen nur auf besondere Aufforderung erfolgen soll5. Mithin sind die nachrangigen Insolvenzgläubiger ebenso Insolvenzgläubiger wie die nicht nachrangigen6. In ausdrücklicher Abkehr von dem Regierungsentwurf7 hat der Gesetzgeber zudem § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO dahin gefasst, dass nachrangige Forderungen im Sinne von § 39 Abs. 1 InsO bei der Prüfung einer Überschuldung zu berücksichtigen sind. Dadurch soll eine unkontrollierte Zunahme masseloser Insolvenzen verhindert werden8.
Nachrangige Forderungen im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sind – wenn keine weitergehende Nachrangvereinbarung getroffen (§ 39 Abs. 2 InsO) wurde (BGHZ 173, 286, 292 Rn. 18) – abweichend zu der für den früheren Rechtszustand überwiegend vertretenen Auffassung9 nach jetziger Gesetzeslage bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) in die Liquiditätsprognose einzubeziehen, weil mit der Abschaffung des Eigenkapitalersatzrechts (§ 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG) das präventive Auszahlungsverbot für Gesellschafterdarlehen entfallen ist10. Sind nachrangige Forderungen bei der Prüfung der Insolvenz sonstigen Forderungen gleichzustellen, entspricht es dem Gesetzeszweck, dass die Insolvenzeröffnung auch auf der Grundlage einer nachrangigen Forderung beantragt werden kann. Demgemäß ist § 174 Abs. 3 InsO, der erst nach Feststellung der Teilungsmasse eingreift, eine Beschneidung der Antragsbefugnis nachrangiger Insolvenzgläubiger nicht zu entnehmen.
Ferner hängt das Rechtsschutzinteresse für einen Insolvenzantrag generell nicht davon ab, ob der Gläubiger in dem Verfahren eine Befriedigung erlangen kann. Auch im Falle völliger Masseunzulänglichkeit wird das Rechtsschutzinteresse für einen Eröffnungsantrag nicht berührt11. Aus § 26 InsO ergibt sich, dass auch Verfahren ohne Verteilungsperspektive zu eröffnen sind, wenn nur die Verfahrenskosten gedeckt sind12. Überdies unterbleibt eine Abweisung der Verfahrenseröffnung mangels einer kostendeckenden Masse (§ 26 Abs. 1 Satz 1 InsO), wenn ein Gläubiger einen zur Deckung der voraussichtlichen Verfahrenskosten genügenden Betrag vorschießt (§ 26 Abs. 1 Satz 2 InsO). Sind nicht nachrangige Insolvenzgläubiger trotz fehlender Befriedigungsaussichten zur Antragstellung berechtigt, kann für nachrangige Insolvenzgläubiger nichts anderes gelten.
Überdies würde eine Beschränkung der Antragsbefugnis nachrangiger Gläubiger auf Fälle ernsthafter Befriedigungsaussichten den allgemeinen Zwecken eines Insolvenzverfahrens zuwiderlaufen. Bei diesen Gläubigern handelt es sich regelmäßig um Gesellschafter von Gesellschaften, die keine natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter haben (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Für derartige Gesellschaften statuiert § 15a InsO eine Insolvenzantragspflicht der Organe, welche die rechtzeitige Einleitung des Insolvenzverfahrens bezweckt, um Altgläubiger vor einer weiteren Verringerung der Haftungsmasse und Neugläubiger vor einem Vertragsschluss mit notleidenden Gesellschaften zu schützen13. Missachten die Organe ihre Antragspflicht, kann das Verfahren nur auf Antrag eines Gläubigers – gleich ob es sich um einen Gesellschafter in seiner Funktion als Darlehensgeber oder einen außenstehenden Dritten handelt – eröffnet werden. Ist sowohl eine Forderung als auch ein Insolvenzgrund gegeben, wäre es – auch im Licht der Ersatzzuständigkeit des Gesellschafters nach § 15a Abs. 3 InsO – höchst ungereimt, von einer Verfahrenseröffnung allein wegen der fehlenden Befriedigungsaussichten des Gesellschafters als nachrangiger Gläubiger abzusehen. Vielmehr ist es im Interesse gerade der nicht nachrangigen Gläubiger geboten, auf den Antrag eines nachrangigen Gläubigers das Insolvenzverfahren zu eröffnen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23. September 2010 – IX ZB 282/09
- HK-InsO/Kirchhof, aaO § 14 Rn. 26; Jaeger/Gerhardt, InsO § 14 Rn. 13; Uhlenbruck, aaO; HmbKomm-InsO/Wehr, aaO § 14 Rn. 48; Hess, Insolvenzrecht § 14 Rn. 53; FK-InsO/Schmerbach, aaO § 14 Rn. 49a; Haas/Scholl ZInsO 2002, 645, 649 f.[↩]
- Münch-Komm-InsO/Schmahl, aaO; Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 13 Rn. 32, § 14 Rn. 63; BK-InsO/Goetsch, InsO § 14 Rn. 13; Häsemeyer, Insolvenzrecht 4. Aufl. Rn. 17.13 Fn. 38; Lang, Das Rechtsschutzinteresse beim Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, 2003 S. 110 f.[↩]
- BT-Drs. 12/2443 S. 184[↩]
- Häsemeyer, aaO Rn. 17.13[↩]
- BT-Drs., aaO S. 123[↩]
- FK-InsO/Kießner, aaO § 174 Rn. 40[↩]
- BT-Drs. 16/6140 S. 56[↩]
- BT-Drs. 16/9737 S. 104 f[↩]
- vgl. HmbKomm-InsO/Schröder, aaO § 17 Rn. 12 m.w.N.[↩]
- Uhlenbruck, aaO § 17 Rn. 10; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 17 Rn. 7; Scholz/Bitter, GmbHG 10. Aufl. Rn. 7 vor § 64; Baumbach/ Hueck/Haas, GmbHG 19. Aufl. § 64 Rn. 34; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG 6. Aufl. Rn. 23 vor § 64[↩]
- OLG Frankfurt KTS 1971, 285; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 14 Rn. 25, 35; Jaeger/Gerhardt, aaO § 14 Rn. 14; MünchKomm-InsO/Schmahl, aaO § 14 Rn. 46; Uhlenbruck, aaO § 14 Rn. 41; ebenso wohl FK-InsO/Schmerbach, aaO § 14 Rn. 40; aA nur AG St. Ingbert KTS 1983, 648[↩]
- Jaeger/Gerhardt, aaO[↩]
- BT-Drs. 16/6140 S. 55[↩]