Hat die Partei Prozesskostenhilfe für die Einlegung und Begründung einer Berufung beantragt, wird die Wiedereinsetzungsfrist nicht dadurch in Gang gesetzt, dass das Gericht auf Bedenken hinsichtlich der Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung hinweist und dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme gibt.

Andernfalls würde dem Berufungskläger der Zugang zur Berufungsinstanz unter Verstoß gegen die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gemäß § 233 Abs. 1 ZPO zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist oder eine Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO einzuhalten. Die Wiedereinsetzung muss gemäß § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Gemäß § 234 Abs. 2 ZPO beginnt die Frist mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
Eine mittellose Partei ist regelmäßig schon wegen ihrer Armut an der Beauftragung eines Rechtsanwalts und damit an der rechtzeitigen Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gehindert. Hat sie beim zuständigen Gericht fristgerecht einen vollständigen Antrag auf Prozesskostenhilfe eingereicht, kann sie zunächst darauf vertrauen, alles ihr Zumutbare zur Behebung des Hindernisses unternommen zu haben1. Das in den fehlenden Mitteln liegende Hindernis wird durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe behoben. Wird der Antrag wegen fehlender Bedürftigkeit oder mangels Erfolgsaussicht abgelehnt, kann die Partei während eines auf drei bis vier Tage zu bemessenden Überlegungszeitraums entscheiden, ob sie das Rechtsmittel auf eigene Kosten einlegen und durchführen will. Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt nach Ablauf dieser Frist.
Kenntnis von den fehlenden Voraussetzungen für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe erhält die Partei regelmäßig durch den Gerichtsbeschluss, mit welchem Prozesskostenhilfe versagt wird. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. Kann die Partei nach den gegebenen Umständen – etwa deshalb, weil sie ihrem Antrag die in § 117 Abs. 2 und 3 ZPO vorgeschriebene Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht beigefügt hat – nicht mit einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe rechnen, kommt eine Wiedereinsetzung von vornherein nicht in Betracht. Muss die Partei aufgrund eines gerichtlichen Hinweises mit der Ablehnung seines Prozesskostenhilfegesuchs rechnen, beginnt die Wiedereinsetzungsfrist mit dem Zugang des Hinweises2. Wird der Partei dagegen eine Frist zur Vervollständigung ihrer Angaben gesetzt, kann sie auf eine Bewilligung vertrauen, wenn sie der Auflage nachkommt; andernfalls endet ihr rechtlich geschütztes Vertrauen mit dem ergebnislosen Ablauf der gesetzten Frist3. Die Partei muss nicht schon dann mit einer Ablehnung ihres Antrags rechnen, wenn das Berufungsgericht im Rahmen der sofortigen Beschwerde gegen die erstinstanzliche Ablehnung von Prozesskostenhilfe einen für sie nachteiligen Rechtsstandpunkt vertreten hat4.
Im vorliegenden Fall ging es um die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels, nicht um die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Das Berufungsgericht hat in seinem Hinweisbeschluss ausführlich dargelegt, aus welchen Gründen die beabsichtigte Rechtsverfolgung – die Berufung gegen das landgerichtliche Urteil – keine Aussicht auf Erfolg versprach. Es hat aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Einschätzung sich auf den „derzeitigen“ Streitstand bezog und der Beschluss nur die „vorläufige“ Auffassung des Bundesgerichtshofs wiedergab. Zudem hat es dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung des Beschlusses gegeben. Wäre die im angegriffenen Beschluss vertretene Auffassung des Berufungsgerichts richtig, hätte der Kläger nunmehr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen und Berufung einlegen müssen. Mit Hilfe der Fristsetzung hätte das Berufungsgericht ihn zu einer für ihn sinnlosen Handlung – der ergänzenden Stellungnahme – veranlasst und ihn dadurch von der zur Wahrnehmung seiner Interessen gebotenen Handlung – dem Wiedereinsetzungsantrag nebst Berufung – abgehalten. Das kann nicht sein. Die Partei, die einen gerichtlichen Hinweis erhält, darf darauf vertrauen, dass dieser Hinweis das Verfahren fördert. Die Hinweispflicht des § 139 ZPO dient nicht dazu, die Partei in die Irre zu führen und ihr zu schaden. Dementsprechend führt das Befolgen eines gerichtlichen Hinweises nicht dazu, dass die Partei nicht mehr gutzumachende Rechtsnachteile erleidet. Der Kläger konnte den Hinweis wie jede vernünftige Partei dahingehend verstehen, dass er Gelegenheit zur Stellungnahme hatte und dass die Sache nach fristgerechtem Eingang seiner Stellungnahme nochmals beraten werden würde. Nachdem er Stellung genommen hatte, konnte er die endgültige Entschließung des Gerichts abwarten, ohne einen Verschuldensvorwurf fürchten zu müssen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22. September 2016 – IX ZB 84/15
- vgl. BGH, Beschluss vom 12.06.2001 – XI ZR 161/01, BGHZ 148, 66, 69; vom 08.01.2016 – I ZB 41/15, NJW-RR 2016, 507 Rn. 9[↩]
- BGH, Beschluss vom 19.11.2008 – XII ZB 102/08, NJW 2009, 854 Rn. 11 f; vom 13.01.2010 – XII ZB 108/09, NJW-RR 2010, 424 Rn. 4 f; vom 13.01.2015 – VI ZB 61/14, NJW-RR 2015, 703 Rn. 8[↩]
- BGH, Beschluss vom 13.02.2008 – XII ZB 151/07, NJW-RR 2008, 942 Rn. 12[↩]
- Kazele/Milger in Prütting/Gehrlein, ZPO, 8. Aufl., § 234 Rn. 6[↩]