Der originär zuständige Einzelrichter – und der Übertragungsbeschluss der Kammer

Dass ein Beschwerdegericht nicht – wie gesetzlich vorgesehen – durch den originär zuständigen Einzelrichter tätig geworden ist, sondern einen Übertragungsbeschluss entgegen § 568 Satz 2 ZPO durch die Kammer gefasst hat, verstößt gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

Der originär zuständige Einzelrichter – und der Übertragungsbeschluss der Kammer

Für die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG genügt nicht schon jede irrtümliche Überschreitung der den Fachgerichten gezogenen Grenzen1. Durch einen schlichten error in procedendo wird niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen2. Eine Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters kommt aber in Betracht, wenn das Fachgericht Bedeutung und Tragweite der Gewährleistung aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat3 oder wenn die maßgeblichen Verfahrensnormen in objektiv willkürlicher Weise fehlerhaft angewandt wurden4.

So liegen die Dinge hier: Das Beschwerdegericht entscheidet gemäß § 568 Satz 1 ZPO durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde. Hier hat über den Antrag auf Vergütung in erster Instanz mit Beschluss vom 13.06.2019 der Rechtspfleger entschieden. In einem solchen Fall ist die Kammer nur dann zur Entscheidung über die Beschwerde berufen, wenn der originär zuständige Einzelrichter durch eine gesonderte Entscheidung das Verfahren dem Beschwerdegericht zur Entscheidung in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung überträgt (§ 568 Satz 2 ZPO). Dies setzt einen entsprechenden Beschluss des Einzelrichters voraus5.

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An einem solchen Übertragungsbeschluss des Einzelrichters fehlt es hier. Stattdessen hat die hierzu gesetzlich nicht berufene Kammer in dem angefochtenen Beschluss vom 26.06.2020 das Verfahren an sich gezogen und zugleich mit Beschluss vom selben Tag in der Sache entschieden. Die Kammer ist aber – abgesehen von Fällen, in denen die Zuständigkeit des Einzelrichters zweifelhaft ist (vgl. § 348 Abs. 2 ZPO, vgl. BGHZ 156, 147 <152>) – von Gesetzes wegen daran gehindert, selbst über die Übertragung eines in die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters fallenden Beschwerdeverfahrens auf die Kammer zu entscheiden5. Vor diesem Hintergrund hat die Beschwerdekammer daher nicht etwa lediglich § 568 ZPO in seinen Voraussetzungen falsch ausgelegt, sondern durch den Übertragungsbeschluss eine Entscheidung getroffen, die nach dem klaren, keinen Spielraum gewährenden und keine Zweifel aufkommen lassenden Wortlaut des Gesetzes nicht vorgesehen war. Damit hat die Kammer das Gebot des gesetzlichen Richters grundlegend verkannt. Die Übertragung des Verfahrens auf die Beschwerdekammer durch die Kammer selbst erfüllt daher die Voraussetzungen der objektiven Willkür. Sie ist offensichtlich unvertretbar, so dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt ist6.

Dem Beschwerdeführer kann nicht unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Subsidiarität, der in § 90 Abs. 2 BVerfGG seine gesetzliche Ausprägung erfahren hat7, entgegengehalten werden, dass er den von der Kammer getroffenen Übertragungsbeschluss nicht im Rahmen einer Anhörungsrüge beanstandet hat. Ungeachtet der Frage, ob mit § 321a ZPO überhaupt die Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte als Art. 103 Abs. 1 GG geltend gemacht werden kann8, stand der Kammer, die als iudex a quo für die Entscheidung über eine Anhörungsrüge zuständig gewesen wäre, keine prozessuale Möglichkeit zur Verfügung, den Zuständigkeitsmangel nachträglich zu beseitigen.

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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20. April 2023 – 2 BvR 1605/21

  1. vgl. BVerfGE 87, 282 <284> m.w.N.; 138, 64 <87 Rn. 71>[]
  2. vgl. BVerfGE 3, 359 <365> 138, 64 <87 Rn. 71>[]
  3. vgl. BVerfGE 82, 286 <299> 87, 282 <284 f.> 131, 268 <312> 138, 64 <87 Rn. 71>[]
  4. vgl. BVerfGE 42, 237 <241> 76, 93 <96> 79, 292 <301> 138, 64 <87 Rn. 71>[]
  5. vgl. BGH, Beschluss vom 21.09.2017 – IX ZB 84/16 10 f.; Beschluss vom 12.09.2019 – IX ZB 2/19 9; Beschluss vom 21.04.2021 – VII ZB 40/20 8 f.[][]
  6. vgl. BVerfGE 3, 359 <364> 29, 45 <48 f.> 29, 166 <172 f.> 76, 93 <96> 87, 282 <285> 96, 68 <77>[]
  7. vgl. BVerfGE 107, 395 <414>[]
  8. offen gelassen in BVerfGK 15, 591 <593> dagegen BGH, Beschluss vom 27.04.2017 – I ZB 34/15 5; Urteil vom 14.04.2016 – IX ZR 197/15 13 f. m.w.N.; Urteil vom 04.03.2011 – V ZR 123/10 6[]

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